02.08.2016 · IWW-Abrufnummer 187641
Landesarbeitsgericht Hamburg: Beschluss vom 26.05.2016 – 6 Ta 11/16
Durch den bewilligenden Prozesskostenhilfebeschluss des Gerichts steht mit bindender Wirkung für das Kostenfestsetzungsverfahren ( § 48 Abs. 1 RVG ) fest, dass die Klageerhebung nicht gegen die Verpflichtung zur kostensparenden Rechtsverfolgung verstößt. Hat das Arbeitsgericht der klagenden Partei für mehrere parallel geführte Verfahren jeweils Prozesskostenhilfe bewilligt, ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle an diese Bewilligung gebunden. Er kann diese Verfahren im Rahmen der Kostenfestsetzung nach § 55 RVG nicht unter Zusammenrechnung der Streitwerte wie ein Verfahren behandeln.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der im Verfahren zum Az. 13 Ca 311/13 mit Wirkung auch für die Verfahren zu den Az.13 Ca 309/13, 13 Ca 310/13, 13 Ca 398/13 sowie 13 Ca 84/14 ergangene Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. März 2016 abgeändert und der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 5. Oktober 2015 aufgehoben.
Der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wird aufgegeben, die Kostenfestsetzungsanträge der Prozessbevollmächtigten des Klägers in den Verfahren zu den Az. 13 Ca 309/13, 13 Ca 310/13, 13 Ca 311/13, 13 Ca 398/13 sowie 13 Ca 84/14 unter Berücksichtigung der rechtlichen Erwägungen des vorliegenden Beschlusses neu zu bescheiden.
Gründe
I.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers wendet sich als Beschwerdeführerin in den Verfahren zu den Az. 13 Ca 309/13, 13 Ca 310/13, 13 Ca 311/13, 13 Ca 398/13 sowie 13 Ca 84/14 gegen die Festsetzung der ihr zu zahlenden Vergütung durch den Festsetzungsbeschluss gemäß § 55 RVG vom 5. Oktober 2015.
Der Kläger wurde in allen arbeitsgerichtlichen Verfahren von der Beschwerdeführerin als Prozessbevollmächtigter anwaltlich vertreten. Er griff mit seiner am 13. September 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage zum Az. 13 Ca 309/13 eine Arbeitszeitweisung der Beklagten sowie die Aufforderung an, bei krankheitsbedingtem Fernbleiben vom Arbeitsplatz ab dem 1. Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes vorzulegen. Ferner forderte er die Überlassung einer Kopie seines Arbeitsvertrages. In zwei weiteren am 13. September 2013 eingeleiteten Verfahren zu den Az. 13 Ca 310/13 und 13 Ca 311/13 wendete sich der Kläger gegen die Wirksamkeit von Abmahnungen. Am 20. November 2013 erhob der Kläger eine neue Klage zum Az. 13 Ca 398/13, mit der er die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses verlangte. Mit seiner Klage vom März 2014 zum Az. 13 Ca 84/14 griff der Kläger eine fristgemäße, betriebsbedingte Kündigung der Beklagten an. Dem Kläger wurde in allen Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten bewilligt. Durch Vergleichsbeschluss des Arbeitsgerichts vom 27. Mai 2014 im Verfahren zum Az. 13 Ca 311/13 wurden neben diesem Verfahren auch die weiteren Verfahren zu den Az. 13 Ca 309/13,13 Ca 310/13,13 Ca 398/13 und 13 Ca 84/14 erledigt.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte in allen Verfahren Kostenfestsetzungsanträge. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hörte die Prozessbevollmächtigte des Klägers zur beabsichtigten geänderten Kostenfestsetzung an. Sie wies darauf hin, dass durch die Einreichung der Klagen zu den Az. 13 Ca 309/13, 13 Ca 310/13 und 13 Ca 311/13 gegen den Grundsatz der prozesssparenden Prozessführung verstoßen worden sei. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund hier an einem Tag statt eines Verfahrens drei anhängig gemacht worden sein. Die Verfahren seien als ein Verfahren zusammenzuziehen und bei der Berechnung entsprechend zu behandeln. Als Gegenstandswert seien die addierten Werte der drei Verfahren zu Grunde zu legen. Mit Beschluss vom 5. Oktober 2015 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütung der Prozessbevollmächtigten in allen 5 Verfahren fest. Hierbei zog sie, wie in der Anhörung angekündigt, die am 13. September 2013 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen Verfahren zu den Az. 13 Ca 309/13, 13 Ca 310/13 und 13 Ca 311/13 zusammen und behandelte sie bei der Berechnung als ein Verfahren.
