19.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140779
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 13.09.2013 – 6 Sa 182/13
1.Obwohl der Arbeitgeber als Unternehmer gem. § 2a Satz 3 FPersV die sog. Kontrollunterlagen seines Fahrers nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist von einem Jahr bis zum 31.03. des Folgejahres zu vernichten hat, stellt es eine zumindest fahrlässige Beweisvereitelung dar, wenn er im Rahmen eines Rechtsstreits über die Zahlung von Überstundenvergütung die bevorstehende Vernichtung nicht dem Gericht angezeigt hat, nachdem sich beide Parteien auf diese Unterlagen bezogen hatten.
2.Die Regelung in einem Formularvertrag, wonach die Abrechnung der Monatsvergütung bis zum 25. des Folgemonats erfolgt, ist gemäß § 308 Nr. 1 Ts. 1 BGB unwirksam, weil sich der Arbeitgeber damit eine unangemessen lange Frist zur Erbringung seiner Leistung vorbehält.
In dem Rechtsstreit
Pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Kammer 6,
auf die mündliche Verhandlung vom 30.08.2013
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht C. als Vorsitzenden
sowie die ehrenamtlichen Richter K. und Z.
für Recht erkannt:
Tenor:
1. | Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 22.01.2013 - 8 Ca 716/12 - im Kostenausspruch und insoweit geändert, wie es die Entscheidung im Versäumnisurteil vom 08.08.2012 über die Abweisung der Klage in Höhe von 849,35 € brutto nebst Zinsen hinaus aufrechterhalten hat, und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Versäumnisurteils verurteilt, an den Kläger 873,19 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 143,16 € ab 25.09.2011, 123,69 € ab 25.11.2011, 88,35 € ab 25.03.2012 und je 129,58 € ab 25.10. und 25.12.2011 und 25.01. und 25.02.2012 zu zahlen. |
2. | Die Kosten der Berufungsinstanz werden gegeneinander aufgehoben, während die Entscheidung über die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits dem Schlussurteil des Arbeitsgerichts vorbehalten bleibt. |
3. | Die Revision wird nicht zugelassen. |
Tatbestand
Der Kläger trat auf Grund eines Arbeitsvertrags vom 30.10.2004 (Bl. 5 - 8 GA) als Kraftfahrer in die Dienste des Beklagten. Darin war sein Bruttogrundlohn mit 1.022,58 € monatlich bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche vereinbart.
Mit Schreiben vom 01.09.2011 (Ablichtung Bl. 9 GA) bestätigte der Beklagte dem Kläger, eine regelmäßige Arbeitszeit von Montag bis Freitag in der Zeit von 06:30 bis 17:00 Uhr.
Seit August 2011 hatte der Kläger wegen Erkrankung seines Kindes, Urlaubs und eines Kuraufenthalts diverse Ausfallzeiten. Seit 09.01.2012 ist er durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger für die Zeit vom 01.08.2011 bis 21.02.2012 Vergütung von zwei Überstunden täglich sowie im Wege der Klagerweiterung Ersatz von Bearbeitungsgebühren für Rücklastschriften infolge Zahlungsverzugs des Beklagten.
Das Arbeitsgericht Berlin hat ein die Klage abweisendes Versäumnisurteil aufrechterhalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe seiner Darlegungslast für die Leistung von Überstunden nicht genügt. Der Beklagte habe substantiiert bestritten, dass der Kläger seine Tour täglich dreimal gefahren sei, und dargelegt, dass der Kläger bestimmte Kunden nur ein- bis zweimal die Woche aufgesucht habe. Soweit der Kläger darauf verwiesen habe, seine Fahrtnachweise, Tageskontrollkarten und Monatsnachweise beim Beklagten abgegeben zu haben, verlagere dies nicht die Darlegungslast auf diesen. Aus der Bestätigung vom 01.09.2011 könne der Kläger nichts ableiten, weil von ihm nicht bestritten worden sei, dass dieses Schreiben auf seine Veranlassung erstellt worden sei, um sicherzustellen, dass sein Kind in der Kita länger betreut werde.
