· Fachbeitrag · Gerichtsstand
Wahlgerichtsstand nach § 215 VVG für Klagen des Insolvenzverwalters über das Vermögen des VN?
von VRiOLG a.D. Hellmut Münstermann, Aachen
Für Klagen des Insolvenzverwalters über das Vermögen des VN ist der Wahlgerichtsstand nach § 215 Abs. 1 VVG weder am Wohnort des VN noch am Sitz des Insolvenzverwalters eröffnet (OLG Hamm 21.10.13, 20 W 32/13, Abruf-Nr. 133976). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der Kläger hat als Insolvenzverwalter über das Vermögen des VN vor dem LG D aus einer für den VN bei der Beklagten (VR) bestehenden Rentenversicherung Klage auf Auszahlung einer Rückvergütung erhoben und hierfür Prozesskostenhilfe beantragt.
Das LG D hat dem in H ansässigen VR die einfache Abschrift der Antragsschrift übersandt. Nach Hinweis auf seine mangelnde örtliche Zuständigkeit hat sich das LG D auf Antrag des Klägers für örtlich unzuständig erklärt und das PKH-Verfahren nach § 281 ZPO an das „nach § 215 Abs. 1 VVG zuständige“ LG E verwiesen. Dieses hat den PKH-Antrag nach Hinweis auf Bedenken gegen die eigene örtliche Zuständigkeit zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der hilfsweise Verweisung an das örtlich zuständige Gericht beantragt. Das OLG hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und das PKH-Verfahren an das LG H verwiesen. Begründung: Das LG E hat zu Recht keine Prozesskostenhilfe gewährt. Die beabsichtigte Klage hat mangels örtlicher Zuständigkeit keine hinreichende Erfolgsaussicht. Der beklagte VR hat seinen Sitz im Sinne des § 17 Abs. 1 ZPO im LG-Bezirk H.
Eine Zuständigkeit nach § 215 Abs. 1 VVG hat das LG E zu Recht verneint. Zwar schließt § 215 VVG nach seinem Wortlaut die Annahme einer örtlichen Zuständigkeit am Wohnsitz des VN für Klagen Dritter nicht aus. Jedoch ist die Vorschrift nicht auf Klagen des Insolvenzverwalters über das Vermögen des VN anzuwenden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 215 VVG lässt sich zwar darauf schließen, dass auch für Versicherte, Bezugsberechtigte sowie für Personen, die in die Vertragsstellung des VN nachfolgen, eine Wohnsitzzuständigkeit in analoger Anwendung von § 215 Abs. 1 VVG gegeben ist, weil sie wie der VN in einer vertraglichen Sonderbeziehung zum VR stehen und dabei eine potenziell unterlegene Position innehaben.
Für den Insolvenzverwalter gilt dies jedoch nicht. Er macht keine eigenen Rechte aus einer vertraglichen Sonderbeziehung zum VR geltend, sondern ist für eine fremde Vermögensmasse tätig. Es fehlt an seiner persönlichen Schutzbedürftigkeit und damit an einer dem VN vergleichbaren Interessenlage. Sein Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits am Wohnort des VN bzw. - in entsprechender Anwendung von § 215 Abs. 1 VVG - am Ort der eigenen Niederlassung ist von reinen Praktikabilitätserwägungen getragen. Er hat keine persönliche Sonderverbindung zum VR und auch keine potenziell unterlegene Position inne. Die Anwendung von § 215 Abs. 1 VVG ist damit nicht gerechtfertigt.
Das LG E war auch durch den Verweisungsbeschluss des LG D nicht gehindert, das PKH-Gesuch zurückzuweisen. Zwar besteht durch die Verweisung entsprechend § 281 ZPO für das Empfangsgericht eine Bindungswirkung für das PKH-Verfahren, die es ihm verwehrt, das Verfahren wieder zurückzuverweisen. Zulässig ist jedoch die Zurückweisung des PKH-Antrags mit der Begründung der fehlenden Zuständigkeit für den beabsichtigten Rechtsstreit. Auf den hilfsweise gestellten Verweisungsantrag des Klägers ist das Prozesskostenhilfeverfahren in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an das nach § 17 Abs. 1 ZPO zuständige LG H zu verweisen.
Praxishinweis
Ausgehend vom Wortlaut des § 215 Abs. 1 VVG folgt das OLG der wohl herrschenden Meinung, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift bei Klagen aus dem Versicherungsvertrag nicht auf den VN beschränkt ist. In analoger Anwendung kommt sie auch Personen zugute, die in einer vertraglichen Sonderbeziehung zum VR stehen und dabei eine potenziell unterlegene Position innehaben. Dazu zählen z.B. Versicherte und Bezugsberechtigte. Der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen des VN zählt jedoch nicht dazu.
Umstritten ist die Frage, ob § 215 VVG nur für natürliche oder auch für juristische Personen gilt. Da die Vorschrift allgemein vom VN spricht, sprechen m.E. auch gute Gründe für die Einbeziehung juristischer Personen. Für diese gilt anstelle des „Wohnsitzes“ in § 215 VVG deren Sitz (siehe Hinweise unten).Soweit nicht der VN selbst klagt, sondern ein Dritter, der zu dem Kreis derjenigen Personen gehört, auf die § 215 Abs. 1 VVG analog Anwendung findet, ist zu fragen, ob er vor seinem Wohnsitzgericht oder vor dem des VN klagen muss. Nach dem Gesetzeswortlaut ist der Wohnsitz des VN maßgeblich. Aber auch das ist umstritten (dazu Münstermann, VK 12, 21).
Angesichts der strittigen Fragen zu § 215 VVG sollte der Anwalt immer seine eigene Rechtsansicht vortragen, zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für den Mandanten jedoch hilfsweise einen Verweisungsantrag stellen.
Weiterführende Hinweise