15.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220513
Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 22.01.2021 – 8 Ta 587/20
Die Annahme eines Titulierungsinteresses für die in einen Beendigungsvergleich integrierte Zeugnisvereinbarung setzt voraus, dass die Durchsetzbarkeit des titulierten Anspruchs aufgrund konkreter Umstände des Einzelfalles gleichwohl ungewiss ist. Fehlt es daran, kann eine entsprechende Festsetzung des Arbeitsgerichts im Beschwerdeverfahren gem. § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG auch zum Nachteil des beschwerdeführenden Rechtsanwalts von Amts wegen nach unten abgeändert werden.
Tenor:
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 22. Oktober 2020 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 19. Oktober 2020 - 2 Ca 682/20 - wird zurückgewiesen. Unter Abänderung der arbeitsgerichtlichen Festsetzung wird von Amts wegen zugleich der Vergleichswert auf ebenfalls 11.332,05 € festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Festsetzung des Gebührenstreitwerts für ein durch Prozessvergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO erledigtes Kündigungsschutzverfahren.
I.
Der durch den Beschwerdeführer anwaltlich vertretene Kläger war seit dem 1. Juli 2006 bei der Beklagten, die der Möbelindustrie zuliefert und ca. 40 Beschäftigte hat, als Konfektionierer und Staplerfahrer gegen ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von durchschnittlich 3.777,35 € beschäftigt.
Mit Schreiben vom 31. August 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Januar 2021. Mit am 10. September 2020 beim Arbeitsgericht Detmold anhängig gemachter Klage wandte sich der Kläger gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und ließ zu diesem Zwecke einen Kündigungsschutzantrag nach § 4 S. 1 KSchG ankündigen. Auf Anregung der Klägerseite machte sich das Arbeitsgericht einen zwischen den Parteien vorabgestimmten Vergleichstext zu eigen und unterbreitete diesen vor dem Gütetermin nach § 278 Abs. 6 ZPO im Wege des gerichtlichen Vorschlags. Nach Eingang entsprechender Annahmeerklärungen stellte das Arbeitsgericht dem Beschluss vom 7. Oktober 2020 (Bl. 18/19 d. A.), auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, das Zustandekommen und den Inhalt eines verfahrensbeendenden Prozessvergleichs fest. Unter Ziffern 1 und 2 des Vergleichs ist bestimmt, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund betriebsbedingter Kündigung gegen Zahlung einer namhaften Abfindung mit dem 31. Januar 2021 enden wird. Ziffer 4 sieht die unwiderrufliche Freistellung bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Nach Ziffer 5 hat die Beklagte ein wohlwollendes Endzeugnis mit mindestens guter Leistungs- und Führungsbeurteilung und einer vollständigen Schlussformel zu erteilen. Daneben kann der Kläger ein entsprechendes Zwischenzeugnis verlangen.
Mit Beschluss vom 19. Oktober 2020 setzte das Arbeitsgericht auf Antrag des Beschwerdeführens den Verfahrens- und Vergleichswert fest. Danach geht das Arbeitsgericht bei einem Verfahrenswert in Höhe von 11.332,05 € (Vierteljahresverdienst gem. § 42 Abs. 2 S. 1 GKG) von einem Vergleichsmehrwert in Höhe von 755,47 € (20% eines Monatseinkommens) aus, welchen es mit dem Interesse des Klägers an der Titulierung des Zeugnisanspruchs begründet.
Gegen diese Festsetzung wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem aus eigenem Recht aufgerufenen Behelf vom 22. Oktober 2020, bei Gericht eingegangen am 26. Oktober 2020. Er vertritt die Auffassung, dass wegen der Zeugnisregelung ein Vergleichsmehrwert in Höhe eines vollen Monatseinkommens begründet sei, was sich mit Blick auf I. Nr. 29.2 des Streitwertkataloges für die Arbeitsgerichtsbarkeit ergebe. Denn die Zeugnisziffer begründe einen originären Anspruch, der so nicht erfolgreich einklagbar gewesen sei, was zudem künftigen Streit insoweit ausschließe.
