30.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131561
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 17.12.2012 – 5 Sa 697/12
1Eine Bruttoforderung kann nicht mit einer Nettoforderung und umgekehrt aufgerechnet werden. Es besteht keine Gleichartigkeit i. S. v. § 387 BGB.
2Der Arbeitgeber trägt die Darlegungslast dafür, dass seine Aufrechnung gegen den gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nur nach Maßgabe des §§ 850 a bis 850 i ZPO pfändbaren Anspruchs des Arbeitnehmers auf Lohn das Erlöschen oder den teilweisen Untergang dieser Forderungen bewirkt hat (§ 389 BGB). Der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens ist nicht von Amts wegen zu ermitteln. Hierzu sind die Gerichte für Arbeitssachen im Urteilsverfahren, für das der Beibringungsgrundsatz gilt, nicht verpflichtet.
Tenor:
I | Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 02. Mai 2012 - 3 Ca 8650/11 - teilweise abgeändert: Die Klage wird in Höhe von 107,84 € abgewiesen. |
II | Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. |
III | Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. |
IV | Die Revision wird nicht zugelassen. |
Tatbestand
Der Kläger macht in der Berufungsinstanz noch von der Beklagten abgerechnete Vergütung für die Monate März 2010 bis Mai 2010 geltend.
Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. Februar 2009 bis zum 15. Mai 2010 und erneut ab dem 1. März 2011 als Automechaniker beschäftigt. Am 13. Februar 2009 verkaufte die Beklagte dem Kläger ein Kraftfahrzeug zum Kaufpreis von 2.000 EUR, den der Kläger zunächst nicht beglich.
Am 11. Oktober 2010 zahlte die Beklagte an den Kläger 334,49 EUR auf seine Vergütungsforderung. Diesen Betrag lässt sich der Kläger auf seinen Anspruch ebenso anrechnen wie 1.200 EUR für das Auto.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.332,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 05.11.2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, sie habe im März 2010 1.545,64 EUR und im April 2010 1.200 EUR und weitere 506,02 EUR an den Kläger ausbezahlt. Zudem seien für den Wagen 1.200 EUR in Abzug gebracht worden. Ihr stehe ein Gegenanspruch wegen unberechtigt genommenen Urlaubs in Höhe von 3.240 EUR brutto zu.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 2. Mai 2012 stattgegeben. Gegen das ihr am 20. Juni 2012 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am 20. Juli 2012 insoweit Berufung eingelegt und diese am 8. August 2012 begründet, als sie zur Zahlung von 1.237,45 EUR für die Monate März bis Mai 2010 verurteilt worden ist.
Die Beklagte behauptet nunmehr, sie am habe am 1. April 2010 1.200 EUR, am 10. August 2010 334,49 EUR und am 13. Dezember 2010 90,02 EUR an den Kläger gezahlt. Sie erklärt die Aufrechnung mit einem Betrag in Höhe von 1.200 EUR wegen ihrer Forderung aus dem Autoverkauf. Der Kläger sei überzahlt worden, weil er 2009 und 2010 unberechtigt Urlaub genommen habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 2. Mai 2012 - 3 Ca 8650/11 - insoweit abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen, als die Beklagte zur Zahlung von 1.237,45 € nebst Zinsen für die Monate März bis Mai 2010 verurteilt worden ist.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags das angefochtene Urteil. Es treffe zu, dass er der Beklagten noch 90,02 EUR aus einem Reifenkauf schulde.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.
II. Das Rechtsmittel hat in der Sache nur in geringen Umfang Erfolg.
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 1.129,41 EUR netto aus § 611 Abs. 1 BGB. Dies ergibt sich aus den Abrechnungen der Beklagten unter Berücksichtigung der vom Kläger selbst vorgenommenen Abzüge.
Der weitergehend geltend gemachte Betrag steht dem Kläger nicht zu. Er hat sich zu seinen Gunsten um 107,84 EUR verrechnet.
