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  • 21.02.2012 · IWW-Abrufnummer 120502

    Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 21.04.2011 – 7 Sa 25/ 11

    Hält ein Arbeitgeber dem Aufstockungsverlangen eines Teilzeitbeschäftigten nach § 9 TzBfG entgegen, er habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, grundsätzlich nur Teilzeitkräfte zu beschäftigen, so muss er diese Entscheidung durch sachliche, arbeitsplatzbezogene Gründe rechtfertigen. Eine solche unternehmerische Entscheidung unterliegt in diesem Zusammenhang keinesfalls nur einer Willkürkontrolle (Anschluss an BAG v. 15.8.2006, 9 AZR 8/06, NZA 2007, 255 ff.).


    7 Sa 25/11
    Tenor:
    Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.11.2010 in Sachen 9 Ca 8610/10 abgeändert:
    Die Beklagte wird verurteilt, das Angebot der Klägerin vom 01.09.2010 anzunehmen, die monatliche Arbeitszeit von "im monatlichen Durchschnitt 120 Std." auf 160 Stunden monatlich zu erhöhen.
    Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.
    Die Revision wird nicht zugelassen.
    Tatbestand
    Die Parteien streiten um ein Begehren der Klägerin vom 01.10.2010, ihre vertragliche Arbeitszeit auf der Grundlage des § 9 TzBfG auf ein Vollzeitarbeitsverhältnis mit 160 Stunden monatlich aufzustocken.
    Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 9. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 19.11.2010 Bezug genommen.
    Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Klägerin am 16.12.2010 zugestellt. Sie hat hiergegen am 10.01.2011 Berufung eingelegt und die Berufung am 26.01.2011 begründen lassen.
    Die Klägerin verfolgt ihr Aufstockungsbegehren auf der Grundlage des § 9 TzBfG weiter. Sie verweist für ihre Rechtsauffassung auf die aktuelle Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts in zahlreichen Parallelverfahren, unter anderem auch auf die Entscheidung der 7. Kammer vom 09.07.2009 in Sachen 7 Sa 1386/08. Die Klägerin macht geltend, ein schlüssiges, nachvollziehbares und tatsächlich praktiziertes unternehmerisches Konzept der Beklagten, welches bedinge, nur Teilzeitkräfte zu beschäftigen, sei nicht festzustellen. Des Weiteren verweist die Klägerin darauf, dass bei der Beklagten - unstreitig - ein erheblicher Arbeitskräftebedarf bestehe, da sie fortlaufend Arbeitskräfte suche und auch einstelle. Zeitweise habe sie sogar wegen Arbeitskräftemangel Mitarbeiter von H nach K versetzt. Der Wunsch der Beklagten, möglichst nur Teilzeitkräfte einzustellen, folge nur ihrem Bestreben, ihr unternehmerisches Risiko möglichst gering zu halten.
    Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,
    unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 19.11.2010, 9 Ca 8610/10, die Beklagte zu verurteilen, dem Antrag der Klägerin vom 01.10.2010 auf Erhöhung der monatlichen Arbeitszeit von "im monatlichen Durchschnitt 120 Stunden" auf 160 Stunden zuzustimmen.
    Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
    die Berufung zurückzuweisen.
    Die Beklagte verteidigt die Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteils, soweit diese dem Aufstockungsbegehren der Klägerin nach § 9 TzBfG entgegenstehen. Insbesondere habe die Klägerin nicht dargetan, dass bei ihr, der Beklagten, ein freier Arbeitsplatz mit 160 Stunden zu besetzen sei.
    Die Beklagte wiederholt, dass sie das unternehmerische Konzept verfolge, ausschließlich Mitarbeiter in Teilzeit zu beschäftigen, weil sie nur so den starken Schwankungen in den zeitlichen Anforderungen ihres Auftraggebers, der B, auf wirtschaftliche Weise gerecht werden könne.
    In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat die Klägerin ausdrücklich unstreitig gestellt, dass sie bislang - auch was den tatsächlichen zeitlichen Umfang ihres Einsatzes angehe - als Teilzeitkraft beschäftigt wurde.
