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  • 23.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131560

    Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 25.10.2012 – 15 Sa 765/12

    Die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sieben Tage nach anzunehmender Zustimmungsfiktion gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB IX kann unter Berücksichtigung der Sachverhaltsumstände ein nicht mehr gebotenes Zuwarten mit der Kündigungserklärung bedeuten, was ein unverzügliches Erklären i.S.d. § 91 Abs. 5 SGB IX ausschließt.


    Tenor:

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 27.04.2012 - 4 Ca 435/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.

    Der 1949 geborene, verheiratete Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Seit Juli 1986 ist er bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen als Masseur und medizinischer Bademeister beschäftigt, zuletzt zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.856,42 €.

    Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 29.09.2010 das Arbeitsverhältnis aus krankheitsbedingten Gründen zum 31.03.2010. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, der das Arbeitsgericht Hagen mit Urteil vom 13.10.2011 (4 Ca 2215/10) stattgab. Mit Urteil vom 25.10.2012 (15 Sa 1890/11) hat die erkennende Berufungskammer die von der Beklagten eingelegte Berufung zurückgewiesen.

    Vor dem Hintergrund jenes Rechtsstreits vereinbarten die Parteien in schriftlicher Form ein Beschäftigungsverhältnis ab dem 30.05.2011, auflösend bedingt durch eine rechtskräftige Entscheidung in dem Verfahren 4 Ca 2215/10 = 15 Sa 1890/11. Der Kläger setzte seine Tätigkeit zunächst fort.

    Am 22.08.2011 überreichte der bei der Beklagten beschäftigte Arbeitnehmer R1 dem Kläger acht schriftliche Abmahnungen, alle datierend vom 22.08.2011. Für die inhaltlichen Einzelheiten der Abmahnungen wird verwiesen auf Bl. 52 - 65 d. A..

    Wegen der Behandlung eines Patienten kam es am 02.09.2011 zu Unstimmigkeiten; die Einzelheiten sind streitig. Jedenfalls äußerte sich der Kläger gegenüber dem Patienten etwa wie folgt: "Na, wenn sich das nicht mal entzündet. Was nicht alles für's Geld getan wird".

    Wegen dieses und eines weiteren, ebenfalls streitigen Vorfalls beantragte die Beklagte mit am 15.09.2011 beim LWL-Integrationsamt Westfalen, eingegangenem Antrag die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Mit bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 04.10.2011 eingegangenem Einschreiben des Integrationsamtes vom 30.09.2011 (Bl. 66 d.A.) wies dieses auf die Fiktion des § 91 Abs. 3 SGB IX hin.

    Die Beklagte erklärte sodann mit Schreiben vom 06.10.2011, dem Kläger am selben Tag zugegangen, die fristlose Kündigung.

    Mit seiner beim Arbeitsgericht am 20.10.2011 eingegangenen Feststellungsklage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewehrt.

    Er hat gemeint, die Kündigung sei unwirksam. Sie könne vom objektiven Empfängerhorizont schon nur als Kündigung des Prozessbeschäftigungsverhältnisses gewertet werden. Die Kündigung sei nicht unverzüglich im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt worden. Kündigungsgründe lägen zudem nicht vor, insbesondere rechtfertige weder seine Bemerkung gegenüber dem Patienten noch der weitere Vorwurf bezogen auf den Patienten L. die Kündigung. Inhalt bzw. Richtigkeit der Abmahnungen vom 22.08.2011 bestreite er.

    Der Kläger hat beantragt

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 06.10.2011 nicht beendet worden ist.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie hat die Ansicht vertreten, die fristlose Kündigung sei rechtswirksam und insbesondere unverzüglich erklärt worden. Nach Fristablauf am 29.09.2011 sei es überzogen ihr aufzubürden, sich innerhalb von vier Stunden am Morgen des 30.09.2011 nach der Erteilung der Zustimmung zu erkundigen. Nach Eingang des Schreibens des Integrationsamtes am 04.10.2011 sei dem Kläger die Kündigung zwei Tage später zugegangen; dies sei ausreichend. Die Vorfälle mit den beiden Patienten stellten auch wichtige Gründe für die Kündigung dar.

    Das Arbeitsgericht Hagen hat der Klage mit Urteil vom 27.04.2012 stattgegeben. Es hat seine Entscheidung wesentlich wie folgt begründet:

    Die Beklagte habe mit der streitigen Kündigung das seit dem Jahr 1986 bestehende Arbeitsverhältnis kündigen wollen. Dies habe sie in ihren Schriftsätzen verdeutlicht. Auch machte ansonsten die vorherige Einschaltung des Integrationsamtes keinen Sinn.

