21.09.2021 · IWW-Abrufnummer 224807
Landesarbeitsgericht Sachsen: Urteil vom 01.12.2020 – 3 Sa 165/20
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 3 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 1. Dezember 2020
für R e c h t erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 15.05.2020 - 5 Ca 144/20 - abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung in der "Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag" vom 01.10.2018 mit Ablauf des 31.12.2019 geendet hat.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses auf die Zeit bis zum 31.12.2019.
Die Beklagte betreibt als Unternehmen der Automobilindustrie ein Produktionswerk in ... Unter dem 22.08.2003 unterzeichneten die Beklagte und die ... mit Wirkung ab dem 01.08.2003 den "Haustarifvertrag über die Arbeitsbedingungen bei der ...
GmbH" (im Folgenden = HTV-MTV), in dem u. a. Regelungen zur Bemessung des Entgelts, zu Kündigungsfristen und zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis enthalten sind. Unter dem 13.06.2017 unterzeichneten die vorgenannten Tarifvertragsparteien einen weiteren Haustarifvertrag (im Folgenden = HTV-TzBfG; vgl. Anlage K 2 zur Klageschrift vom 17.01.2020; Bl. 23 d. A.) mit folgendem Inhalt:
1. Geltungsbereich
Der Geltungsbereich dieses Haustarifvertrages richtete sich nach dem Geltungsbereich des Haustarifvertrags über die Arbeitsbedingungen bei der ... GmbH in seiner jeweils gültigen Fassung.
2. Befristete Arbeitsverträge
Die Vertragsparteien vereinbaren in Ausübung ihrer Regelungskompetenz gemäß § 14 Absatz 2 Satz 3 TzBfG, dass die ... ihre Arbeitsverträge mit einer kalendermäßigen Befristung ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zu einer Höchstdauer von vier Jahren und eine sechsmalige Verlängerungsmöglichkeit versehen kann.
3. Schlussbestimmungen
Dieser Tarifvertrag tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Er ist befristet und endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, zum 31.12.2021. Eine Kündigung des Tarifvertrags während seiner Laufzeit ist ausgeschlossen.
Unter dem 22.11.2018 unterzeichneten die Tarifvertragsparteien die "Anlage 1 zum Haustarifvertrag der ... GmbH (...) vom 13.06.2017" (Anlage K 5 zur Klageschrift vom 17.01.2020; Bl. 26 d. A.). Darin heißt es wie folgt:
(...) wird in Klarstellung des Haustarifvertrages vom 13.06.2017 über befristete Arbeitsverträge folgendes vereinbart:
1. Die im Haustarifvertrag vom 13.06.2017 vereinbarten Regelungen gelten auch für befristete Arbeitsverhältnisse, die bereits vor Abschluss des Haustarifvertrages abgeschlossen wurden.
2. Im Übrigen bleibt der Haustarifvertrag unverändert bestehen.
Die keiner Gewerkschaft angehörende Klägerin war ab dem 01.08.2010 zunächst auf der Grundlage eines Werkvertrages mit einem Drittunternehmen und ab dem 01.01.2014 im Wege der Arbeitnehmerüberlassung im Sperrlager des Bereichs Qualität der Beklagten tätig. Unter dem 30.10.2015 unterzeichneten die Parteien einen auf die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2017 befristeten Arbeitsvertrag (Anlage K 1 zur Klageschrift vom 17.01.2020; Bl. 18 ff. d. A.), auf dessen Grundlage die Klägerin als "Mitarbeiter Sperrlager im Bereich Qualität" beschäftigt wurde. Darin ist u. a. Folgendes bestimmt:
3. Vergütung
a. Ihr Monatsgehalt beträgt € 2.694,52 brutto.
Grundlage ist ihre Eingruppierung in die Entgeltgruppe 4 Stufe 2.
(...)
Zusätzlich erhalten Sie ein Urlaubs- und ein Weihnachtsgeld entsprechend der Regelungen des Haustarifvertrages der ... GmbH.
(...)
9. Beendigung des Arbeitsverhältnisses
a. Die Kündigungsfrist richtet sich nach den gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen der ... GmbH.
(...)