Gegen dieses ihm am 24.01.2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.01.2013 eingelegte und am 25.03.2013, einem Montag, begründete Berufung des Klägers. Er meint, dass er seiner Darlegungslast genügt habe. Zum Beweis habe er sich auf seine dem Beklagten überreichten Tageskontrollkarten, Monatsnachweise und Fahrtennachweise berufen. Außerdem habe er seinen Teamleiter als Zeugen dafür benannt, seit August 2011 seine Tour dreimal täglich gefahren zu haben.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Änderung des angefochtenen Urteils und unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 08.08.2012 zu verurteilen, an ihn 1.722,54 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 270,94 € ab 25.09.2011, auf 247,26 € ab 25.11.2011, auf 167,70 € ab 25.03.2012 sowie auf je 259,16 € ab 25.10. und 25.12.2011 und 25.01. und 25.02.2012 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und bezieht sich auf die von ihm auflagengemäß zur Akte gereichten Kopien der von ihm gefertigten Arbeitszeitaufzeichnungen für den Kläger in den Monaten August 2011 bis Februar 2012 (Bl. 164 - 174 GA). Die zugrunde liegenden Fahrtenberichte des Klägers habe er gemäß der Fahrpersonalverordnung (FPersV) zunächst mindestens 15 Monate aufbewahrt und sodann bis zum 31.03. des Folgejahres vernichtet. Eine Beweisvereitelung liege deshalb entgegen der Ansicht des Klägers nicht vor. Da der Kläger mit seinem Lieferfahrzeug habe nach Hause fahren dürfen, stelle der Weg von der letzten Auslieferungsstelle bis zu seiner Wohnung ebenso wie der morgendliche Weg zur Einsatzstelle keine Arbeitszeit dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Das Gericht hat den Teamleiter des Klägers zur Anzahl seiner Touren im streitigen Zeitraum und deren Dauer uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 30.08.2013 (Bl. 214 - 216 GA) verwiesen.
Der Kläger hat von der Möglichkeit, zum Ergebnis der Beweisaufnahme schriftsätzlich Stellung zu nehmen, mit Schriftsatz vom 11.09.2013 unter Bezugnahme auf den kommentierten Ausdruck einer Google Earth-Recherche Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
1. Die gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG fristgemäß eingelegte und ordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers ist teilweise auch sachlich begründet.
1.1 Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Überstundenvergütung für die Zeit von August 2011 bis Februar 2012 in Höhe von 873,19 € brutto.
1.1.1 Soweit der Kläger gearbeitet hat, beruhte dieser Anspruch auf § 612 Abs. 1 BGB.
1.1.1.1 Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. So verhält es sich bei einem Kraftfahrer, der im Nahverkehr bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche gegen eine äußerst geringe feste Monatsvergütung beschäftigt wird. Es handelt sich dabei weder um Dienste höherer Art noch um eine deutlich herausgehobene Vergütung (dazu BAG, Urteil vom 17.08.2011 - 5 AZR 406/10 - BAGE 139, 44 - AP § 307 BGB Nr. 55 R 20; Urteil vom 22.02.2012 - 5 AZR 765/10 - NZA 2012, 861 R 21).
1.1.1.2 Die Leistung der Überstunden beruhte auch auf einer entsprechenden Anordnung des Beklagten. Diese lag darin, dass der Kläger ab August 2011 auf eine dritte Tour geschickt wurde, wie der Beklagte nach dahingehender Aussage des Teamleiters des Klägers nicht weiter in Abrede gestellt hat. Dass es dem Kläger nach der unwidersprochen gebliebenen Aussage seines Teamleiters weitgehend überlassen war, wie er seine Tour abwickelte, änderte nichts. Dass er dabei etwa unrationell vorging und dadurch unnötig Zeit verbrauchte, hat der Beklagte nicht behauptet.
1.1.2 Auch für die Zeiten, in denen der Kläger durch Pflege seines erkrankten Kindes oder durch Arbeitsunfähigkeit oder Kur an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert war oder ihm vom Beklagten Urlaub gewährt worden war, stand ihm ein Anspruch auf Überstundenvergütung zu.