    Die dem Kläger am 06.10.2011 zugegangene Kündigung sei unwirksam, da nicht unverzüglich im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt. Die zweiwöchige Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX sei am 29.09.2011 abgelaufen gewesen mit der Folge, dass am 30.09.2011 die Kündigungserklärungsfrist des § 91 Abs. 5 SGB IX begonnen habe. Der Beklagten sei zwar eine angemessene Überlegungsfrist zuzugestehen, die indes sehr knapp anzusetzen sei. Der Maßstab des § 174 BGB gelte insoweit nicht. Auch sei dem Arbeitgeber eine Erkundigungspflicht aufzubürden. Das Zeitfenster von vier Stunden am 30.09.2011, einem Freitag, sei nicht zu knapp bemessen; angebracht gewesen wäre ein Anruf beim Integrationsamt bereits am 28., jedenfalls aber 29.09.2011. Die Kündigung hätte schließlich noch am 04.10.2011 per Boten zugestellt werden können.

    Die Beklagte hat gegen das ihr am 07.05.2012 zugestellte erstinstanzliche Urteil am 01.06.2012 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10.08.2012 - mit am 08.08.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

    Sie trägt vor, erst mit dem 30.09.2011, einem Freitag, habe die Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX gegolten. Das Integrationsamt sei freitags von 8:30 Uhr bis 12:30 Uhr zu erreichen. Wegen des Feiertages habe sie erst am 04.10.2011 die Möglichkeit der Erkundigung beim Integrationsamt gehabt. An diesem Tag sei ihr jedoch schon die Nachricht des Integrationsamtes vom 29.09.2011 zugegangen, wonach eine Entscheidung nicht binnen der 2-Wochen-Frist erfolgt sei. Keine 48 Stunden später habe sie sodann die Kündigung zugestellt. Ihr Geschäftsführer sei aufgrund anderweitiger Terminswahrnehmungen erst am Morgen des 06.10.2011 wieder in der Betriebsstätte erschienen, um die Kündigung zu unterzeichnen.

    Die Beklagte ist der Auffassung, es könne nicht richtig sein, ihr nur die vier Stunden von 8:30 Uhr bis 12:30 Uhr am Freitag, 30.09.2011, zuzugestehen, um sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob dieses innerhalb der 2-Wochen-Frist eine Entscheidung getroffen habe oder nicht. Der Hinweis auf die Entscheidung 15 Sa 242/09 verfange nicht, weil vorliegend nur eine eingeschränkte Erreichbarkeit des Integrationsamtes vorgelegen habe. Auch ergebe sich aus der angezogenen Entscheidung nicht, dass sie vor dem Ablauf der 2-Wochen-Frist beim Integrationsamt sich hätte erkundigen müssen, ob eine Entscheidung getroffen werde oder nicht. Der Kläger habe am 06.10.2011 nicht davon ausgehen können, dass seine Kündigung wegen der streitigen Vorfälle vom 02.09.2011 nicht mehr erfolgen werde. Er habe nämlich nicht damit rechnen dürfen, dass sie - die Beklagte - bereits am 30.09.2011 Kenntnis über eine Kündigungszustimmung gehabt habe. Deshalb sei die Kündigung am 06.10.2011 unverzüglich im Sinne des Gesetzes erklärt worden.

    Für die Gründe, die die Kündigung vom 06.10.2011 nach Dafürhalten der Beklagten rechtfertigen, wird verwiesen auf die Ausführungen im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 08.12.2012, S. 4 bis 11 (Bl. 148 bis 155 d.A.) sowie im weiteren Schriftsatz der Beklagten vom 16.10.2012 (Bl. 185 bis 193 d.A.).

    Die Beklagte hat beantragt,

    das Urteil, des Arbeitsgerichts Hagen, Aktenzeichen 2 Ca 435/12 vom 27.04.2012, zugestellt am 04.05.2012, aufzuheben und die Klage vom 19.10.2011 abzuweisen.

    Der Kläger hat beantragt,

    die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin zurückzuweisen.

