18.08.2011 · IWW-Abrufnummer 113098
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 30.06.2011 – 5 Sa 464/11
Eine Arbeitnehmerin, die sich im Anschluss an eine Elternzeit in einer neuen Mutterschutzfrist wegen der Geburt eines weiteren Kindes befindet, steht Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 MuSchG zu. Dass das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit geruht hat, steht dem nicht entgegen.
Tenor:
1)Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des
Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 25.01.2011 - 1 Ca 8164/10 - abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.850,40 € netto nebst 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz ab dem 20.11.2010 zu zahlen.
2)Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz trägt die
Beklagte zu 2/5 und die Klägerin zu 3/5; die Kosten des
Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3)Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Klägerin ein Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gezahlt werden muss.
Die am 10.12.1971 geborene Klägerin ist seit dem 01.12.2001 bei dem Beklagten als Tierärztin beschäftigt. Ihr Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 1.161,01 €.
Die Klägerin befand sich nach der am 16.01.2004 erfolgten Geburt ihrer Tochter bis zum 15.01.2007 in Elternzeit und nach der Geburt ihres zweiten Kindes vom 31.08.2007 bis zum 23.08.2010 erneut in Elternzeit. Am 08.09.2010 gebar die Klägerin ihr drittes Kind und bezog vom 13.08.2010 bis zum 19.11.2010 Mutterschaftsgeld von der zuständigen Krankenkasse.
Mit Schreiben vom 08.11.2010 forderte die Klägerin den Beklagten zur Zahlung eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld auf. Dem kam der Beklagte nicht nach.
Mit ihrer am 27.12.2010 beim Arbeitsgericht Düsseldorf anhängig gemachten Klage hat die Klägerin ihr Begehren in Höhe von 4.653,-- € weiterverfolgt. Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte verpflichtet sei, für die Zeit vom 13.08.2010 bis zum 19.11.2010 einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld zu zahlen, weil allein die Zahlung des Mutterschaftsgeldes die Voraussetzung für den Anspruch auf einen Zuschuss darstellte.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.653,-- € netto nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 20.11.2010 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat gemeint, für die Zeit, in der sich die Klägerin noch in Elternzeit befunden hätte, stünde ihr der Anspruch auf gar keinen Fall zu. Da er, der Beklagte, überdies vor dem Beginn der Mutterschutzfrist nicht zur Arbeitsentgeltzahlung verpflichtet gewesen sei, könne die Klägerin auch für die Zeit nach der Elternzeit den begehrten Zuschuss nicht beanspruchen.
Mit Urteil vom 25.02.2011 hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf - 1 Ca 8164/10 - die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld für die Zeit bis zum 23.08.2010 nicht zu zahlen wäre, da das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit geruht hätte. Auch für die Zeit danach käme ein Anspruch nicht in Betracht. Mit dem Zuschuss werde das Ziel verfolgt, das vorangegangene Arbeitseinkommen der Arbeitnehmerin abzusichern, damit die Aufrechterhaltung des Lebensstandards für diese Zeit gesichert sei. Beziehe indessen ein Arbeitnehmer, wie die Klägerin, bereits seit mehreren Jahren kein Arbeitseinkommen mehr, läge das aufrechtzuerhaltende Einkommensniveau bei "Null".
Die Klägerin hat gegen das ihr am 14.03.2011 zugestellte Urteil mit einem am 14.04.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
Sie beschränkt ihr Zahlungsbegehren auf den Zeitraum vom 24.08.2010 bis zum 19.11.2010 und wiederholt im Wesentlichen ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass für die Berechtigung der Zuschusszahlung entscheidend darauf abzustellen sei, dass eine mutterschutzrechtliche Beschäftigungseinschränkung ursächlich für den Verdienstausfall sei. Exakt diese Voraussetzung sei bei ihr erfüllt. Hätte sie nicht ihr drittes Kind zur Welt gebracht und damit das Beschäftigungsverbot gemäß § 3 MuSchG ausgelöst, hätte sie, die Klägerin, nach Ablauf der Elternzeit für ihr zweites Kind das Arbeitsverhältnis bei dem Beklagten aktiviert.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 25.02.2011 - 1 Ca 8164/10 - abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.850,40 € netto nebst 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz ab dem 20.11.2010 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls seinen Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug. Er weist darauf hin, dass die Klägerin jedenfalls nach Beendigung der Elternzeit für das zweite Kind das Arbeitsverhältnis bei dem Beklagten keinesfalls in vollem Umfang aktiviert hätte, sondern nur noch eine Teilzeitbeschäftigung eingegangen w äre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Auch in der Sache selbst war das Rechtsmittel erfolgreich.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten gemäß § 14 Abs. 1 MuSchG i. V. m. § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG einen Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld für die Zeit vom 24.08. bis zum 19.11.2010 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 1.850,40 € netto nebst Zinsen.
