08.07.2011
Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 09.12.2009 – 3 Sa 1150/09
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 18.06.2009 - Az. 2 Ca 731/09 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechnung von Arbeitsstunden aus einem Arbeitszeitkonto.
Der am 25.01.1959 geborene Kläger ist seit dem 05.02.1990 als Baggerfahrer bei der Beklagten beschäftigt.
Sein Bruttostundenlohn betrug zuletzt 16,72 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für das Bauhauptgewerbe Anwendung.
Zur Arbeitszeit enthält § 3 des Bundesrahmentarifvertrages unter anderem folgende Regelungen:
"1.2 Tarifliche Arbeitszeit
In den Monaten Januar bis März und Dezember beträgt die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit ausschließlich der Ruhepausen montags bis donnerstags 8 Stunden und freitags 6 Stunden, die wöchentliche Arbeitszeit 38 Stunden (Winterarbeitszeit). In den Monaten April bis November beträgt die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit ausschließlich der Ruhepausen montags bis donnerstags 8,5 Stunden und freitags 7 Stunden, die wöchentliche Arbeitszeit 41 Stunden (Sommerarbeitszeit).
&
1.4 Betriebliche Arbeitszeitverteilung in einem zwölfmonatigen ausgleichszeitraum
1.41 Durchführung
Durch Betriebsvereinbarung oder, wenn kein Betriebsrat besteht, durch einzelvertragliche Vereinbarung kann für einen Zeitraum von zwölf zusammenhängenden Lohnabrechnungszeiträumen (zwölfmonatiger Ausgleichszeitraum) eine von der tariflichen Arbeitszeitverteilung abweichende Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Werktage ohne Mehrarbeitszuschlag vereinbart werden, wenn gleichzeitig ein Monatslohn nach Fr. 1.42 gezahlt wird. Aus dieser Betriebsvereinbarung bzw. der einzelvertraglichen Vereinbarung muss sich ergeben, in welcher Form und mit welcher Ankündigungsfrist die jeweilige werktägliche Arbeitszeit festgelegt wird.
Der Arbeitgeber kann innerhalb von zwölf Kalendermonaten 150 Arbeitsstunden vor- und 30 Arbeitsstunden nacharbeiten lassen.
Die Lage und die Verteilung dieser Arbeitsstunden im Ausgleichszeitraum ist im Einvernehmen mit dem Betriebsrat oder, wenn kein Betriebsrat besteht, im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer festzulegen.
1.42 Monatslohn
Bei betrieblicher Arbeitszeitverteilung wird während des gesamten Ausgleichszeitraumes unabhängig von der jeweiligen monatlichen Arbeitszeit in den Monaten April bis November ein Monatslohn in Höhe von 178 Gesamttarifstundenlöhnen und in den Monaten Dezember bis März ein Monatslohn in Höhe von 164 Gesamttarifstundenlöhnen gezahlt.
&
1.43 Arbeitszeit- und Entgeltkonto (Ausgleichskonto)
Für jeden Arbeitnehmer wird ein individuelles Ausgleichskonto eingerichtet. auf diesem Ausgleichskonto ist die Differenz wischen dem Lohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und dem nach Nr. 1.42 errechneten Monatslohn für jeden Arbeitnehmer gutzuschreiben bzw. zu belasten. Lohn für Leistungslohn-Mehrstunden darf nicht einbehalten und gutgeschrieben werden. Die Frage einer Verzinsung des Guthabens ist betrieblich zu regeln.
Das Arbeitszeitguthaben und der dafür einbehaltene Lohn dürfen zu keinem Zeitpunkt 150 Stunden, die Arbeitszeitschuld und der dafür bereits gezahlte Lohn dürfen zu keinem Zeitpunkt 30 Stunden überschreiten. Wird ein Guthaben für 150 Stunden erreicht, so ist der Lohn für die darüber hinausgehenden Stunden neben dem Monatslohn auszuzahlen.