1.1.2.1 Indem sich der Kläger als alleinerziehender Vater an einem Tag um sein erkranktes Kind kümmern musste, ist er seines Anspruchs auf Vergütung gemäß § 616 Satz 1 BGB nicht verlustig gegangen. Auf Grund der Pflicht eines Arbeitnehmers zur Personensorge gemäß § 1626 Abs. 1 BGB handelt es sich bei der Pflege eines erkrankten Kindes um einen in seiner Person liegenden Grund (BAG, Urteil vom 20.06.1976 - 5 AZR 479/77 - BAGE 32, 32 = AP BGB § 616 Nr. 49 zu 2 der Gründe). Dass der Kläger die Erkrankung seines Kindes etwa verschuldet hatte oder kurzfristig für eine anderweitige Pflege hätte sorgen können, war nicht ersichtlich. Ein Tag war auch keine verhältnismäßig erhebliche Zeit. Schließlich umfasst der Anspruch auf Vergütung, dessen der Arbeitnehmer gemäß § 616 Satz 1 BGB nicht verlustig geht, nach dem sog. Lohnausfallprinzip neben der arbeitsvertraglichen Grundvergütung auch die Vergütung für sonst angefallene Überstunden gemäß § 612 Abs. 1 BGB.
1.1.2.2 Für die Zeiten seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bzw. Kur stand dem Kläger gemäß §§ 3 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG jeweils ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von sechs Wochen zu. Gemäß § 4 Abs. 1 EFZG war ihm das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Dazu gehören gemäß § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG zwar an sich nicht das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt. Davon sind indessen nicht solche Überstunden erfasst, die nicht bloß wegen bestimmter besonderer Umstände vorübergehend zusätzlich geleistet werden müssen, sondern die regelmäßig anfallen (BAG, Urteil vom 21.11.2001 - 5 AZR 269/00 - BAGE 100, 25 = AP EntgeltFG § 4 Nr. 56 zu II 3 b cc der Gründe), wie dies hier auf Grund der im August 2011 dazugekommenen dritten Tour der Fall war.
1.1.2.3 Schließlich umfasste auch der Anspruch des Klägers auf bezahlten Erholungsurlaub gemäß § 1 BUrlG die Vergütung von Überstunden, die er in der Urlaubszeit zu leisten gehabt hätte. Dem steht nicht entgegen, dass gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt von der Bemessung des Urlaubsentgelts ausgenommen ist. Dies betrifft lediglich den sog. Geldfaktor und soll verhindern, dass ein Arbeitnehmer durch gezielte Leistungen von Überstunden im Bezugszeitraum ein höheres Urlaubsentgelt erlangen kann. Damit ist jedoch kein Ausschluss des Entgelts für die wegen des Urlaubs im Freistellungszeitraum ausfallenden Überstunden verbunden. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die Zeit, die er gearbeitet hätte, wenn er nicht urlaubsbedingt von der Arbeit freigestellt wäre (BAG, Urteil vom 09.11.1999 - 9 AZR 771/98 - BAGE 92, 343 = AP BUrlG § 11 Nr. 47 zu I 3 a der Gründe).
1.1.3 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und dem gesamten Inhalt der Verhandlungen war die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger ab August 2011 regelmäßig eine Überstunde pro Tag geleistet hat.
1.1.3.1 Der Teamleiter des Klägers hat bei seiner Vernehmung bestätigt, dass der Kläger entgegen der ursprünglichen Darstellung des Beklagten ab August 2011 eine dritte Tour zu fahren hatte. Er hat allerdings auch ausgesagt, dass diese Tour deutlich weniger Kunden umfasste als die erste und die zweite Tour und dementsprechend kürzer war. Auch wenn er auf Grund seiner Erfahrung eingeschätzt hat, dass die dritte Tour deshalb bis zum letzten Kunden in ca. einer Stunde zu schaffen war, hat er doch einräumen müssen, dass es ab und zu dazu gekommen sein mag, dass der Kläger dort erst nach 15:00 Uhr angekommen war.
