19.09.2012 · IWW-Abrufnummer 123037
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 19.07.2012 – 5 Sa 324/12
1.Verfolgt der Arbeitgeber mit einer Tantiemezahlung den Zweck, die Leistung eines Arbeitnehmers im Bezugszeitraum zusätzlich zu vergüten, benachteiligt eine Klausel, die den Verfall des Anspruchs vorsieht, den Arbeitnehmer unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB und ist unwirksam.
2.Dies gilt auch, wenn die Tantieme nicht mehr als 25 % der Jahresvergütung beträgt.
Tenor:
1) | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 10.02.2012 - 1 Ca 6056/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. |
2) | Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. |
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Auszahlung einer Resttantieme aus einem inzwischen beendeten Arbeitsverhältnis.
Der am 30.01.1961 geborene Kläger war seit dem 01.01.1989, zuletzt auf der Grundlage eines Anstellungsvertrages vom 17.03.2009, als Technischer Bereichsleiter bei der Beklagten beschäftigt. Im Anstellungsvertrag vom 17.03.2009 heißt es unter § 2 unter anderem:
"...
4. Der Mitarbeiter erhält eine Tantieme, welche in einer gesonderten Ergänzung geregelt ist.
..."
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand darüber hinaus die "Tantiemerichtlinie im T. Konzern gültig ab 01.01.2010" Anwendung. Diese regelt im § 3 die Tantiemehöhe und im § 4 das "persönliche Verrechnungskonto" (im Folgenden PVK) wie folgt:
"4. Persönliches Verrechnungskonto (PVK)
20 % des nach Pkt. 3 errechneten positiven Jahresbetrages inkl. allfälliger Beträge aus Sonderregelungen werden dem PVK gutgeschrieben, soweit dadurch der zur Auszahlung gelangende Betrag 2/12 des Jahresbruttobezuges nicht unterschreitet.
Die dem PVK gutgeschriebenen Beträge werden mit dem jeweils geltenden internen T. SE - Habenzinssatz jährlich verzinst und jedem Kontoinhaber zum Monatsletzten des Auszahlungsvormonats jeden Jahres gutgebracht sowie ein Kontoauszug zur Verfügung gestellt.
Durch ermittelte Verlustbeteiligungen (auch bei nachlaufenden Ergebnissen) bzw. bestehende Verlustvorträge wird das PVK-Guthaben jährlich vermindert.
Der Anspruch auf Auszahlung des verbleibenden Betrages entsteht bei Pensionierung bzw. bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund von vom Arbeitgeber verursachten Beendigungsgründen und wird, ausgenommen im Falle des Todes des Mitarbeiters, in zwei Jahresraten - beginnend mit der letzten Tantiemeauszahlung - abgerechnet.
Wechselt ein tantiemeberechtigter Mitarbeiter von diesem Personenkreis in den nicht tantiemeberechtigten Angestelltenkreis, ist ein bestehendes Guthaben ebenfalls in zwei Jahresraten abzurechnen.
Ein Guthaben verfällt hingegen bei vom Arbeitnehmer verursachten Beendigungsgründen des Arbeitsverhältnisses.
Übersteigt der Gesamtbetrag am PVK den zweifachen persönlichen Jahresbruttobezug, so ist der übersteigende Betrag zugleich mit der Jahrestantieme zum jeweils geltenden Auszahlungszeitpunkt abzurechnen."
Im § 6 der Tantiemerichtlinie heißt es schließlich unter Buchstabe b:
"Anspruch auf Tantieme haben alle berechtigten Mitarbeiter, die am Ende des Bemessungszeitraumes (derzeit 31.12.) in einem aktiven Arbeitsverhältnis stehen."
Die Bruttojahresvergütung des Klägers betrug zuletzt ca. 93.000,-- €.
Der Kläger kündigte das mit ihm bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.08.2011.
Die Beklagte erstellte unter dem 19.07.2011 eine Tantiemeabrechnung für das Jahr 2010, die einen dem Kläger per 31.07.2011 auszuzahlenden Betrag von 5.572,-- € auswies.
Mit seiner am 17.10.2011 beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingereichten Klage hat der Kläger die Zahlung weiterer 30.369,-- € als Resttantieme geltend gemacht. Er hat insoweit auf sein persönliches Verrechnungskonto verwiesen und darauf, dass dort per 30.06.2011 ein Guthaben in Höhe von 30.369,-- € als verdiente Tantieme ausgewiesen sei. Er hat die Rechtsauffassung vertreten, dass die Verfallklausel im § 4 der Tantiemerichtlinie unwirksam wäre und die Auszahlung der bereits verdienten Tantieme nicht verhindern könnte.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.369,00 EUR (in Worten: dreißigtausenddreihundertneunundsechzig Euro, Cent wie nebenstehend) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Stichtags- bzw. Verfallklausel im § 4 der Tantiemerichtlinie wirksam sei und hierzu wie folgt vorgetragen:
Die derzeit gültige Tantiemerichtlinie, die ähnlich strukturiert wäre wie ihre Vorgängerregelungen (vgl. hierzu Bl. 58 - 66 d. A.), sehe zur Zeit drei Einzelkomponenten zur Errechnung der Gesamttantieme vor, nämlich den sogenannten Direktanteil, die Leistungsprämie und die Rückvergütung aus Zentralregie. Nach § 4 der zuletzt gültigen Tantiemerichtlinie sei eine Auszahlung des Guthabens aus dem PVK gerade nicht vorgesehen, wenn der betroffene Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt hätte.
Diese Klausel, so die Beklagte weiter, begegne keinen rechtlichen Bedenken und entspräche der Rechtsprechung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichtes. Insbesondere könne die Verfallklausel nicht als unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB angesehen werden, weil der dem PVK zugeschriebene Tantiemeanteil in den letzten Jahren nur ca. 4 % der durchschnittlichen Jahresgesamtvergütung des Klägers ausgemacht hätte. Insofern könne dann auch auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit von Widerrufsvorbehalten verwiesen werden, wo auf eine Obergrenze von 25 % abgestellt werde.
Schließlich müsse die streitbefangene Verfallklausel auch schon deshalb Bestand haben, weil Teile der in das PVK eingestellten Tantieme vom Kläger nicht unmittelbar selbst verdient worden wären. Jedenfalls scheitere der Anspruch des Klägers an der fehlenden Fälligkeit.
Mit Urteil vom 10.02.2012 hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf - 1 Ca 6056/11 - dem Klagebegehren entsprochen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, bei der Tantiemerichtlinie handele es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen, die eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB darstellten, weil sie den Ausschluss einer bereits verdienten Tantieme vorsähen. Auch die Fälligkeitsregelung stelle eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB dar, sodass auf § 614 BGB abzustellen wäre.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 24.02.2012 zugestellte Urteil mit einem am 05.03.2012 beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 24.05.2012 - mit einem am 24.05.2012 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie wiederholt zunächst ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und betont erneut ihre Rechtsauffassung, wonach die Verfallklausel, weil sie weniger als 25 % der Gesamtjahresvergütung des Klägers umfasse, rechtlich unbedenklich wäre. Auch die Fälligkeitsregelung enthalte keine unangemessene Benachteiligung, weil für die Zeit bis zur Auszahlung eine Verzinsung vorgesehen sei. Außerdem hätte die Beklagte ein berechtigtes Interesse an einem Hinausschieben der F älligkeit, um etwaige Verlustbeteiligungen berücksichtigen zu können.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 10. Februar 2012 - 1 Ca 6056/11 - wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger stellt klar, dass er sich hilfsweise auf seinen Antrag aus dem Protokoll über die Sitzung vom 13.01.2012 beziehe und stellt im Übrigen den Antrag,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls seinen Sachvortrag aus der ersten Instanz. Zur Fälligkeitsregelung verweist er auf das ihm aufgebürdete Insolvenzrisiko, das es nicht zulasse, den Fälligkeitszeitpunkt soweit hinauszuschieben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
In der Sache selbst hatte das Rechtsmittel indessen keinen Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 611 BGB in Verbindung mit dem Anstellungsvertrag vom 17.09. und in Verbindung mit der Tantiemerichtlinie vom 07.11.2009 einen Anspruch auf Zahlung weiterer Resttantieme in Höhe von 30.369,-- € nebst Zinsen. Demgegenüber ist es der Beklagten verwehrt, sich auf die Verfallklausel in § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie und die Fälligkeitsklausel im § 4 Abs. 4 der Tantiemerichtlinie zu berufen. Beide greifen nicht ein bzw. sind rechtsunwirksam.
1.Die Verfallklausel im § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie stellt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar und ist deshalb im Ergebnis unbeachtlich.
1.1Bei der Tantiemerichtlinie, die ab dem 01.01.2010 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien einwirkt, handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB. Die Richtlinie enthält Vertragsbedingungen, die von der Beklagten zur Verwendung für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und dem Kläger bei Vertragsabschluss gestellt wurden. Dieses ist zwischen den Parteien letztlich auch unstreitig.
1.2In §§ 3 und 4 der Tantiemerichtlinie ist eine erfolgsabhängige Vergütung festgelegt worden, nämlich ein Arbeitsentgelt, das vom Arbeitnehmer durch die Erbringung einer Arbeitsleistung im Bezugszeitraum verdient wird und dessen Höhe von der Erreichung mit ihm vereinbarten Ziele abhängt. Dies folgt aus einer umfassenden Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Tantiemerichtlinie.
1.2.1
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrundezulegen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typscherweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten (BAG 18.01.2012 - 10 AZR 612/10 - NZA 2012, 561; BAG 08.12.2010 - 10 AZR 671/09 - AP Nr. 91 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).
1.2.2
Hiernach verfolgen die einschlägigen Bestimmungen der Tantiemerichtlinie eindeutig den Zweck, die jeweilige Leistung des Klägers im Bezugszeitraum zusätzlich zu honorieren.
Auch nach dem Sachvortrag der Beklagten wird bei der Berechnung der drei Einzelkomponenten überwiegend auf die jeweils zu bemessende individuelle Leistung des Klägers abgestellt, bzw. auf das von ihm mit beeinflusste Bereichs- oder Unternehmensergebnis. Dies gilt zum einen für den sogenannten Direktanteil, der sich an einem bestimmten Prozentsatz am Bereichsergebnis orientiert, für dass der Kläger (mit) zuständig war. Dies gilt aber auch und vor allem für die sogenannte Leistungsprämie, die sich ebenfalls an dem Ergebnis orientiert, dass in dem Unternehmensbereich erzielt wurde, zu dem der Kläger gehört. Schließlich orientiert sich auch die sogenannte "Rückvergütung aus Zentralregie" am wirtschaftlichen Ergebnis, wenn auch überwiegend im Konzern. Auch dieses ist aber letztlich durch entsprechende Tätigkeiten des Klägers mit beeinflusst worden.
1.3.Durch die Verfallklausel im § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie, die einen (teilweisen) Wegfall der vom Kläger im Jahre 2010 verdienten Tantieme vorsieht, wird der Kläger unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligt.
1.3.1
Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, ob die gesetzliche Regelung nicht auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt. Die Frage, ob eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Klauselverwenders vorliegt, ist auf der Grundlage einer Abwägung der berechtigten Interessen der Beteiligten zu beantworten. Hierbei ist das Interesse des Verwenders an der Aufrechterhaltung der Klausel im Interesse des Vertragspartners an der Ersetzung der Klausel durch das Gesetz abzuwägen. Bei dieser wechselseitigen Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner, bei der auch rechtlich geschützte Rechtspositionen zu beachten sind, ist ein genereller, typisierender Maßstab anzulegen (BAG 18.10.2012, a. a. o.; BAG 24.10.2007 - 10 AZR 825/06 - AP Nr. 32 zu § 307 BGB).
Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB sind nicht nur die Gesetzesbestimmungen selbst, sondern die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Grundsätze, d. h. also auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die aufgrund Ergänzender Auslegung nach den §§ 157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten. In der Rechtsprechung insbesondere des Bundesarbeitsgerichtes ist dabei anerkannt, dass mit Sonderzahlungen verbundene Stichtags- und Rückzahlungsklauseln einen Arbeitnehmer nicht in unzulässiger Weise in seiner durch Artikel 12 Grundgesetz garantierten Berufsfreiheit behindern dürfen und insoweit einer Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte gemäß § 307 BGB unterliegen.
Dabei ist es nach der Rechtsprechung dem Arbeitgeber nicht schlechthin untersagt, Sonderzahlungen mit Bindungsklauseln zu versehen, solange die Zahlungen nicht ausschließlich Gegenleistung für schon erbrachte Arbeit sind. Dies gilt sowohl für Klauseln, aus denen sich der Arbeitnehmer verpflichtet, erfolgte Sonderzahlungen zurückzuerstatten, wenn er vor einem bestimmten Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis von sich aus kündigt, als auch für Regelungen, nach denen die Leistung der Sonderzahlung voraussetzt, dass der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt noch im Arbeitsverhältnis steht. Allerdings dürfen derartige Klauseln den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen. Insbesondere dürfen Arbeitnehmer nicht in unzulässiger Weise in seiner Berufsfreiheit behindern und unterliegen insoweit einer Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte gemäß § 307 BGB (BAG 18.01.2012, a. a. O.; BAG 24.10.2007, a. a. O.). Hieraus wiederum folgt, dass eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Bezugszeitraums, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, abhängig gemacht werden (dort so ausdrücklich: BAG 18.01.2012, a. a. o.; vgl. auch: BAG 12.04.2011 - 1 AZR 412/09 - NZA 2011, 989).
1.3.2
Die Verfallklausel in § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie steht im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, in dem sie dem Kläger bereits erarbeiteten Lohn wieder entzieht. Sie verkürzt außerdem in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Artikel 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschwert.
Demgegenüber ist ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer Lohn für geleistete Arbeit gegebenenfalls vorenthalten zu können, nicht ersichtlich. Insbesondere ist eine derartige faktische Einschränkung des Kündigungsrechts auch nicht durch den Zweck der Belohnung von Betriebstreue, die hier letztlich noch diskutabel ist, gedeckt. Das Arbeitsverhältnis dient dem Austausch von Arbeitsleistung und Arbeitsvergütung. Der Wert der Arbeitsleistung für den Arbeitgeber hängt von ihrer Qualität und vom Arbeitserfolg ab, regelmäßig jedoch nicht von der reinen Verweildauer des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis. Die Honorierung zunehmender Beschäftigungsdauer als solcher steht nicht in einem Verhältnis zur Qualität und zum Erfolg der Arbeitsleistung. Die einmal erbrachte Arbeitsleistung gewinnt auch regelmäßig nicht durch bloßes Verharren des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis nachträglich an Wert. Die versprochene Zahlung hat ihren wahren Grund in der erbachten Leistung des Klägers, die zuvor, gemessen an dem von der Beklagten selbst zugrundegelegten Verhältnis von Leistung und Gegenleistung noch nicht vollständig abgegolten war. Dabei ist es letztlich unerheblich, ob sich diese Einschränkung aus einer freiwilligen Betriebsvereinbarung im Sinne des § 88 BetrVG ergibt oder aus allgemeinen Geschäftsbedingungen, die einzelvertraglich in den Arbeitsvertrag einbezogen worden sind (so ausdrücklich: BAG 18.01.2012, a. a. O.).
1.3.3
Demgegenüber kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass Teile der Tantieme nicht unmittelbar auf das direkte Tätigwerden des Klägers zurückzuführen sind, sondern letztlich am Bereichs-, Unternehmens- und/oder Konzernergebnis orientiert werden. Vergütungsbestandteile, die vom Erreichen von persönlichen Zielen und dem Unternehmenserfolg abhängen, sind keine anlass- oder stichtagsbezogenen Sonderzuwendungen des Arbeitgebers, sondern, wie ausgeführt, unmittelbare Gegenleistung für eine vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung, die dieser als Arbeitsentgelt für den vereinbarten Zeitraum erhält. Diese synallagmatische Verbindung wird nicht durch die Abhängigkeit der Höhe der variablen Erfolgsvergütung von einem Unternehmensergebnis im maßgeblichen Bezugszeitraum in Frage gestellt. Denn auch Leistungen, die an den Unternehmenserfolg geknüpft sind, werden regelmäßig als zusätzliche Vergütung für eine im Geschäftsjahr erbrachte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gezahlt (BAG 12.04.2011 - 1 AZR 412/09 - NZA 2011, 989; BAG 08.09.1998 - 9 AZR 273/97 - AP Nr. 214 zu § 611 BGB Gratifikation).
Oben unter Ziffer 1.2.2 ist umfänglich dargelegt worden, dass die drei Komponenten, die zur Ermittlung der Tantieme des Klägers herangezogen werden sollen, zumindest auch an dem Tätigwerden des Klägers anknüpfen. Die - zwischen den Parteien unstreitige - Tatsache, dass dabei teilweise Unternehmensergebnisse mitberücksichtigt werden, verändert den Charakter der hier zu beurteilenden Sonderzuwendung demgegenüber nicht.
1.3.4
Schließlich ändert auch die Tatsache, dass durch die Sonderzahlung - zusätzlich - auch die Betriebstreue des Klägers honoriert werden sollte, an dem bisher gefundenen Ergebnis nichts. Dieser zusätzliche Zweck, der auch die Tantiemezahlung als eine Art Sonderzahlung mit Mischcharakter charakterisieren würde, ändert nämlich nichts daran, dass dem Arbeitnehmer entgegen der in § 611 BGB zum Ausdruck kommenden Vorstellung des Gesetzgebers durch eine Bestandsklausel bereits verdiente Arbeitsvergütung entzogen würde. Ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers daran, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nachträglich zu verändern, kann nicht anerkannt werden. Dem Arbeitgeber ist es dadurch nicht verwehrt, Betriebstreue zu honorieren und einen finanziellen Anreiz für die Möglichkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis zu schaffen. Er hat hierzu dann die Möglichkeit, durch die Vereinbarung von Sonderzahlungen, die ausschließlich der Honorierung von Betriebstreue dienen, dem Arbeitnehmer deutlich zu machen, welchen Wert für ihn das Verbleiben im Arbeitsverhältnis darstellt (BAG 18.01.2012 - 10 AZR 612/10 - NZA 2012, 561; BAG 18.01.2012 - 10 AZR 667/10 - NZA 2012, 620).
Dies ist indessen, wie die bisherigen rechtlichen Überlegungen zeigen, mit Blick auf die streitbefangene Tantiemerichtlinie gerade nicht festzustellen.
1.4Die Beklagte kann auch nicht mit dem Argument gehört worden sein, dass die hier zur Diskussion stehende Resttantieme weniger als 25 % der gesamten Jahresvergütung des Klägers darstellt, sodass die oben entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anwendbar wären. Dazu bietet weder die bisherige Rechtsprechung, noch die von der Beklagten vorgebrachten Argumente im vorliegenden Rechtsstreit eine rechtserhebliche Veranlassung.
1.3.1
Es erscheint der erkennenden Berufungskammer bereits fraglich, ob tatsächlich davon ausgegangen werden kann, dass der vom Kläger eingeklagte Resttantiemebetrag weniger als 25 % seiner Jahresgesamtvergütung ausmacht.
Einzuräumen ist, dass dies hinsichtlich der jeweiligen Jahrestantiemebeträge gilt, soweit sie in den Jahren seit 2003 in das PVK des Klägers eingestellt worden sind.
Streitbefangen ist indessen ein Betrag von über 30.000,-- €, den der Kläger für das Jahr 2010 geltend macht. Dieser Betrag aber macht, gemessen an dem Jahresbruttoverdienst von 96.000,-- €, knapp 30 % der Jahresgesamtvergütung des Klägers aus und liegt deshalb über dem Schwellenwert, den die Beklagte für rechtserheblich hält.
Die Berufungskammer meint, dass nach Sinn und Zweck der Angemessenheitsprüfung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB auch auf das Auszahlungsjahr und nicht auf die Jahre abzustellen ist, in denen die Tantieme verdient wurde. Gerade mit Blick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine eventuelle Eigenkündigung des Klägers ist festzustellen, ob die Verfallklausel eine nicht hinzunehmende Beeinträchtigung der Berufsfreiheit im Sinne des Artikel 12 GG darstellt. Mit anderen Worten: Bezogen auf den Zeitpunkt des Ausscheidens ist konkret zu untersuchen, ob dem Kläger seine Kündigung unangemessen erschwert wird, weil die Beklagte unter Hinweis auf die Verfallklausel mit einem Entzug der Resttantieme "drohen" kann. Diese Frage dürfte aber für den vorliegenden Rechtsstreit unschwer zu bejahen sein; die Gefahr, knapp ein Drittel der Jahresgesamtvergütung bei einer Eigenkündigung zu verlieren, ist unzweifelhaft sehr groß und beeinträchtigt den Kläger in seinem Grundrecht nach Artikel 12 GG unangemessen und unzumutbar.
1.3.2
Die erkennende Berufungskammer hat darüber hinaus Zweifel, ob das Bundesarbeitsgericht, wie unten noch näher zu erläutern sein wird, seine Rechtsprechung zu der Behandlung von Jahressonderzahlungen an der Rechtsprechung orientieren wird, die es zur Zulässigkeit von Widerrufsvorbehalten entwickelt hat.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 12.04.2011 mit einem Sachverhalt zu befassen gehabt, wo es um den Einbehalt einer Ergebnisbeteiligung von rund 18.000,-- € ging und wonach dem der Berufungskammer bekannten Sachverhalt eine Jahresgesamtvergütung von rund 90.000,-- € entnommen werden muss. Selbst bei dieser Konstellation hatte das Bundesarbeitsgericht offensichtlich keine Veranlassung, zur Anwendbarkeit der 25 %-Regelung Stellung zu nehmen.
1.3.3
Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Beklagten meint auch das Berufungsgericht, dass auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit von Widerrufsvorbehalten nicht abgestellt werden kann. Soweit das Bundesarbeitsgericht insoweit auf einen Anteil von 25 % abgestellt hat (BAG 11.10.2006 - 5 AZR 721/05 - AP Nr. 6 zu § 308 BGB), kann dies für die vorliegende Fallkonstellation nicht angenommen werden, weil sich Sinn und Zweck von Widerrufsvorbehalten und Verfallklauseln gerade nicht ähneln. Hinzu kommt aber entscheidend, dass sich das Bundesarbeitsgericht bei der Gesamtwürdigung der Zulässigkeit von Widerrufsvorbehalten eben nicht auf eine Prüfung des prozentualen Anteils beschränkt hat. Hinzu kommen muss ja in diesen Fällen, dass auch eine Prüfung der Gründe für den nachträglichen Widerruf zugesagter Leistungen stattfindet. Diese führt aber, wie oben unter Ziffer 1.2 und 1.3 ausgeführt, zur Feststellung einer unangemessen Benachteiligung des Klägers.
2.Schließlich erweist sich auch die Fälligkeitsregelung in § 4 Abs. 4 der Tantiemerichtlinie als eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 2 Ziffer 1 BGB. Die Regelung weicht von dem Grundgedanken des § 614 BGB soweit ab, dass von einer unangemessenen Benachteiligung des Klägers auszugehen ist.
2.1Auch bei der Prüfung der Fälligkeitsregelung in der Tantiemerichtlinie der Beklagten ist zu untersuchen, ob die gesetzliche Regelung, hier § 614 BGB, nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägung beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebotes darstellt. Die Frage, ob eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Klauselverwenders vorliegt, ist deshalb auch hier auf der Grundlage einer Abwägung der berechtigten Interessen der Beteiligten zu beantworten. Hierbei ist das Interesse des Verwenders an der Aufrechterhaltung der Klausel mit dem Interesse des Vertragspartners an der Ersetzung der Klausel durch das Gesetz abzuwägen. Bei dieser wechselseitigen Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner, bei der auch grundrechtlich geschützte Rechtspositionen zu beachten sind, ist ein genereller, typisierender Maßstab anzulegen (vgl. auch hierzu: BAG 18.01.2012 - 10 AZR 612/10 - a. a. O.).
2.2Hiernach haben die Interessen des Klägers einer alsbaldigen Auszahlung Vorrang vor den Interessen der Beklagten, die sich auf den festgelegten Zwei-Jahres-Rahmen beruft.
Zugunsten der Beklagten ist sicherlich in Ansatz zu bringen, dass die ins PVK eingestellten Tantiemeteile bis zur Auszahlung verzinst werden. Demgegenüber kann sich der Kläger allerdings und vor allen Dingen auch darauf berufen, dass er für einen relativ langen Zeitraum das Insolvenzrisiko trägt, das gerade nicht durch mögliche Absicherungsmaßnahmen der Beklagten relativiert worden ist.
Die erkennende Kammer erkennt darüber hinaus auch an, dass die Beklagte mit Blick auf mögliche Verlustbeteiligungen ein erhebliches Interesse daran hat, Teile der verdienten Tantiemeansprüche nicht auszuzahlen, um so spätere Verrechnungen durchführen zu können. Es fehlen aber jegliche konkrete Angaben dafür, weshalb es hierfür nötig gewesen sein soll, Teile der erdienten Tantieme für zwei Jahre zurückzuhalten. Anhaltspunkte dafür, dass noch nach einem so langen Zeitraum Rückforderungsansprüche entstehen könnten, hat die Beklagte überhaupt nicht geliefert. Insgesamt muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die mit ihm vereinbarte Fälligkeitsregelung die Interessen des Klägers gerade nicht angemessen berücksichtigt, sodass es bei der gesetzlichen Regelung des § 614 BGB verbleiben muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die erkennende Kammer hat die Revision für die Beklagte zugelassen, weil sie das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bejaht hat, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.