    Er vertritt die Ansicht, dass die Beklagte die Kündigung nicht unverzüglich nach Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen habe. Die Kündigung hätte unverzüglich nach Ablauf des 29.09.2011 erklärt werden müssen; an die Unverzüglichkeit seien strenge Maßstäbe anzulegen. Dem Arbeitgeber werde bei der über § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX fingierten Zustimmung abverlangt, sich eigeninitiativ durchgehend über den Zeitpunkt des Antragseingangs sowie das Vorliegen einer Entscheidung oder den Eintritt der Zustimmungsfiktion zu informieren. Er - der Kläger - frage, warum vier Stunden am 30.09.2011 nicht ausreichend gewesen sein sollen, um sich beim Integrationsamt zu informieren und warum es unzumutbar gewesen sei, sich schon am 29.09.2011 vorgreiflich zu erkundigen. Der Kläger bestreitet, dass der Geschäftsführer der Beklagten weder am 30.09. noch am 01.10., 04.10. oder 05.10.2011 Gelegenheit gehabt habe, die Kündigung zu unterschreiben.

    Hinsichtlich der Ausführungen des Klägers zu den Kündigungsvorwürfen wird verwiesen auf Bl. 174 bis 180 d.A..

    Wegen des Weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird verwiesen auf deren wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der öffentlichen Sitzungen, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.

    Entscheidungsgründe

    Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

    I.
    Die Berufung ist zulässig. Sie ist an sich (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG) und bezogen auf den Streitgegenstand (§ 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG) statthaft, in gesetzlicher Frist und Form eingelegt, § 517 ZPO i.V.m. §§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Sätze 1, 2 ArbGG) sowie fristgerecht und ordnungsgemäß begründet worden (§ 66 Abs. 1 Sätze 1, 2 ArbGG, § 520 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG).

    II.
    In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung der Klage stattgegeben.

    Die dem Kläger am 06.10.2011 zugegangene fristlos erklärte Kündigung ist rechtsunwirksam, § 91 Abs. 5 SGB IX.

    1.              Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass Gegenstand der am 20.10.2011 von dem Kläger erhobenen Klage die Kündigung seines seit Juli 1986 bestehenden Arbeitsverhältnisses ist.

    Zwar ist dem Kläger darin zu folgen, dass nach dem Wortlaut des Kündigungsschreibens vom 06.10.2011 das "bestehende Arbeitsverhältnis" gekündigt wird und dass am 06.10.2011 ein ab dem 30.05.2011 vereinbartes Prozessbeschäftigungsverhältnis bestand. Gleichzeitig war jedoch im Zeitpunkt des Klageeingangs das Bestehen des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses des Klägers im Hinblick auf die zum 31.03.2011 erklärte Kündigung streitig, vgl. 4 Ca 2215/10, ArbG Hagen. Diese Kündigung ist durch Urteil vom 13.10.2011 für unwirksam erklärt worden mit der Folge, dass am 20.10.2011 von einem (weiter) bestehenden Arbeitsverhältnis auszugehen war. Gegen das Urteil vom 13.10.2011 hat die Beklagte Berufung eingelegt, 15 Sa 1890/11, die durch Urteil vom 25.10.2012 zurückgewiesen worden ist.

    Dass die Beklagte unter dem 06.10.2011 das seit Juli 1986 bestehende Arbeitsverhältnis und nicht das Prozessbeschäftigungsverhältnis kündigen wollte, verdeutlichen zum einen ihre Schriftsätze (vgl. etwa Schriftsatz vom 09.03.2012), in denen an keiner Stelle von der Kündigung des Prozessbeschäftigungsverhältnisses die Rede ist. Zum anderen hätte die Beklagte im Hinblick auf § 90 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IX für ihre Kündigung keiner Zustimmung des Integrationsamtes bedurft. Die Auslegung des Arbeitsgerichts zur Kündigung des seit Juli 1986 durchgehend bestehenden Arbeitsverhältnisses begegnet somit keinen durchschlagenden Bedenken.

    2.              Die außerordentliche Kündigung vom 06.10.2011 ist nicht unverzüglich im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt worden.

    a)              Ist bei fristgerechter Antragstellung auf Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Kündigung die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach erfolgter Erteilung der Zustimmung bereits abgelaufen, erfordert die Bestimmung des § 91 Abs. 5 SGB IX den unverzüglichen Ausspruch der Kündigung (BAG, 19.04.2012 - 2 AZR 118/11, ArbR 2012, 514; BAG, 01.02.2007 - 2 AZR 333/06, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3). Damit trägt § 91 Abs. 5 SGB IX dem Umstand Rechnung, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich sein wird, bis zum Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB die Zustimmung des Integrationsamtes zu erlangen.