1.1.3.2 Nach dem Bestätigungsschreiben dieses Kunden vom 20.08.2013 (Bl. 213 GA) hatte es sich sogar so verhalten, dass die Auslieferung in der dritten Tour immer nach 15:00 Uhr erfolgt war. Allerdings hat dieser Kunde auch nicht angegeben, dass der Kläger etwa erst um 16:00 Uhr oder sogar danach bei ihm erschienen sei.
1.1.3.3 Dass in den vom Beklagten gemäß § 21a Abs. 7 Satz 1 ArbZG gefertigten Aufzeichnungen der Arbeitszeit des Klägers überwiegend 15:00 Uhr als Arbeitsende ausgewiesen ist und nur zum Teil auch 14:55 Uhr oder 15:05 Uhr oder gelegentlich sogar noch früher oder später, schloss es nicht aus, von einem regelmäßigen Arbeitsende nach 15:00 Uhr auszugehen. Dies schon deshalb, weil der Kläger nach diesen Aufzeichnungen stets von 13:30 Uhr bis 13:45 Uhr Pause gemacht haben soll, während sein Teamleiter ausgesagt hat, der Kläger habe die zweite Tour ca. 13:30/13:45 Uhr beendet. Hinzu kam, dass der Beklagte selbst erstinstanzlich vorgetragen hat, der Kläger habe am 17.08.2011 bis 17:15 Uhr gearbeitet, während in seiner Arbeitszeitaufzeichnung für diesen Tag 15:05 Uhr als Arbeitsende angegeben ist. Diesen eklatanten Widerspruch hat der Beklagte mit seinem spekulativen Hinweis nicht auszuräumen vermocht, dass es wohl zu einer Panne am Fahrzeug des Klägers auf der Rückfahrt vom letzten Auslieferungsort gekommen sei. Denn dann hätte diese Zeit vom Standpunkt des Beklagten aus, dass es sich dabei um keine Arbeitszeit gehandelt habe, konsequenterweise wie an den anderen Tagen auch gar nicht erst Eingang in die Arbeitszeitaufzeichnung finden dürfen.
1.1.3.4 Für die Richtigkeit der Darstellung des Klägers, seit September 2011 seine Arbeit regelmäßig erst nach 15:00 Uhr beendet zu haben, sprach auch, dass der Beklagte bis zur Vernehmung des Teamleiters eine dritte Tour in Abrede gestellt hatte. Die dafür gegebene Erklärung, dies sei keine richtige Tour gewesen, weil der Kläger deutlich weniger Kunden als auf der ersten und der zweiten Tour habe beliefern müssen, konnte nur als untauglicher Versuch angesehen werden, seine Verletzung der Wahrheitspflicht aus § 138 Abs. 1 ZPO zu kaschieren.
1.1.3.5 Für die Überzeugungsbildung der Kammer war ebenfalls bedeutsam, dass der Beklagte mit der Vernichtung der vom Kläger über jede Fahrt geführten Kontrollunterlagen eine zumindest fahrlässige Beweisvereitelung begangen hat.
1.1.3.5.1 Das Gericht kann in freier Beweiswürdigung auf die Wahrheit des gegnerischen Vorbringens schließen, wenn eine Partei der anderen die Benutzung eines wesentlichen Beweismittels auch nur fahrlässig vereitelt hat (BGH, Urteil vom 06.11.1962 - VI ZR 29/62 - NJW 1963, 389). Dafür genügt in entsprechender Anwendung des § 444 ZPO, dass der Partei, die eine als Beweismittel in Betracht kommende Urkunde vernichtet hat, erkennbar gewesen ist, dass diese einmal Beweisfunktion haben kann (BGH, Urteil vom 01.02.1994 - VI ZR 65/93 - NJW 1994, 1594 zu II 2 e der Gründe).