    Entscheidungsgründe
    I. Die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.11.2010 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde nach Maßgabe des § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und auch begründet.
    II. Die Berufung der Klägerin hat auch Erfolg. Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts gemäß § 9 TzBfG einen Anspruch auf Aufstockung ihres Arbeitsvertrages auf eine Vollzeitbeschäftigung im Umfang von (mindestens) 160 Stunden monatlich nach Maßgabe von § 2 Ziffer 1 des Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005. Die gegenteilige Rechtsauffassung der 9. Kammer des Arbeitsgerichts Köln geht fehl.
    Das Berufungsgericht verweist zunächst wegen der rechtlichen Einzelheiten auf die beiden Parteien hinlänglich bekannte Rechtsprechung des Berufungsgerichts in einschlägigen Parallelfällen. Insbesondere verweist die Berufungskammer auf die von der Klägerin zu Recht herangezogene Entscheidung der 7. Kammer vom 09.07.2009 in Sachen 7 Sa 1386/08 und auf die Entscheidung vom 30.09.2010 in Sachen 7 Sa 952/10. Beide vorgenannten Entscheidungen sind nach Zurückweisung der hiergegen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden durch das BAG rechtskräftig.
    Von dieser bisherigen Rechtsprechung zu § 9 TzBfG abzuweichen besteht kein Grund.
    Konzentriert zusammengefasst und auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles eingehend gilt das Folgende:
    1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin aus § 9 TzBfG auf Aufstockung ihrer arbeitsvertraglichen Arbeitszeit auf 160 Stunden monatlich sind vollständig erfüllt.
    a. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin bislang - auch was den Umfang ihres tatsächlichen Arbeitseinsatzes angeht - als Teilzeitkraft bei der Beklagten beschäftigt war. Hiervon ist jedenfalls im Ergebnis auch die
    9. Kammer des Arbeitsgerichts Köln in ihrer erstinstanzlichen Entscheidung ausgegangen.
    b. Die Beklagte hat auch nicht bestritten, dass die Klägerin zum 01.10.2010 den Wunsch auf Umwandlung ihres Arbeitsverhältnisses in ein Vollzeitarbeitsverhältnis mit 160 Stunden monatlich vorgebracht hat, sie, die Beklagte diesem Wunsch aber nicht nachgekommen ist.
    c. Es wäre der Beklagten aber ohne Weiteres möglich gewesen, der Klägerin zum 01.10.2010 einen entsprechenden Vollzeitarbeitsplatz mit einer Arbeitszeitverpflichtung von (mindestens) 160 Stunden zuzuweisen. Wenn die 9. Kammer des Arbeitsgerichts Köln demgegenüber die Auffassung vertritt, die Klägerin habe schon nicht hinreichend dargelegt, dass ein entsprechender freier Vollzeitarbeitsplatz vorhanden gewesen sei, der im Sinne von § 9 TzBfG zur Besetzung angestanden hätte, so verkennt sie die Besonderheiten der vorliegenden Fallkonstellation und die Bedeutung der Rechtsprechung des BAG, die dieses in seinem Urteil vom 15.08.2006, 9 AZR 8/06, NZA 2007, 255 ff. entwickelt hat.
    aa. Die Beklagte wendet im vorliegenden wie den einschlägigen Parallelverfahren gegen den Anspruch der Arbeitnehmerin aus § 9 TzBfG nicht etwa ein, dass sie nicht genügend Beschäftigungsbedarf für eine Vollzeitbeschäftigung der Klägerin hätte oder dass gerade kein freier Arbeitsplatz zur Verfügung stehe, oder dass ein gegebenenfalls gerade freier Vollzeitarbeitsplatz aus dringenden betrieblichen Erfordernissen nicht mit der Klägerin besetzt werden könne. Die Rechtsverteidigung der Beklagten will vielmehr darauf hinaus, dass § 9 TzBfG in ihrem Betrieb grundsätzlich nicht zur Anwendung kommen könne; denn sie, die Beklagte, habe die freie unternehmerische Entscheidung getroffen, in ihrem Betrieb ausschließlich Teilzeitkräfte zu beschäftigen.
