06.10.2020 · IWW-Abrufnummer 218168
Landesarbeitsgericht Niedersachsen: Beschluss vom 24.09.2020 – 10 Ta 114/20
1. Das Beschwerdegericht hat uneingeschränkt zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund vorliegt. Ist dies der Fall, kann es die Entscheidung über die Aussetzung des Rechtsstreits jedoch nur auf Ermessensfehler hin nachprüfen. Dabei hat es nur zu prüfen, ob das Arbeitsgericht von den zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, ob es von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und ob es die allgemeinen Grenzen des Ermessens eingehalten hat.
2. Die ermessensleitenden Erwägungen sind in der Beschlussbegründung offenzulegen. Sofern sich die Ermessenserwägungen nicht zweifelsfrei aus den Akten erschließen lassen, hat das Beschwerdegericht den Beschluss aufzuheben.
3. Für die Aussetzungsentscheidung gemäß § 149 ZPO ist es nicht von Belang, ob sich der Verdacht einer Straftat erst im Laufe des Rechtsstreits ergibt oder bereits davor bestand.
4. Bei Sachverhaltsidentität ist die Aussetzung nicht unzulässig, sondern regelmäßig geboten (BGH 24. April 2018 - VI ZB 52/16).
5. Die Vorschriften über die besondere Prozessförderung in Kündigungsverfahren kommen nicht zur Anwendung, wenn nur über den Bestand des Arbeitsverhältnisses in der Vergangenheit gestritten wird.
6. Ob gewichtige Gründe im Sinne von § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Aufrechterhaltung der Aussetzung nach Ablauf eines Jahres sprechen, ist keine Ermessens-, sondern eine an das Vorliegen solcher gewichtigen Gründe gebundene Entscheidung des Gerichts (BVerfG 30. Juni 2003 - 1 BvR 2020/02).
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 27. März 2020 - 6 Ca 244/18 - aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung über die Aussetzung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht Braunschweig zurückverwiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses, welches mittlerweile - spätestens durch seinen Eintritt in den Ruhestand im Februar 2020 - beendet ist, und begehrt die Zahlung unter anderem von Arbeitsentgelt. Mit ihrer Widerklage verfolgt die Beklagte die Feststellung einer Schadensersatzpflicht des Klägers. Hintergrund von Klage und Widerklage ist die sogenannte Dieselaffäre; die Beklagte wirft dem Kläger vor, an der Implementierung einer Manipulationssoftware (von der Beklagten als Umschaltlogik bezeichnet) mitgewirkt zu haben. Sie meint, dies stelle einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung dar und führe zu der Ersatzpflicht, deren Feststellung den Gegenstand der Widerklage bildet.
Die Beklagte hat beantragt, den Rechtsstreit gemäß § 149 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 ArbGG bis zur Entscheidung des Landgerichts Braunschweig in der Strafsache gegen den Kläger (staatsanwaltschaftliches Aktenzeichen: 000 Js 00000/00) auszusetzen und bei Aufnahme des Rechtsstreits die Akten des Strafverfahrens beizuziehen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die unter anderem gegen den Kläger erhobene Anklage beziehe sich auch auf das ihm vorliegend vorgeworfene Verhalten. Aus dem Strafverfahren sei eine bessere Sachaufklärung zu erwarten, indem die dortigen Zeugenaussagen in das vorliegende Verfahren eingeführt werden könnten. Die Beklagte laufe Gefahr, im vorliegenden Rechtsstreit allein deshalb zu unterliegen, weil mehrere Zeugen unter Berufung auf das laufende Strafverfahren von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machten. Somit bestehe ohne die Aussetzung das Risiko einer Zufallsentscheidung, zumal alle aussagebereiten Zeugen erklärt hätten, sich nicht an den Verlauf der Arbeitsbesprechung vom 15. November 2006 zu erinnern, in welcher der Kläger zur Implementierung der Manipulationssoftware aufgefordert habe. Die Beklagte meint, bei einer Identität der Lebenssachverhalte, wie sie hier vorliege, sei die Aussetzung regelmäßig geboten. Bei der Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger sich angesichts seiner früheren hohen Vergütung und weil er seit Februar 2020 Alters- und Betriebsrente erhalte, nicht in einer wirtschaftlichen Notlage befinde.
