· Fachbeitrag · Rechtsprechung
Wichtige Urteile aus dem Arbeitsrechtsjahr 2021
| Noch stärker als im Vorjahr stand das Arbeitsrechtsjahr 2021 unter dem Zeichen der COVID-Pandemie. Über dieses Thema hinaus zeigt Ihnen AA Arbeitsrecht aktiv die wichtigsten Entscheidungen ab Ende des Jahres 2020 und im Jahr 2021 im gewohnten Kurzüberblick auf. |
1. AGB: BAG ändert Rechtsprechung zu Verfallklauseln
Eine Ausschlussklausel in AGB oder vorformulierten Vertragsbedingungen im Sinne von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, nach der ausnahmslos alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, verfallen, wenn sie nicht binnen bestimmter Fristen geltend gemacht und eingeklagt werden, erfasst alle wechselseitigen gesetzlichen und vertraglichen Ansprüche sowie Schadenersatzansprüche aus vorsätzlicher Vertragsverletzung und aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung. Eine solche Verfallklausel ist wegen Verstoßes gegen § 202 Abs. 1 BGB nach § 134 BGB nichtig (BAG 26.11.20, 8 AZR 58/20, Abruf-Nr. 221873 in AA 21, 187).
2. AGG: Ungleiche Vergütung bei gleicher Arbeit
Ist das Entgelt einer Frau geringer als das ihr durch den ArbG nach den Vorschriften des EntgTranspG mitgeteilte Medianentgelt der männlichen Vergleichsperson, besteht regelmäßig die vom ArbG widerlegbare Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist (BAG 21.1.21, 8 AZR 488/19, Abruf-Nr. 220283 in AA 21, 150).
3. AGG: Kann ein Gendersternchen diskriminierend sein?
Die Verwendung des Gendersternchens in einer Stellenausschreibung diskriminiert mehrgeschlechtlich geborene Menschen nicht (LAG Schleswig-Holstein 22.6.21, 3 Sa 37 öD/21, Abruf-Nr. 223389 in AA 21, 127).
4. Arbeitnehmereigenschaft: Die Crowdworker kommen
Führen Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) kontinuierlich eine Vielzahl von Kleinstaufträgen durch, kann ein Arbeitsverhältnis angenommen werden. Voraussetzung ist, dass der Crowdworker die Leistungen persönlich erbringen muss, die geschuldeten Tätigkeiten ihrer Eigenart nach einfach gelagert und ihre Durchführungen inhaltlich vorgegeben sind. Zudem muss der Crowdsourcer die Auftragsvergabe und die konkrete Nutzung der Online-Plattform im Sinne eines Fremdbestimmens lenken (BAG 1.12.20, 9 AZR 102/20, Abruf-Nr. 219302 in AA 21, 79).
5. Arbeitszeit: Wer muss was bei Überstunden beweisen?
Die Entscheidung des EuGH vom 14.5.19 (C 55/18) modifiziert nicht die vom BAG aufgestellten Regeln zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess. Dem EuGH fehlt auch insoweit die Kompetenz, die nationale Rechtsordnung zu ändern (LAG Niedersachsen 6.5.21, 5 Sa 1292/20, Abruf-Nr. 222315 in AA 21, 170).
6. Ausbildungsvergütung: Weniger Ausbildung = weniger Geld
Eine tarifliche Regelung, nach der sich die Ausbildungsvergütung von Auszubildenden in Teilzeit entsprechend der Anzahl wöchentlicher Ausbildungsstunden vergleichbarer Auszubildender in Vollzeit berechnet, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht (BAG 1.12.20, 9 AZR 104/20, Abruf-Nr. 219440 in AA 21, 5).
7. Befristung: ArbG versteckt unter „Sonstiges“ wichtige Klauseln
Wenn in Arbeitsverträgen im Hinblick auf gesetzliche Bestimmungen ein eigenständiger Regelungsgehalt fehlt, ist es gut vertretbar, dass dies auch für die tariflichen Bestimmungen gilt. Wird im Arbeitsvertrag auf die Regelungen des Haustarifvertrags oder tarifliche Bestimmungen Bezug genommen, ist damit die Geltung von „tariflichen Bestimmungen“ für konkret benannte Einzelfälle einzelvertraglich vereinbart (LAG Sachsen 1.12.20, 3 Sa 165/20, Abruf-Nr. 224807 in AA 21, 167).
8. Betriebsrisiko: ArbG trägt Betriebsrisiko auch in der Pandemie
Die Coronapandemie ist als Fall höherer Gewalt dem Betriebsrisiko des ArbG zuzuordnen (LAG Düsseldorf 30.3.21, 8 Sa 674/20, Abruf-Nr. 221856 in AA 21, 76).
9. Betriebsrisiko: Vom ArbG angeordnete Quarantäne
Beschließt ein ArbG aus eigenem Antrieb, einen oder mehrere ArbN zum Schutz der sonstigen Belegschaft in „Quarantäne“ zu schicken, trägt er nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre in der Regel das Vergütungsrisiko. Das gilt auch, wenn die Störung nicht aus einer vom ArbG beeinflussbaren Sphäre stammt (Arbeitsgericht Dortmund 24.11.20, 5 Ca 2057/20, Abruf-Nr. 219939 in AA 21, 21).