    b)              Die Zustimmung des Integrationsamtes ist erteilt im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX, sobald dieses eine Entscheidung innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX getroffen und der antragstellende Arbeitgeber hierüber in Kenntnis gesetzt oder wenn eine Entscheidung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht getroffen worden ist. In letzterem Fall gilt die Zustimmung mit Ablauf der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX als erteilt (sog. Fiktionswirkung).

    c)              Auch im Rahmen von § 91 Abs. 5 SGB IX bedeutet das Wort "unverzüglich" analog der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB "ohne schuldhaftes Zögern" (BAG, 01.07.2007, a.a.O.). Unverzüglich bedeutet nicht ohne weiteres "sofort"; es kommt an auf die Umstände des Einzelfalles und eine verständige Abwägung der Interessen beider Seiten. Auch ist nicht allein die objektive Lage maßgeblich. Weiß etwa derjenige, der zu unverzüglichem Handeln gesetzlich verpflichtet ist nicht, dass er die Rechtshandlung vornehmen muss, kann ein schuldhaftes Zögern nicht angenommen werden (BAG, 19.04.2012, a.a.O., m.w.N.).

    Erklärt im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX ist die Kündigung, wenn sie dem Kündigungsempfänger gemäß § 130 BGB zugeht.

    d)              Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte die Kündigung vom 06.10.2012 nicht unverzüglich im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt.

    aa)              Gemäß § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX war die zweiwöchige Frist, innerhalb derer das Integrationsamt seine Entscheidung trifft, mit dem 29.09.2011 abgelaufen.

    Der Antrag der Beklagten auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung vom 12.09.2011 ging am 15.09.2011 beim Integrationsamt ein; Fristablauf war somit der 29.09.2011 (vgl. § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).

    bb)              Das Integrationsamt traf innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang, nämlich bis zum 29.09.2011, keine Entscheidung.

    Obliegenheit des Arbeitgebers ist es, sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob es innerhalb der gesetzlichen Frist eine Entscheidung getroffen hat, andernfalls die Zustimmung fingiert wird (BAG, 19.04.2012, a.a.O.; s. bereits BAG, 03.07.1980 - 2 AZR 340/78, BAGE 34, 20). Diese Erkundigung unterließ die Beklagte, obgleich sie am 30.09.2012 hierzu hinreichend Gelegenheit hatte. Dass das Integrationsamt an einem Freitag - hier der 30.09.2011 - nur zwischen 8:30 Uhr und 12:30 Uhr zu erreichen ist, vermag die Erkundigungsobliegenheit des Arbeitgebers nicht in Frage zu stellen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Erlangung einer benötigten Auskunft an einem Wochenarbeitstag, selbst wenn dieser auf eine vierstündige Erreichbarkeit einer Behörde beschränkt ist, nicht ohne weiteres möglich sein sollte. Die Beklagte vermochte insoweit auch nicht zu erklären, warum sie an besagtem Freitagmorgen nicht in der Lage gewesen sein soll, die benötigten Erkundigungen einzuholen. Sie kann nicht damit gehört werden, ihr sei es erst wieder - wegen des dazwischen liegenden Wochenendes und des Feiertages - am 04.10.2011 möglich gewesen, sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob eine Entscheidung auf dem Postweg unterwegs sei oder nicht. Gründe für ein Nichttätigwerden innerhalb von vier Stunden am 30.09.2011 sind auch in keiner Weise erkennbar geworden.

    cc)              Nach vorliegend anzunehmender fingierter Zustimmungserteilung mit Ablauf des 29.09.2011 hat die Beklagte die Kündigung am 06.10.2011 nicht mehr unverzüglich erklärt. Dem Arbeitsgericht ist dahin zu folgen, dass der Beklagten zwar eine - allerdings mit Rücksicht darauf, dass die Kündigungsabsicht der Beklagten bereits Gegenstand des Zustimmungsverfahrens beim Integrationsamt war, nur sehr knapp zu bemessenden (LAG Hamm, 16.07.2009 - 15 Sa 242/09, [...]) - Überlegungsfrist für sich in Anspruch nehmen darf, gleichwohl aber nur dann nicht schuldhaft zuwartet, wenn dies die Einzelfallumstände ergeben.