10. Sonstiges
a. Auf das Arbeitsverhältnis sind die jeweils geltenden gesetzlichen, tarifvertraglichen und betrieblichen Bestimmungen anzuwenden.
b. Schadenersatzansprüche, die Sie einem Dritten gegenüber aus einem zur Arbeitsunfähigkeit führenden Ereignis, zum Beispiel einem Verkehrsunfall geltend machen, treten Sie an Porsche bis zur Höhe der Beträge ab, die Porsche aufgrund gesetzlicher und vertraglicher Bestimmungen für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gewährt.
c. Nebenabreden sind nicht getroffen. Änderungen und Ergänzungen sowie die Aufhebung des Vertrages bedürfen der Schriftform.
Das Arbeitsvertragsformular wurde von der Beklagten erstellt und in jedenfalls drei weiteren Fällen verwandt.
Mit Zusatzvereinbarungen vom 02.11.2017 bzw. 01.10.2018 (Anlagen K 3 und K 4 zur Klageschrift vom 17.01.2020; Bl. 24/25 d. A.) verlängerten die Parteien ihr Arbeitsverhältnis jeweils um ein Jahr, zuletzt bis zum 31.12.2019. In den Zusatzvereinbarungen ist jeweils am Ende bestimmt: "Alle übrigen arbeitsvertraglichen Bestimmungen bleiben unverändert".
Mit ihrer am 17.01.2020 beim Arbeitsgericht Leipzig eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt. Insoweit hat sie die Ansicht vertreten, die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses auf die Zeit bis zum 31.12.2019 durch die Zusatzvereinbarung vom 01.10.2018 sei unwirksam.
Die Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG sei überschritten; ein sachlicher Grund im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG liege nicht vor.
Auf § 14 Abs. 2 Sätze 3 und 4 TzBfG i. V. m. den HTV-TzBfG könne die Beklagte die Befristung nicht stützen, da die Anlage 1 zum HTV-TzBfG, nach der die im HTV-TzBfG vereinbarten Regelungen auch für befristete Arbeitsverhältnisse gölten, die - so wie ihres - bereits vor Abschluss des HTV-TzBfG begründet worden seien, erst am 22.11.2018 und damit nach Unterzeichnung der Zusatzvereinbarung vom 01.10.2018 unterzeichnet worden sei. Die Anlage 1 enthalte nicht lediglich eine "Klarstellung", sondern vielmehr eine Neuregelung. Eine Rückwirkung sei unzulässig.
Unabhängig davon fänden der HTV-TzBfG und die Anlage 1 auf ihr Arbeitsverhältnis mangels Gewerkschaftsmitgliedschaft ihrerseits keine Anwendung. Eine (wirksame) Inbezugnahmeklausel enthalte der Arbeitsvertrag vom 30.10.2015 nicht.
Ziffer 10 a) enthalte lediglich einen allgemeinen Hinweis nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG. Es handele sich um eine Wissenserklärung, nicht um eine Willenserklärung mit Rechtsbindungswillen. Unabhängig davon könne die Klausel die Geltung von tarifvertraglichen Bestimmungen nicht vermitteln. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Klausel sei die Geltung der tarifvertraglichen Bestimmungen vielmehr Tatbestandsvoraussetzung.
Die Klausel setze die "Geltung" der tarifvertraglichen Bestimmungen für deren "Anwendung" voraus, ordne die Geltung aber nicht selbst an.
Des Weiteren sei die Klausel als versteckte und damit überraschende Klausel gemäß § 305 c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden. Jedenfalls sei die Klausel intransparent und damit gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung gemäß der Zusatzvereinbarung vom 01.10.2018 mit Ablauf des 31.12.2019 endete, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Befristung vom 01.10.2019 sei gemäß § 14 Abs. 2 Sätze 3 und 4 TzBfG i. V. m. Ziffer 2 des HTV-TzBfG wirksam. Die Parteien hätten die Anwendbarkeit des HTV-TzBfG einzelvertraglich unter Ziffer 10 a) des Arbeitsvertrages vom 30.10.2015 vereinbart. Es handele sich hierbei um eine im Arbeitsleben übliche dynamische Verweisungsklausel mit Rechtsbindungswillen.