Der Kläger hat beantragt, den Aussetzungsantrag zurückzuweisen, und geltend gemacht, das Gebot der Verfahrensbeschleunigung gelte in jedem arbeitsgerichtlichen Verfahren gleichermaßen. Weil er durch die unberechtigten Vorwürfe diskreditiert und in seinem beruflichen Fortkommen behindert worden sei, habe er ein erhebliches persönliches Interesse an einem zügigen Fortgang des Rechtsstreits. Hinzu komme angesichts der ihm vorenthaltenen Gehalts- und Bonuszahlungen sowie anderer Leistungen ein erhebliches finanzielles Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Entscheidung. Auch sei nicht damit zu rechnen, dass innerhalb eines Jahres Erkenntnisse gewonnen würden, die im vorliegenden Rechtsstreit bedeutsam seien.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt: Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung sei ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Deshalb bestehe regelmäßig keine Rechtfertigung für die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Erledigung eines Strafverfahrens, in dem der Kündigungsvorwurf unter dem Gesichtspunkt des Strafrechts geprüft werde. Zu berücksichtigen seien ferner der allgemeine Beschleunigungsgrundsatz gemäß § 9 Abs. 1 ArbGG und die besonderen Prozessförderungspflichten gemäß §§ 61a, 64 Abs. 8 ArbGG in Kündigungsverfahren. Der Rechtsstreit sei bereits erheblich verzögert worden, Verhandlungstermine mehrfach aufgrund entsprechender Anträge der Parteien verschoben worden. Hinzu komme, dass mit dem Abschluss des Strafverfahrens innerhalb eines Jahres nicht zu rechnen sei. Die Komplexität der Ermittlungen im Zusammenhang mit der sogenannten Dieselaffäre sei insbesondere auch der Beklagten aufgrund ihrer internen Ermittlungen bekannt. Eine Aussetzung des Verfahrens könne im vorliegenden Fall faktisch einer Rechtsschutzverweigerung gleichkommen.
Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 149 ZPO sei die Aussetzung nicht geboten. Die Vorschrift bezwecke, es dem Zivilgericht zu ermöglichen, die Ermittlungen und den Ausgang eines Strafverfahrens abzuwarten, um abweichende Entscheidungen und nicht prozessökonomische Mehrarbeit zu vermeiden. Zwar könne es sein, dass dem Verhalten des Klägers in der Besprechung vom 15. November 2006 sowohl im arbeitsgerichtlichen als auch im Strafverfahren maßgebliche Bedeutung zukomme. Das Ergebnis eines Strafverfahrens sei jedoch nicht ohne Weiteres in einem Zivilprozess verwertbar. Grundsätzlich habe eine Partei Anspruch darauf, dass Zeugen in einem späteren Rechtsstreit erneut vernommen und nicht nur deren frühere Aussagen im Wege des Urkundsbeweises verwertet würden. Der Verweis der Beklagten auf das Aussageverweigerungsrecht möglicher Zeugen rechtfertige ebenfalls nicht die Aussetzung. Zum einen habe ein von der Beklagten benannter, maßgeblicher Zeuge bisher nicht angekündigt, von einem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Zum anderen rechtfertige der mögliche Entfall eines Aussageverweigerungsrechts nicht die Aussetzung gemäß § 149 ZPO.
Gegen den ihr am 31. März 2020 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 14. April 2020 sofortige Beschwerde erhoben.