    bb. Zwar obliegt die Gestaltung der Arbeitsorganisation eines Betriebes der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers. Dazu gehört grundsätzlich auch die Entscheidung, in welchem Umfang der vorhandene Arbeitsbedarf durch Vollzeitkräfte und durch Teilzeitkräfte abgedeckt werden soll.
    cc. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber jedoch durch die Einführung der §§ 8 und 9 TzBfG die Freiheit der unternehmerischen Entscheidung, einen Arbeitnehmer auf einem Teilzeitarbeitsplatz oder auf einem Vollzeitarbeitsplatz zu beschäftigen, eingeschränkt. Die gesetzgeberische Entscheidung, den Arbeitnehmern die Rechte aus § 8 TzBfG und - spiegelbildlich - aus § 9 TzBfG zuzubilligen, liefe jedoch leer, wenn der Arbeitgeber sich gegenüber der Geltendmachung solcher Rechte uneingeschränkt darauf berufen könnte, er habe die freie, nur auf Willkür zu hinterfragende unternehmerische Entscheidung getroffen, er wolle in seinem Unternehmen eben nur Vollzeitkräfte oder - wie hier - nur Teilzeitkräfte beschäftigen.
    dd. Dem Rechnung tragend hat das BAG in der zitierten Entscheidung vom 15.08.2006 den Grundsatz aufgestellt, dass es eben nicht einer freien, allenfalls auf Willkür hin zur überprüfenden unternehmerischen Entscheidung des Arbeitsgebers überlassen ist, generell nur Teilzeitstellen oder nur Vollzeitstellen einzurichten. Vielmehr kann der Arbeitgeber einem Aufstockungsverlangen nach § 9 TzBfG nur dann die Entscheidung entgegenhalten, er wolle in dem entsprechenden Arbeitsbereich generell nur Teilzeitstellen vorhalten, wenn dies durch arbeitsplatzbezogene Gründe gerechtfertigt werden kann. (BAG aaO.).
    d. Die Beklagte kann sich der hiesigen Klägerin gegenüber schon deshalb nicht darauf berufen, sie habe keinen Vollzeitarbeitsplatz zur Verfügung, da sie grundsätzlich nur Teilzeitkräfte beschäftigen wolle, weil sie im vorliegenden Verfahren nicht einmal den substantiierten Versuch unternommen hat, diese unternehmerische Entscheidung durch arbeitsplatzbezogene Gründe zu rechtfertigen. Der pauschale Hinweis darauf, dass die starken zeitlichen Schwankungen in dem Abruf des Arbeitskräftebedarfes durch den Auftraggeber B eine solche Unternehmenspolitik rechtfertigten, erscheint aus sich heraus nicht hinreichend nachvollziehbar.
    e. Ein solcher Rechtfertigungsversuch der Beklagten wäre aber auch, wie sich in den diversen einschlägigen Parallelverfahren herausgestellt hat, zur Überzeugung der Berufungskammer von vornherein zum Scheitern verurteilt; denn durch ihr eigenes Verhalten in der Vergangenheit widerlegt die Beklagte selbst ihre Einlassung, es sei aufgrund arbeitsplatzbezogener Gründe geboten, nur Teilzeitkräfte einzusetzen. So beschäftigt die Beklagte eine Vielzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit sogenannten 150-Stunden-Verträgen. Ein Vollzeitarbeitsplatz im Sinne von § 2 MTV Wach- und Sicherheitsgewerbe NRW 2005 umfasst eine Arbeitszeit von 160 Stunden im Monat. Dass arbeitsplatzbezogene Gründe einen Arbeitnehmereinsatz mit 150 Stunden zulassen, einen solchen mit einer lediglich um 6,67 % höheren Arbeitszeitverpflichtung aber nicht, erschließt sich objektiv nicht.
