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  • 08.04.2021 · IWW-Abrufnummer 221648

    Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 16.02.2021 – 2 Sa 203/20

    1. Ein Geschäftslokal ist vorhanden, wenn ein dafür bestimmter Raum - und sei er auch nur zeitweilig besetzt - geschäftlichen Tätigkeiten dient und der Empfänger dort erreichbar ist.

    2. Ein solcher Geschäftsraum liegt nicht mehr vor, wenn der Inhaber die Räumlichkeiten nicht mehr für gewerbliche Zwecke nutzt und Aufgabewille sowie Aufgabeakt erkennbar sind.

    3. Derjenige, der sich allgemein nach außen als Gewerbetreibender ausgibt und den Rechtsschein hervorruft, er unterhalte als solcher ein Geschäftslokal, muss dorthin gerichtete Zustellungen gegen sich gelten lassen. Es ist ihm nach Treu und Glauben versagt, sich auf die Unwirksamkeit einer dorthin erfolgten Zustellung zu berufen. Dabei ist keine Arglist im engeren Sinne erforderlich. Ausreichend ist, wenn der Adressat den Anschein zumindest insofern zielgerichtet herbeigeführt hat, als er Auswirkungen seines Handelns auf eine Zustellung in einem anhängigen oder möglicherweise bevorstehenden Verfahren in Kauf genommen hat oder sich ihm solche Auswirkungen zumindest aufdrängen mussten.

    4. Die regelmäßige Kontrolle eines Briefkastens gehört zu den Obliegenheiten einer Prozesspartei. Wird ihr nicht nachgekommen, liegt für ein darauf beruhendes Fristversäumnis Verschulden vor.


    Tenor:
    1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 16.07.2020 zum Az.: 2 Ca 51/20 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.


    2. Die Revision wird nicht zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten in der Hauptsache um Zahlungsansprüche aus einem beendetem Arbeitsverhältnis, vorliegend um die Zulässigkeit eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil und Wiedereinsetzung.



    Die Klägerin war bei dem Beklagten, der auch unter der nicht eingetragenen Bezeichnung "m..de - d. g. S." agiert, seit dem 01.01.2019 bis zum 15.12.2019 als Bürokauffrau zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.800,00 € beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 8 ff. d. A.) ist als Arbeitgeberanschrift die "F.straße X" in A-Stadt genannt. Unter dieser Anschrift wird das Halbinselresort A-Stadt betrieben. Es befindet sich direkt am Hafen von A-Stadt und besteht aus Hotel, Ladengeschäft, Ferienhäusern, Campingplatz und Bootsliegeplätzen. Zum Zeitpunkt der Geschäftsgründung wohnte der Beklagte hier auf seinem Boot an einem Bootsliegeplatz des Resorts. Da das Boot keine meldefähige Adresse war, wurde dem Beklagten vom Geschäftsführer des Resorts gestattet, dort einen Briefkasten zu beschriften. Der Beklagte selbst hat im Termin der mündlichen Verhandlung vom 16.02.2021 die Auffassung vertreten, er habe über einen Geschäftsraum in der F.straße nicht verfügt, das Boot sei vielmehr ein Behelfsraum gewesen und er habe die Möglichkeit gehabt, unter der Anschrift Dinge unterzustellen. Die Klägerin hat ihre Tätigkeit als Bürokauffrau von ihrem Zuhause aus ausgeübt. Die Arbeitgeberanschrift "F.straße X" befindet sich ebenfalls auf dem Kündigungsschreiben des Beklagten vom 14.11.2019 sowie den der Klägerin durch ein Steuerberatungsbüro erteilten Abrechnungen.



    Die unter der Anschrift "F.straße X" in A-Stadt gegen den Beklagten erhobene Zahlungsklage vom 04.02.2020 ist dem Beklagten nebst Terminsladung in der F.straße X gemäß vorliegender Zustellurkunde zugestellt worden. Mit an das Arbeitsgericht gesandtem Schriftsatz vom 17.03.2020, welcher als Absenderanschrift ebenfalls die F.straße X benennt, hat der Beklagte einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt. In der Klageerwiderung vom 17.03.2020 ist allerdings als Absenderangabe die "A-Straße" in A-Stadt aufgeführt. Die Ladung zum Güteverhandlungstermin am 05.05.2020 ist dem Beklagten gemäß Zustellurkunde in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung in der "F.straße X" am 24.04.2020 eingelegt worden (Bl. 65 d. A.).