Die Beschwerde führt aus: Die angefochtene Entscheidung sei ermessensfehlerhaft ergangen. Die von ihr genannten Normen zur besonderen Prozessförderung in Kündigungsverfahren (§§ 61a, 64 Abs. 8 ArbGG) kämen vorliegend nicht zur Anwendung, weil das Arbeitsverhältnis mittlerweile jedenfalls durch den Renteneintritt des Klägers beendet sei. Schon deshalb sei dessen wirtschaftliche Notlage nicht zu besorgen und werde auch nicht geltend gemacht. Angesichts des Strafverfahrens habe der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits keinen Einfluss auf die Reputation des Klägers. Der angegriffene Beschluss lasse nicht erkennen, dass das Arbeitsgericht den weiteren Gegenstand des Rechtsstreits, nämlich Schadensersatzansprüche der Beklagten, in seine Ermessensentscheidung einbezogen hätte. Diese beruhten nicht nur auf einer Vertragsverletzung, sondern auch auf deliktischem Handeln unter dem Gesichtspunkte der Verletzung eines Schutzgesetzes, was wiederum Gegenstand des Strafverfahrens sei. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von einer voraussichtlichen Dauer des Strafverfahrens von über einem Jahr ausgegangen. Die Beklagte habe dies bestritten, und gerichtsbekannte Tatsachen, die diese Prognose stützten, lägen nicht vor. Abgesehen davon spiele diese Jahresfrist erst dann eine Rolle, wenn seit der Aussetzung ein Jahr vergangen sei, nicht jedoch im Rahmen der Aussetzungsentscheidung selbst. Jedenfalls hätte sich das Arbeitsgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob dennoch gewichtige Gründe im Sinne von § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Aussetzung sprächen. Es habe vor und in dem angefochtenen Beschluss seinen Unmut über die Verzögerung des Rechtsstreits geäußert und somit sachfremde Erwägungen in die Entscheidung einfließen lassen. Die Beschwerde meint, vorliegend sei das gerichtliche Ermessen im Sinne einer Aussetzung des Rechtsstreits auf null reduziert, so dass der Beschluss abzuändern sei. Jedenfalls müsse er aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen werden.
Der Kläger verteidigt den Beschluss des Arbeitsgerichts und macht insbesondere geltend: Der Inhalt der Arbeitsbesprechung vom 15. November 2006 stelle nur einen kleinen Teil der angeklagten Vorwürfe dar. Neben dem Kläger seien fünf weitere Personen angeklagt; die Anklageschrift umfasse 875 Seiten. Es seien weit über 100 Zeugen zu vernehmen. Mithin werde das Strafverfahren voraussichtlich deutlich länger als ein weiteres Jahr andauern; bessere Erkenntnismöglichkeiten seien von ihm nicht zu erwarten. Dem Arbeitsgericht seien keine Ermessensfehler unterlaufen. Es habe auch die Widerklage in seine Abwägungen eingestellt, auch wenn dies in den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht ausdrücklich formuliert worden sei. Zu Recht habe das Arbeitsgericht die Vorschrift des § 61a ArbGG in seine Abwägungen eingestellt, denn die Norm schütze zumindest bei außerordentlichen Kündigungen auch das Inter-esse an der Entkräftung der Kündigungsvorwürfe. Beweisnot einer Partei sei kein geeignetes Kriterium im Rahmen der Aussetzungsentscheidung. Die Auffassung, dass eine Aussetzung grundsätzlich zu unterbleiben habe, wenn die Dauer des Strafverfahrens voraussichtlich über einem Jahr liege, sei nahezu einhellig. So liege es hier. In dem Strafverfahren habe das Landgericht die Fristen für die Verteidigung zur Stellungnahme zuletzt bis zum Ende des Jahre 2020 verlängert.
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.
1.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 252 ZPO, 78 Satz 1 ArbGG an sich statthaft. Sie ist gemäß § 569 Abs. 1, 2 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden und damit insgesamt zulässig.
2.