2. Der Anspruch des Klägers ist nicht erloschen.
a) Soweit sich die Beklagte darauf beruft, sie habe am 1. April 2010 1.2000 EUR und am 10. August 2010 334,49 EUR an den Kläger gezahlt, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Kläger diese Beträge in seiner Berechnung bereits abgezogen hat.
b) Für die Behauptung der Beklagten, sie habe am 13. Dezember 2011 an den Kläger 90,02 EUR gezahlt, ist von ihr nicht ordnungsgemäß Beweis angetreten worden. Dies geht zu ihren Lasten, weil sie für die Erfüllung des Anspruchs beweispflichtig ist.
Die von ihr in Kopie vorgelegten Kontoauszüge enthalten diese Zahlung nicht. Herr Lichthorn kann keine Angaben dazu machen, ob dieser Betrag auf dem Konto des Klägers eingegangen ist.
Hinzu kommt, dass der Kläger in der Kammerverhandlung unbestritten vorgetragen hat, er habe der Beklagten für Reifen noch 90,02 EUR geschuldet. Diese hat die Beklagte offensichtlich in Abzug bringen wollen. Dies war schon deswegen nicht zu berücksichtigen, weil sei die Aufrechnung nicht erklärt hat. Daher ist auch nicht erkennbar, von welcher Forderung des Klägers der Betrag von 90,02 EUR abzuziehen sein sollte.
b) Der Zahlungsanspruch ist nicht durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit dem von ihr geltend gemachten Bruttoanspruch wegen angeblicher Fehltage des Klägers erloschen (§ 389 BGB).
Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ist unzulässig. Eine Bruttoforderung kann nicht mit einer Nettoforderung und umgekehrt aufgerechnet werden. Es besteht keine Gleichartigkeit iSv. § 387 BGB(BAG 15. März 2005 - 9 AZR 502/03 - NZA 2005, 682; LAG Köln 18. Februar 2008 - 14 Sa 1029/07 - [...]).
Daher kann es dahin stehen, ob dieser und der weitere Vortrag der Beklagten den Anforderungen, die an einen wahrheitsgemäßen Sachvortrag zu stellen sind, genügt. Immerhin hat die Beklagte in der ersten Instanz noch behauptet, der Kläger habe unberechtigt Urlaub genommen, während sie nunmehr geltend macht, der Kläger habe unentschuldigt gefehlt.
c) Die von der Beklagten mit dem Betrag von 1.200 EUR erklärte Aufrechnung ist ebenfalls unzulässig.
Sie ist unzulässig, weil sie gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB verstößt. 394 Satz 1 BGB schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850 a bis 850 i ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850 c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Er ist entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt, gelten die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850 c Abs. 2 ZPO.
Der Arbeitgeber trägt die Darlegungslast dafür, dass seine Aufrechnung gegen den gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nur nach Maßgabe des §§ 850 a bis 850 i ZPO pfändbaren Anspruchs des Arbeitnehmers auf Lohn das Erlöschen oder den teilweisen Untergang dieser Forderungen bewirkt hat (§ 389 BGB). Der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens ist nicht von Amts wegen zu ermitteln. Hierzu sind die Gerichte für Arbeitssachen im Urteilsverfahren, für das der Beibringungsgrundsatz gilt, nicht verpflichtet(BAG 5. Dezember 2002 - 6 AZR 569/01 - NZA 2003, 802).
Danach ist die Aufrechnung unzulässig, weil die Beklagte keine Angaben zum pfändbaren Betrag des Einkommens des Klägers gemacht hat.
Daher kann es dahin stehen, ob dieser und der weitere Vortrag der Beklagten den Anforderungen, die an einen wahrheitsgemäßen Sachvortrag zu stellen sind, genügt. Immerhin hat die Beklagte für den Wagen bei einem Kaufpreis von 2.000 EUR zweimal 1.200 EUR zu Lasten des Klägers in Abzug gebracht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.
Dr. Sievers
Scharf
Junk