Auf dem Ausgleichskonto soll nach zwölf Kalendermonaten ausgeglichen sein. Besteht am Ende des Ausgleichszeitraumes noch ein Guthaben, so sind die dem Guthaben zugrunde liegenden Vorarbeitsstunden und das dafür gutgeschriebene Arbeitsentgelt unter Anrechnung auf das zuschlagsfreie Vorarbeitsvolumen des neuen Ausgleichszeitraumes in diesen zu übertragen. Durch freiwillige Betriebsvereinbarung oder einzelvertragliche Vereinbarung kann abweichend vom vorherigen Satz eine Abgeltung des Guthabens am Ende des Ausgleichszeitraumes vereinbart werden; die Rechtsfolgen des § 175 Abs. 5 Satz 3 SGB III sind dabei zu beachten.
Besteht am Ende des Ausgleichszeitraumes eine Zeitschulde, so ist diese in den nächsten Ausgleichszeitraum zu übertragen und in diesem auszugleichen. Bei Ausscheiden des Arbeitnehmers sind etwaige Guthaben oder Schulden auszugleichen."
Für den Kläger bestand unstreitig eine Regelung über eine abweichende Verteilung der Arbeitszeit gemäß § 3 Ziff. 1.41 des Bundesrahmentarifvertrages.
Auf dem tariflich vorgesehenen Ausgleichskonto hatte sich der Kläger zuzeiten, als der tarifliche Stundenlohn noch 16,43 € brutto betrug, ein Guthaben erarbeitet.
Im Monat Dezember 2008 erfolgte der Abbau des Guthabens im Umfang von 36 Arbeitsstunden, im Monat Januar 2009 im Umfang von 59 Arbeitsstunden und im Monat Februar 2009 im Umfang von 3 Stunden.
Vergütet wurden diese Stunden aus dem Ausgleichskonto im Dezember 2008 und Januar 2009 mit einem Lohnsatz in Höhe von jeweils 16,43 €, für den Monat Februar 2009 erfolgte die Abrechnung der Stunden auf Basis eines Lohnsatzes von 16,57 €.
In allen drei Monaten betrug der tarifliche Stundenlohn jedoch bereits 16,72 € brutto.
Der Kläger ist der Auffassung, die aus dem Ausgleichskonto gewährten Stunden seien mit dem zum Zeitpunkt des Ausgleichs maßgeblichen tariflichen Stundenlohn zu vergüten.
Nachdem eine außergerichtliche Geltendmachung mit Schreiben vom 12.03.2009 ergebnislos geblieben war, verfolgt der Kläger dieses Begehren mit der unter dem 15.04.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage weiter.
Er hat die Auffassung vertreten, nach der Systematik des § 3 Ziff. 1.4 BRTV sei bei Auszahlungen aus dem Flexibilisierungskonto der neue Tarifstundenlohn heranzuziehen. Bei Unternehmen, bei denen eine Verständigung auf eine Flexibilisierung erfolgt sei, sei nämlich ein verstetigter Monatslohn zu zahlen; werde bei einer Auszahlung aus einem Flexibilisierungskonto nicht der neue Stundenlohn gezahlt, werde kein verstetigter Monatslohn gezahlt, sondern ein Monatslohn, der sich irgendwo zwischen dem neuen und alten Monatslohn einpendele.
Im Tarifvertrag erfolge im Übrigen keine Differenzierung zwischen alt angesparten Stunden und neu eingebrachten Stunden. Eine Übertragung der angesparten Stunden erfolge 1 : 1. Dies sei nur möglich, wenn eine Abrechnung dann auch mit dem neuen Stundenlohn erfolge.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn restliches Arbeitsentgelt für Dezember 2008 sowie für Januar und Februar 2009 in Höhe von 28,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.04.2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, nach der tariflichen Regelung komme es auf den zur Zeit der Erfassung der Arbeitsstunden auf dem Ausgleichskonto maßgeblichen Stundenlohn an.
Mit Urteil vom 28.07.2009 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht bei der Auszahlung des Guthabens aus dem Ausgleichskonto den jeweils zur Zeit der Gutschrift geltenden Gesamttariflohn zugrunde gelegt.