1.1.3.5.2 So verhielt es sich hier. Zwar sieht § 2a Satz 3 FPersV vor, dass der Unternehmer die sog. Kontrollunterlagen nach Ablauf seiner Aufbewahrungspflicht von einem Jahr bis zum 31.03. des folgenden Kalenderjahres zu vernichten hat. Zu dieser Zeit hatten jedoch beide Parteien bereits auf die Fahrtenberichte des Klägers Bezug genommen. Damit handelte es sich um Urkunden, deren Vorlegung gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO vom Gericht angeordnet werden konnte, womit der Beklagte rechnen musste, auch wenn insoweit keine Vorlagepflicht nach bürgerlichem Recht bestand, was gemäß § 421 ZPO lediglich Voraussetzung für einen entsprechenden Beweisantritt des Klägers gewesen wäre. In dieser Situation hätte der Beklagte durch Anzeige der bevorstehenden Vernichtung dem Arbeitsgericht Gelegenheit geben müssen, noch rechtzeitig eine Vorlegung anzuordnen.
1.1.3.6 Schließlich war zu berücksichtigen, dass der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 01.09.2011 bestätigt hatte, dass dessen regelmäßige Arbeitszeit nunmehr von Montag bis Freitag in der Zeit von 6:30 Uhr bis 17:00 Uhr liege, worin ein außergerichtliches Geständnis zu sehen war. Auch wenn er dies auf Bitte des Klägers getan hatte, um die Betreuung dessen Kindes in der Kita für längere Zeit sicherzustellen, zeigte dies doch, dass sich insoweit nunmehr durch Einführung der dritten Tour eine entsprechende Notwendigkeit ergeben hatte, mag auch für das Arbeitssende vorsorglich eine spätere Uhrzeit als nötig angegeben worden sein.
1.1.4. Soweit der Beklagte nicht selbst das Arbeitsende für den 17.08.2011 mit 17:15 Uhr angegeben hat, ist dieses von der Kammer gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 ZPO auf 16:00 Uhr geschätzt worden. Dabei ist die Kammer davon ausgegangen, dass der Kläger regelmäßig nicht vor 15:15 Uhr beim letzten Kunden in der F. Straße eintraf, wo für Be- und Entladen etwa 5 bis 10 Minuten anfielen. Für eine Rückkehr zum Einsatzort beim Auftraggeber in der B.straße hätte der Kläger nach der allgemein im Internet zugänglichen Quelle Google Maps 25 Minuten Fahrzeit benötigt. Diese Angabe klammert jedoch ausdrücklich Abweichungen auf Grund von Baustellen, Verkehr, Wetter oder anderen Faktoren aus, wofür die Kammer mit Rücksicht auf den einsetzenden Berufsverkehr auf der Grundlage eigener Erfahrung ihrer Mitglieder 10 bis 15 Minuten aufgeschlagen hat.
1.1.5 Dass der Beklagte dem Kläger und seinen Kollegen erlaubt hatte, mit ihren Fahrzeugen vom jeweils letzten Kunden direkt nach Hause zu fahren, führte nicht dazu, dass die Arbeitszeit bereits bei diesem Kunden endete. Dies hätte vielmehr einer entsprechenden Vereinbarung bedurft, die vom Teamleiter gerade nicht bekundet worden ist. Deshalb wäre allenfalls in Betracht gekommen, dem Kläger die gesparte Zeit für seinen Heimweg vom Einsatzort mit 10 bis 15 Minuten in Anrechnung zu bringen. Insoweit hat die Kammer jedoch nicht feststellen können, dass der Kläger von der ihm erteilten Erlaubnis überhaupt in nennenswertem Umfang Gebrauch gemacht hat. Während der Teamleiter nach seiner Aussage nur bei Bedarf noch nach 15:00 Uhr in der Niederlassung war und deshalb nur entsprechend eingeschränkte Wahrnehmungen machen konnte, hat der Kläger überzeugend geschildert, in seinem Wohnbereich keinen passenden Stellplatz für sein Lieferfahrzeug gehabt zu haben.
1.1.6 Für jeweils eine Überstunde an insgesamt 146 Arbeitstagen ergab sich bei einem Stundenlohn von 5,89 € ein Zahlbetrag von 859,94 €. Hinzu kamen noch 13,25 € für 2,25 Überstunden am 16.08.2011.