Gegen den ihr am 9. Oktober 2015 zugegangenen Festsetzungsbeschluss wandte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit ihrer Erinnerung vom 23. Oktober 2015. Mit Beschluss vom 2. November 2015 half die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der Erinnerung nicht ab. Das Arbeitsgericht wies die Erinnerung mit Beschluss vom 10. März 2016 unter Zulassung des Rechtsmittels der Beschwerde zurück. Gegen den ihr am 15. März 2016 zugegangenen Beschluss legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 29. März 2016 Beschwerde ein. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 30. März 2016 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. März 2016 ist die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft und nach form- und fristgerechter Einlegung auch im Übrigen zulässig (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG). Auf den Beschwerdewert kommt es nicht an, da die Beschwerde durch das Arbeitsgericht gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG ausdrücklich zugelassen worden ist.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers kann verlangen, dass die Verfahren des Arbeitsgerichts Hamburg zu den Az. 13 Ca 309/13, 13 Ca 310/13 und 13 Ca 311/13 getrennt abgerechnet und aus der Staatskasse vergütet werden.
a) Grundsätzlich gilt das Gebot der kostensparenden Prozessführung.
Dieses Gebot findet Ausdruck in der Vorschrift des § 91 Abs. 1 ZPO, die vorsieht, dass nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Kosten zu erstatten sind (vgl. hierzu etwa LAG Nürnberg 22.10.2015 - 2Ta 118/15 - juris Rn. 20). Sollen die Kosten für beigeordnete Rechtsanwälte aus öffentlichen Mitteln getragen werden, ist das Gebot, die Kosten der Prozessführung angemessen niedrig zu halten, in besonderem Maße zu beachten: Die Partei soll (nur) solche zumutbaren und kostensparenden Möglichkeiten der Prozessführung wahrnehmen, die sie auch nutzen würde, wenn sie wirtschaftlich leistungsfähig wäre, also die Prozesskosten einschließlich der Anwaltskosten "aus eigener Tasche" zahlen müsste (Hessisches LAG 15.10.2012 - 13 Ta 303/12 - juris Rn. 10; siehe auch BAG 17.02.2011 - 6 AZB 3/11 - juris Rn. 9).
b) Die Frage, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur kostengünstigen Rechtsverfolgung vorliegt, ist aber nicht im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 Abs. 1 RVG, sondern im Rahmen des Verfahrens über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu prüfen (LAG Nürnberg 22.10.2015 - 2Ta 118/15 - juris Rn. 19; Hessisches LAG 15.10.2012 - 13 Ta 303/12 - juris Rn. 12; siehe auch BAG 17.02.2011 - 6AZB3/11 - juris Rn. 9; LAG Sachsen-Anhalt 28.12.2010 - 2 Ta 172/10 - juris Rn 59).
Denn Prozesskostenhilfe ist gemäß § 114 Abs. 1 ZPO nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ist mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder der Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht (BGH 10.03.2005 - XII ZB 20/04 - juris Rn 12; BAG 17.02.2011 - 6 AZB 3/11 - juris Rn. 8). Dies ergibt sich inzwischen auch aus der gesetzlichen Definition des Begriffs der Mutwilligkeit in § 114 Abs. 2 ZPO, die an die höchstrichterliche Rechtsprechung anknüpft. Allerdings findet die Vorschrift des § 114 Abs. 2 ZPO vorliegend lediglich im Prozesskostenhilfeverfahren des Rechtsstreits zum Az. 13 Ca 84/14 Anwendung. Denn sie ist erst zum 1. Januar 2014 in Kraft getreten und gilt gemäß § 40 EGZPO nicht, wenn der Prozesskostenhilfeantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist.