Der Tarifvertrag differenziere sehr wohl zwischen dem Arbeitszeitguthaben und dem dafür eingehaltenen Lohn. Zu jeder gutgeschriebenen, tatsächlich geleisteten Arbeitsstunde gehöre nämlich nach dem Tarifvertrag ein dieser Stunde zuzuordnender Lohn.
Dies führe zu keinen unbilligen Ergebnissen im Rahmen der Durchführung flexibler Arbeitszeitverteilung. Der vom Kläger zugrunde gelegte verstetigte Monatslohn werde hiervon nicht berührt, da die tarifliche Regelung lediglich besage, wie viele Gesamttarifstundenlöhne insgesamt in den einzelnen Kalendermonaten unabhängig von der jeweiligen tatsächlichen monatlichen Arbeitszeit zu bezahlen seien.
Die Vorschrift verhalte sich jedoch nicht darüber, in welcher konkreten Höhe der Gesamttarifstundenlohn maßgeblich sei. Der maßgebliche Tarifvertrag sehe an keiner Stelle eine Regelung vor, wonach Stunden aus einem Arbeitszeitguthaben immer nur zu dem im Zeitpunkt der Auszahlung aktuell gültigen Stundelohn zu vergüten seien.
Bei Beachtung dieser Differenzierung seien auch keine Probleme im Falle einer Übertragung des Zeitkontostandes in den nächsten, neuen Ausgleichszeitraum gegeben. Dort könne der Kontostand wiederum genau wie zuvor behandelt werden. Der betroffene Arbeitnehmer habe schließlich aufgrund der Abstraktion zwischen Arbeitszeit und Entgelt lediglich seine Zeitschulden "abzuarbeiten". Die Vergütung sei ihm dafür bereits zu der Zeit gezahlt worden, als diese Arbeitszeitschuld entstanden sei. Nichts anderes gelte für den Fall des Abbaus eines Guthabens. Der jeweilige Arbeitnehmer bekomme dafür genau das ausbezahlt, was das Guthaben wert sei, nämlich den zur Zeit des Zustandekommens des Guthabens geltenden Stundenlohn.
Gegen das unter dem 06.08.2009 zugestellte Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe im Übrigen Bezug genommen wird, hat der Kläger unter dem 03.09.2009 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese unter dem 05.10.2009 begründet.
Er verbleibt bei seiner Auffassung.
Wenn der maßgebliche Tarifvertrag regele, dass unabhängig von der jeweiligen monatlichen Arbeitszeit ein bestimmter Gesamttarifstundenlohn zu bezahlen sei, liege der Sinn dieser Regelung offensichtlich darin, dass die Vergütung des einzelnen Arbeitnehmers nicht entsprechend den tatsächlich geleisteten Stunden variieren solle. Zutreffend sei insoweit allerdings, dass in dieser Bestimmung nur die Zahl der zu leistenden Gesamttarifstundenlöhne aufgeführt sei. Zumindest sei der tarifvertraglichen Regelung aber zu entnehmen, dass Lohnschwankungen vermieden werden sollten.
Zwar sei des Weiteren zutreffend, dass auf dem tariflich vorgesehenen Ausgleichskonto die Differenz zwischen dem Lohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und dem errechneten Monatslohn für jeden Arbeitnehmer gutzuschreiben bzw. zu belasten sei. Wenn das Arbeitsgericht hieraus aber schließe, dies bedeute, dass Vergütungsdifferenzen dann auszuzahlen seien, wenn die entsprechenden Stunden durch Freizeit ausgeglichen würden, erwecke dies den Anschein, dass die tarifliche Regelung damit überinterpretiert werde.
Mit seiner Argumentation zum Abtragen von Arbeitszeitschulden sei das Arbeitsgericht Siegen im Übrigen inkonsequent. Es gebe nämlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder werde der Gesamttarifstundenlohn gezahlt, der im Zeitpunkt der Auszahlung Geltung habe, oder es werde der Gesamttarifstundenlohn gezahlt, der im Zeitpunkt der Leistung der Arbeitsstunden Geltung habe.