Die sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses.
a)
Das Beschwerdegericht hat uneingeschränkt zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund überhaupt gegeben ist (BGH 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - Rn. 6 mwN). Ist dies der Fall, kann das Beschwerdegericht die Entscheidung über die Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 149 ZPO jedoch nur auf Ermessensfehler hin nachprüfen (LAG Köln 30. August 2012 - 12 Ta 197/12 - Rn. 9 mwN). Im Beschwerdeverfahren geht es nicht wie im Berufungsverfahren um eine Entscheidung in der Hauptsache selbst, die je nach der Berufungsbegründung auch auf eine neue Tatsachengrundlage gestellt werden kann, sondern eher um die richtige Rechtsanwendung durch das Arbeitsgericht. Das zeigt sich an der Abhilfemöglichkeit der ersten Instanz und daran, dass die Beschwerde anders als die Berufung nicht begründet werden muss. Daher hat das Beschwerdegericht nur zu prüfen, ob die der Ermessensentscheidung zugrundeliegenden Tatsachen tatsächlich vorliegen, ob das Arbeitsgericht von den zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, ob es von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und ob es die allgemeinen Grenzen des Ermessens eingehalten hat (Ostrowicz in: Ostrowicz/Künzl/Scholz, Handbuch des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl. 2020, Kapitel 5: Beschwerdeverfahren, Rn. 685). Die ermessensleitenden Erwägungen sind in der Beschlussbegründung offen zu legen (BVerfG 30. Juni 2003 - 1 BVR 2022/02 [Kammerbeschluss] - Rn. 20). Sofern sich die Ermessenserwägungen nicht zweifelsfrei aus den Akten erschließen lassen, hat das Beschwerdegericht den Beschluss aufzuheben (OLG D-Stadt 24. Oktober 1997 - 22 W 59/979 - Rn. 7 mwN; Zöller/Greger, ZPO, 20. Auflage 2020, § 149 Rn. 4). Aufgrund der Begründung des Aussetzungsbeschlusses muss für das Beschwerdegericht nachprüfbar sein, dass das Gericht den Vorteil einer gründlicheren Klärung im Strafprozess aufgrund der konkreten Umstände des Falls gegen den Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess abgewogen hat (BGH 17. November 2009 - VI ZB 58/08 - Rn. 5, 10 mwN).
b)
Die Voraussetzungen für eine Aussetzungsentscheidung gemäß § 149 Abs. 1 ZPO sind vorliegend gegeben. Mit der vom Arbeitsgericht gegebenen Begründung hätte der Aussetzungsantrag nicht zurückgewiesen werden dürfen.
aa)
Die Voraussetzungen für eine Aussetzung gemäß § 149 Abs. 1 ZPO, dh. für eine gerichtliche Ermessensentscheidung, liegen vor. Gegen den Kläger ist Anklage aufgrund eines Sachverhaltes erhoben worden, der zumindest teilweise mit demjenigen deckungsgleich ist, der Klage und Widerklage zugrunde liegt.
(1)
Entgegen dem Wortlaut der Norm ist es nicht von Belang, ob sich der Verdacht einer Straftat erst im Laufe des Rechtsstreits ergibt oder - wie möglicherweise hier - bereits davor bestand (Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, § 149 Rn. 1). Die Norm richtet sich an das Zivilgericht und ermächtigt es, nach eigenständiger Prüfung das Verfahren unter den näher beschriebenen Voraussetzungen auszusetzen. Die Wendung "im Laufe des Rechtsstreits" ist daher im Kontext mit dem Adressaten der Norm so zu verstehen, dass es auf den - naturgemäß erst nach Beginn des Zivilverfahrens - entstehenden Verdacht seitens des mit der Sache befassten Zivilgerichts ankommt.
(2)
Dem entspricht der Normzweck. Er besteht darin, es dem Zivilgericht zu ermöglichen, die Ermittlungen und den Ausgang eines Strafverfahrens abzuwarten, um abweichende Entscheidungen und nicht prozessökonomische Mehrarbeit zu vermeiden; diese Gesichtspunkte greifen unabhängig davon Platz, ob der Verdacht einer Straftat vor oder erst nach Beginn eines Zivilrechtsstreits entsteht (BGH 24. April 2018 - VI ZB 52/16 - Rn. 15 f. mwN).
