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  • 14.01.2005 · IWW-Abrufnummer 050050

    Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 16.06.2004 – 5 AZR 521/03

    Der Arbeitgeber kann gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG die Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer vom Arbeitnehmer verlangen, wenn er zu wenig Lohnsteuern einbehalten und an das Finanzamt abgeführt hat.


    BUNDESARBEITSGERICHT
    Im Namen des Volkes!
    URTEIL

    5 AZR 521/03

    Verkündet am
    16. Juni 2004

    In Sachen

    hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 16. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge, die Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch und Dr. Linck sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Hann und Mandrossa für Recht erkannt:

    Tenor:

    1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 17. Juli 2003 - 22 Sa 124/00 - wird zurückgewiesen.

    2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

    Von Rechts wegen!

    Tatbestand:

    Die Parteien streiten über einen Anspruch des Beklagten auf Erstattung nachentrichteter Lohnsteuern.

    Der Kläger war bei der O GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), deren Insolvenzverwalter der Beklagte ist, als Architekt/Bauleiter beschäftigt. Für die Monate Mai und Juni 1999 hat der Kläger noch Anspruch auf Nettoarbeitsentgelt iHv. insgesamt 6.062,70 DM (= 3.099,81 Euro).

    Im Jahre 1996 hatte die Schuldnerin dem Kläger und seiner Ehefrau zu hälftigen Miteigentumsanteilen für einen Gesamtkaufpreis von 328.000,00 DM eine Eigentumswohnung verkauft. Baugleiche Wohnungen hatte die Schuldnerin an andere Kunden für jeweils ca. 444.000,00 DM verkauft.

    Anlässlich einer steuerlichen Betriebsprüfung bei der Schuldnerin erstellte diese berichtigte Lohnsteueranmeldungen für das Steuerjahr 1996. Dabei behandelte sie die Differenz zwischen dem um 4 % verminderten Kaufpreis für die baugleichen Wohnungen und dem vom Kläger bezahlten Kaufpreis unter Berücksichtigung eines Freibetrags iHv. 2.400,00 DM als geldwerten Vorteil des Klägers. Den nachträglich angemeldeten Lohnsteuerbetrag iHv. 34.954,92 DM führte die Schuldnerin an das Finanzamt ab. Hierüber erteilte die Schuldnerin dem Kläger im Jahre 1998 eine besondere Lohnsteuerbescheinigung. Der Kläger erhielt im Jahre 1999 für das Jahr 1996 einen geänderten Einkommensteuerbescheid, der den geldwerten Vorteil als zu versteuerndes Einkommen des Klägers berücksichtigte. Die vom Kläger und der Schuldnerin erhobenen Einsprüche gegen die Lohnsteuerfestsetzungen blieben erfolglos. Der Einspruch der Schuldnerin wurde wegen fehlender Beschwer zurückgewiesen, der Einspruch des Klägers wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen.

    Der Kläger hat vorgetragen, bei dem Kaufpreis handele es sich um den Marktpreis, so dass ihm kein zu versteuernder geldwerter Vorteil zugeflossen sei. Ferner hätte allenfalls der auf ihn entfallende hälftige Anteil als geldwerter Vorteil berücksichtigt werden dürfen. Weil die Schuldnerin ohne ersichtlichen Grund das Nachbesteuerungsverfahren selbst in die Wege geleitet habe, bestehe kein Anspruch. Die ihr obliegende Fürsorge hätte es geboten, beim Finanzamt zunächst eine Auskunft einzuholen, um Nachteile vom Kläger abzuwenden. Die Schuldnerin habe ihn jedoch erst nach Abgabe der Lohnsteuernachmeldungen informiert.

    Der Kläger hat zuletzt beantragt

    festzustellen, dass ihm eine Forderung iHv. 6.062,70 DM netto = 3.099,81 Euro netto nebst 4 % Zinsen hieraus ab Rechtshängigkeit als Insolvenzforderung gem. § 38 InsO gegenüber dem Beklagten zusteht.