Im Übrigen führe es zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand, wenn beim Abbau eines Zeitguthabens der Gesamtstundenlohn danach differenziert werden solle, wann die Stunden auf dem Ausgleichskonto erarbeitet worden seien.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Siegen vom 28.07.2009, Az.: 2 Ca 731/09, wird die Beklagte verurteilt, an ihn restliches Arbeitsentgelt für Dezember 2008 sowie für Januar und Februar 2009 in Höhe von insgesamt 28,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit den 17.04,2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil.
Die Richtigkeit ergebe sich auch ihrer Meinung nach aus dem zwischen den Parteien geregelten Ausgleichskonto. Die tarifliche Formulierung schreibe nicht nur fest, dass die Stunden aufgeschrieben würden, sondern auch der für diese Stunden sich tatsächlich ergebende Differenzbetrag zu dem verstetigten Monatslohn.
Die Arbeitsvertragsparteien wüssten daher, dass bei Abbau des Zeitkontos und Zahlung von Stunden auch die dort für die Stunden aufgeführten Beträge maßgeblich seien.
Dies müsse ihrer Meinung nach auch dann gelten, wenn zwischenzeitlich eine Lohnänderung eingetreten sei.
Die Auslegung der tariflichen Vorschrift dem Wortlaut nach ergebe keine Anhaltspunkte dafür, dass im Falle der Auszahlung des Guthabens ein anderer Entgeltbetrag für die Stunden ausbezahlt werden solle, als im Zeitpunkt der Eintragung in das Ausgleichskonto.
Sogar für die Übertragung von Vorarbeitsstunden sei konkretisiert, dass nicht lediglich Vorarbeitsstunden übertragen würden, sondern auch das dafür im Eintragungszeitraum gutgeschriebene Arbeitsentgelt.
Auch eine teleologische Auslegung komme ihrer Meinung nach zu keinem anderen Ergebnis. Mit dem Ausgleichskonto hätten die Tarifvertragsparteien eindeutig regeln wollen, dass dem Mitarbeiter immer der Entgeltbetrag für seine auf dem Ausgleichskonto befindliche Stunde zustehen solle, der im Zeitpunkt der Eintragung maßgeblich gewesen sei.
Diese Regelung genüge schließlich auch Billigkeitsgrundsätzen. Die Handhabung eines verstetigten Monatslohnes werde dadurch nicht berührt. In der dafür maßgeblichen Bestimmung werde über die Lohnhöhe gerade nichts gesagt.
Der Aspekt eines bürokratischen Aufwandes stehe schließlich ihrer Meinung nach der von ihr vorgenommenen Auslegung der tariflichen Bestimmung nicht entgegen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.
A.
Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht.
Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 b) ArbGG.
Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517 ff. ZPO.
B.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet.
Das Arbeitsgericht hat die maßgeblichen tariflichen Bestimmungen zutreffend dahin gehend ausgelegt, dass die Auszahlung von Guthabenstunden aus dem Ausgleichskonto mit dem Entgelt erfolgt, mit dem die Stunden gutgeschrieben worden sind.
I.
Die Bestimmungen des Bundesrahmentarifvertrages zum verstetigten Monatslohn und zum Ausgleichskonto, die kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung finden, regeln nicht ausdrücklich, mit welchem jeweiligen Stundensatz Auszahlungen aus einem Guthaben erfolgen, dass im Ausgleichskonto nach § 3 Ziff. 1.4.3 besteht.
Diese tarifliche Regelung regelt lediglich die Einrichtung eines individuellen Ausgleichskontos, den Inhalt dieses Kontos, die Höhe des maximalen Guthabens und einer maximalen Zeitschuld. Ferner regelt die Bestimmung eine Übertragung von Zeitguthaben und Zeitschulden.
