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  • 06.05.2019 · IWW-Abrufnummer 208659

    Landesarbeitsgericht Köln: Beschluss vom 03.04.2019 – 9 Ta 10/19

    Geht der Antragsteller erkennbar irrtümlich davon aus, dass seinem Prozesskostenhilfeantrag die nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Unterlagen beigefügt waren, kann das aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren gebieten, dass das Gericht auf das Fehlen der Unterlagen hinweist. Geschieht dies nicht, kann der Antragsteller die fehlenden Unterlagen ausnahmsweise noch im Beschwerdeverfahren vorlegen.


    Tenor:

    Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 11.01.2019 - 3 Ca 2063/18 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert.

    Dem Kläger wird für den ersten Rechtszug derzeit ratenfreie Prozesskostenhilfe für den Kündigungsschutzantrag (Streitwert 2.847,06 EUR) unter Beiordnung von Rechtsanwalt L mit Wirkung ab dem 26.11.2018 bewilligt.



    Gründe



    I.



    Mit seiner nach Durchführung einer Schlichtungsverhandlung vor der Industrie- und Handelskammer am 10.10.2018 bei dem Arbeitsgericht eingereichten Klageschrift begehrte der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses, die Feststellung, dass das Ausbildungsverhältnis fortbesteht, die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses, hilfsweise eines Zeugnisses sowie für den Fall des Obsiegens die Weiterbeschäftigung. Zugleich beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten. Bezüglich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers verwies er auf eine anliegende Erklärung, die der Klageschrift tatsächlich aber nicht beigefügt war.



    Der Gütetermin vom 26.11.2018 blieb erfolglos. Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 08.01.2019 seine Zustimmung zu einem Vergleichsvorschlag der Beklagten erteilt und dabei gebeten hatte, "die noch zu bewilligende Prozesskostenhilfe auch auf den Abschluss des Vergleichs zu erweitern", stellte das Arbeitsgericht mit einem am 09.01.2019 nach § 278 Abs. 6 ZPO ergangenen Beschluss das Zustandekommen eines Abfindungsvergleichs fest. Mit Beschluss vom 11.01.2019 wies das Arbeitsgericht den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers mit der Begründung zurück, dass bis zum Abschluss des Verfahrens keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Gericht eingegangen sei.



    Der Beschluss ist dem Kläger am 11.01.2019 zugestellt worden. Dagegen richtet sich seine am 18.01.2019 bei dem Arbeitsgericht eingegangene sofortige Beschwerde, der die Unterlagen beigefügt waren und mit der er geltend macht, dass die Erklärung über die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen aufgrund eines Büroversehens seiner Klageschrift nicht beigefügt gewesen sei. Auf das Fehlen der Erklärung hätte das Gericht - so die Ansicht des Klägers - im Rahmen des Gütetermins vom 26.11.2018 hinweisen müssen. Da sich die Erklärung mitsamt Anlagen in der Handakte seines Prozessbevollmächtigten befunden habe, hätte die Erklärung nebst Unterlagen im Termin ohne weiteres übergeben werden können.



    II.



    Die zulässige Beschwerde des Klägers ist teilweise begründet. Das Arbeitsgericht hätte den Prozesskostenhilfeantrag nicht vollumfänglich mit der Begründung zurückweisen dürfen, dass bis zum Abschluss des Rechtsstreits keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vorgelegen habe.



