· Fachbeitrag · Allgemeines Versicherungsvertragsrecht
Erneut: Kein Widerspruchsrecht bei geringfügigem Belehrungsfehler
| Auch wenn eine Widerspruchsbelehrung fehlerhaft ist, kann ein Widerspruch gegen Treu und Glauben verstoßen. Das stellte das OLG Karlsruhe in zwei Fällen fest. |
1. BGH hat bereits grundsätzlich entschieden
Der BGH hatte bereits entschieden, dass die spätere Ausübung des Widerspruchsrechts gegen Treu und Glauben verstoßen kann, wenn lediglich ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt (15.2.23, IV ZR 353/21, VK 23, 63). Ob ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, ist jeweils Frage des Einzelfalls. So entschied der BGH, dass der fehlende Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 S. 1 VVG (dort in der Fassung vom 13.7.01) erforderliche Form kein geringfügiger Belehrungsfehler mehr ist (15.3.23, IV ZR 40/21, VK 23, 86).
2. Weitere Entscheidungen des OLG Karlsruhe
Zu der Frage, wann der Belehrungsfehler noch geringfügig ist, liegen nun zwei Entscheidungen des OLG Karlsruhe vor. Die Leitsätze zu den Entscheidungen lauten wie folgt:
- OLG Karlsruhe 20.4.23, 12 U 335/21, Abruf-Nr. 235328
- Wird in einer Widerspruchsbelehrung zwar zutreffend auf die von Gesetzes wegen erforderliche Textform für den Widerspruch hingewiesen, an anderer Stelle des Versicherungsscheins aber für Willenserklärungen an die Konsortialführerin die Schriftform verlangt, fehlt es der Widerspruchsbelehrung an der gebotenen Klarheit. Die spätere Ausübung des Widerspruchsrechts verstößt jedoch gegen Treu und Glauben, da lediglich ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt.
- OLG Karlsruhe 2.5.23, 12 U 208/22, Abruf-Nr. 235232
- Eine Widerspruchsbelehrung, nach der die Frist für den Widerspruch mit dem „Erhalt des Versicherungsscheins“ beginnen soll, ist fehlerhaft. Die spätere Ausübung des Widerspruchsrechts verstößt jedoch gegen Treu und Glauben, da lediglich ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, sofern dem VN die Verbraucherinformation und die Versicherungsbedingungen tatsächlich mit dem Versicherungsschein übersandt wurden.
3. Die Begründung des OLG Karlsruhe
Wird dem VN durch die fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wäre es unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen (EuGH 19.12.19, Rust-Hackner u. a., C-355/18 u.a.). Unter diesen (engen) Voraussetzungen liegt ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, der einer Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 242 BGB entgegensteht (BGH 15.3.23, IV ZR 40/21, Rn. 12).
a) Zutreffende Informationen lagen vor
Durch die unvollständige Information über die den Fristbeginn auslösenden Unterlagen wurde dem VN nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Nach der Entscheidung des EuGH vom 19.12.19 (a. a. O.) ist bei der Prüfung, ob dem VN diese Möglichkeit genommen wird, eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Dabei ist dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Bei der Anwendung des aus § 242 BGB hergeleiteten Übermaßverbots ist zu prüfen, ob es sich um eine nur geringfügige, im Ergebnis folgenlose Vertragsverletzung handelt.
Entscheidend ist hier, dass dem VN die Verbraucherinformationen und die Versicherungsbedingungen ‒ der Auflistung der Anlagen im Policenbegleitschreiben entsprechend ‒ mit dem Versicherungsschein übersendet worden sind. Unter diesen Umständen war es ausgeschlossen, dass der VN durch die unvollständige Information in der Widerspruchsbelehrung an einem wirksamen, insbesondere fristgerechten Widerspruch gehindert wird. Vielmehr wurde er zutreffend darüber informiert, dass die Frist mit Abschluss des Vertrags beginnt und konnte die Frist aufgrund der Information in der Belehrung zutreffend berechnen. Zudem lagen ihm alle Unterlagen vor, die er für seine Entscheidung über den Widerspruch benötigte. Er konnte daher sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Information über die fristauslösenden Unterlagen ausüben. Es handelt sich um eine geringfügige, im Ergebnis folgenlose Verletzung der Pflicht des VR zur ordnungsgemäßen Belehrung. Nach dem aus § 242 BGB hergeleiteten Übermaßverbot wäre die Einräumung eines Widerspruchsrechts unter diesen Umständen unverhältnismäßig.
b) Änderung der Rechtsprechung
Dabei verkennt der Senat nicht, dass der BGH bislang bei dem hier vorliegenden Belehrungsfehler von einem Widerspruchsrecht auch nach jahrelanger Durchführung des Vertrags ausgegangen ist (28.9.16, IV ZR 192/14) und den Fehler als nicht nur marginal bewertet hat. Nach der Entscheidung des EuGH vom 19.12.19 (C-355/18) und der hieran anknüpfenden Entscheidung des BGH vom 15.2.23 (IV ZR 353/21) ist diese bisherige Rechtsprechung jedenfalls in den Fällen obsolet, in denen der Belehrungsmangel nicht geeignet war, den VN von einem wirksamen Widerspruch abzuhalten, im Ergebnis also folgenlos geblieben ist.
Nichts anderes ergibt sich aus der Entscheidung des BGH vom 15.3.23, IV ZR 40/21. Danach bleibt der VN beim Fehlen eines Hinweises auf die erforderliche Textform des Widerspruchs im Unklaren darüber, in welcher Form er die Widerspruchserklärung abzugeben hat. Daraus resultiert eine nicht unerhebliche Erschwernis der Ausübung des Widerspruchsrechts. An einer solchen Erschwernis fehlt es hier aus den dargelegten Gründen.