· Fachbeitrag · Deckungsschutz
Rechtsschutz-VR kann erteilte Deckungszusage nachträglich nicht wieder entziehen
| Der Rechtsschutz-VR kann einen bereits gewährten Deckungsschutz im Nachhinein nicht einseitig ganz oder teilweise wieder entziehen. Er kann sich bei einem „auf Vorschlag des Gerichts“ abgeschlossenen Vergleich auch nicht auf „Mutwilligkeit“ berufen. Diese beiden Punkte machte das AG Stuttgart in einer aktuellen Entscheidung deutlich. |
Sachverhalt
Der VN unterhält beim VR eine Rechtsschutzversicherung. In einer zivilrechtlichen Streitigkeit erteilte der VR eine Deckungszusage zunächst für das außergerichtliche. später für das gerichtliche Verfahren. Dort wurde auf Vorschlag des Gerichts ein Vergleich geschlossen. Der VR wollte die Kosten des Vergleichs jedoch nicht tragen. Dieser sei mutwillig. Ein vernünftiger, nicht rechtsschutzversicherter Mandant hätte diesen Vergleich mit Blick auf die entstehenden Mehrkosten so nicht abgeschlossen.
Entscheidungsgründe
Das AG Stuttgart verurteilte den VR, die Kosten zu zahlen (16.1.20, 1 C 3954/19, Abruf-Nr. 214487). Der VR ist nicht berechtigt, den gewährten Deckungsschutz mit dem Argument eines „mutwillig“ abgeschlossenen Vergleichs einseitig teilweise wieder zu entziehen. Dies findet in den maßgeblichen Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2012) keine hinreichende Grundlage.
- Zwar könne der VR nach § 3 a Abs. 1 ARB 2012 den Rechtsschutz ablehnen, wenn seiner Auffassung nach die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen a) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder b) mutwillig ist. Diese Regelung ist in Anlehnung an die die Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe betreffende Vorschrift des § 114 ZPO zu verstehen.
- Nach dieser Regelung hat der VR damit die Möglichkeit, die Gewährung von Rechtsschutz unter den genannten Voraussetzungen von Anfang an abzulehnen. Von dieser Möglichkeit hat der VR vorliegend aber keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr hat er dem VN zunächst eine Deckungszusage für das außergerichtliche Verfahren und in der weiteren Folge eine Deckungszusage für das gerichtliche Verfahren I. Instanz erteilt. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass er die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des VN weder für aussichtslos noch für mutwillig gehalten hat.
- Der Regelung in § 3 a Abs. 1 ARB 2012 lässt sich hingegen weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck entnehmen, dass der VR berechtigt ist, einen bereits gewährten Deckungsschutz im Nachhinein einseitig ganz oder teilweise wieder zu entziehen.
- Der VR kann nach § 5 Abs. 3 b) ARB 2012 weitergehend die Übernahme von Kosten ablehnen, die bei einer einverständlichen Erledigung entstanden sind, soweit sie nicht dem Verhältnis des vom VN angestrebten Ergebnisses zum erzielten Ergebnis entsprechen. Hier hat der VR aber selbst erklärt, sich nicht auf diese Regelung berufen zu wollen. Insoweit hatte der VN unwidersprochen vorgetragen, dass die im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs erfolgte Kostenverteilung (92 % ./. 8 %) genau dem Anteil des Obsiegens zum Unterliegen entsprach.
- Der VR macht vielmehr geltend, der VN habe mit dem Abschluss des „mutwilligen“ Vergleichs Obliegenheiten nach Eintritt des Rechtsschutzfalls im Sinne von § 17 Abs. 1 bzw. 5 ARB 2012 verletzt. Allerdings lässt sich diesen Regelungen nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass der VN vor dem Abschluss des Vergleichs die Zustimmung des VR hätte einholen müssen oder den Vergleich nur widerruflich hätte abschließen dürfen. Ausdrücklich erwähnt ist in diesen Regelungen lediglich das Erfordernis der Abstimmung mit dem VR im Falle von Kosten auslösenden Maßnahmen, insbesondere bevor Klagen erhoben oder abgewehrt sowie Rechtsmittel eingelegt werden. Vom Abschluss eines Vergleichs ist dort nicht die Rede. Ferner ist dort lediglich geregelt, dass der VN für die Minderung des Schadens zu sorgen habe. Das bedeutet, dass die Rechtsverfolgungskosten so gering wie möglich gehalten werden sollen. Von mehreren möglichen Vorgehensweisen muss der VN die kostengünstigste wählen. Nicht ausdrücklich geregelt ist dort aber, dass gerichtliche Vergleiche nur unter bestimmten Bedingungen oder nur mit Zustimmung der Beklagten abgeschlossen werden dürfen.
Relevanz für die Praxis
In entsprechenden Fällen sollte nicht ausgeblendet werden, dass der Rechtsstreit noch erheblich teurer hätte werden können. Ein Sachverständigengutachten, ein Urteil und ggf. ein Berufungsverfahren hätten die Kosten für den VR noch in die Höhe schrauben können. Ein solcher hypothetischer Verlauf eines fortgeführten Rechtsstreits ist durchaus in Betracht zu ziehen. Dann zeigt sich nämlich, dass der Vergleich auch den Zweck erfüllen kann, die Kosten des Rechtsstreits gering zu halten. Es ist also nicht nur auf die konkrete prozessuale Ausstiegssituation abzustellen.
Es kommt hinzu, dass der Vergleich auf Anregung des Gerichts geschlossen wurde. Dessen Aufgabe ist es auch, den Parteien den Abschluss eines sachgerechten Vergleichs vorzuschlagen, um eine zeit- und kostenaufwendige Beweisaufnahme, insbesondere durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, zu vermeiden. Nach § 278 Abs. 1 ZPO soll das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits bedacht sein. Der Hinweis auf Prozessrisiken (Kosten, Dauer, Rechtsmittel) ist dabei durchaus legitim. Bei einem „auf Vorschlag des Gerichts“ abgeschlossenen Vergleich kann daher schwerlich von „Mutwilligkeit“ gesprochen werden.
Weiterführender Hinweis
- Rechtsschutzversicherung muss sich an ihrer Deckungszusage festhalten lassen: AG Köln VK 18, 207