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  • 06.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243074

    Landesarbeitsgericht Sachsen: Urteil vom 30.05.2024 – 4 Sa 17/23

    1. Ein Urlaubsanspruch ist nicht bereits durch die im Rahmen eines Kündigungsschreibens erfolgte arbeitgeberseitige Freistellung von der Arbeitspflicht erfüllt.

    2. Die Erfüllung des Urlaubsanspruchs ist nur möglich, wenn überhaupt eine Arbeitspflicht im fraglichen Zeitraum besteht ( BAG Urteil v. 18.03.2014 - 9 AZR 669/12 - und - 9 AZR 877/13- jeweils Rn. 16). Die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs hängt daher auch von der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers ab ( BAG Urteil v. 18.03.2014 - 9 AZR 877/13 - Rn. 16). Wer arbeitsunfähig erkrankt ist, kann durch Urlaubserteilung von seiner Arbeitspflicht nicht mehr befreit werden.

    3. Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitsgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen ( BAG Urteil v. 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - Rn. 12).

    4. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben ( BAG Urteil v. 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - Rn. 14). Der behauptete Besuch einer Feierlichkeit bzw. des innerstädtischen Einkaufsvierteils allein reicht für eine solche Beweisführung - trotz der vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze zur Erleichterung der Beweisführung - nicht aus.


    In dem Rechtsstreit
    ...
    ...
    - Berufungsbeklagte / Klägerin -
    Prozessbevollm.:... RA-GmbH
    ...
    gegen
    ...gesellschaft mbH
    v.d.d. Geschäftsführer ...
    - Berufungsklägerin / Beklagte -
    Prozessbevollm.:... Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
    ...
    hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 4 - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Herr ... auf die mündliche Verhandlung vom 07.03.2024
    fürRechterkannt:

    Tenor: 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 21.10.2022 - 12 Ca 205/22- wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten im Berufungsverfahren über einen Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin.

    Die Klägerin war auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 20.12.2018 ab dem 16.01.2019 bei der Beklagten als Datenerfasserin zu einem monatlichen Bruttogehalt von 1.700,00 € und einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich beschäftigt.

    Nach § 7 Nr. 1 des Arbeitsvertrages erhielt die Klägerin einen jährlichen Erholungsurlaub von 25 Arbeitstagen. Mit Schreiben vom 30.06.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.07.2021. § 11 des Arbeitsvertrages enthielt folgende Regelung: "

    § 11 Verfallfristen 1. Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung ergeben, sind von den Vertragsschließenden binnen einer Frist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit geltend zu machen. 2. Der Fristlauf beginnt, sobald der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsberechtigte von den, den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, 3. Ansprüche, die durch strafbare oder unerlaubte Handlungen entstanden sind, unterfallen nicht der vereinbarten Ausschlussfrist...."

    Mit Schreiben vom 27.10.2021 und 10.11.2021 mahnte die Klägerin die noch ausstehende Zahlung der Urlaubsabgeltung für 16 Urlaubstage in Höhe von 516,92 € unter Fristsetzung an. Eine Zahlung durch die Beklagte erfolgte nicht.

    Die Klägerin hat am 27.01.2022 Klage zum Arbeitsgericht Leipzig erhoben und unter anderem die Abgeltung von 16 Resturlaubstagen in Höhe von 1.403,08 € brutto eingeklagt. Sie habe im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses über einen Urlaubsanspruch von 25 Arbeitstagen pro Kalenderjahr verfügt, von denen sie im Jahr 2021 lediglich 9 Urlaubstage in Anspruch genommen habe. Unter Zugrundelegung eines Stundenlohnes von 10,96 € brutto und 16 Resturlaubstagen ergebe sich der bezifferte Betrag in Höhe von 1.403,08 € brutto. Zutreffend habe die Beklagte vorgetragen, dass die Klägerin, ausweislich der Bescheinigungen über ihre Arbeitsunfähigkeit vom 21.06.2021 bis 02.07.2021 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Richtig sei auch, dass weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis einschließlich 15.08.2021 erstellt worden seien. Die von der Beklagten angeführten Umstände führten jedoch nicht dazu, die Glaubwürdigkeit der ärztlichen Atteste zu erschüttern. Die Klägerin habe sich bei Frau Dr. ... aufgrund einer psychogenen Erschöpfung in ärztlicher Behandlung befunden. Es sei ihrem Genesungsprozess nicht abträglich gewesen, eine Freundin an ihrem Geburtstag aufzusuchen. Sie habe sich gegen 20:00 Uhr wieder nach Hause begeben. Zudem sei nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte belegen wolle, dass die Klägerin "fröhlich bummelnd" durch die Leipziger Innenstadt gelaufen sei.

    Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.403,08 brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.8.2021 zu zahlen. 2. Die Beklagte wird verurteilt, den in Ziffer 1.) benannten Betrag ordnungsgemäß abzurechnen und der Klägerin die Abrechnung zu übersenden. 3. Die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO zu sämtlichen personenbezogenen Daten zu erteilen, die über die Klägerin verarbeitet wurden und werden. 4. Der Klägerin ein qualifiziertes wohlwollendes Arbeitszeugnis auszustellen, welches ihrem beruflichen Fortkommen dienlich ist und eine Leistungsbewertung mit der Note "gut" enthält.

    Die Beklagte hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Klägerin stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Zusammen mit der Kündigung sei die Klägerin mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung von etwaigen Urlaubstagen freigestellt worden. Die Klägerin sei zunächst aufgrund einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 21.06.2021 bis 02.07.2021 krankgeschrieben worden. Es seien drei weitere Krankschreibungen bis zum 15.08.2021 erfolgt. Somit sei die Klägerin passgenau bis zum Beginn ihrer Beschäftigung beim neuen Arbeitgeber am 16.08.2021 krankgeschrieben gewesen. Darüber hinaus gebe es weitere Anzeichen, dass die Klägerin im besagten Zeitraum tatsächlich nicht erkrankt sei. Zum einen sei sie laut einem Facebook-Eintrag vom 17.07.2021 eine von mehreren Gästen auf einer bis spät in die Nacht andauernden Party der Zeugin ... am Vorabend gewesen. Zum anderen sei sie mehrfach fröhlich bummelnd beim Shopping in der Leipziger Innenstadt gesehen worden. Selbst wenn man davon ausgehe, dass ein Urlaubsabgeltungsanspruch bestünde, sei dieser abzuweisen, da in § 11 des Arbeitsvertrages vereinbart worden sei, dass alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung ergeben würden, binnen einer Frist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit geltend zu machen seien. Eine solche Geltendmachung sei erst mit Schriftsatz vom 10.11.2021 erfolgt und somit verspätet. Außerdem sei zunächst nur ein Anspruch von 516,92 € geltend gemacht worden.

    Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.10.2022 die Beklagte unter anderem verurteilt, an die Klägerin eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.403,08 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2021 zu zahlen. Unstreitig habe die Klägerin einen Urlaubsanspruch von 25 Tagen, von denen sie im Jahr 2021 lediglich 9 Tage genommen habe, so dass grundsätzlich noch 16 Urlaubstage verblieben. Dieser Anspruch sei trotz Freistellung von der Arbeitsleistung nicht erfüllt worden, denn die Klägerin sei vom 21.06.2021 bis einschließlich 15.08.2021 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Die Klägerin sei wegen einer psychischen Erschöpfung krankgeschrieben gewesen. Der Umstand, dass die Klägerin während der Krankschreibung in der Leipziger Innenstadt gesehen worden sei, könne daher den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht erschüttern. Dies sei einer Heilung sogar zuträglich. Gleiches gelte für den Besuch der angeblichen Gartenparty.

    Gegen das am 30.12.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.01.2023 Berufung zum Sächsischen Landesarbeitsgericht eingelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlege, aus denen sich Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben würden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen habe. Aufgrund dessen habe das Bundesarbeitsgericht erkannt, dass dem Arbeitgeber hinsichtlich der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen seien. Der Hinweis auf die Teilnahme an einer Geburtstagsfeier und den Besuch der Leipziger Innenstadt sei vorliegend ausreichend, um die Beweiskraft der ärztlichen Atteste zu erschüttern.

    Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des Arbeitsgerichtes Leipzig abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Klägerin hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei vorliegend nicht einschlägig. Die Klägerin habe gerade keine "passgenaue" Krankschreibung bis zum Ende der Beschäftigung eingereicht. Nicht richtig sei der Einwand, die Klägerin habe sich nur die Urlaubsabgeltung sichern und die Arbeitslosmeldung sparen wollen. Falsch sei auch, wonach die Aussage von Frau Dr. ... nicht hätte beweisen können, dass eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin auch tatsächlich vorgelegen habe. Auch habe das erstinstanzliche Gericht mehrfach darauf hingewiesen, dass es den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als nicht erschüttert ansehe. Die Klägerin habe konkret zu den Hintergründen der Arbeitsunfähigkeit vorgetragen und zu den von der Beklagten vorgehaltenen Situationen unter Beweisantritt ausgeführt. Das erstinstanzliche Gericht habe hierauf richtig und nachvollziehbar die pauschalen und plakativen Ausführungen der Beklagten in der gebotenen Weise gewürdigt.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen erster und zweiter Instanz verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    A.

    Die Berufung der Beklagten ist gem. § 64 Abs. 1 und 2 lit. b ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm § 520 Abs. 3 ZPO).

    B.

    Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht mit seinem Urteil vom 21.10.2022 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.403,08 € brutto zu zahlen. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der der Klägerin zustehende Urlaubsanspruch in Höhe von 16 Urlaubstagen nicht durch die mit der Kündigung vom 30.06.2021 erklärte Freistellung unter Anrechnung der restlichen Urlaubsansprüche erfüllt. Denn die Klägerin war in dem gesamten Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.07.2021 arbeitsunfähig erkrankt. Dies folgt aus dem ärztlichen Attest vom 21.06.2021 sowie den Folgebescheinigungen. Der Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist nicht durch den Vortrag der Beklagten zu den außerhäuslichen Aktivitäten der Klägerin während ihrer Krankschreibung in diesem Zeitraum erschüttert, mit der Folge, dass im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Beweislastumkehr eintritt. Die Klägerin hat auch Anspruch auf Urlaubsabgeltung in der begehrten Höhe. Es sind 16 Urlaubstage zu einem Gesamtanspruch von 1.403,08 € abzugelten. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin auf Grundlage einer fehlerhaften Berechnung mit Schreiben vom 27.10.2021 zunächst nur einen Betrag in Höhe von 516,92 € geltend gemacht hat.

    I.

    Die Klägerin hat gem. § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Urlaubsabgeltung.

    1.

    Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er gem. § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.

    Der noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers wandelt sich von Gesetzes wegen in den Abgeltungsanspruch um, ohne dass weitere Handlungen des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers erforderlich sind (BAG, Urteil v. 20.01.1998 - 9 AZR 812/96 - Rn. 17). Der nicht verfallene Urlaub ist als reiner Geldanspruch mit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis unabhängig von einer Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers abzugelten. Er unterliegt nicht dem Fristenregime des Bundesurlaubsgesetzes (ErfK/Gallner, 24. Auflage 2024, BurlG § 7 Rn. 78, 79).

    2.

    Der Abgeltungsanspruch ist vorliegend mangels entgegenstehender arbeitsvertraglicher Regelung nicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub beschränkt, sondern umfasst den gesamten Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers, der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht erfüllt ist. Der Klägerin standen - was zwischen den Parteien unstreitig ist - im Kalenderjahr jeweils 25 Urlaubstage zur Verfügung. Davon hat die Klägerin 9 Urlaubstage im Jahr 2021 in Anspruch genommen, so dass noch 16 Urlaubstage verbleiben.

    3.

    Zutreffend hat das Arbeitsgericht weiter festgestellt, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch von 16 Tagen nicht bereits durch die Beklagte erfüllt worden ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Urlaubsanspruch nicht durch die mit der in der Kündigung vom 30.06.2021 erfolgte Freistellung der Klägerin von der Arbeitsleistung erfüllt.

    a.)

    Zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bedarf es einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers (BAG, Urteil v. 10.02.2015 - 9 AZR 455/13 - Rn. 19; Urteil v. 19.05.2009 - 9 AZR 433/08 - Rn. 16; Urteil v. 20.01.2009 - 9 AZR 650/07- Rn. 24.). Diese ist nur geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass der Arbeitgeber ihm zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholung von der Arbeitspflicht freistellen will (BAG, Urteil v. 10.02.2015 - 9 AZR 455/13 - Rn. 19; Urteil v. 20.01.2009 - 9 AZR 650/07- Rn. 24). Andernfalls ist nicht feststellbar, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs eine Erfüllungshandlung im Sinne von § 362 Abs. 1 BGB bewirken will (BAG Urteil v. 10.02.2015 - 9 AZR 455/13 - Rn. 11). Notwendig ist dabei stets die endgültige Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht (BAG Urteil v. 19.05.2009 - 9 AZR 433/08 - Rn. 17).

    b.)

    Die Erfüllung des Urlaubsanspruchs ist allerdings nur möglich, wenn überhaupt eine Arbeitspflicht im fraglichen Zeitraum besteht (BAG Urteil v. 18.03.2014 - 9 AZR 669/12 - und - 9 AZR 877/13- jeweils Rn. 16). Die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs hängt daher von der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers ab (BAG Urteil v. 18.03.2014 - 9 AZR 877/13 - Rn. 16). Wer arbeitsunfähig erkrankt ist, kann durch Urlaubserteilung von seiner Arbeitspflicht nicht mehr befreit werden. Eine Freistellungserklärung des Arbeitgebers kann nach § 362 Abs. 1 BGB das Erlöschen des Urlaubsanspruchs somit nur bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bestanden hat. Kann der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeit nicht mehr erbringen, wird ihm die Arbeitsleistung nachträglich unmöglich. Er wird nach § 275 Abs. 1 BGB von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei (BAG Urteil v. 18.03.2024 - 9 AZR 877/13- Rn. 16).

    4.

    Ausgehend von diesen Grundsätzen konnte die Beklagte mit der Kündigung vom 30.06.2021 die Klägerin nicht von der Arbeitsleistung mit erfüllender Wirkung freistellen, denn die Klägerin war ausweislich des ärztlichen Attestes vom 21.06.2021 bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 30.07.2021 und darüber hinaus bis einschließlich 15.08.2021 arbeitsunfähig erkrankt. Die Freistellungserklärung der Beklagten ging damit ins Leere.

    Entgegen der Ansicht der Beklagten, tritt die Erfüllungswirkung auch nicht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein (BAG, Urteil v. 08.09.2021 - 5 AZR 149/21- Rn. 12). Der Nachweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im Zeitraum der Kündigungsfrist ist durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 21.06.2021 erfolgt und insbesondere nicht durch die dargestellten privaten Aktivitäten der Klägerin während ihrer Arbeitsunfähigkeit (Besuch einer "Gartenparty" am 16.07.2021; "fröhliches Bummeln" in der Leipziger Innenstadt) erschüttert.

    a.)

    Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigstes Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitsgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen (BAG Urteil v. 08.09.2021 - 5 AZR 149/21- Rn. 12). Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann unter normalen Umständen den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21-Rn. 12).

    b.)

    Aufgrund des hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt ein "bloßes Bestreiten" der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Insbesondere ist der Arbeitgeber nicht auf die in § 275 Abs. 1 a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 13). Denn den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben (BAG Urteil v. 08.09.2021 - 5 AZR 149/21- Rn. 13). Dabei ist nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. Daher hat das Bundesarbeitsgericht erkannt, dass dem Arbeitgeber, der sich eine Fortsetzungserkrankung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG beruft, hinsichtlich der ihn insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen sind (BAG Urteil v. 08.09.2021 - 5 AZR 149/21- Rn. 14). Danach dürfen an den Vortrag des Arbeitgebers, der den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern will, keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Der Arbeitgeber muss nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die den Beweis des Gegenteils zugänglich sind (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 14).

    c.)

    Vorliegend kann es dahinstehen, ob die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu einer Fortsetzungserkrankung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG auch auf den vorliegenden Sachverhalt einer Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers trotz Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und damit einhergehender wirksamen Freistellung von der Arbeit heranzuziehen ist. Denn die vom Beklagten behaupteten Umstände sind nicht geeignet, den Beweiswert der von Frau Dr. ... am 21.06.2021 erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Der Vortrag der Beklagten, dass die Klägerin "fröhlich bummelnd" während ihrer Arbeitsunfähigkeit in der Leipziger Innenstadt gesehen wurde, widerlegt eine Erkrankung der Klägerin im streitigen Zeitraum ebenso wenig, wie der behauptete Besuch der Klägerin einer "Gartenparty". Unabhängig davon, dass diese pauschalen und unsubstantiierten Behauptungen der Beklagten von Haus aus nicht geeignet sind, den Beweiswert eines ärztlichen Attestes zu erschüttern, hat sich die Klägerin näher zu den Umständen ihrer Krankschreibung eingelassen, welche nach Ansicht der Kammer keinen Zweifel an ihrer Erkrankung in der Zeit vom 21.06.2021 begründen können.

    So hat die Klägerin vorgetragen, dass sie sich seit längerer Zeit bei Frau Dr. ... in Behandlung befunden hat. Sie hat nach ihrer Darstellung an einer psychogenen Erschöpfung gelitten, die durch einen hohen Belastungsdruck ausgelöst und auch vertieft worden ist. Im Rahmen eines solchen Erkrankungsbildes ist das Aufsuchen von Freunden und Bekannten, auch im Rahmen einer Feierlichkeit nicht geeignet, um Zweifel am tatsächlichen Vorliegen der Erkrankung zu begründen. Dasselbe gilt für die Erledigung von Besorgungen in der Leipziger Innenstadt. Ergänzend hat die Klägerin vorgetragen, dass sie sich am Tag der behaupteten Gartenparty bereits gegen 20:00 Uhr wieder nach Hause begeben hat. An ein "fröhliches Bummeln" in der Leipziger Innenstadt konnte sich die Klägerin dagegen nicht erinnern. Hier ist die Beklagten einen weiteren Sachvortrag schuldig geblieben.

    II.

    Zu Recht führt das Arbeitsgericht weiter aus, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin nicht verfallen ist, da sie ihren Anspruch innerhalb der Ausschlussfrist mit Schreiben vom 27.10.2021, zugestellt am 28.10.2021, geltend gemacht hat (Bl. 48, 50 d.A. I. Instanz).

    1.

    Für die Geltendmachung eines Anspruchs ist es erforderlich, aber auch ausreichend, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern. Dies braucht nicht wörtlich zu erfolgen, muss jedoch hinreichend klar geschehen. Der Anspruchsinhaber muss zum Ausdruck bringen, dass er Gläubiger einer bestimmten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht (BAG, Urteil v. 18.02.2016 - 6 AZR 628/14 - Rn. 20). Der Anspruchsgegner muss, ausgehend von seinem Empfängerhorizont, erkennen können, um welche Forderung es sich handelt. Das setzt voraus, dass der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet und die Höhe des Anspruchs sowie der Zeitraum, für den er verfolgt wird, mit der für den Anspruchsgegner notwendigen Deutlichkeit ersichtlich gemacht wird (BAG, Urteil v. 18.02.20216 - 6 AZR 628/14 - Rn. 20). Die Art des Anspruchs und die Tatsachen, auf die dieser gestützt wird, müssen erkennbar sein. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist eine Bezifferung nicht zwingend erforderlich (BAG, Urteil v. 18.02.2016 - 6 AZR 628/14 - Rn. 20; Urteil v. 19.08.2015 - 5 AZR 1000/13 - Rn. 24).

    2.

    Ausgehend von diesen Grundsätzen genügt das Schreiben der Klägerin vom 27.10.2021 den Anforderungen, die an die Geltendmachung der restlichen Urlaubsansprüche zu stellen sind. In diesem Schreiben führt die Klägervertreterin u.a. aus, dass noch 16 Tage Urlaub abzugelten seien, wobei sich die Urlaubsabgeltung wie folgt berechne:

    Dass sich die damalige Klägervertreterin dabei verrechnet hat und den Urlaubsabgeltungsanspruch auf 516,92 € brutto bezifferte, steht im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung einer wirksamen Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht entgegen.

    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

    IV.

    Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG. Auf die Möglichkeit der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

    verkündet am 30.05.2024

    Vorschriften§ 64 Abs. 1, 2 lit. b ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 520 Abs. 3 ZPO, § 7 Abs. 4 BUrlG, § 362 Abs. 1 BGB, § 275 Abs. 1 BGB, § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG, § 275 Abs. 1 a SGB V, § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG, § 72 a ArbGG