27.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141888
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 19.03.2014 – 3 Ta 36/14
1.
Eine Verfahrensgebühr ist für den Anwalt des Berufungsbeklagten bereits erstattungsfähig, wenn er den Empfang der Berufungsschrift bestätigt hat und anlässlich des Berufungsverfahrens beauftragt ist. Der Anfall einer Verfahrensgebühr setzt nicht voraus, dass der Anwalt einen Schriftsatz bei Gericht eingereicht hat.
2.
Eine volle 1,6 Verfahrensgebühr nach § 3200 VV RVG kann auch dann entstehen, wenn nach vereinbarter Berufungsrücknahme noch vor der tatsächlichen Rücknahme Zurückweisung der Berufung und Verlängerung der ablaufenden Berufungserwiderungsfrist beantragt wird.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschl. v. 19.03.2014
Az.: 3 Ta 36/14
Im Beschwerdeverfahren
betr. Kostenfestsetzung
pp.
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein am 19.03.2014 durch die Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzende
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 18.02.2014 - Az.6 Ga 19/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin hat am 17.09.2013 vor dem Arbeitsgericht Lübeck im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens ein Unterlassungsurteil gegen den Beklagten erwirkt. Gegen das am 20.09.2013 zugestellte Urteil legte der Beklagte am 01.10.2013 (Eingang) beim Landesarbeitsgericht Berufung ein. Die Berufungsschrift wurde dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 08.10.2013 zugestellt (Bl. 64 d.A.), die Berufungsbegründung am 13.11.2013 (Bl. 74 d.A.). Für die Klägerin lief ihre Berufungserwiderungsfrist am 13.12.2013 ab.
Die Parteien haben sich im Hauptsacheverfahren vor dem Arbeitsgericht Lübeck zum Aktenzeichen 6 Ca 2183/13 in der Güteverhandlung am 10.12.2013 umfangreich verglichen. In diesem Zusammenhang hat sich der Beklagte verpflichtet, die Berufung zurückzunehmen. Mit Schriftsatz vom 11.12.2013, eingegangen per Fax beim Landesarbeitsgericht am 11.12.2013 um 8:36 Uhr (Bl. 75 d.A.) beantragte die Klägerin, die Berufung zurückzuweisen und bat vorsorglich unter Hinweis auf die zu erwartende Berufungsrücknahme für ihre Berufungserwiderung um Fristverlängerung. Mit Schriftsatz vom 11.12.2013, eingegangen per Fax beim Landesarbeitsgericht am 11.12.2013 um 8:51 Uhr (Bl. 76 d.A.) nahm der Beklagte die Berufung zurück.
Nach Anhörung der Beteiligten setzte das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 18.02.2014 die zu erstattenden Kosten gem. §§ 104, 91 ZPO nach dem festgesetzten Gegenstandswert von 20.000,00 Euro in Höhe einer 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG und der Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG auf insgesamt 1.207,20 Euro fest und begründete diesen Beschluss ausführlich (Bl. 99 d.A.). Gegen diesen dem Beklagten am 20.02.2014 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat er am 26.02.2014 sofortige Beschwerde eingelegt. Er meint, die Vertretungsanzeige der Klägerin sei nach Rücknahme der Berufung und auch erst nach Abschluss des Vergleiches erfolgt. Erstattungsfähige Gebühren seien daher nicht angefallen.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit nochmals ausführlich begründetem Beschluss vom 07.03.2014 nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Beklagten ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 104 Abs. 3 ZPO i.V.m. §§ 567, 569 zulässig. Der Wert der Beschwer ist erreicht.
Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht zugunsten der Klägerin eine 1,6 Verfahrensgebühr und die Postpauschale für die Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren festgesetzt.
1. Es ist anerkannt, dass sich der oder die Berufungsbeklagte anwaltlicher Unterstützung bedienen darf, bevor eine Berufungsbegründung eingegangen ist. Die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei kann regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zur Rechtsverteidigung sachgerecht zu veranlassen ist (OLG München vom 20.06.2008 - 11 WF 857/08 - [...], Rz. 6; BGH NJW 03, 756).