Aufgrund des Umstandes, dass der Klägerin zusammen mit dem für sie bestimmten Original des Arbeitsvertrages vom 30.10.2015 eine Kopie des HTV-MTV zur Verfügung gestellt worden sei, habe sie ohne Weiteres erkennen können, dass bei ihr haustarifliche Regelungen zur Anwendung kämen, die zwischen ihr und der IG Metall abgeschlossen worden seien. Zudem sei davon auszugehen, dass der Klägerin aus ihrer Zuvorbeschäftigung im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung bekannt gewesen sei, dass bei ihr eine Bindung an einen Haustarifvertrag bestehe. Der Umstand, dass der HTV-TzBfG zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages vom 30.10.2015 noch nicht bestanden habe, sei unschädlich. In Ziffer 10 a) sei nicht lediglich ein zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages geltendes Tarifwerk in Bezug genommen, sondern uneingeschränkt auf die jeweils geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen verwiesen worden. Abzustellen sei auf die zum Zeitpunkt der Vertragsverlängerung vom 01.10.2018 geltende Rechtslage. Zu diesem Zeitpunkt habe der HTV-TzBfG gegolten, unter dessen Geltungsbereich auch das (Alt-)Arbeitsverhältnis der Klägerin gefallen sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Anlage 1, die entsprechend ihrem Wortlaut lediglich eine Klarstellung und keine Änderung des HTV-TzBfG enthalte.
Mit seinem der Klägerin am 19.06.2020 zugestellten Urteil vom 15.05.2020 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 19.06.2020 beim Sächsischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung, die sie am 06.08.2020 begründet hat.
Die Klägerin greift die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter vertiefender Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens mit Rechtsausführungen an.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 15.05.2020 - 5 Ca 144/20 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung gemäß Zusatzvereinbarung vom 01.10.2018 mit Ablauf des 31.12.2019 endete, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und verteidigt die angegriffene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens mit Rechtsausführungen als zutreffend.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2020 (Bl. 270 ff. d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Auf die gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sowie ausgeführte Berufung der Klägerin ist das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 15.05.2020 abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung in der "Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag" vom 01.10.2018 mit Ablauf des 31.12.2019 geendet hat. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Das Arbeitsgericht hat die fristgerecht erhobene Befristungskontrollklage zu Unrecht abgewiesen.
Der befristete Arbeitsvertrag vom 01.10.2018 gilt gemäß § 16 Satz 1 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen, denn die vereinbarte Befristung auf die Zeit bis zum 31.12.2019 ist rechtsunwirksam.
1. Die Beklagte stützt die Zulässigkeit der streitgegenständlichen Befristung nicht auf einen Sachgrund im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG. Eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG scheidet aufgrund Überschreitung der Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren aus. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
2. Entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts ist die streitgegenständliche Befristung nicht gemäß § 14 Abs. 2 Sätze 3 und 4 TzBfG i.V.m. dem HTV-TzBfG wirksam, denn der HTV-TzBfG findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung.
a) Eine unmittelbare und zwingende Geltung der Rechtsnormen des HTVTzBfG gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG besteht vorliegend mangels beiderseitiger Tarifgebundenheit nicht. Die Klägerin war nach ihrem Vorbringen zu keiner Zeit Mitglied der tarifschließenden ... Die Beklagte hat keine gegenteiligen Tatsachen vorgetragen.
b) Die Parteien haben die Anwendung des HTV-TzBfG auch nicht gemäß § 14 Abs. 2 Satz 4 TzBfG vereinbart.
(1) Die Bestimmung unter Ziffer 10 a) des Arbeitsvertrages vom 30.10.2015 enthält keine Vereinbarung der Anwendung des HTV-TzBfG.
(a) Bei der Bestimmung unter Ziffer 10 a) des Arbeitsvertrages vom 30.10.2015 handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn die Beklagte hat die Klausel unstreitig vorformuliert und unstreitig in mindestens vier Arbeitsverträgen, mithin also in einer Vielzahl von Verträgen im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB (Vielzahl erfordert mindestens drei Verträge, vgl. BAG, Urteil vom 25.05.2005 - 5 AZR 572/04 - Rz. 56, m. w. N., NZA 2005, 1111, 1116), verwandt.
(b) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist. Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB setzt allerdings voraus, dass die Auslegung einer einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen trotz der Ausschöpfung anerkannter Auslegungsmethoden "erhebliche Zweifel" an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht (so BAG, Urteil vom 25.10.2017 - 7 AZR 632/15 - Rz. 22, m. w. N., NZA 2018, 507, 509).