Wie sich aus der nunmehr auch gesetzlich verankerten Definition ergibt, erfasst die im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens durchzuführende Mutwilligkeitsprüfung in erster Linie die verfahrensmäßige Geltendmachung eines Anspruchs (BAG 17.02.2011 - 6 AZB 3/11 - juris Rn. 8). Mutwilligkeit im Sinne dieser Definition liegt vor, wenn eine Partei keine nachvollziehbaren Sachgründe dafür vorbringt, warum sie ihre Ansprüche nicht in einer Klage, sondern im Wege von die Kosten der Rechtsverfolgung erhöhenden Teilklagen geltend macht, oder wenn sie nicht plausibel erklärt, aus welchen Gründen sie einen neuen Prozess anstrengt, obwohl sie das gleiche Klageziel kostengünstiger im Wege der Erweiterung einer bereits anhängigen Klage hätte erreichen können (vgl. BAG 17.02.2011 - 6 AZB 3/11 - juris Rn. 9; LAG Nürnberg 22.10.2015 - 2Ta 118/15 - juris Rn. 20; Hessisches LAG 15.10.2012 - 13 Ta 303/12 - juris Rn. 14; LAG Baden-Württemberg 27.11.2009 - 1 Ta 19/09 - juris Rn 6; LAG Schleswig-Holstein 03.02.2010 - 2 Ta 206/09 - juris Rn 7; LAG Köln 11.07.2008 - 11 Ta 185/08 - juris Rn 9).
Da die Frage, ob das Gebot der kostensparenden Rechtsverfolgung befolgt wird, bereits im Prozesskostenhilfeverfahren zu beantworten ist, ist eine nochmalige Prüfung im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG ausgeschlossen. Nach § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts nach den Beschlüssen, durch die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Daraus folgt, dass der Urkundsbeamte und die im Festsetzungsverfahren entscheidenden Gerichte an die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Anwaltsbeiordnung gebunden sind (LAG Nürnberg 22.10.2015 - 2Ta 118/15 - juris Rn. 30). Durch den bewilligenden Prozesskostenhilfe- und Beiordnungsbeschluss des Gerichts steht mit bindender Wirkung für das Kostenfestsetzungsverfahren fest, dass die Klageerhebung nicht gegen die Verpflichtung zur kostensparenden Rechtsverfolgung verstößt. Denn dies hat das Gericht im Rahmen der Mutwilligkeitsprüfung nach § 114 Abs. 2 ZPO überprüft (LAG Nürnberg 22.10.2015 - 2 Ta 118/15 - juris Rn. 19; Hessisches LAG 15.10.2012 - 13 Ta 303/12 - juris Rn. 12).
Etwas anderes kann entgegen der Auffassung des LAG München (vgl. etwa 08.01.2010 - 10 Ta 349/08 - juris Rn. 28) auch nicht aus den Grundsätzen hergeleitet werden, die im Kostenerstattungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO gelten. Soweit dort im Rahmen der Kostenfestsetzung eine Prüfung des Grundsatzes der kostensparenden Prozessführung erfolgt (hierzu LAG München 08.01.2010 - 10 Ta 349/08 - juris Rn. 25; LAG Nürnberg 22.10.2015 - 2 TA 118/15 - juris Rn. 21), ist dies den abweichenden Gegebenheiten geschuldet: Im Verfahren nach §§ 103, 104 ZPO geht es um die Kostenerstattung durch den unterlegenen Gegner. Eine richterliche Mutwilligkeitsprüfung hat nicht stattgefunden. Eine vorangegangene richterliche Entscheidung mit bindender Wirkung liegt nicht vor (hierzu ausführlich LAG Nürnberg 22.10.2015 - 2 TA 118/15 - juris Rn. 42 ff.). Im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55 Abs. 1 RVG ist demgegenüber die bindende richterliche Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Anwaltsbeiordnung zu beachten.
c) Hier hat das Arbeitsgericht dem Kläger für alle von ihm betriebenen Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten bewilligt. Damit hat das Arbeitsgericht zugleich mit bindender Wirkung für die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle verneint, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der kostensparenden Rechtsverfolgung durch die getrennte Verfolgung von Ansprüchen in den gleichzeitig eingereichten Klagen zu den Az. 13 Ca 309/13, 13 Ca 310/13 und 13 Ca 311/13 vorgelegen hat.
Die von der Urkundsbeamtin unter Zusammenrechnung der Streitwerte vorgenommene Behandlung der Verfahren als ein Verfahren ist unzulässig. Die aus der Staatskasse zu zahlenden Kosten müssen für die Verfahren getrennt abgerechnet werden.
Die Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wird dies bei der Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses zu berücksichtigen haben.
3. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).