(3)
Die behauptete Straftat im Sinne von § 149 Abs. 1 ZPO kann zugleich Grundlage des zivilrechtlichen Anspruchs sein; mithin ist der Auffassung, ein Aussetzungsgrund bestehe nicht, wenn es sich in Straf- und Zivilverfahren um denselben Sachverhalt handele (so LAG Berlin 12. Oktober 1981 - 9 Ta 3/81; OLG Celle 12. November 1968 - 7 W 69/89 - NJW 1969, 280; Kloppenburg, in: Düwell/Lipke ArbGG, 5. Auflage 2019, § 55 Rn. 30) nicht zu folgen: Das Gesetz geht davon aus, dass die Ermittlungen im Strafverfahren auf die Entscheidung des Zivilrechtsstreits von Einfluss sein können. Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften der §§ 149, 411a, 581 ZPO bewusst weitere Verzahnungen zwischen den Verfahren geschaffen. Gerade mit dem im Jahre 2006 ergänzten § 411a ZPO sollen Ergebnisse des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens in Form von Sachverständigengutachten im Zivilverfahren verwertet werden können; daher ist bei Sachverhaltsidentität eine Aussetzung nicht unzulässig, sondern regelmäßig geboten (BGH 24. April 2018 - VI ZB 52/16 - Rn. 16 mwN).
bb)
Bei Zugrundelegung des Akteninhalts kann die angegriffene Entscheidung auf Ermessensfehlern beruhen.
(1)
Zwar vermag das Beschwerdegericht anders als die Beklagte dem angegriffenen Beschluss nicht zu entnehmen, dass das Arbeitsgericht sich von sachfremden Erwägungen, insbesondere von einer Verärgerung über eine von einer oder beiden Parteien veranlasste Verzögerung des Rechtsstreits, hätte leiten lassen. Die zu Ziff. II. 2. des Beschlusses verwendeten Formulierungen geben dafür keinen Anlass. Insbesondere bleibt unklar, weshalb die Verwendung der Wörter "offenbar" und "erst" Wertungen oder gar Unmutsäußerungen darstellen sollen. Auch das im gerichtlichen Schreiben vom 2. März 2020 (Bl. 1776 d.A.), also noch vor dem Aussetzungsantrag, zum Ausdruck gebrachte Unverständnis über das prozessuale Verhalten der Parteien im Zusammenhang mit der Terminsanberaumung gibt zu einer anderen Wertung keinen Anlass. Angesichts der äußerst kurzfristigen Mitteilung, der Termin zur Kammerverhandlung mit eventueller Beweisaufnahme möge wegen eines bevorstehenden Vergleichsschlusses aufgehoben werden, dem für das Gericht überraschend das Scheitern des Vergleichs folgte, stellt sich die Reaktion als nachvollziehbar dar. Ein Zusammenhang mit der Ermessensentscheidung ist weder dem Beschluss noch dem weiteren Akteninhalt zu entnehmen. Auch ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass unter den gegebenen Umständen sachfremde Gesichtspunkte in die Ermessensentscheidung eingeflossen sein dürften, existiert nicht.
(2)
Das Arbeitsgericht hätte jedoch nicht die Vorschriften über die besondere Prozessförderung in Kündigungsverfahren (§§ 61a, 64 Abs. 8 ArbGG) in seine Ermessensentscheidung einstellen dürfen.