    1.) Allerdings ist das Arbeitsgericht im Grundsatz zutreffend davon ausgegangen, dass Prozesskostenhilfe nur für ein bevorstehendes oder laufendes Verfahren bewilligt werden darf und dass eine Bewilligung nach Instanzende grundsätzlich nicht mehr möglich ist. Denn Zweck der Prozesskostenhilfe ist, die Prozessführung zu ermöglichen, nicht aber, nachträglich der Partei die Kosten für einen bereits geführten Prozess abzunehmen oder ihrem Rechtsanwalt das Honorar zu beschaffen. Die Bewilligung setzt daher voraus, dass zum Zeitpunkt der Erledigung des Hauptsacheverfahrens der Antrag entscheidungsreif war. Hierfür ist erforderlich, dass der Antragsteller durch einen formgerechten Antrag von seiner Seite aus alles für die Bewilligung Erforderliche oder Zumutbare getan hat. Dazu gehört nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch die Vorlage einer Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie der entsprechenden Belege. Liegen diese Unterlagen nicht vor, kommt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Abschluss der Instanz nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts und auch nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammer nur in Betracht, wenn das Gericht eine Frist zur Nachreichung der fehlenden Unterlagen und Belege gesetzt hatte und diese Frist eingehalten wurde (BAG, Beschluss vom 03. Dezember 2003 - 2 AZB 19/03 -, Rn. 10, juris; Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 1 Ta 114/16 -, Rn. 3, juris; Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 27. Juni 2017 - 9 Ta 110/17 -, Rn. 2, juris; Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 04. Januar 2019 - 9 Ta 200/18 -,NZA-RR 2019, 155 f.).



    2.) Etwas anderes kann jedoch unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Fairness gelten, wenn der Prozesskostenhilfeantrag, wie hier, auf beigefügte Unterlagen Bezug nimmt, diese sich aber nicht in den Akten befinden. Da das Fehlen der Unterlagen verschiedene Ursachen haben kann, die nicht zwingend in der Sphäre des Antragstellers liegen müssen, etwa weil sie von der Geschäftsstelle des versehentlich einem anderen Rechtsstreit zugeordnet worden waren, besteht Veranlassung zur Aufklärung. Hatte der Antragsteller auf eine beigefügte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verwiesen, ist es geboten, ihn auf das Fehlen der Unterlage hinzuweisen und Gelegenheit zur Nachreichung zu geben, bevor Prozesskostenhilfe mit der Begründung versagt wird, dass sie nicht rechtzeitig eingereicht worden sei.



    a) Diese Auffassung widerspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach das Arbeitsgericht weder nach § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO noch nach § 139 ZPO verpflichtet ist, vor Beendigung des Rechtsstreits auf das Fehlen der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hinzuweisen, weil einem Rechtsanwalt die Notwendigkeit der Einreichung der formularmäßigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bekannt sein müsse (vgl. BAG, Beschluss vom 31. Juli 2017 - 9 AZB 32/17 -, Rn. 6, juris; BAG, Beschluss vom 05. Dezember 2012 - 3 AZB 40/12 -, Rn. 11, juris, aA. Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 19. Juni 2015 - 5 Ta 149/15 -, Rn. 15, juris). Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts betrafen Fallgestaltungen, in denen der Antragsteller wusste, dass die erforderlichen Unterlagen noch nicht vorgelegt worden waren, und er selbst angekündigt hatte, sie nachreichen zu wollen. Im Gegensatz dazu wusste der Kläger im vorliegenden Fall nicht, dass die Unterlagen dem Antrag nicht beifügt waren. Er unterlag insoweit einem tatsächlichen Irrtum.