    Das vom Arbeitsgericht Stralsund am 05.05.2020 zum Aktenzeichen 2 Ca 51/20 erlassene, klagestattgebende Versäumnisurteil ist dem Beklagten gemäß Zustellurkunde am 12.05.2020 unter der Anschrift "F.straße X" ebenfalls durch Einlegen in zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung am 12.05.2020 zugestellt worden (Bl. 86 d. A.).



    Mit Schriftsatz vom 20.05.2020, eingegangen beim Arbeitsgericht Stralsund am 22.05.2020, hat der Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt. Zur Begründung hat der Beklagte angeführt, wie dem Gericht zur Kenntnis gegeben worden sei, laute seine Anschrift seit dem 01.01.2020 "A-Straße" in A-Stadt. Er habe weder eine Ladung zum Termin am 05.05.2020 erhalten, noch sei ihm das in diesem Termin ergangene Versäumnisurteil zugestellt worden. Er habe am 20.05.2020 zufällig Kenntnis darüber erlangt, dass an ihn gerichtete Post in der F.straße liege. Hierbei habe es sich u.a. um das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 gehandelt; eine Ladung zu diesem Termin habe sich nicht in der F.straße befunden. In der F.straße unterhalte er weder ein Postfach, noch einen Briefkasten. Mangels Kenntnis vom Termin habe dieser nicht wahrgenommen, mangels Kenntnis vom Versäumnisurteil habe nicht fristgerecht Einspruch eingelegt werden können. Er sei damit ohne sein Verschulden an der Wahrnehmung des Verhandlungstermins und der Einlegung von Rechtsmitteln gegen das Versäumnisurteil gehindert gewesen.



    Die Klägerin hat erwidert, dass ihr die konkrete Bekanntgabe einer neuen Adresse des Beklagten an das Gericht nicht vorliegt. Der Briefkasten des Beklagten sei in der F.straße X noch bis Ende Mai 2020 mit dem Namen des Beklagten bzw. der Firmenbezeichnung beschriftet gewesen. Offensichtlich habe es der Beklagte versäumt, einen Nachsendeauftrag zu veranlassen, wie es sich für einen ordentlichen Kaufmann gehöre. Es liege im Verantwortungsbereich des Beklagten dafür zu sorgen, dass ihn Zustellungen erreichten, zumal er von laufenden Gerichtsverfahren gewusst habe. Er müsse als ordentlicher Kaufmann dafür Sorge tragen, dass er Kenntnis von Zustellungen erhalte. Die ordnungsgemäße Ladung und deren Zustellung seien durch den Zusteller dokumentiert. Da das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 dem Beklagten am 12.05.2020 zugestellt sei, habe der Beklagte mit seinem Schreiben vom 20.05.2020, bei Gericht eingegangen am 22.05.2020, die Einspruchsfrist nicht gewahrt. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand komme unter den gegebenen Umständen nicht in Frage, auch weil es an einer Glaubhaftmachung fehle.



    Mit Urteil vom 16.07.2020 hat das Arbeitsgericht Stralsund ohne mündliche Verhandlung den Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 als unzulässig verworfen und zur Begründung angeführt, sowohl die Terminsladung als auch das Versäumnisurteil seien dem Beklagten gemäß vorliegender Zustellungsurkunden ordnungsgemäß zugestellt worden. Der Einspruch sei damit verspätet. Dem Wiedereinsetzungsantrag sei nicht stattzugeben, weil der Beklagte den Briefkasten in der F.straße X offensichtlich weiterhin genutzt habe. Schließlich habe er das dorthin zugestellte Versäumnisurteil auch tatsächlich in Empfang genommen.