Eine ausdrückliche Regelung darüber, mit welchem Geldwert eine Auszahlung eines Guthabens erfolgt, enthält die tarifliche Bestimmung hingegen nicht.
II.
Sinn und Zweck der Tarifnormen unter Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs führen jedoch zu der vom Arbeitsgericht vorgenommenen Auslegung, dass aus einem Guthaben auf dem Ausgleichskonto genommene Arbeitsstunden mit dem Entgelt zu belegen sind, das zum Zeitpunkt des Aufbaus des Guthabens hinsichtlich der einzelnen Stunden maßgeblich war.
1) Die Auslegung tariflicher Bestimmungen hat entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen dann mit zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben.
Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mit berücksichtigt werden muss, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhanges der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann (BAG 12.12.1973, EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 1; BAG 12.09.1984, EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 14; (Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz. 397 und 399).
Erst dann, wenn bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel bleiben, kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden, wobei jedoch keine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung der weiteren Auslegungsmittel gegeben ist. Maßgeblich sind jedoch zunächst zwingend die am Tarifwortlaut orientierten Auslegungsmittel des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhanges zu berücksichtigen (BAG 12.09.1984, a.a.O.; BAG 10.11.1993, EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 70).
2) Unter Berücksichtigung dieser Auslegungskriterien ist der vom Arbeitsgericht vorgenommenen Auslegung zu folgen.
a) Grundsätzlich ist in Übereinstimmung mit dem Kläger davon auszugehen, dass bei Vorliegen einer Regelung zur flexiblen Arbeitszeit bei Führung eines Arbeitszeitkontos bei einer Entnahme aus einem Zeitguthaben das Arbeitsentgelt zu zahlen ist, das zur Zeit der Entnahme maßgeblich ist, wenn die Bestimmungen über die Durchführung flexibler Arbeitszeit keine gesonderten Regelungen hierzu vorsehen.
Entsprechend existieren in der Praxis auf der Basis von Betriebsvereinbarungen häufig Regelungen über die Flexibilisierung der Arbeitszeit, bei denen die Betriebsparteien übereinstimmend regelmäßig davon ausgehen, dass bei einer Entnahme von Zeitguthaben aus einem Arbeitszeitkonto immer das aktuelle maßgebliche Stundenentgelt entscheidend ist.
Die vorliegend zu beurteilende tarifliche Regelung enthält jedoch in § 3 Ziff. 1.4.3, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat, eine von den betrieblichen Praxis in anderen Bereichen abweichende Regelung.
§ 3 Ziff. 1.4.3 sieht zwar auch die Führung eines individuellen Ausgleichskontos vor; hier regelt die tarifliche Bestimmung jedoch, dass auf dem Ausgleichskonto die Differenz zwischen dem Lohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und demnach Nr. 1.4.2 errechneten Monatslohn für jeden Arbeitnehmer gutzuschreiben bzw. zu belasten ist.
Dieses tarifliche Ausgleichskonto sieht daher gerade nicht nur die Saldierung von reinen Arbeitszeiten und Arbeitsstunden vor, sondern sieht gerade eine Aufnahme von Lohndifferenzen vor.
Entsprechend sieht Ziff. 1.4.3 in der Überschrift zur Definition des Ausgleichskontos auch vor, dass es sich um ein Arbeitszeit- und Entgeltkonto handelt.
Die Regelung eines Entgeltkontos würde überhaupt keinen Sinn machen, wenn es lediglich auf den Ausgleich von reinen Arbeitsstunden zu den aktuellen Bedingungen ankäme. Die tarifliche Regelung über die Führung eines solchen Kontos, auf dem auch das Arbeitsentgelt maßgeblich ist, zeigt gerade, dass neben der reinen Arbeitszeit zum Ausgleich auch mehr, nämlich das jeweilige Entgelt für den Ausgleich von Differenzen maßgeblich sein soll.
b) Entsprechend wird auch in Ziff. 1.4.3, Abs. 2 neben einem Arbeitszeitguthaben der dafür einbehaltene Lohn erwähnt; auch diese Bestimmung zeigt, dass nicht allein ein reines Zeitguthaben maßgeblich sein soll.