Umstände, die allein den konkreten Vertragspartnern bekannt sind oder die den besonderen Einzelfall kennzeichnen, dürfen bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht herangezogen werden. Dies ergibt sich auch aus § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB, wonach die den Vertragsschluss begleitenden Umstände nur bei der Prüfung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB zu berücksichtigen sind. Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass jegliche Begleitumstände für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen unbedeutend sind. Ausgeschlossen sind vielmehr nur konkret-individuelle Umstände. Zur Auslegung heranzuziehen sind hingegen auch sonstige Begleitumstände, die nicht ausschließlich die konkrete Vertragsabschlusssituation betreffen, sondern den Abschluss einer jeden vergleichbaren vertraglichen Abrede begleiten (so BAG, Urteil vom 15.11.2016 - 3 AZR 582/15 - Rz. 34, m. w. N., NZA 2017, 1058, 1064).
(c) Ausgehend hiervon verbleibt nach Ausschöpfung der vorgenannten Auslegungsmethoden zumindest ein nicht behebbarer Zweifel, ob die Klausel unter Ziffer 10 a) des Arbeitsvertrages vom 30.10.2015 tatsächlich eine Vereinbarung der Anwendung des HTV-TzBfG enthält mit der Folge, dass gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten als Verwenderin der Allgemeinen Geschäftsbedingungen davon auszugehen ist, dass die Klausel keine entsprechende Inbezugnahme enthält.
Zu Recht verweist die Klägerin darauf, dass die "Geltung" der tarifvertraglichen Bestimmungen nach dem Wortlaut der Klausel Voraussetzung für deren "Anwendung" ist, ohne dass die Geltung von tarifvertraglichen Bestimmungen angeordnet wird. Im Unterschied zu sonst üblichen Inbezugnahmeklauseln ist auch nicht formuliert, dass die für den Arbeitgeber jeweils geltenden tariflichen Bestimmungen/Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind, vielmehr wird allein auf die jeweils geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen abgestellt. Damit ist ein Verständnis dahingehend möglich, dass (nur) die Tarifverträge anzuwenden sind, die für beide Parteien z. B. Kraft beiderseitiger Tarifbindung oder Allgemeinverbindlichkeitserklärung gelten. Die Tatsache, dass die Klausel mit einem solchen Verständnis nur eine bloße Selbstverständlichkeit wiedergibt und keinen Regelungsgehalt hat, steht einer solchen Auslegung nicht entgegen, denn dies gilt eindeutig auch für die ebenfalls in Ziffer 10 a) enthaltene "Bestimmung", dass auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen anzuwenden sind. Wenn also schon im Hinblick auf die zuerst genannten gesetzlichen Bestimmungen ein eigenständiger Regelungsgehalt fehlt, ist es jedenfalls gut vertretbar, dass dies auch im Hinblick auf die tariflichen Bestimmungen gilt. Hinzu kommt, dass in den Ziffern 3 (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) und 9 (Kündigungsfrist) auf die "Regelungen des Haustarifvertrages der ... GmbH" bzw. die "tariflichen Bestimmungen der ... GmbH" Bezug genommen wird und damit die Geltung von "tariflichen Bestimmungen" für konkret benannte Einzelfälle einzelvertraglich vereinbart ist. Einer solchen Geltungsanordnung im Einzelfall hätte es nicht bedurft, wenn durch die Klausel unter Ziffer 10 a) sowieso sämtliche "tariflichen Bestimmungen der ... GmbH" hätten in Bezug genommen werden sollen. Insoweit wird nicht verkannt, dass es solche "Doppelungen" durchaus auch in anderen Formulararbeitsverträgen gibt. Diese enthalten dann aber wenigstens auch eine eindeutige allgemeine Inbezugnahme der jeweiligen Tarifverträge, die vorliegend gerade fehlt.
Soweit die Beklagte darauf verweist, dass der Klägerin die Geltung von Haustarifverträgen in ihrem Unternehmen aufgrund seiner Zuvorbeschäftigung im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung bzw. aufgrund der (streitigen) Tatsache, dass ihr bei Übergabe des Arbeitsvertrages auch ein Exemplar des damals geltenden HTVMTV übergeben worden sei, bekannt gewesen sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, da es sich insoweit um Umstände handelt, die allein den konkreten Vertragspartnern bekannt sind bzw. die den besonderen Einzelfall kennzeichnen und damit nach den oben zitierten Rechtsgrundsätzen bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht herangezogen werden dürfen.
(2) Aber selbst wenn zu Gunsten der Beklagten unterstellt wird, dass die Bestimmung unter Ziffer 10 a) des Arbeitsvertrages vom 30.10.2015 eine Vereinbarung der Anwendung des HTV-TzBfG enthält, ist diese Klausel gemäß § 305 c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden, denn es handelt sich um eine überraschende Klausel im Sinne des Gesetzes.