    Die wechselseitige Interessenlage ist vorliegend einerseits dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitgeber, in dessen Interesse ja die Frist des § 626 Abs. 2 BGB im Falle der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen über die Spezialnormen des SGV IX verlängert wird, das Arbeitsverhältnis möglichst bald, jedoch in jeder Weise rechtswirksam außerordentlich kündigen will. Auf der anderen Seite soll der Arbeitnehmer durch   § 626 Abs. 2 BGB davor geschützt werden, sich zu einem Zeitpunkt einer außerordentlichen Kündigung gegenüber sehen zu müssen, zu dem er mit einer solchen nicht mehr zu rechnen brauchte. Hieraus folgt die Verpflichtung der Beklagten, ab dem Zeitpunkt ihrer sicheren Kenntnis davon, dass das Integrationsamt keine Entscheidung getroffen hat, d.h. im streitigen Fall der Zeitpunkt des Eintritts der Zustimmungsfiktion, hier der 30.09.2011, innerhalb sehr kurzer Zeit die Kündigung auszusprechen (vgl. auch BAG, 02.02.2006 - 2 AZR 57/05, NZA-RR 2006, 440).

    Die Rechtsprechung stellt an die Unverzüglichkeit des Handelns strenge Anforderungen (LAG Hamm, 20.01.2011 - 15 Sa 20/10, [...], m.H. auf BAG, 21.04.2005 - 2 AZR 255/04, NZA 2005, 991; LAG Rheinland-Pfalz, 05.10.2005 - 10 TaBV 22/05, NZA-RR 2006, 245).

    Die Beklagte war sich bewusst, die Kündigung unverzüglich erklären zu müssen. Das zeigt ihr Bemühen, zumindest nach Erhalt der Nachricht des Integrationsamtes am 04.10.2011 die Kündigung zeitnah auf den Weg zu bringen bzw. zuzustellen. Andererseits hat die Beklagte eine Überlegungsfrist, wie sich ihrem gesamten Vorbringen in erster Instanz und auch im Berufungsverfahren entnehmen lässt, nicht in Anspruch nehmen wollen und auch tatsächlich nicht beansprucht.

    Gerade weil der Beklagten bewusst sein musste, dass aufgrund des anstehenden Wochenendes und sich direkt anschließenden Feiertags die Kündigung frühestens am 04.10.2011, also bereits fünf Tage nach Ablauf der gesetzlichen 2-Wochen-Frist, erklärt werden konnte, hätte es nahegelegen, die Kündigung noch am 30.09.2011 per Boten zustellen zu lassen. Dass ihr Geschäftsführer an diesem Tag, etwa wegen örtlicher Abwesenheit, nicht in der Lage gewesen wäre, die Kündigung zu unterzeichnen, hat die Beklagte nicht substanziiert dargetan. Jedenfalls, vermochte die Beklagte nicht substanziiert zu begründen, dass die Kündigung dem Kläger nicht spätestens am 04.10.2011 hätte zugestellt werden können. Ihr Vortrag hierzu, sie habe nicht schneller handeln können, weil ihr Geschäftsführer aufgrund anderweitiger Terminswahrnehmungen erst am Morgen des 06.10.2011 wieder in der Betriebsstätte erschien, bleibt zu unbestimmt. Es wird insbesondere nicht mitgeteilt, welche Termine der Geschäftsführer denn zwischen dem 30.09. und 05.10.2011 außerhalb der Betriebsstätte wahrgenommen hat.

    Auch wäre es der Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, die Kündigung dem Kläger am 04.10. bzw. 05.10.2011 per Boten zugehen zu lassen, wobei dahinstehen kann, ob etwa ein Zugang am 05.10.2011 noch unverzüglich gewesen wäre.

    Ein Zuwarten mit der Kündigungserklärung jedenfalls bis zum 06.10.2011 war durch die Umstände des zu berücksichtigenden Sachverhaltes nicht geboten, so dass der Beklagten auch unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ein schuldhaftes Zögern vorzuwerfen ist, was ein unverzügliches Erklären der Kündigung gemäß § 91 Abs. 5 SGB IX ausschließt.

    Die Berufungskammer folgt im Übrigen den Entscheidungsgründen des Erstgerichts (insbesondere S. 6, 7 des Urteils, Bl. 120 - 121 d. A.), § 69 Abs. 2 ArbGG.

    3.              Da die Kündigung vom 06.10.2011 bereits gemäß § 91 Abs. 5 SGB IX rechtsunwirksam ist, war nicht darüber zu entscheiden, ob ein wichtiger Grund die außerordentliche Kündigung rechtfertigt.

    III.
    1.              Die Kostenentscheidung zulasten der mit dem Rechtsmittel unterlegenen Beklagten folgt § 97 Abs. 1 ZPO.

    2.              Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG .

    Vorschriften§ 91 Abs. 3, 5 SGB IX