26.01.2021 · IWW-Abrufnummer 220110
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 08.12.2020 – 2 Sa 111/20
1. Erscheint eine Berufungsklägerin im Berufungsverfahren nicht zum Termin der mündlichen Verhandlung vor der Kammer und ist die Berufung unzulässig, ergeht trotz Säumnis der Berufungsklägerin kein Versäumnisurteil, sondern ein kontradiktorisches, d.h. ein sog. "unechtes Versäumnisurteil".
2. Dieses Urteil bildet keinen Ausspruch über die Folgen der Säumnis, sondern es wird das Berufungsverfahren wegen Unzulässigkeit der Berufung zum endgültigen Abschluss gebracht, wie es auch ein Beschluss nach § 522 Abs. 1 ZPO getan hätte.
3. Aus der Berufungsbegründung müssen Gericht und Gegner erkennen können, welche Gesichtspunkte eine Berufungsklägerin ihrer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zugrunde legen, insbesondere welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils sie bekämpfen und auf welche Gründe sie sich hierfür stützen will.
4. Es reicht nicht aus, die tätsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen. Die bloße Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen ist auch dann nicht ausreichend, wenn der Streit nur eine einzelne Rechtsfrage betrifft.
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 11.02.2020 zum Aktenzeichen: 2 Ca 78/19 wird auf ihre Kosten verworfen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um Urlaubsabgeltungsansprüche.
Die im September 1994 geborene, ledige, gegenüber ihrem 3 Jahre alten Sohn unterhaltspflichtige Klägerin war bei der Beklagten seit März 2014 als Kranken- und Altenpflegehelferin zu einem monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von etwa 1.500,00 € bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche beschäftigt. Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien (Bl. 5 ff. d. A.) sieht unter § 5 eine regelmäßige Jahresarbeitszeit von 2.079,96 Stunden vor. Die Klägerin befand sich von Mai 2016 bis zum 06.03.2019 in Elternzeit. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 21.02.2019 zum 31.03.2019.
Unter dem 12.03.2019 hat die Klägerin Kündigungsschutzklage erhoben und die Verurteilung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung verfolgt.
Am 12.04.2019 erhielt die Klägerin die seitens der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung.
Die Klägerin ist auch hiergegen mit der Kündigungsschutzklage vorgegangen. Außerdem hat sie einen Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 5.389.03 € brutto geltend gemacht. Zu dessen Berechnung ist sie für die Jahre 2016, 2017 und 2018 jeweils von einem Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 24 Tagen pro Jahr, für den Zeitraum Januar 2019 bis April 2019 von einem Urlaubsabgeltungsanspruch für vier Tage ausgegangen, hat pro Tag einen Abgeltungsbetrag von 70,90 € angesetzt.
Mit Schriftsatz vom 03.05.2019 hat die Beklagte sowohl die ordentliche Kündigung vom 21.02.2019 wie auch die außerordentliche Kündigung vom 12.04.2019 wegen deren Rechtsunwirksamkeit für gegenstandslos erklärt sowie die Aussage abgegeben, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht und aus den vorgenannten Kündigungen keinerlei Rechte hergeleitet werden.
Im Termin der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vor dem Arbeitsgericht hat der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger Auffassung der Kammer aufgrund der Erklärung der Beklagten, aus den streitbefangenen Kündigungen keinerlei Rechte mehr herzuleiten, das für die Kündigungsschutzklage erforderliche Feststellungsinteresse nicht mehr erkennbar sei. Darüber hinaus sei auch nicht ersichtlich, dass die Urlaubsabgeltung fällig sei. Der Klägervertreter hat daraufhin keinen Antrag gestellt und es ist ein die Klage abweisendes Versäumnisurteil ergangen. Dieses Versäumnisurteil vom 03.09.2019 ist den Klägervertretern am 10.09.2019 zugestellt worden. Mit am 17.09.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage hat die Klägerin Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 03.09.2019 eingelegt mit dem Antrag, das Versäumnisurteil vom 03.09.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7.373,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Klägerin hatte zwischenzeitlich mit Schreiben vom 03.09.2019 ihr Arbeitsverhältnis zur Beklagten zum 30.09.2019 gekündigt. Sie hat in der Einspruchsschrift deshalb darauf hingewiesen, dass infolge zwischenzeitlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub abzugelten sei, und zwar für 116 Tage in Höhe von 7.373,60 €. Die Klägerin hat geltend gemacht, dass eine Erklärung zur Kürzung des Urlaubsanspruchs während der Elternzeit durch die Beklagte nicht erfolgt sei.
Die Klägerin hat beantragt,
1. das Versäumnisurteil vom 03.09.2019 aufzuheben und
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 7.373,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten und darüber hinaus die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat eingewandt, das Versäumnisurteil sei aufrechtzuerhalten, da weiterhin ein Feststellungsinteresse für die Kündigungsschutzklage nicht erkennbar sei. Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei nicht schlüssig vorgetragen. Zudem habe sie während der Elternzeit die Urlaubsansprüche gekürzt.
Durch Urteil vom 11.02.2020 hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil vom 03.09.2019 aufrechterhalten und die Klageerweiterung abgewiesen.