(a)
Zwar wird die Beschleunigungspflicht nach § 9 Abs. 1 ArbGG durch § 61a ArbGG für Bestandsstreitigkeiten nochmals verschärft (Kloppenburg, in: Düwell/Lipke aaO Rn. 1). Dies liegt darin begründet, dass Streitigkeiten über die berufliche Situation einer Person mit besonderer Schnelligkeit erledigt werden müssen (vgl. EGMR 18. Oktober 2001 - 42505/98 [Mianowicz/Deutschland]; Maul-Sartori in Düwell/Lipke, 5. Auflage 2019, § 64 Rn. 124 mwN). Daraus folgt grundsätzlich, dass ein Arbeitgeber, der - wie vorliegend die Beklagte - sich aus einem Strafverfahren Erkenntnisse für die Begründung eines Schadensersatzanspruchs erhofft, den er im Wege der Widerklage in den Kündigungsschutzprozess eingeführt hat, das Risiko trägt, dass aufgrund der besonderen Prozessförderungspflichten eine Aussetzung nicht erfolgt (LAG Köln 5. Juli 2017 - 7 Ta 71/17 - Rn. 6).
(b)
Die besondere Prozessförderungspflicht des § 61a ArbGG kommt jedoch vorliegend aufgrund einer teleologischen Reduktion nicht zur Anwendung. Zwar bildet unter anderem eine außerordentliche Kündigung den Gegenstand des Rechtsstreits. Hier besteht aber die Besonderheit, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien, falls es durch die streitbefangene außerordentliche Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden sein sollte, inzwischen durch den Renteneintritt des Klägers geendet hätte. Wird nur über den Bestand des Arbeitsverhältnisses in der Vergangenheit gestritten, so besteht kein Anlass zur Annahme einer besonderen Beschleunigungspflicht (Kloppenburg, in: Düwell/Lipke, ArbGG, 5. Auflage 2019, § 61a Rn. 3 mwN). Dies ergibt sich aus dem Normzweck. Wird der Sache nach ausschließlich noch um Geldansprüche gestritten, so tritt der in §§ 9 Abs. 1, 61a Abs. 1 ArbGG niedergelegte Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit des Zuwartens in Bestandsstreitigkeiten zurück (BVerfG 30. Juni 2003 - 1 BVR 2022/02 [Kammerbeschluss] - Rn. 20). So liegt es hier.
Dass der Kläger anführt, er verfolge mit seinem Feststellungsantrag zugleich die Wiederherstellung seiner Reputation, eröffnet gleichfalls nicht die Anwendung der Vorschrift des § 61a Abs. 1 ArbGG. Hauptziel der Norm ist es, eine längere Unsicherheit über die berufliche Lebensgrundlage des Arbeitnehmers zu vermeiden. Streitigkeiten um die Wirksamkeit einer Kündigung dienen nicht in erster Linie zur Beantwortung der Frage, ob sich der Arbeitnehmer zu Recht strafrechtlichen oder moralischen Vorwürfen ausgesetzt sieht. Dies folgt bereits daraus, dass sich die Unwirksamkeit einer Kündigung stets auch aus Gründen ergeben kann, die mit der Berechtigung des Kündigungsvorwurfs nicht im Zusammenhang stehen, zum Beispiel aus der Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB, fehlender Beachtung der Schriftform gemäß § 623 BGB oder aus Fehlern bei der Anhörung des Betriebsrats bzw. des Sprecherausschusses. Ob die strafrechtlichen Vorwürfe zutreffen, ist wiederum im Rahmen des gegen den Kläger anhängigen Strafverfahrens zu klären. Zu Recht weist die Beklagte dar-auf hin, dass vor dem Hintergrund jenes Strafverfahrens allein ein Obsiegen des Klägers im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht geeignet wäre, die von ihm (pauschal) vorgetragene Schädigung seines Rufes rückgängig zu machen.
(3)
Zu Recht weist die Beschwerde darauf hin, dass dem angegriffenen Beschluss nicht zu entnehmen ist, ob und inwieweit es in seine Ermessensentscheidung eingestellt hat, dass vorliegend nicht nur der Kläger, sondern widerklagend auch die Beklagte Ansprüche verfolgt. Da, wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat, bei der Ermessensentscheidung über die Aussetzung die Verzögerung gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abzuwägen ist, müssen auch die jeweiligen Interessen der Parteien erkennbar in die Abwägung einfließen.
