· Fachbeitrag · Insolvenz
Direktanspruch des Geschädigten bei Insolvenz des haftpflichtversicherten Schädigers
von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte
In der Insolvenz eines haftpflichtversicherten Schädigers ermöglicht eine Freigabe des Deckungsanspruchs durch den Insolvenzverwalter kein unmittelbares Vorgehen gegen den VR aus einem Absonderungsrecht nach § 110 VVG, solange es an einer Feststellung i.S.d. § 106 VVG fehlt (OLG Nürnberg 21.6.12, 5 W 1109/12, Abruf-Nr. 131642). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Bei der Antragstellerin wurden Schönheitsoperationen fehlerhaft durchgeführt. Ihr deshalb auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommener Operateur wurde insolvent. Der Insolvenzverwalter hat die Ansprüche bestritten und den Befreiungsanspruch gegen den VR aus Berufshaftpflichtversicherung aus der Insolvenzmasse freigegeben. Daraufhin hat die Antragstellerin den VR direkt in Anspruch genommen. Nachdem dieser seine Einstandspflicht abgelehnt hatte, beantragte sie für eine entsprechende Klage PKH. Antrag und Beschwerde sind erfolglos geblieben.
Übersicht / BGH-Rechtsprechung zur Insolvenz des Schädigers |
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (VersR 54, 578; VersR 87, 655; VersR 93, 1222) kann der Schadenersatzgläubiger im Falle der Insolvenz des Schädigers dessen Haftpflicht-VR nach Feststellung seines Schadenersatzanspruchs unmittelbar auf Zahlung der Entschädigung in Anspruch nehmen. Dies beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 1282 BGB. Der VR ist aber auch im Fall des § 110 VVG nicht eher zur Zahlung verpflichtet, bevor nicht der Streit über das Bestehen der Schadenersatzforderung zwischen den Beteiligten (dem Geschädigten und dem Insolvenzverwalter) rechtskräftig ausgetragen ist (BGH VersR 54, 578; RGZ 93, 209, 212). Dabei ersetzt die Eintragung in die Insolvenztabelle gem. § 178 Abs. 3 InsO für die festgestellten Forderungen ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter. Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit gegen sie kein Widerspruch erhoben worden ist oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist (§ 178 Abs. 1 InsO). Die Feststellung zur Tabelle wirkt auch gegenüber dem Haftpflicht-VR (BGH VersR 54, 578). |
Im Streitfall fehlt es an einer solchen Feststellung. Die vom Insolvenzverwalter erklärte Freigabe des Deckungsanspruchs ändert an dieser Rechtslage nichts. Die Freigabe einer Forderung aus der Insolvenzmasse ist keine Abtretung. Der Haftpflicht-VR wird durch die Freigabe hinsichtlich der Abwicklung des Schadenfalls an seinen VN selbst, den Insolvenzschuldner, zurückverwiesen (BGH ZIP 09, 874). Die Freigabe bewirkt, dass der Insolvenzschuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des freigegebenen Deckungsanspruchs zurückerhält. Das Absonderungsrecht der Antragstellerin überdauert das Insolvenzverfahren als Pfandrecht an der Entschädigungsforderung selbst. Gleichwohl muss aber für eine Inanspruchnahme der Haftpflichtversicherung die Fälligkeit der Versicherungsleistung nach Maßgabe des § 106 VVG gegeben sein, woran es nach wie vor fehlt. Eine unmittelbare Klage auf Zahlung gegen den Insolvenzverwalter, beschränkt auf Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen den Haftpflicht-VR (BGH ZIP 89, 857), scheidet infolge der Freigabe allerdings aus.
Die Antragstellerin kann auch nicht mit Erfolg einen Direktanspruch nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 VVG n.F. geltend machen. Allerdings ist es - entgegen LG - fraglich, ob die Versicherung nicht als Pflichtversicherung einzuordnen ist. Das kann aber offen bleiben. Der Direktanspruch bei Pflichtversicherungen i.S. des § 113 VVG im Insolvenzfall des VN ist durch das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.07 (BGBl. I Seite 2631) in das VVG eingefügt worden. Das bis dahin geltende VVG kannte ihn nicht. Nach Art. 1 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zu dem Gesetz über den Versicherungsvertrag in der Fassung des Art. 2 des genannten Gesetzes vom 23.11.07 ist für Versicherungsfälle, die bis zum 31.12.08 eingetreten sind, das VVG in der bis zum 31.12.07 geltenden Fassung weiter anzuwenden, wenn es sich um einen Altvertrag i.S. des Art. 1 Abs. 1 des EGVVG handelt, also um ein Versicherungsverhältnis, das vor dem Inkrafttreten des neuen VVG am 1.1.08 entstanden ist. Dies ist vorliegend der Fall. Versicherungsfall i.S. der Haftpflichtversicherung ist das Schadensereignis, das Haftpflichtansprüche gegen den VN zur Folge haben könnte (BGHZ 25, 34). Die Anspruchserhebung gegenüber dem VN durch den Geschädigten ist nicht maßgebend. Demnach handelt es sich bei Schadenersatzansprüchen der Antragstellerin, die an fehlerhafte oder nicht aufgrund wirksamer Einwilligung vorgenommene ärztliche Eingriffe des VN anknüpfen, versicherungsvertragsrechtlich um Versicherungsfälle, auf die das VVG in der bis zum 31.12.07 geltenden Fassung anzuwenden ist. Ein Direktanspruch scheidet deshalb aus.
Praxishinweis
Zum Direktanspruch nach altem Recht vgl. OLG Hamm VK 13, 76. Die Rechtslage ist auch nach neuem Recht unverändert, weil § 110 VVG den § 157 VVG a.F. ohne sachliche Änderungen übernommen hat. Zutreffend hat der Senat auch entschieden, dass die Freigabe des Deckungsanspruchs aus der Insolvenzmasse nichts daran ändert, dass ohne eine Feststellung der Haftpflichtforderung i.S. des § 106 VVG ein Direktanspruch auch bei Insolvenz ausscheidet.
Bei Pflichtversicherungen kommt aber - nur - unter Geltung des neuen Rechts auch in solchen Fällen eine Direktklage regelmäßig in Betracht (§ 115 Abs. 1 Nr. 2 VVG). Im Streitfall war allerdings altes Recht anzuwenden, das in diesem Punkt eine abweichende Behandlung bei Pflichtversicherungen nicht vorgesehen hatte.
Was Versicherungsfall ist, ergibt sich nicht aus alten Entscheidungen des BGH. Es wird ausschließlich durch Bedingungen (und zwar in sehr unterschiedlicher Form) geregelt. Die vom Senat verwandte Definition entspricht § 5 Nr. 1 AHB a.F. Ob die AHB dem Vertrag zugrunde lag, versteht sich speziell bei einer Berufshaftpflichtversicherung nicht von selbst und ist offenbar zu prüfen übersehen worden. Hiervon hängt die Richtigkeit des gefundenen Ergebnisses ab.