    Den Schriftsatz des Beklagten vom 15.07.2020, am 16.07.2020 beim Arbeitsgericht eingegangen, hat das Gericht in seinem Urteil wegen Ablaufs der Stellungnahmefrist nicht mehr berücksichtigt. In diesem Schriftsatz hat der Beklagte vorgetragen, er nutze den ehemaligen Geschäftsbriefkasten in der F.straße X seit dem 01.01.2020 als privaten Briefkasten weiter. Auf diesem sei jeder Hinweis zu dem von ihm geführten Betrieb entfernt worden, der Briefkasten trage nunmehr die Aufschrift "M.". Seine Geschäftsräume befänden sich ab dem 01.01.2020 in der A-Straße. Dort habe er auch einen Briefkasten mit "m..de d. g. S." beschriftet. Am 07.08.2020 habe er bei seiner täglichen Kontrolle seines Briefkastens in der M.straße einen DIN A4 Umschlag vorgefunden mit dem Vermerk: "Eingeworfen oder persönlich übergeben am 07.08.20" und dem Absender der Halbinselbetriebsgesellschaft mbH, F.straße X, A-Stadt. In diesem Umschlag habe sich diverse Post befunden. Gemäß der zur Akte gereichten Fotografie (Bl. 119 d. A.) enthält der braune Umschlag folgenden Vermerk vom 31.07.2020:



    "Wir bitten um Rückgabe des Briefkastenschlüssels. Bitte in den Briefkasten von "Halbinsel A-Stadt" einwerfen. Veranlassen Sie umgehend einen Nachsendeauftrag zu Ihrer privaten Adresse. Wir werden keine Post mehr annehmen!"



    Mit am 17.08.2020 vorab per Fax am selben Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte gegen das ihm in der A-Straße in A-Stadt am 02.09.2020 zugestellte Urteil vom 16.07.2020 Berufung eingelegt und diese mit am 23.09.2020 eingegangenem Schriftsatz begründet. Der Beklagte hat mit der Berufung in Kopie eine Gewerbe-Ummeldung vom 13.01.2020 zur Akte gereicht (Bl. 158 ff.), wonach eine Verlegung der Betriebsstätte von der F.straße X in A-Stadt in die A-Straße in A-Stadt stattgefunden hat.



    Der Beklagte vertritt die Auffassung, das Urteil sei nicht in gesetzmäßiger Weise ergangen. Nach der Gewerbeummeldung zum 01.01.2020 seien sowohl Terminsladung zum Termin vom 05.05.2020 wie auch das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 nicht wirksam zugestellt. Unter der Anschrift "F.straße X" in A-Stadt habe er, handelnd unter dem nicht eingetragenen Firmennamen m..de, zu keiner Zeit Geschäftsräume oder eine Niederlassung betrieben. Der beim Resort befindliche Briefkasten mit der Aufschrift "M." habe lediglich dem postalischen Austausch zwischen der Resort-Verwaltung und ihm gedient.



    Der Beklagte beantragt,



    das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 16.07.2020 aufzuheben und die Angelegenheit zur Verhandlung an das Arbeitsgericht Stralsund zurückzuverweisen.



    Hilfsweise,



    das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 16.07.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit sie sich über einen Betrag in Höhe von 3.828,36 € brutto verhält.



    Die Klägerin beantragt,



    die Berufung zurückzuweisen.



    Die Klägerin bestreitet, dass der Firmensitz des Beklagten sich nie unter der Adresse "F.straße X" befunden habe, eine Anmietung von Geschäftsräumen in der M.straße bereits 2019 sowie die dortige Einrichtung eines Geschäftssitzes zum 01.01.2020 erfolgt seien. Die Klägerin behauptet, an dem Briefkasten in der F.straße habe bis in den Monat Juli 2020 hinein die Beschriftung "m..de" gestanden. Der Beklagte habe die Beweiskraft der Zustellurkunden nicht erschüttert.



    Wegen der weiteren Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens beider Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien, die Sitzungsniederschriften, das erstinstanzliche Urteil, den gesamten Akteninhalt verwiesen.



    Entscheidungsgründe



    I.



    Die Berufung des Beklagten ist statthaft und zulässig gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO.



    II.



    Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Einspruch des Beklagten vom 20.05.2020 gegen das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 zu Recht nach § 341 Abs. 2 ZPO als unzulässig verworfen. Ebenfalls zu Recht ist es davon ausgegangen, dass dem Beklagten keine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren ist.



    1.



    Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist unzulässig, denn dieser ist nicht innerhalb der einwöchigen Frist des § 59 ArbGG bei dem Arbeitsgericht eingegangen. Das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 ist dem Beklagten am 12.05.2020 ordnungsgemäß zugestellt worden. Danach lief die Einspruchsfrist am 19.05.2020 ab. Der am 22.05.2020 beim Arbeitsgericht eingegangene Einspruch vom 20.05.2020 liegt außerhalb dieser Frist und ist deshalb verspätet.



    Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte die am 12.05.2020 erfolgte Zustellung des Versäumnisurteils unter Anschrift "F.straße X" in A-Stadt gegen sich gelten lassen muss.



    a)



    Es ist eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den zu Geschäftsräumen gehörenden Briefkasten erfolgt.



    Die ordnungsgemäße Zustellung von Ladung und Versäumnisurteil wird durch die vorliegenden Zustellurkunden bestätigt. Beide weisen aus, dass der Zusteller versucht hat, die zuzustellenden Schriftstücke zu übergeben und er, weil die Übergabe der Schriftstücke in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, das Schriftstück in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt hat. Eine Postzustellungsurkunde stellt auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO dar, die ihren vollen Beweis für die darin bezeugten Tatsachen erbringt. Ein Gegenbeweis im Sinne von § 418 Abs. 2 ZPO kann grundsätzlich nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsache geführt werden. Dafür reicht nicht die bloße Behauptung, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert vielmehr den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufes, der ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt. Erforderlich ist der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen ausgeschlossen wird (BFH, Beschluss vom 24.04.2007 - VIII B 249/05 -, Rn. 12, 13, juris; FG Münster, Urteil vom 23.09.2020 - 7 K 2256/19 -, Rn. 30, juris).



    Vorliegend ist es dem Beklagten nicht gelungen, den erforderlichen Gegenbeweis zu führen. Es mangelt bereits an einem entsprechenden Vortrag. Der Beklagte hätte hierfür substantiiert Umstände darlegen müssen, die im konkreten Fall ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Postzustellungsurkunde zu belegen geeignet sind. Derartige Umstände wurden von dem Beklagten jedoch nicht vorgetragen. Der Beklagte beschränkt sich vielmehr darauf, zu behaupten, dass der Briefkasten nicht mehr die Bezeichnung "m..de" aufwies, sondern "M." und deshalb ein Einwurf nicht habe erfolgen dürfen, und dass er unter dieser Anschrift lediglich Behelfsräume, keine Geschäftsräumlichkeiten unterhalten habe.



    Mit der Zustellurkunde ist jedoch belegt, dass eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten der Geschäftsräume erfolgt ist. Der Beklagte hat nicht hinreichend Tatsachen vorgetragen, aus denen die Widerlegung dieser Tatsache folgt. Soweit der Beklagte davon ausgeht, er habe in der F.straße X niemals Geschäftsräume unterhalten, widerspricht dies bereits der eigenen Gewerbeummeldung, in welcher der Beklagte angegeben hat, bis zum 01.01.2020 eine "frühere Betriebsstätte" in der F.straße X in A-Stadt geführt zu haben. Zudem ist ein Geschäftslokal vorhanden, wenn ein dafür bestimmter Raum - und sei er auch nur zeitweilig besetzt - geschäftlichen Tätigkeiten dient und der Empfänger dort erreichbar ist (BGH, Beschluss vom 22.10.2009 - IX ZB 248/08 -, Rn. 16, juris; BGH, Beschluss vom 02.07.2008 - IV ZB 5/08 -, Rn. 7, juris; BGH, Urteil vom 19.03.1998 - VII ZR 172/97 -, Rn. 11, juris). Gemäß dieser Definition kann ein Boot durchaus einen Geschäftsraum bilden. Nach der eigenen Aussage des Beklagten im Termin der mündlichen Verhandlung vom 16.02.2021 hatte er zu Beginn seiner geschäftlichen Tätigkeit keinerlei anderweitige Räumlichkeiten als das Boot, um seine Geschäfte zu führen. Er hat dargestellt, dass das Boot einen Behelfsraum gebildet habe und ihm zudem die Möglichkeit eröffnet war, Dinge unterzustellen. Dies ist ausreichend, um von einem Vorliegen von Geschäftsräumen auszugehen, zumal der Beklagte nach eigener Aussage keinerlei anderweitige Räumlichkeiten als Geschäftsräume nutzte.



    Allerdings liegt ein solcher Geschäftsraum nicht mehr vor, wenn der vormalige Inhaber die Räumlichkeiten nicht mehr für seine Geschäftszwecke nutzt, zudem Aufgabewille und Aufgabeakt erkennbar sind. Ein Aufgabewille bezüglich der Geschäftsräume muss jedoch, wenn auch nicht gerade für den Absender des zuzustellenden Schriftstückes oder die mit der Zustellung betraute Person, so doch jedenfalls für einen mit den Verhältnissen betrauten Beobachter erkennbar sein (BGH, Urteil vom 27.10.1987 - VI ZR 268/86 -, Rn. 10, juris).