(4)
Der angegriffene Beschluss lässt des Weiteren nicht erkennen, weshalb das Arbeitsgericht bei Aussetzung mit einer Verzögerung des Rechtsstreits um mehr als ein Jahr gerechnet hat. Zwar hat die Aussetzung in der Regel, wenn auch nicht zwingend, zu unterbleiben, wenn dies der Fall ist (Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2019, § 149 Rn. 2 mwN). Der angegriffene Beschluss lässt jedoch nicht hinreichend erkennen, woran es die entsprechende Prognose festmacht. Soweit er "auf die von der Klägerseite mitgeteilten Tatsachen hinsichtlich der Anzahl der betroffenen, Fristsetzungen etc." abhebt, erläutert er nicht, warum das Bestreiten der Beklagten unbeachtlich sein soll. Diese ist an dem Strafverfahren nicht beteiligt und kann daher wohl keine näheren Erkenntnisse liefern. Allein der Umstand, dass ihre eigenen internen Ermittlungen lange Zeit in Anspruch nahmen, dürfte sie gleichfalls nicht zu der Prognose befähigen, wie lange das Strafverfahren dauern werde. Zu den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft hat sie unstreitig keinen Zugang mehr.
Soweit das Arbeitsgericht ausführt, die beantragte Aussetzung könne im vorliegenden Fall faktisch einer Rechtsschutzverweigerung gleichkommen, hätte dies einer näheren Begründung bedurft, um das ausgeübte Ermessen überprüfen zu können. Sollte sich der Satz auf die vorangegangenen Ausführungen zur voraussichtlichen Dauer des Strafverfahrens beziehen, ist darauf zu verweisen, dass die entsprechende Prognose mit der gegebenen Begründung nicht hinreichend tragfähig ist. Soweit das Arbeitsgericht auf eine hierzu zu vergleichende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz verweist, ist zu bemerken, dass der dort zugrundeliegende Sachverhalt sich in mehreren Punkten erheblich unterscheidet: Der dortige Rechtsstreit war im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung schon mehr als zwei Jahre lang ausgesetzt, und das Arbeitsverhältnis war nicht bereits durch einen anderen Tatbestand als die streitbefangene Kündigung beendet worden.
(5)
Schließlich ist dem angegriffenen Beschluss auch nicht zu entnehmen, ob und aufgrund welcher Tatsachen bei Annahme einer voraussichtlichen Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr die Aussetzung zu versagen ist. Auch wenn an das Vorliegen gewichtiger Gründe im Sinne von § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Hinblick auf das Interesse der antragstellenden Partei an einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits strenge Anforderungen zu stellen sind (BVerfG 30. Juni 2003 - 1 BVR 2020/02 - Rn. 22), können sie im Einzelfall vorliegen; anderenfalls bliebe die Norm ohne Regelungsgehalt. Die Beklagte hat sich hilfsweise zu ihrem Bestreiten der voraussichtlichen Verfahrensdauer auf solche gewichtigen Gründe berufen. Versteht man § 149 Abs. 2 ZPO in dem Sinne, dass bei einer voraussichtlichen Dauer von mehr als einem Jahr die Aussetzung grundsätzlich zu unterbleiben hat, so muss ebenfalls geprüft werden, ob der Ausnahmetatbestand gemäß § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO gegeben ist. Insoweit handelt es sich nicht um eine Ermessens-, sondern um eine an das Vorliegen solcher gewichtigen Gründe gebundene Entscheidung des Gerichts (BVerfG 30. Juni 2003 - 1 BVR 2020/02 - Rn. 22).
III.
Eine Kostenentscheidung erfolgt nicht, weil die Kosten des Beschwerdeverfahrens einen Teil der Kosten des Rechtsstreits bilden, die unabhängig von dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (LAG Köln 12. April 2019 - 9 Ta 41/19 - Rn. 15; LAG D-Stadt 20. Dezember 2017 - 4 Ta 439/17 - Rn. 22; BGH 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - Rn. 12 mwN).
IV.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen, §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.