Mit Hinweis vom 11./12. November 2020 hat die Beschwerdekammer darauf aufmerksam gemacht, dass vorliegend kein gesonderter Streit bzw. keine Rechtsunsicherheit bzgl. der Zeugnisansprüche erkennbar war und ist, wovon das Arbeitsgericht zu Recht ausgegangen sei. Angesichts fehlender Anhaltspunkte könne insoweit auch nicht von einem relevanten Titulierungsinteresse ausgegangen werden. Deshalb sei mit einer Herabsetzung des Vergleichswerts auf die Höhe des Verfahrenswerts zu rechnen. An seiner abweichenden Auffassung festhaltend macht der Beschwerdeführer nunmehr ergänzend geltend, dass zudem auch die Freistellungsziffer einen Vergleichsmehrwert begründe.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstands und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
II.
Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG iVm. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG an sich statthafte und im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Sie führt - wie angekündigt - nach § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu einer Herabsetzung des Vergleichswerts durch die befasste Beschwerdekammer.
1. Das Arbeitsgericht hat den Verfahrenswert in Anwendung des § 42 Abs. 2 S. 1, HS 1 GKG zutreffend nach dem Vierteljahresverdienst des Klägers aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis bemessen und auf 11.332,05 € festgesetzt.
2. Ein Vergleichsmehrwert ist - entgegen der Auffassung der Beschwerde - hier unter keinem Gesichtspunkt begründet.
a. Die Beschwerdekammer orientiert sich bei der Überprüfung von Streitwertbeschlüssen im Interesse einer einheitlichen, transparenten, vorhersehbaren und in sich konsistenten Handhabung in ständiger Spruchpraxis an den sie gleichwohl nicht bindenden Vorschlägen des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Dieser liegt aktuell in der Fassung vom 9. Februar 2018 (u. a. NZA 2018, S. 495 ff) vor. Ein Vergleichsmehrwert entsteht nach I. Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs nur dann, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder ein über die Streitgegenstände des Verfahrens hinausgehender außergerichtlicher Streit erledigt bzw. eine Ungewissheit über ein konkretes nicht bereits streitgegenständliches Rechtsverhältnis bzw. eine die Parteien betreffende Streitfrage beseitigt wird. Der Wert des Vergleiches erhöht sich hingegen nicht um den Wert dessen, was eine Partei oder die Parteien durch den Vergleich erlangen oder wozu sie sich dort verpflichten (vgl. schon I. Nr. 22.1 des Streitwertkatalogs i. d. F. vom 5. April 2016). Dabei muss gerade über die Frage des Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweils im Vergleich getroffene Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben. Durch die Bestimmung von Leistungen oder Gegenleistungen, die zur Beilegung des Rechtsstreits vereinbart oder gewährt werden, wird hingegen kein Vergleichsmehrwert begründet. Diese Überlegungen des Streitwertkatalogs korrespondieren mit den gesetzlichen Anforderungen des Gebührentatbestands nach Nr. 1000 VV-RVG Anm. Abs. 1. Denn dort wird ebenfalls die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages verlangt, der den Streit oder die Ungewissheit über ein (weiteres) Rechtsverhältnis beseitigt, soweit sich der Vertrag nicht lediglich auf ein Anerkenntnis beschränkt.
b. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend kein Vergleichsmehrwert entstanden.
aa. Hinsichtlich der Zeugnisregelung an sich kann zunächst auf die insoweit zutreffenden Überlegungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen werden, denen sich die Beschwerdekammer anschließt.
Die Beschwerdebegründung lässt insoweit nochmals deutlich erkennen, dass der Zeugnisanspruch gerade als Teilleistung der Beklagten zur Beilegung der Bestandsstreitigkeit verhandelt und vereinbart worden ist, nicht aber einen bereits streitigen oder von konkreter Rechtsunsicherheit betroffenen gesonderten Anspruch bzw. Gegenstand betraf. Denn dort wird ebenso ausdrücklich wie abstrakt damit argumentiert, dass dem Kläger mit der Zeugnisregelung etwas zufließt, was er so nicht habe beanspruchen können, was die Zweckbestimmung der Leistung - nämlich neben der Abfindungszahlung den Arbeitsplatzverlust und die daraus folgenden Nachteile weitergehend auszugleichen - unterstreicht.