    Der Beklagte hat beantragt,

    1. die Klage abzuweisen,

    2. widerklagend, den Kläger zu verurteilen, an ihn 28.892,22 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

    Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

    Der Beklagte hat geltend gemacht, der Kläger sei verpflichtet, die Steuerschuld iHv. 34.954,92 DM zu erstatten.

    Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

    Entscheidungsgründe:

    Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen und der Widerklage des Beklagten stattgegeben. Die Klage ist unzulässig (I.). Die Widerklage ist begründet (II.). Der Beklagte kann vom Kläger die Erstattung der von der Schuldnerin für den Kläger abgeführten Lohnsteuer in dem geltend gemachten Umfang verlangen.

    I. Die Klage ist unzulässig.

    Der Kläger hat für die von ihm begehrte Feststellung kein rechtliches Interesse, § 256 Abs. 1 ZPO. Die Insolvenzfeststellungsklage nach § 179 Abs. 1 InsO ist nur statthaft, wenn die Klageforderung im Insolvenzverfahren angemeldet, geprüft und bestritten worden ist. Hierbei handelt es sich um eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung (vgl. BGH 23. Oktober 2003 - IX ZR 165/02 - ZIP 2003, 2379; 21. Februar 2000 - II ZR 231/98 - ZIP 2000, 705). Auch im Bereich der Prozessvoraussetzungen haben grundsätzlich die Parteien die Zulässigkeitsvoraussetzungen darzutun und die erforderlichen Nachweise zu beschaffen. Da der Kläger hierzu nichts vorgetragen hat und der Beklagte in der Revision dargelegt hat, eine Anmeldung zur Tabelle sei nicht erfolgt, ist die Klage als unzulässig abzuweisen.

    II. Die Widerklage ist begründet.

    1. Der Arbeitgeber kann, wenn er von den Einkünften des Arbeitnehmers zu wenig Lohnsteuern einbehalten und an das Finanzamt abgeführt hat, nach Inanspruchnahme und Zahlung der Lohnsteuer gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG deren Erstattung verlangen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber freiwillig oder auf Grund eines Haftungsbescheids die Steuerforderung für den Arbeitnehmer erfüllt (BAG 14. Juni 1974 - 3 AZR 456/73 - BAGE 26, 187; 19. Januar 1979 - 3 AZR 330/77 - BAGE 31, 236, 238 ; 20. März 1984 - 3 AZR 124/82 - BAGE 45, 222 ). Der Arbeitgeber haftet zwar gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Beim Einbehalt und der Abführung der Lohnsteuer erfüllt der Arbeitgeber jedoch eine fremde Schuld (Senat 11. Oktober 1989 - 5 AZR 585/88 - NZA 1990, 309; BAG 15. März 2000 - 10 AZR 101/99 - BAGE 94, 73 ). Schuldner der Lohnsteuer ist gemäß § 38 Abs. 2 EStG der Arbeitnehmer. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 EStG Gesamtschuldner. Im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander ist grundsätzlich allein der Arbeitnehmer Schuldner der Steuerforderung (BAG 20. März 1984 - 3 AZR 124/82 - BAGE 45, 222, 227). Etwas anderes gilt nur, wenn ausnahmsweise der klar erkennbare Parteiwille dahin geht, die Steuerlast solle den Arbeitgeber treffen (BAG 18. Januar 1974 - 3 AZR 183/73 - AP BGB § 670 Nr. 19 = EzA BGB § 611 Nettolohn, Lohnsteuer Nr. 2; Senat 19. Dezember 1963 - 5 AZR 174/63 - BAGE 15, 168).

