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  • 17.07.2013 · IWW-Abrufnummer 132239

    Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 15.01.2013 – 14 Ta 499/12

    Auch bei einer einfachen Zahlungsklage ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich, wenn dem Arbeitnehmer ein rechtskundiger und prozesserfahrener Vertreter eines Unternehmens gegenübersteht. In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtssuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können.


    Tenor:

    Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 29. August 2012 (1 Ca 894/12) abgeändert, soweit die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt worden ist.

    Der Klägerin wird zur Wahrnehmung ihrer Rechte im ersten Rechtszug Rechtsanwalt B1 aus A1 zu den Bedingungen eines im Bezirk des Arbeitsgerichts Münster niedergelassenen Rechtsanwalts in vollem Umfang für die Klageanträge zu 1) bis 3) beigeordnet.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
    Gründe

    Die gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin vom 4. Oktober 2012 ist begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht - trotz Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung - die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Anträge zu 2) und 3) abgelehnt. Eine Beiordnung ist im vorliegenden Fall erforderlich im Sinne des § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO.

    1. Ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich erscheint, ist unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsstaats- und den in Art. 20 Abs. 1 GG verbürgten Sozialstaatsprinzip zu ermitteln (vgl. BAG, 18. Mai 2010, 3 AZR 9/10, NJW 2010, 2748 [BAG 18.05.2010 - 3 AZB 9/10] <2750>). Ein Rechtsanwalt ist beizuordnen, wenn eine vermögende Partei in der Lage der unbemittelten Partei vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt hätte (vgl. BVerfG, 24. März 2011, 1 BvR 1737/10, NJW 2011, 2039; BAG, a. a. O.; LAG Hamm, 24. Februar 2010, 14 Ta 518/09, Rn. 8, [...]). Vergleichsperson ist diejenige bemittelte Partei, welche ihre Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch ihr Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfG, 18. November 2009, 1 BvR 2455/08, NJW 2010, 988 <989>), wobei Letzteres im arbeitsgerichtlichen Verfahren zusätzlich durch § 12 a Abs. 1 ArbGG geprägt ist, welcher eine Erstattung außergerichtlicher Kosten trotz eigenen Obsiegens bei den Gerichten für Arbeitssachen in der ersten Instanz weitgehend ausschließt (vgl. LAG Hamm, a. a. O.).

    Das gebietet eine auf die jeweilige Lage bezogene Einzelfallprüfung. Die Voraussetzungen der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilen sich nicht nur nach Umfang und Schwierigkeitsgrad sowie Bedeutung der Sache für den Betroffenen, sondern auch nach seiner Fähigkeit, seine Rechte selbst wahrzunehmen sowie sich mündlich oder schriftlich auszudrücken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Partei sich der Hilfe eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (hier: der Rechtsantragsstelle eines Arbeitsgerichts) vergewissern kann (vgl. BAG, 18. Mai 2010, 3 AZB 9/10, NJW 2010, 2748 <2750 >; LAG Hamm, 24. Februar 2010, 14 Ta 518/09, Rn. 8 f., 15, [...]). Allein die Möglichkeit, dass der Klagegegner Einwendungen erhebt, hat keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Schwierigkeit einer Sache. Dies ist jedem Zivilprozess immanent. Das kann dazu führen, dass es der antragstellenden Partei zuzumuten ist, den Verlauf des arbeitsgerichtlichen Gütetermins abzuwarten. Das gilt jedoch dann nicht, wenn derartige Einwendungen nicht nur möglich, sondern auch konkret zu erwarten sind (vgl. BAG, a. a. O.; LAG Hamm, a. a. O., Rn. 12). Eine Beiordnung ist weiter regelmäßig schon dann erforderlich, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG, 24. März 2011, 1 BVR 1737/10, NJW 2011, 2039) oder die bedürftige Partei nicht in der Lage ist, die Hilfe der Rechtsantragsstelle in Anspruch zu nehmen (vgl. BAG, a. a. O.).

    2. Bei Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts auch für die Zahlungsanträge erforderlich. Zwar hat die Klägerin mit diesen beiden Anträgen lediglich das zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Festgehalt von 1.300,-- Euro brutto monatlich für die Monate April und Mai 2012 geltend gemacht. Die Schwierigkeit des Falles erforderte allein eine Beiordnung daher nicht. Jedoch bestand ein deutliches Ungleichgewicht in Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien. Bei der Klägerin handelt es sich um eine gewerbliche Mitarbeiterin im Versand der Beklagten, mit dem Arbeitsgericht ist insoweit davon auszugehen, dass in der Erledigung von Korrespondenz ein geringeres Erfahrungsniveau als z. B. bei kaufmännisch beschäftigten Arbeitnehmern anzunehmen ist. Hinzu kommt, dass es sich bei der Beklagten um ein Unternehmen mit einer eigenen Personal- und Rechtsabteilung handelt, an deren Spitze ein offenbar als Rechtsanwalt zugelassener Jurist steht, der mit dieser Bezeichnung auch im Geschäftsverkehr auftritt. Ähnlich wie bei einer Behörde (vgl. dazu BVerfG, 24. März 2011, 1 BvR 1737/10, NJW 2011, 2039 <2040>) stand der Klägerin damit ein rechtskundiger und prozesserfahrener Vertreter eines Unternehmens gegenüber. In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtssuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (vgl. BVerfG, a.a.O.).

    Danach war die Beiordnung eines Rechtsanwalts auch für die Zahlungsanträge geboten.

    3. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

    Vorschriften§ 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO