· Fachbeitrag · Rechtsprechungsübersicht
Wichtige Urteile aus dem Arbeitsrechtsjahr 2020
| Das Jahr 2020 stand bei der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit zum einen im Zeichen der Pandemie. Zum anderen galt es auch in diesem Jahr, die Rechtsprechung von A wie AGG bis Z wie Zeugnis irgendwie aufrecht zu erhalten. Was hier und darüber hinaus in 2020 wegweisend war, zeigen die folgenden ausgewählten Entscheidungen. |13. Kündigung: Benachteiligung eines Bewerbers aufgrund seines Alters
1. AGG: Mann für Stelle als „Fachlehrerin Sport“ ist benachteiligt
Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts kann nach § 8 Abs. 1 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung zulässig sein, wenn es um den Zugang zur Beschäftigung einschließlich der zu diesem Zweck erfolgenden Berufsbildung geht. Dabei muss ein geschlechtsbezogenes Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen. Hierbei muss es sich schließlich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handeln (BAG 19.12.19, 8 AZR 2/19, Abruf-Nr. 214255 in AA 20, 113).
2. Arbeitnehmerbegriff: Auskunft nach dem EntgTranspG
Die Begriffe „Arbeitnehmerin“ und „Arbeitnehmer“ in § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG sind unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit dem Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2006/54/EG weit auszulegen. Damit können sich auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte auf das EntgTranspG berufen (BAG 25.6.20, 8 AZR 145/19, Abruf-Nr. 216917 in AA 20, 130).
3. Beamtenrecht: Kritik rechtfertigt nicht immer eine Kündigung
Besteht ein berechtigter Anlass, stellt eine Dienstaufsichtsbeschwerde des ArbN, auch wenn sie mit deutlicher Kritik in rauem Ton verbunden ist, keinen Kündigungsgrund dar (LAG Düsseldorf 4.2.20, 8 Sa 483/19, Abruf-Nr. 214860 in AA 20, 58).
4. Eingruppierung: So schnell gibt es EG 9a in der Serviceeinheit
Die Betreuung der Aktenvorgänge in der Serviceeinheit vom Eingang der Klage bis zum Abschluss des Rechtsstreits ist ein großer einheitlicher Arbeitsvorgang. Fallen in diesem Vorgang in rechtlich erheblichem Umfang schwierige Tätigkeiten im Sinne der EG 9a TV-L an, rechtfertigt dies bereits eine entsprechende Eingruppierung (LAG Baden-Württemberg 23.7.20, 14 Sa 68/19, Abruf-Nr. 218601 in AA 20, 207).
5. Entgeltfortzahlung: Kein Anspruch bei neuer, nur zusätzlicher Krankheit
Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist wegen des Vorliegens derselben Krankheit auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die auf dem fortbestehenden Grundleiden beruht. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat (BAG 11.12.19, 5 AZR 505/18, Abruf-Nr. 212762 in AA 20, 76).
6. Homeoffice: Kein erzwingbarer Anspruch trotz Corona
Der ArbN hat keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz an seinem Wohnsitz (Homeoffice). Es obliegt allein dem ArbG, wie er seinen Verpflichtungen aus § 618 BGB gerecht wird und sie ermessensgerecht durch entsprechende Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts umsetzt, um das Ziel zu erreichen, den hausärztlichen Empfehlungen des ArbN zu entsprechen (Arbeitsgericht Augsburg 7.5.20, 3 Ga 9/20, Abruf-Nr. 218578 in AA 20, 182).
7. Kündigung: ArbG muss BEM vor Kündigung ggf. erneut durchführen
Liegt ein BEM-Verfahren vor Ausspruch einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen länger als ein Jahr zurück, muss der ArbG vor der Kündigung ein erneutes BEM-Verfahren anbieten und gegebenenfalls durchführen (Arbeitsgericht Fulda 11.3.20, 4 Ca 249/19, Abruf-Nr. 216255 in AA 20, 118).
8. Kündigung: Ab in den Hausbriefkasten ... und schon zugestellt?
Eine verkörperte Willenserklärung geht zu, sobald sie in die Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist, und dieser unter gewöhnlichen Umständen von ihr Kenntnis nehmen kann. Das Prozessgericht muss zu den tatsächlichen Umständen einer gewandelten Verkehrsanschauung Feststellungen treffen (BAG 22.8.19, 2 AZR 111/19, Abruf-Nr. 211799 in AA 20, 11).
9. Kündigung: Sexuelle Belästigung führt zur fristlosen Kündigung
Fasst ein ArbN erst einer Kollegin und dann sich selbst in den Schritt mit der anschließenden Äußerung, „da tue sich etwas“, rechtfertigt dies auch nach 16-jähriger beanstandungsfreier Betriebszugehörigkeit die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses (LAG Köln 19.6.20, 4 Sa 644/19, Abruf-Nr. 217327 in AA 20, 166).