Gegen das ihnen am 09.04.2020 zugestellte Urteil haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab per Fax am 11.05.2020 Berufung eingelegt. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 09.07.2020 ging vorab per Fax am 09.07.2020 der Schriftsatz der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom selben Tage beim Landesarbeitsgericht ein. In diesem Schriftsatz ist der Antrag angekündigt, das angefochtene Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Stralsund, Az. 2 Ca 78/19, vom 11.02.2020 teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, 7.373,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen. Zur Begründung ist angeführt, dass mit der vorliegenden Berufung die Entscheidung des Arbeitsgerichts nur hinsichtlich des Zahlungsantrages angegriffen werde. Um Wiederholungen zu vermeiden nahm der Unterzeichner auf seinen erstinstanzlichen Vortrag in vollem Umfang Bezug und hielt diesen weiterhin aufrecht.
Mit Beschluss vom 14.09.2020 wurden die Parteien durch das Landesarbeitsgericht unter Nennung höchstrichterlicher Rechtsprechung auf Zweifel an der Wirksamkeit der Berufung hingewiesen. Der Klägerin wurde nachgelassen, zur Zulässigkeit der Berufung Stellung zu beziehen. Sie hat sich nicht geäußert.
Für die Klägerin ist im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.12.2020 nach ordnungsgemäßer Ladung vom 05.11.2020, den Klägervertretern am 10.11.2020 zugegangen, niemand erschienen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise die Berufung im Wege eines Versäumnisurteils gegen die Klägerin zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften I. und II. Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin war gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
I.
Die Verwerfung hatte trotz Säumnis der Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2020 nicht durch ein Versäumnisurteil, sondern durch ein kontradiktorisches, d. h. ein sog. "unechtes Versäumnisurteil" zu erfolgen.
Die Verwerfung einer unzulässigen Berufung geschieht nämlich nicht aufgrund der Säumnis der Klägerin im Verhandlungstermin, sondern ohne Rücksicht auf die Säumnis aufgrund der gemäß § 522 ZPO von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeit der Berufung. Das Urteil ist daher kein Ausspruch über Säumnisfolgen, der einen weiteren Fortgang des unzulässigen Rechtsmittelverfahrens zuließe. Vielmehr wird dadurch das Berufungsverfahren über die Berufung der Klägerin als unzulässig zum endgültigen Abschluss gebracht, wie es auch einen Beschluss nach § 522 Abs. 1 ZPO getan hätte, der ohne mündliche Verhandlung hätte erlassen werden können. Das Urteil, durch das auf die mündliche Verhandlung die Berufung als unzulässig verworfen wird, kann daher auch bei Säumnis des Berufungsklägers nur als kontradiktorisches Urteil ergehen, gegen das ein Einspruch nicht zulässig ist (LAG Hamm, Urteil vom 09.10.2019 - 6 Sa 1131/19 - Rn. 64 m.w.N., juris).
II.
Die Berufung der Klägerin ist unzulässig.
Die Berufung ist zwar gemäß § 64 Abs. 2 b, c ArbGG an sich statthaft sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 ArbGG), die Begründung der Berufung entspricht jedoch nicht den Anforderungen des § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO.
Gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, formale und nicht auf den konkreten Streitfall bezogene Berufungsbegründungen auszuschließen, um dadurch eine Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens im zweiten Rechtszug zu bewirken. Aus der Berufungsbegründung müssen Gericht und Gegner erkennen können, welche Gesichtspunkte der Berufungskläger seiner Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zugrunde legen, insbesondere welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils er bekämpfen und auf welche Gründe er sich hierfür stützen will. Dabei muss die Rechtsmittelbegründung geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen stützt, muss die Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie unzutreffend sein soll. Anderenfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig. Eine schlüssige, rechtlich haltbare Berufungsbegründung wird nicht vorausgesetzt. Es kommt auch nicht darauf an, ob die rechtliche Beurteilung des Berufungsführers richtig ist oder nicht (BAG, Urteil vom 29.11.2001 - 4 AZR 729/00 - Rn. 30, juris). Die bloße Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen reicht auch dann nicht aus, wenn der Streit nur eine einzelne Rechtsfrage betrifft (BAG, Urteil vom 15.08.2002 - 2 AZR 473/01 - Rn. 24; BGH, Beschluss vom 18.02.1981 - VI b ZB 505/81 - Rn. 15, juris).
Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG, Urteil vom 15.03.2011 - 9 AZR 813/09 - Rn. 11; BAG, Urteil vom 19.02.2013 - 9 AZR 543/11 - Rn. 14; BAG, Urteil vom 19.10.2010 - 6 AZR 118/10 - Rn. 7, juris).
Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungskläger die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden. Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auch das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG, Urteil vom 14.03.2017 - 9 AZR 633/15 - Rn. 11 m.w.N., juris).
Die Berufungsbegründung der Klägerin vom 09.07.2020 genügt diesen Anforderungen nicht. Die Klägerin hat sich in keinster Weise mit den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils auseinandergesetzt. Die Klägerin hat keinerlei Gründe dargetan, aus denen sich eine Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Sie hat nicht darauf hingewiesen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen sie das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Eine Befassung mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils geschieht nicht. Es liegt keinerlei Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung vor. Die Klägerin erhebt keine Argumente gegen das streitbefangene Urteil. Sie hat sich vielmehr darauf beschränkt, auf ihr erstinstanzliches Vorbringen in vollem Umfang Bezug zu nehmen und dieses weiterhin aufrechtzuhalten. Damit bringt sie lediglich eine der formelhaften Wendungen vor, welche nach stetiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, wie zuvor zitiert, eben nicht genügt, die an eine Berufungsbegründung zu stellenden Mindestanforderungen zu erfüllen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.