    Dass der Beklagte die Nutzung des Bootes als Geschäftsraum tatsächlich aufgegeben hat, und dies nach außen hin erkennbar war, hat der Beklagte nicht nachvollziehbar mit Tatsachenvorbringen unterlegt. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, worin sein Aufgabewille und der Aufgabeakt nach außen hin erkennbar hervorgetreten sein sollen. Er hat nicht dargetan, was sich im Hinblick auf die Räumlichkeiten oder Verhältnisse tatsächlich zum 01.01.2020 geändert hat, so dass von einer Verlegung des Geschäftsraumes für einen mit den Verhältnissen betrauten Beobachter ausgegangen werden konnte. Es ist nicht ersichtlich, dass das Boot nicht mehr dort liegt, der Raum, der als Geschäftsraum diente, also tatsächlich an dieser Stelle nicht mehr vorhanden ist. Es ist nicht geschildert, ob das Boot weiterhin geschäftlich genutzt wurde oder hier keinerlei Nutzung mehr stattfand, welche Teile der Geschäftsräumlichkeiten der Beklagte wann, auf welche Art und Weise aus der F.straße in die M.straße verbracht hat. Der Beklagte hat nicht dargetan, durch welche Umstände sich sein Aufgabewille nach außen manifestiert haben könnte, welche konkreten Änderungen, die den Schluss auf einen derartigen Willen zulassen, wann erfolgten. Er hat nicht angegeben, wann er für welche Zeiträume unter einer neuen Anschrift in der M.straße in welchen Räumlichkeiten zur Führung der Geschäfte anwesend war, welches Inventar er in diese Räume verbracht hat. Soweit der Beklagte auf die Abmeldung beim Gewerbeamt verweist, ist nicht nachvollziehbar, dass eine solche auf irgendeine Art und Weise nach außen dokumentiert wurde. Wie dem Vermerk der Halbinselbetriebsgesellschaft mbH vom 31.07.2020 auf dem Briefumschlag zu entnehmen ist, besaß der Beklagte noch im August 2020 den Schlüssel zu dem Briefkasten, den er für seine Geschäftsräume genutzt hat. Unerheblich ist, welche Beschriftung der Briefkasten aufwies. Das Versäumnisurteil war an den Beklagten persönlich adressiert als Inhaber m..de - d. g. S.. Entscheidend ist, dass der Briefkasten den Geschäftsräumen des Beklagten zugeordnet war, gleichgültig unter welcher Beschriftung. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich zum Zeitpunkt der Zustellung des Versäumnisurteils am 12.05.2020 noch Geschäftsräume in der F.straße X befanden und somit dort die in der Zustellurkunde ausgewiesenen Ersatzzustellung erfolgen konnte.



    b)



    Aber selbst wenn das Boot keinen Geschäftsraum gebildet haben sollte bzw. als Geschäftsraum aufgegeben war, muss der Beklagte nach den Grundsätzen von Treu und Glauben die Zustellung gegen sich gelten lassen.



    Eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO setzt grundsätzlich voraus, dass die Wohnung oder der Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an den zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird, eine vormals bestehende Wohnung bzw. ein Geschäftsraum darf nicht zwischenzeitlich aufgegeben worden sein. Der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume zu unterhalten, genügt für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht. Denn nach den §§ 178 bis 181 ZPO kann nur in der Wohnung bzw. den Geschäftsräumen oder durch Einwurf in die hierzu gehörenden Postempfangsvorrichtungen zugestellt werden, nicht aber dort, wo lediglich der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraumes besteht. Eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmung, nach der der vom Empfänger zurechenbar gesetzte Rechtsschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraumes genügt, scheidet aus, denn wegen ihrer Bedeutung für die Wahrung des Grundrechts auf rechtliches Gehör und im Interesse der Rechtssicherheit haben die Zustellungsvorschriften formalen Charakter. Allerdings kann es sich als unzulässige Rechtsausübung darstellen, wenn der Zustellungsadressat, der einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat, sich auf die Fehlerhaftigkeit einer Ersatzzustellung an diesen scheinbaren Wohnsitz beruft. Hierbei handelt es sich aber nicht um die Erleichterung einer wirksamen Zustellung im Wege der objektiven Zurechnung des Rechtsscheins. Vielmehr wird dem Empfänger im Lichte des das gesamte Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben unter engen und deshalb verfassungsrechtlich unbedenklichen Voraussetzungen lediglich versagt, sich auf die Unwirksamkeit einer Zustellung zu berufen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15.10.2009 - 1 BvR 2333/09 -, Rn. 17 ff., juris). Allerdings ist hierfür keine Arglist im engeren Sinne erforderlich. Dem Adressaten kann vielmehr dann versagt werden, sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung zu beziehen, wenn er diesen Anschein zumindest insofern zielgerichtet herbeigeführt hat, als er Auswirkungen seines Handelns auf eine Zustellung in einem anhängigen oder möglicherweise bevorstehenden Verfahren in Kauf genommen hat oder sich ihm solche Auswirkungen zumindest aufdrängen mussten (OLG Dresden, Beschluss vom 26.10.2020 - 4 U 1563/20 -, Rn. 13, juris). Derjenige, der sich nach außen als Gewerbetreibender ausgibt und den Rechtsschein hervorruft, er unterhalte als solcher ein besonderes Geschäftslokal, muss auch dorthin gerichtete Zustellungen gegen sich gelten lassen. Dabei setzt der Rechtsschein voraus, dass sich der Beklagte allgemein in der Öffentlichkeit als Gewerbetreibender mit einem Geschäftslokal in der F.straße X in A-Stadt ausgegeben hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 16.06.1993 - VIII ZB 39/92 -, Rn. 9 m.w.N., juris).



    Das trifft vorliegend zu. Der Beklagte hat zumindest suggeriert, er unterhalte als Gewebetreibender unter der Anschrift "F.straße X" Geschäftsräume. Er hat diese Anschrift sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber sonstigen Beschäftigten als Arbeitgeberanschrift verwandt. Die der Klägerin übersandten Abrechnungen eines Steuerberatungsbüros enthielten ebenfalls diese Anschrift für den Geschäftssitz des Beklagten. Nach der Gewerbe-Ummeldung hat der Beklagte gegenüber dem Gewerbeamt angegeben, dort einen Betriebssitz unterhalten zu haben. Der Beklagte hat sich auch noch nach dem 01.01.2020, nämlich mit Schriftsatz vom 17.03.2020, an das Arbeitsgericht mit der Absenderanschrift "F.straße X" gewandt. Zutreffend ist zwar, dass er in weiteren Schreiben nicht mehr die F.straße in seinen Absenderangaben genannt hat, sondern die M.straße, es fehlt jedoch der notwendige ausdrückliche Hinweis des Beklagten auf eine Verlegung von Geschäftsräumen. Entgegen dem Beklagtenvorbringen ist der Akte eine derartige Bekanntgabe gegenüber dem Gericht nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat die Gewerbeummeldung auch erst mit der Berufung zur Akte gereicht. Obgleich ihm hätte bewusst sein müssen, dass die in der Klageschrift für ihn angegebene Anschrift ggf. nicht mehr zutreffend ist und er insbesondere nach der Zustellung der Klage unter dieser Anschrift davon ausgehen musste, dass das Gericht diese Anschrift als zustellfähige Anschrift ansieht, hat der Beklagte gegenüber dem Gericht eine Verlegung von Geschäftsräumen nicht ausdrücklich angegeben. Der Beklagte hat es vielmehr unterlassen, darauf aufmerksam zu machen, dass er unter dieser Anschrift tatsächlich keine Geschäftsräume (mehr) unterhält, so dass an seine Wohnanschrift bzw. anderweitige Geschäftsräume zugestellt werden müsste. Insbesondere aufgrund der dem Beklagten zugeleiteten Klage, wusste der Beklagte, dass in diesem Verfahren Zustellungen geschehen würden. Es hätte sich damit für ihn aufdrängen müssen, dass Zustellungen unter der bisherigen Anschrift erfolgen. Der Beklagte hat jedoch die Fehlerhaftigkeit seiner im Rubrum angegebenen Anschrift nie ausdrücklich gerügt.



