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  • · Fachbeitrag · Unfallversicherung

    Anerkenntnis des VR ist regelmäßig keine deklaratorische Schuldbestätigung

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte

    Das Anerkenntnis des VR in der Unfallversicherung ist regelmäßig keine deklaratorische Schuldbestätigung, sondern eine Mitteilung über die Regulierung ohne Bindungswirkung und ohne die Wirkung einer Beweislast-umkehr bei späterem Streit um die Unfallbedingtheit von Bandscheibenverletzungen (OLG Saarbrücken 25.2.13, 5 U 224/11, Abruf-Nr. 141566).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der VN hatte sich bei einem Verkehrsunfall an der Wirbelsäule verletzt. Etwa ein Jahr später wurde bei ihm ein Bandscheibenvorfall mit schweren neurologischen Ausfällen diagnostiziert. Der VR hat seine Leistungspflicht anerkannt. Er hat nach Einholung mehrerer Gutachten zum Ablauf der Dreijahresfrist die ihm obliegende Erstbemessung mit 70,5 Prozent Invalidität vorgenommen und den dafür vereinbarten Betrag gezahlt.

     

    Der VN hält sich für 100 Prozent invalide. Mit seiner Klage macht er den Differenzbetrag geltend. Das LG hat nach Einholung mehrerer Gutachten die Klage abgewiesen. Dem VN sei der ihm obliegende Beweis der Unfallursächlichkeit des Bandscheibenvorfalls nicht gelungen. Mit der Berufung hat der VN geltend gemacht, dass der VR mit seinem Abrechnungsschreiben die Unfallursächlichkeit anerkannt habe. Dies müsse zumindest zu einer Beweislastumkehr führen. Dem ist das OLG mit folgenden Erwägungen entgegengetreten:

     

    • Das Unfallgeschehen und die hieraus unmittelbar resultierenden Verletzungen - eine HWS-Beschleunigungsverletzung I. Grades sowie eine Thoraxprellung rechts, welche offenbar folgenlos ausgeheilt sind - sind zwischen den Parteien ebenso unstreitig wie die fristgerechte ärztliche Feststellung der Invalidität und deren fristgerechte Meldung bei der Beklagten. Allerdings lässt sich dem Vorbringen der Parteien nicht entnehmen, worin sie die fristgemäße ärztliche Feststellung sehen, die die Anspruchsvoraussetzung der geltend gemachten Invaliditätsleistungen ist (vgl. BGH VK 07 186 = VersR 07, 1114). Es kann deshalb nicht beurteilt werden, ob diese überhaupt die Beeinträchtigungen umfasst, auf die der Kläger sich nunmehr zur Begründung seiner Invalidität stützt. Das kann dahinstehen, weil die Klage schon aus anderen Gründen unbegründet ist.

     

    • Bandscheibenschäden und ihre Folgen sind bedingungsgemäß (§ 2 III (2) AUB 94; Nr. 5.2.1 AUB 2008) nur versichert, wenn der Unfall die überwiegende Ursache ist. Beweisrechtlich gilt dabei Folgendes: Während für den Leistungsausschluss der VR die Beweislast trägt, ist es Sache des VN, den Wiedereinschluss - insbesondere die überwiegende Ursächlichkeit des Unfallereignisses - darzulegen und zu beweisen (BGH VersR 08, 1683).

     

    • Das Landgericht ist durch Auslegung der beiden vorgenannten Schreiben des VR zu dem Ergebnis gelangt, dass diese nach dem Willen der Parteien unter Berücksichtigung des Anlasses und der Interessenlage nicht als Angebot zum Abschluss eines bestätigenden (deklaratorischen) Schuldanerkenntnisvertrags - über einen bestimmten Invaliditätsgrad - angesehen werden können. Dem schließt sich der Senat an. Ein solcher Vertrag zielt darauf ab, das Schuldverhältnis insgesamt oder zumindest unter bestimmten Gesichtspunkten dem Streit oder der Ungewissheit zu entziehen und es (insoweit) endgültig festzulegen. Folge wäre, dass dem anerkennenden Schuldner (insoweit) Einwendungen gegen die Schuld abgeschnitten sind. Die jeweilige Tragweite einer solchen „bestätigenden“ Wirkung ist durch Auslegung des zum Ausdruck gebrachten Parteiwillens zu ermitteln. Dabei ist vor allem auf den mit dem Anerkenntnis verfolgten Zweck, die beiderseitige Interessenlage der Parteien und die allgemeine Verkehrsanschauung über die Bedeutung eines solchen Anerkenntnisses abzustellen. Von entscheidender Bedeutung ist, ob ein besonderer Anlass zum Abschluss eines Schuldbestätigungsvertrags bestand. Mit Blick auf seine oben erwähnte Zielsetzung - das Schuldverhältnis (ganz oder teilweise) dem Streit oder der Ungewissheit der Parteien zu entziehen - ist die Annahme eines Schuldbestätigungsvertrags nur berechtigt, wenn zwischen den Parteien zuvor tatsächlich Streit oder Ungewissheit über das Bestehen des Schuldverhältnisses oder über einzelne rechtlich erhebliche Punkte herrschte (BGH VersR 77, 471). Das ist hier nicht der Fall.