1.2 Der Anspruch des Klägers ist nicht gemäß § 242 BGB auf Grund eines Verstoßes gegen Treu und Glauben verwirkt. Zwar soll sich der Kläger nie über das Ausbleiben einer Überstundenvergütung beschwert haben. Doch hat er bereits im April 2012 nach fruchtloser außergerichtlicher Geltendmachung Zahlungsklage erhoben. Auch hat der Beklagte nicht vorgebracht, im Vertrauen darauf, dass der Kläger keine Überstundenvergütung mehr verlangen werde, Dispositionen getroffen zu haben. Zudem lagen ihm zur damaligen Zeit die Fahrtenberichte des Klägers vor, an Hand deren er einem unberechtigten Verlangen des Klägers unschwer hätte entgegentreten können.
1.3 Verzugszinsen stehen dem Kläger gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 614 Satz 2 BGB zu. Soweit er sich dabei an § 11 Abs. 1 seines Arbeitsvertrags orientiert hat, wonach die Abrechnung der Monatsvergütung bis zum 25. des Folgemonats erfolgte, wäre allerdings entsprechend § 187 Abs. 1 BGB frühestens ab dem jeweils nächsten Tag Verzug eingetreten. Diese erkennbar vom Beklagten vorformulierte Vertragsklausel war jedoch gemäß § 308 Nr. 1 Ts.1 BGB unwirksam, weil sich der Beklagte damit eine unangemessen lange Frist für die Erbringung seiner Leistung vorbehalten hat. Ist ein Arbeitnehmer bei monatlicher Zahlung seiner Vergütung ohnehin schon gemäß § 614 Satz 2 BGB eine erhebliche Zeit lang vorleistungspflichtig, so erscheint es allenfalls angemessen, den Fälligkeitstermin im Hinblick auf eine notwendige Berechnung schwankender Bezüge noch bis zum 15. des Folgemonats hinauszuschieben (Lakies, Vertragsgestaltung und AGB im Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2011, Kap. 5 R 287).
2. Soweit der Kläger im nachgelassenen Schriftsatz über eine Beweiswürdigung hinaus seinen Vortrag zum Zeitaufwand bei der Auslieferung der Waren vertieft hat, war dieser Vortrag gemäß § 296a Satz 1 ZPO nicht zu berücksichtigen. Auch brauchte die Verhandlung nicht gemäß § 156 ZPO wiedereröffnet zu werden. Insbesondere hat keine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorgelegen (Abs. 2 Nr. 1). Die Vernehmung weiterer Zeugen zur Dauer einer Tour des Klägers war ebenfalls nicht veranlasst, nachdem der Kläger der am Schluss der mündlichen Verhandlung erkennbar gewordenen Absicht der Kammer, die Beweisaufnahme zu schließen, nicht widersprochen hat. In einem solchen Verhalten ist ein entsprechender Verzicht auf die Zeugen zu sehen (BGH, Urteil vom 02.11.1993 - VI ZR 227/92 - NJW 1994, 329 zu II 1 der Gründe).
3. Nebenentscheidungen
3.1 Die auf die Berufungsinstanz beschr änkte Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits waren dem Schlussurteil des Arbeitsgerichts vorzubehalten. Dieses hat im angefochtenen Urteil lediglich über den Anspruch des Klägers auf Zahlung von 1.722,24 € brutto Überstundenvergütung entschieden, nicht jedoch über den zum Gegenstand seiner Klagerweiterung vom 03.05.2012 gemachten Anspruch auf Zahlung von 60,00 € Schadenersatz. Die Rechtshängigkeit dieses Anspruchs ist weder durch Rücknahme gemäß § 269 Abs. 1 ZPO noch durch Versäumung der zweiwöchigen Frist des § 321 Abs. 2 ZPO für einen Antrag auf Urteilsergänzung erloschen (dazu BGH, Urteil vom 08.11.1965 - VIII ZR 300/63 - BGHZ 44, 237 zu B II 2 der Gründe). Das Arbeitsgericht hat den Schadenersatzanspruch des Klägers nicht zum Inhalt des Tatbestands seines Urteils gemacht, was erst einen Antrag auf dessen Ergänzung nach § 321 Abs. 1 ZPO erforderlich gemacht hätte. Sein Urteil stellt sich damit der Sache nach als Teilurteil i.S.d. § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar.
3.2 Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.
...Verkündet am 13.09.2013