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  • · Fachbeitrag · Mehrarbeit

    Überstunden: ArbG muss die Vermutung für eine vergütungspflichtige Mehrarbeit widerlegen

    Hat sich ein ArbN, der die Vergütung von Mehr- oder Überarbeit verlangt, im Betrieb aufgehalten, spricht der erste Anschein dafür, dass es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeiten gehandelt hat. Insofern ist eine Vermutung begründet, dass die Anwesenheit auch notwendig gewesen ist. Der ArbG kann sich nicht darauf berufen, die fraglichen Zustände nicht gekannt zu haben, wenn sich die betreffenden Arbeitszeiten aus einem vom ArbG selbst geführten Zeiterfassungsjournal ergeben (Arbeitsgericht Berlin 2.11.12, 28 Ca 13586/12, Abruf-Nr. 130538).

    Sachverhalt

    Die ArbN ist als Sekretärin des Geschäftsführers des ArbG tätig. Der ArbG erfasst die Arbeitszeiten der Beschäftigten in einem sogenannten „Zeiterfassung Journal“, das in Gestalt eines Formschreibens erstellt wird.

     

    Gegenüber der Sollarbeitszeit der ArbN weist das Journal einen Überschuss (Saldo) von 105,73 Stunden auf.

     

    Mit ihrer Klage verlangt die ArbN die Vergütung des Zeitüberhangs. Als Chefsekretärin würde generell von ihr erwartet, parallel zum Geschäftsführer anwesend zu sein. Der ArbG trägt vor, aus der Übersicht gehe lediglich hervor, wie lange sich die ArbN im Gebäude aufgehalten habe, aber gerade nicht, dass sie in dieser Zeit auch gearbeitet habe. Aus der bloßen Anwesenheit folge nicht die tatsächliche Ableistung von Mehrarbeit.

     

    Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage stattgegeben.

     

    Entscheidungsgründe

    Das Arbeitsgericht Berlin verweist auf die einschlägige Rechtsprechung (BAG 16.5.12, 5 AZR 347/11, Abruf-Nr. 122375 und LAG Berlin, zuletzt 19.9.12, 15 Ta 1766/12, Abruf-Nr. 130539). Daraus ergebe sich eine Darlegungslast des ArbG, wenn ein ArbN die Vergütung von Mehr- oder Überarbeit verlange. Habe sich dieser zur Befolgung von Arbeitsanweisungen im Sinne des § 106 GewO im Betrieb aufgehalten, müsse der ArbG aufzeigen, warum es sich entgegen des ersten Anscheins nicht um vergütungspflichtige Anwesenheitszeiten gehandelt haben soll. Eine solche Anwesenheit begründe nämlich die Vermutung, dass die Anwesenheit zur Entgegennahme von Arbeitsanweisungen oder zur tatsächlichen Arbeit auch jeweils notwendig gewesen sei.

     

    Soweit es in diesem Zusammenhang auf die Anordnung oder die „Duldung“ der Mehrarbeit durch den ArbG ankomme, könne sich der ArbG nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe den Aufenthalt des ArbN und die betrieblichen Zustände nicht gekannt. Dies gelte zumindest, wenn die entsprechenden Zeiten vom ArbG selbst im Rahmen von Aufstellungen (hier „Zeiterfassung Journal“) selbst erfasst worden seien.

     

    Insofern stellt das Arbeitsgericht klar, dass die Grundsätze des BGH zur Wissenszurechnung innerhalb arbeitsteiliger Organisationen in vollem Umfang angewendet werden müssten. Dies bedeutet, dass der ArbG, der entsprechende Zeiten erfasst, sich diese von ihm selbst organisierte Erfassung auch zurechnen lassen muss.

     

    Praxishinweis

    Das Arbeitsgericht Berlin führt die Rechtsprechung insbesondere des BAG weiter. Danach sind gewisse Erleichterungen bei der Darlegung von Mehrarbeit bzw. Überstunden zumindest bei bestimmten Arbeitsverhältnissen angezeigt. So, wie es ausreichen kann, dass ein Kraftfahrer das Ende und den Beginn der jeweiligen Touren und die von ihm gefahrene Strecke aufzeigt, kann es bei der Aufzeichnung von Arbeitszeiten durch den ArbG eben auch ausreichen, dass der ArbN sich auf diese Aufzeichnungen, die vom ArbG selbst angefertigt worden sind, beruft. Will der ArbG dagegen behaupten, trotz entsprechender, von ihm selbst veranlasster, Arbeitsorganisation die Zeiten weder geduldet noch angeordnet zu haben, muss er hierfür selbst entsprechenden Vortrag halten.

     

    Das bedeutet, das Der ArbG für die einzelnen von ihm selbst aufgezeichneten Arbeitstage und -zeiten vortragen muss, dass der ArbN sich nicht im Betrieb befand (z.B. Urlaub oder Krankheit) oder Pause gemacht hat. Das ist nach erheblichem Zeitablauf ohne genaue Aufzeichnungen ein schwieriges Unterfangen.

     

    Checkliste / Ansprüche gegen den Arbeitgeber

    • Sind über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgehende Arbeitsstunden geleistet worden?

    • Wenn ja: Besteht eine wirksame Vertragsklausel hinsichtlich der Abgeltung/Nichtabgeltung eines konkreten Überstundenkontingents?

    • Wenn nein: Ist eine objektive Vergütungserwartung hinsichtlich der Überstunden aufseiten des ArbN nach § 612 Abs. 1 BGB gerechtfertigt? (objektiver Maßstab unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und Art, Umfang, Dauer der Dienstleistung, Zahlung von Prämien/Provisionen etc.

    • Wenn ja: Lassen sich zeitliche Lage der Überstunden und deren Anordnung/Duldung durch den ArbG gerichtlich verwertbar darlegen?

    • Unter Umständen Erleichterungen, wenn ArbG selbst die Arbeitszeit durch technische Einrichtungen aufzeichnet oder sich Duldung aus der Art der zugewiesenen Tätigkeit ergibt (z.B. Fernfahrer, Montage oder Außendiensttätigkeiten)

    Weiterführende Hinweise

    • Überstundenabgeltung - Änderung der Regeln der Darlegungs- und Beweislast?: BAG in AA 12, 207
    • Inhaltskontrolle der Pauschalabgeltung von Überstunden: BAG in AA 12, 188
    • Objektive Vergütungserwartung bei der Ableistung von Überstunden: BAG in AA 13, 11
    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 43 | ID 38062160