     

    • Aus der Systematik des Erst- und des Neubemessungsverfahrens lässt sich schon deshalb nicht entnehmen, dass der VR nach Ablauf der Dreijahresfrist seine Meinung zur Unfallursächlichkeit von Krankheitsfolgen nicht mehr ändern dürfe, weil es sich hier um die Überprüfung der Erstfestsetzung handelt.

     

    • Entgegen der Auffassung des VN kommt auch eine Beweislastumkehr nicht in Betracht. Zwar kann auch ein ohne besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen abgegebenes Anerkenntnis „als Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst“ im Prozess eine Umkehr der Beweislast bewirken oder ein Indiz darstellen, das im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden kann (BGH a.a.O.). Mit dem Zweck der Erklärung, zu deren Abgabe der VR nach den Bedingungen - durch § 187 VVG 2008 nunmehr auch gesetzlich - verpflichtet ist, und der beiderseitigen Interessenlage der Parteien lässt sich dies jedoch grundsätzlich nicht vereinbaren. Das Anerkenntnis dient allein der Information des Versicherten über die Leistungsbereitschaft des VR. Verbunden mit den hierfür vorgesehenen Fristen soll es den Versicherten davor schützen, dass die Bearbeitung seines Versicherungsfalls ungebührlich hinausgezögert wird. Es löst zugleich die Fälligkeit der anerkannten Versicherungsleistung aus (BGH a.a.O.). Die Interessen des VN sind hinreichend dadurch geschützt, dass den VR nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast trifft, wenn er die Rückforderung der Versicherungsleistungen verlangt. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass das Anerkenntnis frei widerruflich ist (OLG Hamm VersR 05, 346). Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall aus besonderen Gründen eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein könnte, sind nicht ersichtlich.

     

    Praxishinweis

    Wichtig ist der Hinweis auf die Bedeutung der ärztlichen Feststellung. Es genügt nicht, dass deren Vorliegen unstreitig ist. Entscheidend ist, dass nur die in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung beschriebenen unfallbedingten Dauerschäden Grundlage des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung sein können. Das ist als Anspruchsvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen. Es muss ein konkreter, die Arbeitsfähigkeit des Versicherten beeinflussender Dauerschaden angegeben werden. Führt die ärztliche Bescheinigung hingegen einen Dauerschaden, auf den sich der VN später für seinen Anspruch auf Invaliditätsleistung beruft, noch gar nicht auf, würde der Zweck verfehlt, wenn sich der VN gleichwohl darauf berufen könnte. Dies ist deshalb nicht der Fall (BGH VK 07, 186). Der Anwalt des VN muss daher das ärztliche Attest auf Richtigkeit und vor allem Vollständigkeit prüfen und ggf. Ergänzungen verlangen.

     

    Der VR ist ausnahmslos verpflichtet, sich zu erklären, ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht anerkennt (§ 187 VVG). Das gilt auch, sogar in besonderem Maße, wenn die Eintrittspflicht umstritten ist. Schon deshalb kann in der Erklärung kein Anerkenntnis im Sinne der §§ 780 ff. BGB gesehen werden. Von Gesetzes wegen ist an die Erklärung nur die Fälligkeit der Leistung geknüpft (§ 187 Abs. 2 VVG). Der VR kann deshalb im Prozess alle Einwendungen erheben, die ihm auch ohne die Erklärung gestattet sind. Er kann also insbesondere den Unfall, die Invalidität und die Unfallursächlichkeit, aber auch z.B. die Rechtzeitigkeit und den Umfang der ärztlichen Feststellung bestreiten. Dann besteht aber auch kein Anlass für eine Beweislastumkehr, wie das OLG überzeugend entschieden hat.

     

    Beachte | Der Anwalt des VN muss sich also darauf einstellen, dass der VR im Prozess den Unfall, die Invalidität, die Unfallursächlichkeit etc. bestreitet. Entsprechend muss er also bereits im Vorfeld des Prozesses sichergestellt haben, dass er im Bestreitensfalle diese Punkte beweisen kann. Seinen Mandanten trifft nämlich insoweit die Beweislast.

     

    Wir hatten bereits in VK 14, 76 darauf hingewiesen, dass es wohlüberlegt sein muss, ob eine Neufestsetzug der Invalidität verlangt werden soll. Dies gilt ebenso für die Frage der Klage auf Zahlung einer über den gezahlten Betrag hinausgehenden Invaliditätsentschädigung. Auch dies kann sehr schnell dazu führen, dass der Betrag ganz oder teilweise zurückgezahlt werden muss. In solchen Fällen wird auch der Einwand der Entreicherung vielfach nicht greifen. Dieses Risiko muss vor Klageerhebung abgewogen und mit dem Mandanten besprochen werden.

     

    Anderes gilt in der Haftpflichtversicherung: Dort ist die Regulierungszusage des VR gegenüber dem Geschädigten dahin zu verstehen, dass der VR seinem VN gegenüber deckungspflichtig ist und in dessen Namen den Haftpflichtanspruch anerkennt. Darin liegt ein beide Rechtsverhältnisse umfassendes, den VR wie den VN verpflichtendes deklaratorisches (kausales) Anerkenntnis gegenüber dem Geschädigten (BGH VK 09, 94).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Verlangt der VN eine Neubemessung, ist er an das Ergebnis gebunden und muss ggf. die Differenz zurückzahlen: LG Bonn VK 14, 75
    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 96 | ID 42670315