1.Nach § 14 Abs. 1 MuSchG erhalten Frauen, die Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach § 200 RVO haben, für die Zeit der Schutzfristen vor und nach der Entbindung sowie für den Entbindungstag von ihrem Arbeitgeber einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld. Der Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld ist seiner Rechtsnatur nach ein gesetzlich begründeter Anspruch auf teilweise Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers wird während der Zeiten der Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG trotz fehlender Arbeitsleistung nicht in vollem Umfang aufgehoben, sondern besteht nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 MuSchG fort. Der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld wird deshalb allgemein als Leistung angesehen, die den Unterhalt der Mutter sichern und den ausfallenden Arbeitslohn ersetzen soll (BAG 29.01.2003 - 5 AZR 701/01 - AP Nr. 20 zu § 14 MuSchG 1968; vgl. auch BAG 25.02.2004 - 5 AZR 160/03 - AP Nr. 24 zu § 14 MuSchG 1968).
Nach dem Wortlaut des § 200 Abs. 1 und 3 RVO setzt der Anspruch auf Mutterschaftsgeld während der Schutzfristen nicht voraus, dass gerade bei Eintritt der Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG ein Vergütungsanspruch besteht, der wegen § 3 Abs. 2 MuSchG entfällt. Vielmehr verlangt das Gesetz nur, dass wegen der Schutzfristen kein Arbeitsentgelt gezahlt wird. Das ist der Fall, sobald die Hauptleistungspflichten von den Beschäftigungsverboten betroffen werden. Es besteht dann der geforderte ursächliche Zusammenhang zwischen den Schutzfristen und dem Wegfall der Vergütung (BAG 25.02.2004, a. a. O., mit vielfältigen Hinweisen auf die Rechtsprechung auch der Sozialgerichte).
Auch in einem Arbeitsverhältnis, dessen Hauptpflichten wegen eines unbezahlten Sonderurlaubs ruhen, greift der Ausgleichszweck ein, sobald die Hauptpflichten vertragsgemäß wieder aufleben und nur noch durch § 3 Abs. 2 und Abs. 6 Satz 1 MuSchG suspendiert sind. Es besteht kein vernünftiger Grund, den Anspruch deshalb vollständig zu versagen, weil der Ausgleichsbedarf in den Schutzfristen nicht von Anfang an bestand. Das Arbeitsverhältnis ist nunmehr von dem Beschäftigungsverbot unmittelbar betroffen. Das gesetzliche Verbot entfaltet seine Wirkung und verhindert entsprechend seiner eindeutigen Zielrichtung, dass die Arbeitnehmerin die Arbeitstätigkeit wieder aufnimmt; hierdurch entgeht der Arbeitnehmerin ihr vertraglicher Vergütungsanspruch (BAG 25.02.2004, a. a. O.).
2.Hiernach steht der Klägerin der geltend gemachte Zuschuss - entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts - in vollem Umfang zu. Nach Beendigung der Elternzeit am 23.08.2010, in der das Arbeitsverhältnis der Parteien ruhte, waren die beiderseitigen Hauptleistungspflichten aus diesem Arbeitsverhältnis mit dem 24.08.2010 wieder in vollem Umfang aufgelebt. Das Arbeitsverhältnis war nunmehr von dem Beschäftigungsverbot unmittelbar betroffen. Allein dieses Beschäftigungsverbot verhinderte, dass die Klägerin ihre Arbeitstätigkeit wieder aufnahm und Arbeitsentgeltansprüche entstanden. Dann aber stand ihr nach dem Ende der Elternzeit und damit auch nach der Beendigung des Ruhenszeitraums der Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld zu, weil dieser Zuschuss den Unterhalt der Klägerin sichern und den ausfallenden Arbeitslohn ersetzen sollte. Auf die Frage, ob ein Anspruch auf Arbeitslohn auch für die Zeit davor bestand, kommt es dabei ebenso wenig an wie in dem - vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen - Fall, dass sich die Mutterschutzfrist am Ende eines vertraglich vereinbarten Sonderurlaubs befindet.
Soweit sich der Beklagte in diesem Zusammenhang darauf beruft, dass die Klägerin möglicherweise nur noch eine Teilzeitbeschäftigung eingegangen wäre, kann er damit nicht gehört werden. Der Beklagte stützt seine dahingehende Vermutung auf ein Schreiben der Klägerin vom 17.04.2004, das sich auf eine - damals geplante - Rückkehr zum 07.05.2006 bezieht. Es gibt keine objektiven Anhaltspunkte, dass die Klägerin auch nach der zweiten Elternzeit nur eine Teilzeitbeschäftigung angestrebt haben könnte.
2.1Gegen den zugrunde gelegten Zeitraum der Mutterschutzfristen bzw. der Zahlung des Mutterschaftsgeldes im Rahmen der Berechnung nach § 200 Abs. 3 RVO und gegen die Höhe des Anspruchs hat der Beklagte im Übrigen keine Einwände erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die erkennende Kammer hat die Revision für den Beklagten zugelassen, weil sie das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bejaht hat, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.
Gegen dieses Urteil kann von dem Beklagten
REVISION
eingelegt werden.
Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
Bundesarbeitsgericht,
Hugo-Preuß-Platz 1,
99084 Erfurt,
Fax: (0361) 2636 - 2000
eingelegt werden.
Die Revision ist gleichzeitig oder
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
schriftlich zu begründen.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.