c) Schließlich zeigt Ziff. 1.4.3, Abs. 3, wenn dort von einem auf dem Ausgleichskonto "gutgeschriebenen Lohn" die Rede ist, dass es gerade bei dem Guthaben nicht nur auf die reine Arbeitszeit, sondern auch auf das Entgelt ankommen soll. Entscheidend ist letztendlich der auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebene Lohn, wie er sich für Stunden darstellt, die der Arbeitnehmer im Rahmen der Flexibilisierung über die ansonsten regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet hat.
d) Die Regelung eines verstetigten Monatslohnes in § 3 Ziff. 1.4.2 steht einem solchen Verständnis des Sinns und Zwecks der tariflichen Regelung nicht entgegen.
Der verstetigte Monatslohn will gerade nur regeln, dass unabhängig von den tatsächlich geleisteten Stunden ein Einkommen im Umfang von bestimmten Stunden gewährleistet ist.
Die Regelung des Monatslohns enthält aber gerade keine Bestimmung darüber, in welcher Höhe denn ein solcher Monatslohn zu gewährleisten ist. Lediglich der Umfang der Stunden, der dem verstetigten Entgelt zugrunde zu legen ist, wird durch die tarifliche Bestimmung festgelegt.
Der verstetigte Monatslohn dient dem Arbeitnehmer dazu, ohne Rücksicht auf die tatsächlich geleistete Arbeitszeit über ein bestimmtes Entgelt verfügen und damit rechnen zu können, aber eben nur, was den Umfang der zugrunde zu legenden Stundenentgelte angeht.
e) Dem Kläger mag des Weiteren zuzugestehen sein, dass die Führung eines solchen Ausgleichskontos zu einem bürokratischen Aufwand führt, weil in einem solchen Fall gerade nicht nur die Stunden festzuhalten sind, sondern auch das dafür gezahlte Entgelt.
Gerade dies haben die Tarifvertragsparteien aber in Kauf genommen, wenn sie maßgeblich jedenfalls auch auf das Entgelt abstellen und das Ausgleichskonto auch als Entgeltkonto geführt wissen wollen.
Zwar mag die Praxis dieser Schwierigkeit dadurch begegnen, dass im Fall der Entnahme von Guthaben schlicht ein Durchschnittswert zugrunde gelegt wird; der maßgeblichen tariflichen Regelung entspricht diese Handhabung hingegen nicht.
f) Die Handhabung, Guthaben mit dem Wert zum Ausgleich zu bringen, der zur Zeit der Erarbeitung maßgeblich war, führt auch zu keinen unbilligen Ergebnissen.
Hat sich der Arbeitnehmer in der Vergangenheit ein Guthaben dadurch erarbeitet, dass er über die ansonsten geltende regelmäßige Wochenarbeitszeit gearbeitet hat, wird ihm dieses zu einem späteren Zeitpunkt zum Ausgleich gebracht. Der Arbeitnehmer ist mit seiner Arbeitsleistung in Vorleistung getreten gegenüber der verstetigten Entgeltzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers. Er hat sich ein Guthaben auf der Basis der zur Zeit der Erarbeitung maßgeblichen Bedingungen geschaffen.
Im Falle einer Zeitschuld ist der Arbeitgeber mit seiner Entgeltfortzahlungspflicht in Vorleistung getreten. Auch nur diese Vorleistung gleicht der Arbeitnehmer im Falle von Zeitschulden aus, und zwar auch dann, wenn er dies zu einem Zeitpunkt tut, als der Gegenwert für seine Arbeitsleistung tariflich ggf. angehoben worden ist.
Diesen Ausgleich haben die Tarifvertragsparteien mit der Führung eines Entgeltkontos gerade vorgesehen.
C.
Der Kläger hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage war die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Nachfolgeinstanz: Bundesarbeitsgericht - AZ: 5 AZR 108/10