10. EUGH: Urlaubsverfall bei fehlender Mitwirkung des ArbG
Der 9. Senat des BAG legte in zwei Fällen dem EuGH die Frage zur Vorabent-scheidung vor, ob gesetzliche Urlaubsansprüche im Falle einer dauerhaften Erkrankung des ArbN auch dann 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres verfallen, wenn es an der Mitwirkung des ArbG zur tatsächlichen Inanspruchnahme des Urlaubs gefehlt hat. Im 2. Fall kam hinzu, dass der ArbN vollständig erwerbsgemindert und langandauernd außerstande war, den Urlaub zu nehmen (BAG 7.7.20, 9 AZR 401/19 (A), Abruf-Nr. 218267 und BAG 7.7.20, 9 AZR 245/19 (A), Abruf-Nr. 218270 in AA 21, 26).
11. Kündigung: Desinfektionsmittel weg, Job weg
Der Diebstahl von einem Liter Desinfektionsmittel und einer Handtuchrolle kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen (LAG Düsseldorf 14.1.21, 5 Sa 483/20, Abruf-Nr. 220307 in AA 21, 56).
12. Kündigung: Intime Beziehung zur Patientin kostet den Job
Die intime Beziehung zu einer Patientin kurz nach Ende der Behandlung und vor Ablauf einer angemessenen Karenzzeit stellt einen so schwerwiegenden Verstoß gegen die berufsethischen und arbeitsvertraglichen Pflichten als psychologischer Leiter einer Tagesklinik dar, dass dem ArbG die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist (LAG Köln 18.3.21, 8 Sa 765/20, Abruf-Nr. 223022 in AA 21, 130).
13. Kündigung: ArbN darf nicht einfach in Selbstisolation gehen
Die beharrliche Weigerung des ArbN, die Arbeit vor Ort im Betrieb zu erbringen, um die Urlaubsreise nicht durch eine Covidansteckung zu gefährden, rechtfertigt im konkreten Fall eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB (Arbeitsgericht Kiel 11.3.21, 6 Ca 1912 c/20, Abruf-Nr. 223861 in AA 21, 149).
14. Schadenersatz: Wann muss der ArbG die Ermittlungskosten tragen?
Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, ist der Dienstherr verpflichtet, zeitnah ein Disziplinarverfahren einzuleiten (BAG 29.4.21, 8 AZR 276/20, Abruf-Nr. 223074 in AA 21, 115).
15. Schadenersatz: ... wegen Arbeitsverweigerung?
Dem ArbN steht im Falle eines Lohnrückstands ein Recht auf Zurückbehaltung seiner Arbeitsleistung nur dann zu, wenn der ArbG seine Lohnzahlungspflicht in mehr als nur geringfügigem Umfang nicht erfüllt hat (Arbeitsgericht Halle 18.1.21, 8 Ca 1743/20, Abruf-Nr. 225914 in AA 21, 204).
16. Schwerbehinderung: Das mehrstufige Gespräch im öffentlichen Dienst
Nach § 82 S. 2 SGB IX (a. F.) muss der öffentliche ArbG schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen, wenn die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt. Das Vorstellungsgespräch umfasst auch bei mehrstufigen Auswahlprozessen grundsätzlich alle Instrumente des Verfahrens der Personalauswahl unabhängig von ihrer Bezeichnung, der angewandten Methode und der konkreten Durchführungsform, die nach der Konzeption des ArbG erforderlich sind, um sich ein umfassendes Bild von der fachlichen und persönlichen Eignung des Bewerbers zu machen (BAG 27.8.20, 8 AZR 45/19, Abruf-Nr. 219884 in AA 21, 41).
17. Urlaub: Kurzarbeit Null kürzt den Urlaub
Erholungsurlaub bezweckt, sich zu erholen. Dies setzt eine Verpflichtung zur Tätigkeit voraus. Sind während der Kurzarbeit die beiderseitigen Leistungspflichten aufgehoben, sind Kurzarbeiter wie vorübergehend teilzeitbeschäftigte ArbN zu behandeln, deren Erholungsurlaub ebenfalls anteilig zu kürzen ist (LAG Düsseldorf 12.3.21, 6 Sa 824/20, Abruf-Nr. 221200 in AA 21, 97).
18. Virtuelle Verhandlung: Der „andere Ort“ kann auch die Kanzlei sein
Die Zuschaltung der Parteivertreter bei einer Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung aus der Kanzlei bzw. dem Homeoffice steht im Einklang mit § 128a Abs. 1 ZPO. Der „andere Ort“ i.S.d. Bestimmung ist nicht auf einen Gerichtssaal bzw. vom Gericht zur Verfügung gestellten Raum beschränkt. Eine inhaltliche Beschränkung des „anderen Orts“ enthält § 128a ZPO nicht (LAG Düsseldorf 13.1.21, 12 Sa 453/20, Abruf-Nr. 220987 in AA 21, 59).
19. Zeugnis: Anspruch auf Dank und gute Wünsche
Ein ArbN, dem ein einwandfreies Verhalten und leicht überdurchschnittliche Leistungen attestiert werden, hat einen Rechtsanspruch auf den Ausspruch von Dank und guten Wünschen für die Zukunft im Arbeitszeugnis, soweit dem nicht berechtigte Interessen des ArbG entgegenstehen (LAG Düsseldorf 12.1.21, 3 Sa 800/20, Abruf-Nr. 221118 in AA 21, 98).