10. Kündigung: ArbN trägt vor Gericht falsch vor = fristlos raus
Bewusst falscher Tatsachenvortrag im Prozess, um eine günstige Entscheidung des Gerichts zu erreichen (hier bewusst falsche Angaben zur auszuübenden Tätigkeit, um gerichtlich feststellen zu lassen, zu bestimmten Arbeiten nicht verpflichtet zu sein), kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (LAG Nürnberg 22.1.20, 6 Sa 297/19, Abruf-Nr. 215333 in AA 20, 149).
11. Kündigung: Keine Kündigung von Stamm-ArbN zugunsten der Leiharbeit
Die betriebsbedingte Kündigung von Stamm-ArbN ist wegen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten unwirksam, wenn der ArbG Leih-ArbN beschäftigt, mit denen er ein nicht schwankendes, ständig vorhandenes (Sockel-)Arbeitsvolumen abdeckt (LAG Köln 2.9.20, 5 Sa 14/20 und 5 Sa 295/20, Abruf-Nr. 218708 in AA 20, 199).
12. Kündigung: Nicht jede Kündigung ist sitten- oder treuwidrig
Bei Anwendung der in §§ 138, 242 BGB enthaltenen Generalklauseln kommt es im Kleinbetrieb nicht darauf an, ob eine Pflichtverletzung tatsächlich vorliegt und gegebenenfalls geeignet ist, eine verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen (BAG 5.12.19, 2 AZR 107/19, Abruf-Nr. 213760 in AA 20, 41).
Bietet der ArbG eine „zukunftsorientierte, kreative Mitarbeit in einem jungen, hochmotivierten Team“, so liegt hierin eine Tatsache, die eine Benachteiligung des 61-jährigen Bewerbers wegen des Alters nach § 22 AGG vermuten lässt (LAG Nürnberg 27.5.20, 2 Sa 1/20, Abruf-Nr. 216616 in AA 20, 157).
14. RA-Vergütung: Vorausabtretung der Insolvenzverwaltervergütung
Eine vertragliche Abrede über die Vorausabtretung der Insolvenzverwaltervergütung angestellter Rechtsanwälte an ihre ArbG-Kanzlei ist mit den Grundsätzen der Insolvenzverwaltervergütung und der persönlichen Stellung des Insolvenzverwalters vereinbar (BAG 22.10.20, 6 AZR 566/18, Abruf-Nr. 219030 in AA 20, 202).
15. Schadenersatz: ArbN haftet für zwei Flaschen in Höhe von 39.500 EUR
39.500 EUR ist für zwei Flaschen Wein, Jahrgang 1999 ein angemessener Preis. Der ArbN schulde wegen des Diebstahls der beiden Weinflaschen Schadenersatz wegen der Verletzung des Besitzrechts der ArbG (LAG Schleswig-Holstein 3.2.20, 1 Sa 401/18, Abruf-Nr. 215214 in AA 20, 74).
16. Streikrecht: Gewerkschaft darf auf Betriebsgelände streiken
ArbG sind nicht in ihren Grundrechten auf Eigentum und unternehmerische Handlungsfreiheit durch Streikmaßnahmen auf dem betriebseigenen Parkplatz verletzt. Die Gewerkschaft ist darauf angewiesen, ArbN ansprechen zu können, um ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG auszuüben (BVerfG 9.7.20, 1 BvR 719/19 und 1 BvR 720/19, Abruf-Nr. 217407 in AA 20, 160).
17. Überstundenvergütung: 15 Überstunden sind mit drin
Eine Klausel in einem Arbeitsvertrag, nach der 15 Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sein sollen, verstößt nicht gegen §§ 305 ff. BGB (LAG Hamm 11.12.19, 6 Sa 912/19, Abruf-Nr. 214017 in AA 20, 63).
18. Urlaubsrecht: Anspruch auf Abgeltung unterliegt Ausschlussfristen
Auf den Anspruch auf Abgeltung des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen finden die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs Anwendung. Daraus folgt, dass dieser Anspruch ein einfacher Geldanspruch ist, auf den auch tarifliche Ausschlussfristen anwendbar sind (LAG Rheinland-Pfalz 11.9.19, 7 Sa 414/18, Abruf-Nr. 213695 in AA 20, 139).
19. Urlaubsrecht: Verjährung von Urlaubsansprüchen
Der 9. Senat des BAG hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. Er will die Frage klären lassen, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach §§ 194 ff. BGB verjähren kann (BAG 29.9.20, 9 AZR 266/20 (A), Abruf-Nr. 218105 in AA 20, 184).
20. Zeugnis: Gelochtes Geschäftspapier = kein unzulässiges Geheimzeichen
Verfügt ein kleines handwerkliches Unternehmen nur über gelochtes Geschäftspapier, ist es kein nach § 109 Abs. 2 S. 2 GewO verbotenes Geheimzeichen, wenn dieses Geschäftspapier verwendet wird, um ein Zeugnis zu erteilen (LAG Nürnberg 11.7.19, 3 Sa 58/19, Abruf-Nr. 211992 in AA 20, 9).