    b) Angesichts dessen hätte es eines Hinweises bedurft, dass die angeblich dem Prozesskostenhilfeantrag beigefügte Erklärung tatsächlich nicht vorlag. Eine solche Hinweispflicht folgt aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG. Aus diesen Bestimmungen wird als "allgemeines Prozessgrundrecht" der Anspruch auf ein faires Verfahren sowie das Gebot effektiven Rechtsschutzes abgeleitet. Das Verfahren muss so gestaltet werden, wie die Parteien des Zivilprozesses es vom Gericht erwarten dürfen. Dazu gehört auch die Verpflichtung des Gerichts zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. Juli 2013 - 1 BvR 1623/11-, Rn. 20, juris; so auch BFH, Beschluss vom 16. März 2016 - X B 202/15 -, Rn. 16, juris). Der Kläger hätte erwarten können, dass das Gericht seinen Prozessbevollmächtigten im Gütetermin vom 26.11.2018 auf die fehlende Erklärung hinweist, so dass er sie noch an Ort und Stelle hätte übergeben können, oder dass ihm das Gericht zumindest eine Frist zur Beibringung setzt. Da der Gütetermin erfolglos geblieben war, hätte dazu auch vor Abschluss des Verfahrens genügend Zeit bestanden. Fehlt es an einem rechtzeitig vor Beendigung des Rechtsstreits ergangenen Hinweis, weil er etwa im Drange der Güteverhandlung nicht mehr gegeben werden konnte, ist zumindest vor Beendigung des Rechtsstreits eine Nachfrist zu setzen. Dazu bestand im vorliegenden Fall besondere Veranlassung, da der Kläger die Zustimmung zu dem Vergleichsvorschlag ersichtlich in der Erwartung erteilt hatte, dass "die noch zu bewilligende Prozesskostenhilfe auch auf den Abschluss des Vergleichs" erstreckt werde. Der Kläger hatte nur deswegen an der Beendigung des Rechtsstreits mitgewirkt, weil er (irrtümlich) davon ausgegangen war, sein Prozesskostenhilfeantrag sei bewilligungsreif. Unterbleiben in einem solchen Fall ein Hinweis und eine Nachfristsetzung, kann der Antragsteller die fehlenden Unterlagen ausnahmsweise noch im Beschwerdeverfahren vorlegen.



    3.) Die Klage bot hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags (Streitwert 2.847,06 EUR eine hinreichende Erfolgsaussicht iSd. § 114 Abs. 1 ZPO, wie nicht zuletzt der zwischen den Parteien geschlossene Vergleich belegt. Insoweit ist daher Prozesskostenhilfe rückwirkend ab dem Zeitpunkt zu bewilligen, bei dem der Kläger bei rechtzeitigem Hinweis die fehlende Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen hätte vorlegen können. Das war der Zeitpunkt des Gütetermins am 26.11.2018.



    4.) Eine über den Streitwert von 2.847,06 EUR hinausgehende Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann hingegen nicht erfolgen. Der allgemeine Feststellungsantrag und der für den Fall des Obsiegens gestellte Weiterbeschäftigungsantrag haben den Streitwert nicht erhöht (vgl. Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 20. Februar 2017 - 2 Ta 10/17 -, Rn. 5, juris). Die Zeugnisanträge waren mutwillig. Denn vor Erhebung einer Zeugnisklage, ist unabhängig davon, ob ein Zwischen- oder Endzeugnis begehrt wird, die vorherige außergerichtliche Geltendmachung des Anspruches notwendig. Eine Klage, die ohne außergerichtliche Geltendmachung oder vor Ablauf einer gesetzten Frist zur Erteilung erhoben wurde, ist ohne weiteres mutwillig (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Beschluss vom 09. September 2015 - 5 Ta 477/15 -, Rn. 20, juris; Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - 9 Ta 176/17 -, Rn. 9, juris;). Dass der Kläger im vorliegenden Fall einen (Zwischen-) Zeugnisanspruch vor geltend gemacht hätte, kann jedoch nicht festgestellt werden. Das vorgelegte Protokoll der Verhandlung vor dem Schlichtungsausschuss der Industrie- und Handelskammer bezieht sich nur auf die außerordentliche Kündigung.



    5.) Der Kläger ist derzeit nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung zu tragen, da er über kein Einkommen verfügt und nach seiner Darlegung die an ihn gezahlte Abfindung aufbraucht. Sein Girokontoguthaben unterschreitet den ihm gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu belassenden Schonbetrag. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist gemäß § 121 Abs. 2 ZPO geboten, weil auch die Beklagte durch einen Rechtsanwalt vertreten war.

    Vorschriften§ 278 Abs. 6 ZPO, § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO, § 139 ZPO, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG, § 114 Abs. 1 ZPO, § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 121 Abs. 2 ZPO