Soweit ergänzend darauf abgestellt wird, die Zeugnisregelung habe zugleich "zukünftig möglichen Streit" insoweit vermieden, trifft sie genau den Punkt, der vorliegend dem Ansatz eines Vergleichsmehrwerts entgegensteht. Denn danach wird gerade deutlich, dass der Zeugnisanspruch - neben der streitigen Bestandsfrage - zwischen den Parteien eben nicht bereits gesondert im Streit stand, sondern vielmehr nur insoweit mit Rechtsunsicherheit behaftet war, wie dies für jeden noch nicht erfüllten, von der Gegenseite einseitig gestaltend auszufüllenden Anspruch ganz allgemein angenommen werden kann.
Die von der Beschwerde zitierte Ziffer des Streitwertkatalogs (I. Nr. 29.2) betrifft allein die Zeugnisklage, nicht aber die Frage des Vergleichsmehrwerts einer Zeugnisregelung im Beendigungsvergleich (siehe hierzu jedoch: I. Nr. 25.1 u. 25.1.3). Den genau dazu gegebenen Vorschlägen und Hinweisen des Streitwertkatalogs entspricht allein die oben bereits dargestellte und hier zur Anwendung gebrachte Linie der Beschwerdekammer.
bb. Hinsichtlich der Zeugnisregelung zu Ziffer 5 des Vergleichs kann auch nicht von einem gesondert zu bewertenden Titulierungsinteresse des Klägers ausgegangen werden, was mit Rücksicht auf die entsprechende ständige Spruchpraxis der Beschwerdekammer zur Herabsetzung des Vergleichswerts auf der Grundlage des § 68 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG führt.
Die Annahme und wertmäßige Berücksichtigung eines besonderen Titulierungsinteresses setzt voraus, dass als solche zwar unstreitige Ansprüche bzw. einvernehmlich titulierte Leistungspflichten in ihrer Durchsetzbarkeit gleichwohl ungewiss sind (I. Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs vom 9. Februar 2018). Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesetzlich verbundenen, dem Grunde nach akzeptierten und im Vergleichswege zudem in Kernpunkten inhaltlich klar ausgestalteten und titulierten Zeugnisanspruch gleichwohl nicht erfüllen will oder kann bzw. insoweit auch nur ein relevantes Risiko begründet ist, sind vorliegend schon im Ansatz nicht erkennbar. Dagegen spricht insbesondere die dem Wortlaut nach bereits präzise ausgestaltete, so gar nicht klagbare Schlussformel. Denn die ohne rechtliche Verpflichtung gleichwohl entsprechend eingegangene Bindung verdeutlicht, dass der Beklagten als Schuldnerin des Anspruchs primär an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gelegen und sie bezüglich der dazu eingegangen Verpflichtung zur Gestaltung und Erteilung des Zeugnisses an keinerlei weitergehender Auseinandersetzung interessiert ist.
cc. Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts für eine in den Beendigungsvergleich integrierte Freistellungsvereinbarung setzt nach den oben dargestellten Grundsätzen voraus, dass die Frage der Beschäftigungspflicht in der laufenden Kündigungsfrist und deren Einhaltung bzw. ein Anspruch auf Freistellung oder die einseitige Berechtigung dazu zwischen den Parteien im Streit stand, mindestens aber von konkret begründeter Rechtsunsicherheit gekennzeichnet war (vgl. I. Nr. 25.1.4 des Streitwertkatalogs). Ist die Freistellungsvereinbarung hingegen - wie hier - Teil der für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgesehenen Leistungen, wird darüber kein Vergleichsmehrwert begründet. Den Leistungscharakter der hier gefundenen Freistellungsvereinbarung unterstreicht Ziffer 3 des Vergleichs. Denn danach ist für den Fall vorzeitiger Beendigung und damit nicht in Anspruch genommener bezahlter Freistellung die dem Kläger zufließende Abfindungsleistung äquivalent zu erhöhen.
3. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 3 GKG.