(a) Nach § 305 c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Überraschenden Klauseln muss ein "Überrumpelungseffekt" innewohnen. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Da sich das Überraschungsmoment auch aus dem Erscheinungsbild des Vertrags ergeben kann, ist es möglich, dass auch das Unterbringen einer Klausel an einer unerwarteten Stelle im Text sie deswegen als Überraschungsklausel erscheinen lässt. Das Überraschungsmoment ist umso eher zu bejahen, je belastender die Bestimmung ist. Im Einzelfall muss der Verwender darauf besonders hinweisen oder die Klausel drucktechnisch hervorheben (so BAG, Urteil vom 24.05.2018 - 6 AZR 308/17 - Rz. 31, m. w. N., NZA 2019, 166, 169 [BAG 24.10.2018 - 10 AZR 69/18]).
(b) Ausgehend hiervon lässt das Unterbringen der streitgegenständlichen Klausel als eine von drei Regelungen unter der Überschrift "Sonstiges" an letzter Stelle in einem fünfseitigen Arbeitsvertrag die Inbezugnahmeklausel als Überraschungsklausel erscheinen.
Die Einbeziehung der von der Beklagten abgeschlossenen Haustarifverträge in das Arbeitsverhältnis ist für den jeweiligen Arbeitnehmer jedenfalls auch mit einer erheblichen Belastung verbunden. So enthält der HTV-MTV u. a. eine Ausschlussklausel, deren Nichtbeachtung zum Untergang von bestehenden Ansprüchen innerhalb kurzer Frist führen kann. Der HTV-TzBfG enthält eine gegenüber der gesetzlichen Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG erhebliche Erweiterung der Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung zum Nachteil des Arbeitnehmers. Ein verständiger Vertragspartner kann daher erwarten, dass eine Inbezugnahme solcher tariflicher Vorschriften in einer Weise erfolgt, die ihrer Bedeutung gerecht wird.
Dem genügt die Vertragsgestaltung der Beklagten nicht.
Die Beklagte hat in vier von zehn Vertragsziffern (Ziffern 5 bis 8) auf ca. zwei der fünf Vertragsseiten unter eigenständigen und sinnfälligen Überschriften umfangreich Regelungen in den Vertrag aufgenommen, die ihre Rechte wahren sollen. Die Inbezugnahmeklausel, die für die Rechte der Arbeitnehmer von erheblicher Bedeutung ist, "versteckt" die Beklagte dagegen mit zwei weiteren Bestimmungen unter der nichtssagenden Überschrift "Sonstiges", ohne dass die Bestimmung aufgrund der drucktechnischen Darstellung besonders ins Auge springt. Eine vergleichbare Unterbringung wird in Fällen von einzelvertraglichen Ausschlussfristen, deren Text sich zumindest im Vertrag selber befindet, regelmäßig als überraschend angesehen (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 31.08.2005 - 5 AZR 545/04 - Rz. 25, NZA 2006, 324, 326). Erst Recht muss dies dann für eine pauschale Inbezugnahme von Tarifverträgen gelten, deren Inhalt, z.B. das Bestehen tariflicher Ausschlussfristen, der Arbeitnehmer erst durch Lektüre der jeweiligen Tarifverträge erkennen kann. Ein verständiger Arbeitnehmer muss bei einem so detaillierten Vertrag wie dem vorliegenden nicht damit rechnen, dass eine Klausel von so erheblicher Bedeutung, wie die Inbezugnahme von (Haus-)Tarifverträgen, unter der Überschrift "Sonstiges" "versteckt" wird. Es wäre der Beklagten auch unproblematisch möglich gewesen, die Klausel ihrer Bedeutung angemessen in einer eigenen Ziffer mit einer eigenen Überschrift (z. B. "Anwendung bzw. Geltung von Tarifverträgen") unterzubringen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Zulassung der Revision für die Beklagte erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG aufgrund der Abweichung zum Urteil der 5. Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 21.10.2020 - 5 Sa 111/20 - in einem Parallelverfahren. Darüber hinaus haben die streitentscheidenden Rechtsfragen betreffend die Vertragsgestaltung in Formulararbeitsverträgen auch grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Es gilt daher die nachfolgende
Rechtsmittelbelehrung
[...]
Verkündet am 01.12.2020