2. Ein Berufungsbeklagter ist berechtigt, sofort nach Zustellung der Berufungsschrift einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung in der Berufungsinstanz zu beauftragen.
Weder die Entstehung noch die Erstattbarkeit der Prozessgebühr hängen davon ab, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach außen in Erscheinung getreten ist (OLG München vom 16.02.1984 - 11 W 898/84 zitiert nach [...]; OLG Bamberg, 1976-10-29, 1 W 36/76, JurBüro 1977, 204).
3. Selbst wenn eine Berufung nur aus Fristwahrungsgründen eingereicht wurde verbunden mit der Bitte an den Berufungsbeklagten, einen anwaltlichen Vertreter zur Vermeidung unnötiger Kosten noch nicht zu bestellen, ist im Falle einer Berufungsrücknahme für den Berufungsanwalt des Beklagten (der den Empfang der Berufungsschrift und des Rücknahmeschriftsatzes bestätigt hat) schon eine Verfahrensgebühr erstattungsfähig. Der Anfall einer Verfahrensgebühr setzt nicht voraus, dass der Anwalt einen Schriftsatz bei Gericht eingereicht hat. Die Verfahrensgebühr entsteht vielmehr bereits mit Auftragserteilung. (Brandenburgisches Oberlandesgericht vom 12.09.2008, 6 W 146/08 - [...] LS. 1 und LS 2). Wird ein Schriftsatz nicht eingereicht, hat dies nur zur Folge, dass ggf. die Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG in ermäßigter Höhe entsteht (Rn.11).
4. Bereits vor diesem rechtlichen Hintergrund ist das Arbeitsgericht zutreffend vom Bestehen eines Erstattungsanspruches für eine Verfahrensgebühr ausgegangen. Der Vertreter der Klägerin hat den Empfang der Berufungsschrift und auch der Berufungsbegründung bestätigt. Ihm war also bereits ein Auftrag für das Berufungsverfahren erteilt. Allein das hat schon einen Gebührenanspruch ausgelöst.
5. Der Erstattungsanspruch besteht auch nicht nur in Höhe einer 1,1 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG, vielmehr in Höhe einer 1,6, Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG. Die Klägerin hat bereits vor Berufungsrücknahme mit Schriftsatz vom 11.12.2013, eingegangen per Fax beim Landesarbeitsgericht am 11.12.2013 um 8:36 Uhr (Bl. 75 d.A.) beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Gleichzeitig hat sie vorsorglich unter Hinweis auf die zu erwartende Berufungsrücknahme um Verlängerung der für sie am 13.12.2013 ablaufenden Erwiderungsfrist gebeten. Die Berufungsrücknahme ist erst zeitlich danach, nämlich um 8:51 Uhr eingegangen.
6. Das die höhere Verfahrensgebühr auslösende Auftreten der Vertreter der Klägerin und Berufungsbeklagten war auch nicht unnötig (vergleiche hierzu OLG München vom 20.06.2008 - 11 WF 857/08 - [...], Rz. 11 ff m.w.N.). Nach Zustellung der Berufungsbegründung lief ausweislich der Verfügung des Landesarbeitsgerichts vom 07.11.2013 ihre Frist zur Berufungserwiderung alsbald nach Abschluss des vor dem Arbeitsgericht Lübeck am 10.12.2013 geschlossenen Vergleiches am 13.12.2013 ab. Es war nicht absehbar, ob der Beklagte innerhalb der Erwiderungsfrist noch die Berufung zurücknehmen würde. Insoweit galt es, die Klägerin vor drohendem Fristablauf abzusichern. Abgesehen davon sind die Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch im Rahmen des Abschlusses des arbeitsgerichtlichen Vergleichs zum Aktenzeichen 6 Ca 2183/13 und der dortigen Herbeiführung einer Einigung über die Berufungsrücknahme für die Klägerin bereits nach außen aufgetreten.
7. Aus den genannten Gründen steht der Klägerin damit der vom Arbeitsgericht festgesetzte Kostenerstattungsanspruch zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.