    2. Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitsvertragsparteien eine Nettolohnvereinbarung getroffen oder in einer anderen Weise zum Ausdruck gebracht hätten, dass in ihrem Verhältnis - anders als üblich - der Arbeitgeber die Steuerlast tragen sollte, hat der hierfür darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht vorgetragen. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Nachentrichtung der Lohnsteuer kein Hinweis dafür, dass die Schuldnerin diese selbst habe tragen wollen. Die Abführung beruht lediglich auf der Vorschrift des § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG, welche den Arbeitgeber hierzu verpflichtet.

    3. Dem Erstattungsanspruch des Beklagten stehen keine Schadensersatzansprüche des Klägers aus § 280 BGB wegen unrichtiger Berechnung der abzuführenden Lohnsteuer entgegen. Der Arbeitgeber ist zwar verpflichtet, die abzuführende Lohnsteuer richtig zu berechnen (Senat 11. Oktober 1989 - 5 AZR 585/88 - NZA 1990, 309). Insbesondere hat er sich um die sachgerechte Bearbeitung und Behandlung der Lohnsteuer seiner Arbeitnehmer zu bemühen. Dagegen hat die Schuldnerin jedoch nicht schuldhaft verstoßen.

    a) Ein hier allein in Betracht kommendes fahrlässiges Verhalten der Schuldnerin im Zusammenhang mit der Nachentrichtung der Lohnsteuer liegt nicht vor. Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Bei der Fahrlässigkeit wird nicht auf das Maß der Sorgfalt abgestellt, das der individuelle Schuldner aufzubringen vermag. Es reicht aus, dass er seine Pflicht bei ordentlicher Sorgfalt hätte erkennen können. Es ist entschuldbar, wenn die Rechtslage objektiv zweifelhaft ist und der Schuldner sie sorgfältig geprüft hat (BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - BAGE 71, 350).

    b) Die Schuldnerin konnte sich auf die Berechnung des Finanzamts zur Nachentrichtung der Lohnsteuer verlassen und sich diese zu eigen machen. Sie durfte auf die Richtigkeit der Steuerfestsetzung vertrauen. Denn das Betriebsstättenfinanzamt (§ 41 Abs. 1 Satz 1 EStG), das die Steuer festgesetzt hat, wäre auch für eine in zweifelhaften Steuerfragen mögliche Anrufungsauskunft nach § 42e EStG zuständig gewesen. Es ist nicht ersichtlich, dass dieses Finanzamt bei einer Anrufungsauskunft eine andere Berechnung der nachzuentrichtenden Lohnsteuer vorgenommen hätte.

    c) Die Schuldnerin hat gegenüber dem Kläger auch ihre Fürsorgepflicht erfüllt. Sie hat ihm mehrere Monate vor Zugang des geänderten Einkommensteuerbescheids für das Jahr 1996 eine geänderte Lohnsteuerbescheinigung zukommen lassen, aus der sich die Nachentrichtung ergab. Zuvor hatte sie den Kläger in einem Gespräch in Anwesenheit des Steuerberaters des Klägers auf die bevorstehende Nachforderung hingewiesen. Damit war der Kläger hinreichend über den Sachverhalt informiert. Er hatte die Möglichkeit, durch einen rechtzeitigen Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid und ggf. eine Klage vor dem Finanzgericht seinen Rechtsstandpunkt zu verteidigen. Die Verspätung und Zurückweisung des Einspruchs hat nicht die Schuldnerin, sondern der Kläger zu vertreten.

    4. Der Anspruch des Beklagten ist nicht verfallen. Der Kläger hat nicht dargelegt, welcher Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden soll. Der allgemeinverbindliche BRTV-Bau kommt nicht in Betracht, weil sich sein persönlicher Geltungsbereich nur auf gewerbliche Arbeitnehmer erstreckt.

    III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

    RechtsgebieteInsO, ZPO, BGB, EStGVorschriftenInsO § 179 Abs. 1 ZPO § 256 Abs. 1 BGB § 426 Abs. 1 EStG § 42d EStG § 42e