    f. Darüber hinaus ist aus einer Fülle vergleichbarer Parallelverfahren gerichtsbekannt, dass die Beklagte - ebenso wie ihre Rechtsvorgängerinnen - zahlreiche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in zahlreichen Monaten mit weit mehr als 160 Stunden zur Arbeit eingeteilt hat und einteilt. Wie dies überhaupt möglich sein kann, wenn arbeitsplatzbezogene Gründe in dem hier relevanten Arbeitsbereich grundsätzlich nur Teilzeitbeschäftigungen zulassen, erschließt sich nicht.
    g. Nur ergänzend ist daran zu erinnern, dass der aktuelle, für allgemein verbindlich erklärte MTV eine monatliche Beschäftigungsbandbreite für eine Vollzeitkraft von (mindestens) 160 bis hin zu 260 Stunden zulässt, und dem Arbeitgeber damit eine extrem große Flexibilität eröffnet.
    h. Da die Beklagte somit eben nicht hinreichende arbeitsplatzbezogene Gründe für ihre Entscheidung angeführt hat, grundsätzlich nur Teilzeitkräfte beschäftigen zu wollen, ist es ihr verwehrt, gegen das Aufstockungsbegehren der Klägerin einzuwenden, ihr stehe kein freier Arbeitsplatz zur Verfügung. Zu fragen ist vielmehr nur, ob dem Aufstockungsverlangen der Klägerin ein fehlender Bedarf an entsprechender zusätzlicher Arbeitsleistung entgegengehalten werden könnte. Auf einen fehlenden Bedarf an Arbeitskraft hat die Beklagte sich indessen selbst nicht berufen. Dies erscheint auch nicht möglich, da die Beklagte, wie gerichtsbekannt ist, fortlaufend neue Arbeitskräfte sucht und einzustellen gedenkt.
    2. Wenn das Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung vom 19.11.2010 zu einem von dem oben dargestellten Grundsätzen abweichenden Ergebnis gelangt ist, so beruht dies darauf, dass es an die Rechtfertigung der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten einen falschen Maßstab angelegt hat.
    a. Zwar zitiert das Arbeitsgericht zunächst die Rechtsprechung des BAG zutreffend dahingehend, dass es auf "arbeitsplatzbezogene Sachgründe" ankomme. Letztendlich unterwirft es die unternehmerische Entscheidung der Beklagten aber nur einer Willkürkontrolle (s. Entscheidungsgründe Seite 8 oben). Es reicht jedoch nicht aus, eine arbeitgeberseitige Organisationsentscheidung, die die Anwendbarkeit des § 9 TzBfG im Betrieb des Unternehmens faktisch außer Kraft setzt, wie jede andere allgemeine "freie" unternehmerische Entscheidung nur einer Willkürkontrolle zu unterziehen, sondern die Entscheidung, ausschließlich nur Teilzeitkräfte beschäftigen zu wollen, bedarf nach der Rechtsprechung des BAG einer positiven Rechtfertigung durch nachvollziehbare Sachgründe.
    b. Darüber hinaus geht es vorliegend auch nicht darum, die unternehmerische Entscheidung der Beklagten, ausschließlich Teilzeitkräfte beschäftigen zu wollen, in ihr Gegenteil zu verkehren und der Beklagten vorschreiben zu wollen, nur noch Vollzeitkräfte einzustellen. Es geht vielmehr darum, dass die Arbeitgeberin eine sachlich nachvollziehbare Rechtfertigung dafür zu geben hat, warum sie einer Teilzeitkraft, die ein Aufstockungsbegehren nach § 9 TzBfG stellt, diesen Wunsch abschlägt, obwohl fortwährend und auch aktuell ein erheblicher Bedarf an zusätzlicher Arbeitskraft besteht. Solche Sachgründe zur Rechtfertigung ihrer Entscheidung konnte die Beklagte in nachvollziehbarer und schlüssiger Form eben nicht vortragen.
    Demnach war zu entscheiden wie geschehen.
    III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO.
    Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist zur Überzeugung der Berufungskammer nicht erkennbar, da die vorliegende Fallgestaltung keine Rechtsfragen aufwirft, die nicht bereits höchstrichterlich geklärt wären.