    Der durch den Beklagten erzeugte Rechtsschein bestand auch noch im Zeitpunkt der Zustellung der Ladung zum Termin am 24.04.2020 sowie der Zustellung des Versäumnisurteils am 12.05.2020. Dabei ist es letztlich unerheblich, welche Beschriftung der Briefkasten aufwies, ob der Briefkasten tatsächlich "geschäftlich" oder lediglich "privat" genutzt wurde. Denn er war in jedem Fall den kraft Rechtsschein vorhandenen Geschäftsräumen zuzuordnen, welche der Beklagte - ob nun unter der Bezeichnung "M." anstelle seines Vor- und Zunamens oder unter der Bezeichnung "m..de d. g. S." - führte. Der Beklagte hatte unstreitig auch noch Zugang zu diesem Briefkasten und hat schließlich das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 nach eigenen Angaben zeitnah nach der für den 12.05.2020 attestierten Zustellung am 20.05.2020 erhalten.



    Es ist folglich von einer Zustellung des Versäumnisurteils am 12.05.2020 auszugehen. Der am 22.05.2020 beim Arbeitsgericht eingegangene Einspruch ist damit verspätet.



    2.



    Soweit das Arbeitsgericht eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand in Folge des Ablaufes der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 abgelehnt hat mit der Begründung, der Beklagte habe die Einspruchsfrist nicht ohne schuldhaftes Handeln versäumt, ist dies nicht zu beanstanden.



    Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Er wurde rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG eingelegt. Der Antrag enthält auch Angaben, mit welchen die Wiedereinsetzung begründet werden soll. Zudem ist die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO nachgeholt worden.



    Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Gemäß § 236 Abs. 2 S. 1 ZPO muss der Antrag die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten. D. h., dass alle Tatsachen, die ihn stützen sollen, innerhalb der Frist vollständig, ausdrücklich und bestimmt angegeben werden müssen. Hierzu gehören auch alle subjektiven Vorgänge zur Kenntnis oder Unkenntnis von Tatsachen, Irrtum, Kausalität und fehlendem Verschulden. Später vorgebrachte Tatsachen können nicht mehr berücksichtigt werden.



    Der Beklagte hat keinerlei hinreichende Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 05.05.2020 rechtzeitig einzulegen. Er trägt lediglich vor, dass er keine rechtzeitige Kenntnis vom Versäumnisurteil erlangt habe, weil es nicht in einen "geschäftlich" genutzten Briefkasten eingeworfen worden sei, sondern in einen "privat" genutzten Briefkasten, welcher nicht regelmäßig geleert werde. Damit kann der Beklagte jedoch nicht gehört werden, weil mit diesen Umständen kein fehlendes Verschulden belegt ist. Dieses Vorbringen erklärt nicht, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sein soll, innerhalb der einwöchigen Einspruchsfrist einen Einspruch zu formulieren und bei Gericht einzureichen. Soweit dies lediglich darauf beruht, dass er den Briefkasten nicht regelmäßig kontrolliert hat, entlastet das den Beklagten nicht. Gerade weil er von gegen ihn bei dem Arbeitsgericht unter diesem Passivrubrum geführten Verfahren wusste, musste er auch damit rechnen, Zustellungen von dem Arbeitsgericht dorthin zu erhalten. Er hätte daher seinen Briefkasten regelmäßig kontrollieren müssen. Der Beklagte hätte dafür Sorge tragen müssen, dass gerichtliche oder auch sonstige wichtige Schriftstücke ihn zeitnah erreichen, damit er ggf. zu wahrende Fristen einhalten kann. Die Kontrolle des Briefkastens, auch wenn es sich lediglich um einen privaten Briefkasten handelt, gehört zu den selbstverständlichen Obliegenheiten einer Partei (LAG Köln, Urteil vom 29.11.2013 - 4 Sa 710/13 -, Rn. 29, juris). Wenn der Beklagte einer solchen Obliegenheit nicht nachkommt, trifft ihn an einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Verschulden. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass es an einer Glaubhaftmachung fehlt.



    III.



    Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen.



    Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

    Vorschriften§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO, § 341 Abs. 2 ZPO, § 59 ArbGG, § 418 Abs. 1 ZPO, § 418 Abs. 2 ZPO, § 180 ZPO, §§ 178 bis 181 ZPO, § 234 Abs. 1 ZPO, § 46 Abs. 2 ArbGG, § 236 Abs. 2 ZPO, § 236 Abs. 2 S. 1 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG