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  • 22.08.2014 · IWW-Abrufnummer 151108

    Landesarbeitsgericht: Urteil vom 25.06.2014 – 4 Sa 35/14

    Tariflich Altersgesicherte können nicht aus verhaltensbedingten Gründen mit einer sozialen Auslauffrist außerordentlich gekündigt werden. Gibt ein Arbeitgeber durch Einräumung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist zu erkennen, dass ihm bis dahin eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers als zumutbar erscheint, so würde die Zulassung einer außerodentlichen Auslauffristkündigung den Schutz der tariflichen Alterssicherung unterlaufen.


    In der Rechtssache
    - Beklagte/Berufungsklägerin -
    Proz.-Bev.:
    gegen
    - Klägerin/Berufungsbeklagte -
    Proz.-Bev.:
    hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Stöbe, den ehrenamtlichen Richter Fischer und den ehrenamtlichen Richter Stocker auf die mündliche Verhandlung vom 25.06.2014
    für Recht erkannt:

    Tenor:

    1.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Kn. Ludwigsburg - vom 30.01.2014 (10 Ca 1737/13) wird zurückgewiesen.

    2.

    Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

    3.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist, sowie über Weiterbeschäftigung.

    Die Beklagte betreibt im Landkreis L. mehrere Krankenhäuser, unter anderem in B.. Sie beschäftigt ca. 5.000 Mitarbeiter. Ein Betriebsrat ist bei ihr gebildet.

    Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt als Reinigungskraft. Ursprünglich war sie tätig im Krankenhaus V.. Seit vielen Jahren wird sie nunmehr eingesetzt im Krankenhaus B.. Sie ist beschäftigt in Teilzeit mit einem Beschäftigungsvolumen von 50 % einer Vollzeitkraft. Sie verdient monatlich durchschnittlich ca. 1.200,00 € brutto. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Vorschriften des TVöD anwendbar. Die Klägerin ist tariflich altersgesichert.

    Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 19.09.2013 (Bl. 8 d. arbeitsgerichtlichen Akte) "außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum Ablauf des 31.03.2014". Hiergegen richtet sich die vorliegende Kündigungsschutzklage, die als Klageerweiterungsantrag zu einem von diesem Verfahren mittlerweile abgetrennten Abmahnungsrechtsstreit am 23.09.2013 beim Arbeitsgericht einging.

    Die Beklagte stützte die Kündigung auf einen von der Klägerin bestrittenen Vorfall vom 11.09.2013. Die Klägerin soll nach Behauptung der Beklagten ihrer Vorgesetzten Frau T. eine Ohrfeige angedroht haben, beziehungsweise für den Fall, dass sie der Vorgesetzten die Ohrfeige nicht selbst verpassen könne, angedroht haben, dass ihr Sohn die Vorgesetzte ohrfeigen werde.

    Die Klägerin hielt die Kündigung für unwirksam und vertrat vor allem die Rechtsansicht, bei verhaltensbedingten Kündigungslagen sei gegenüber tariflich Altersgesicherten eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ausgeschlossen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlich unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß §§ 69 Abs. 2, 3 Satz 2 ArbGG auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

    Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 30.01.2014 stattgegeben und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt. Das Arbeitsgericht führte zur Begründung aus, die Beklagte habe zwar formal eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Durch die Einräumung einer Auslauffrist habe sie aber zum Ausdruck gebracht, dass ihr eine Weiterbeschäftigung innerhalb einer (fiktiven) Kündigungsfrist noch zumutbar erscheine. Die Beklagte müsse sich an ihrer eigenen Bewertung von der Schwere und den Auswirkungen des Kündigungsanlasses festhalten lassen. Die Beklagte habe somit wertungsmäßig dasselbe Ergebnis erzielen wollen wie mit einer ordentlichen Kündigung, welche aber tariflich ausgeschlossen sei. Auch die von der Beklagten vorgebrachten sozialen Erwägungen, die der Einräumung der Auslauffrist zugrunde gelegen haben sollen, könnten diesen Wertungswiderspruch nicht auflösen. Die Erwägungen hätten allenfalls dann beachtlich sein können, wenn die Beklagte die Klägerin während der Auslauffrist bezahlt freigestellt hätte.

    Dieses Urteil wurde der Beklagtenseite am 24.03.2014 zugestellt. Hiergegen richtet sich die vorliegende Berufung, die am 22.04.2014 beim Landesarbeitsgericht einging und sogleich begründet wurde.

    Die Beklagte rügt eine Verletzung materiellen Rechts.

    Unter Wiederholung der Sachverhaltsdarstellung meint die Beklagte, das Verhalten der Klägerin sei für eine außerordentliche Kündigung an sich geeignet. Die Beklagte habe nicht deshalb mit einer Auslauffrist gekündigt, weil das Verhalten nur eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt hätte, sondern weil sie zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt gewesen wäre.

    Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Beklagte als öffentliche Arbeitgeberin sich trotz an sich vorliegender Gründe für eine außerordentliche Kündigung sozial habe verhalten wollen. Eine Freistellung der Klägerin sei wegen des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs der Klägerin aber nicht in Betracht gekommen. Die rechtskonforme Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs während der Auslauffrist könne ihr nicht als Wertungswiderspruch ausgelegt werden.

    Die Beklagte beantragt:

    Das Urteil des Arbeitsgericht Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 30.01.2014, Aktenzeichen 10 Ca 1737/13 wird abgeändert.

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie hält die Berufung mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der Urteilsbegründung für unzulässig.

    Im Übrigen verteidigt die Klägerin das arbeitsgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

    Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 64 Abs. 7 ArbGG iVm. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

    A.
    Die Berufung ist zulässig.

    1. Die gemäß § 64 Abs. 1, 2 Buchstabe c ArbGG statthafte Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt im Sinne von §§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519 ZPO.

    2. Sie wurde auch form- und fristgerecht begründet.

    Entgegen der Auffassung der Klägerin mangelt es der Berufungsbegründung nicht an der gesetzlichen Form gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

    a) Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann eine Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO (beziehungsweise im arbeitsgerichtlichen Verfahren § 67 ArbGG) zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Damit korrespondiert der notwendige Inhalt einer Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO. Im Rahmen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist eine argumentative Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen geboten (Pfeiffer in Natter/Gross ArbGG 2. Aufl. § 66 Rn. 31). Von einer Begründung ist zu verlangen, dass sie auf den zur Entscheidung stehenden Streitfall zugeschnitten ist und erkennen lässt, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig sei. Es ist im Einzelnen anzugeben, aus welchen Gründen der Berufungsführer die tatsächlichen und rechtlichen Würdigungen des vorinstanzlichen Urteils in den angegebenen Punkten für unrichtig hält (BGH 20. Juli 2004 - VIII ZB 29/04 - NJW RR 2004, 1716). Der Berufungsführer hat sich mit den Gründen des erstinstanzlichen Urteils Punkt für Punkt auseinanderzusetzen. Er muss die Urteilsbegründung im Einzelnen diskutieren (BGH 1. Oktober 1991 - X ZB 4/91 - NJW-RR 1992, 383). Es reicht dabei auch nicht aus, die Auffassungen des Erstrichters als falsch oder die Anwendung einer bestimmten Vorschrift als irrig zu rügen (BGH 9. März 1995 - IX ZR 143/94 - NJW 1995, 1560). Es kann vom Berufungsführer zwar eine schlüssige und rechtlich haltbare Begründung nicht verlangt werden, doch muss die Berufungsbegründung sich mit den rechtlichen und tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn es diese bekämpfen will (BAG 8. Oktober 2008 - 5 AZR 526/07 - AP ZPO § 520 Nr. 1). Außerdem hat der Berufungsführer die Erheblichkeit und die Ursächlichkeit des behaupteten Rechtsfehlers für die angefochtene Entscheidung im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen darzulegen (BAG 25. April 2007 - 6 AZR 436/05 - BAGE 122, 190; Pfeiffer in Natter/Gross ArbGG 2. Aufl. § 66 Rn. 32).

    b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Beklagten noch gerecht.

    aa) Der Kern der arbeitsgerichtlichen Begründung lag in der Annahme, dass mit der Einräumung der Auslauffrist die Beklagte (für sich) eine Eigenwertung getroffen habe, dass eine Beschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf einer (fiktiven) Kündigungsfrist noch zumutbar sei. Dann aber könne die Beklagte (wegen Selbstbindung in Bezug auf ihre Eigenwertung) nicht außerordentlich kündigen, da eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich die gänzliche Unzumutbarkeit der Fortbeschäftigung voraussetze.

    Dem setzte die Beklagte lediglich entgegen, dass das Verhalten der Klägerin an sich als Kündigungsgrund für eine außerordentliche Kündigung und nicht nur für eine ordentliche Kündigung geeignet gewesen wäre. Mit dieser Argumentation verfehlte sie aber den Kern der arbeitsgerichtlichen Argumentation. Auf die Bindung an die subjektive Eigenwertung hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf einer (fiktiven) Kündigungsfrist im Rahmen der Interessenabwägung, also auf der zweiten Stufe des Prüfungsprogramms, ging die Beklagte nicht ein.

    Die Berufung wäre demnach eigentlich unzulässig.

    bb) Doch führte das Arbeitsgericht auch aus, dass eine Einräumung einer Auslauffrist aus sozialen Gründen dann keinen Wertungswiderspruch zu den Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung hätte darstellen können, wenn die Klägerin während der Auslauffrist unter Fortzahlung ihrer Bezüge von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung gänzlich und unwiderruflich freigestellt worden wäre.

    In Auseinandersetzung mit dieser Begründung vertrat die Beklagte jedoch die Auffassung, ihr könne nicht als Wertungswiderspruch angelastet werden, dass sie sich in Erfüllung eines allgemeinen Beschäftigungsanspruchs der Klägerin habe rechtskonform verhalten wollen. Aus einem rechtskonformen Verhalten dürfe kein Wertungswiderspruch hergeleitet werden. Damit beanstandete die Beklagte eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts. Dies stellt eine ausreichende Auseinandersetzung dar. Auf die Richtigkeit und Vertretbarkeit dieser Rechtsansicht kommt es bei der Frage der Zulässigkeit der Berufung nicht an.

    B.
    Die Berufung ist aber nicht begründet.

    1. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage völlig zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung stattgegeben.

    Der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist steht die tarifliche Alterssicherung der Klägerin gemäß § 34 Abs. 2 TVöD entgegen.

    Bei verhaltensbedingten Kündigungslagen kommt gegenüber tariflich altersgesicherten Mitarbeitern eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht in Betracht. Eine solche Kündigung würde nämlich die kündigungsrechtlichen Grenzen zwischen kündbaren und geschützten Arbeitnehmern verwischen und letztlich im Ergebnis die tariflich geschützten Arbeitnehmer den ungeschützten gleichstellen (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 73). Dadurch würde vorliegend der Zweck des § 34 Abs. 2 TVöD unterlaufen.

    a) Nach § 34 Abs. 2 TVöD können Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Verwendet ein Tarifvertrag den Begriff des wichtigen Grundes, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien diesen in seiner allgemein gültigen Bedeutung im Sinn des § 626 BGB gebraucht haben und nicht anders verstanden wissen wollen (BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13). Dies gilt auch für die Regelung des § 34 Abs. 2 TVöD (BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 148).

    b) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist also nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - AP BGB § 626 Nr. 234; BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - BAGE 134, 349).

    Bei der Beurteilung, ob eine Weiterbeschäftigung noch zumutbar wäre, ist bei tariflich altersgesicherten Mitarbeitern abzustellen auf eine fiktive Kündigungsfrist, die gegolten hätte, wenn eine Alterssicherung nicht bestanden hätte (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - BAGE 132, 299; BAG 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - BAGE 92, 184).

    Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen einer ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung und einer außerordentlichen Kündigung ist somit, ob auf der zweiten Stufe der Interessenabwägung eine Fortsetzung der Beschäftigung bis zum Ablauf einer fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist für den Arbeitgeber zumutbar erscheint oder nicht.

    c) Die Rechtsprechung lässt in besonderen Einzelfällen jedoch auch sogenannte außerordentliche Kündigungen mit Auslauffrist zu.

    aa) Bei betriebsbedingten Kündigungslagen können nämlich Situationen eintreten, in denen eine ordentliche Kündigung zwar gerechtfertigt wäre, eine solche jedoch wegen der Alterssicherung nicht in Betracht kommt, eine dauerhafte Weiterbeschäftigung, gegebenenfalls bis zum Renteneintritt, zum Beispiel bei Betriebsstilllegungen, dem Arbeitgeber dagegen unzumutbar wäre. In diesen Fällen ist zur Meidung einer Benachteiligung des altersgesicherten Arbeitnehmers die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist anerkannt (BAG 21. Juni 2012 aaO; BAG 12. August 1999 aaO).

    bb) Selbiges gilt in seltenen Ausnahmefällen auch bei personenbedingten Kündigungslagen, wenn dem Arbeitgeber eine dauerhafte Weiterbeschäftigung, zum Beispiel bei dauerhafter Leistungsunmöglichkeit, gänzlich unzumutbar wäre (BAG 21. Juni 2012 aaO; BAG 26. November 2009 aaO).

    cc) Die Fälle der betriebsbedingten und der personenbedingten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist sind jedoch davon geprägt, dass bei diesen Kündigungsgründen eine außerordentliche Kündigung in der Regel ausgeschlossen ist, weil im Regelfall trotz Vorliegen eines Kündigungsgrundes die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist dem Arbeitgeber immer zumutbar ist. Die ordentliche Kündigung und die außerordentliche Kündigung stehen bei diesen Kündigungsgründen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis. Die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist wird nur deshalb zugelassen, um den Arbeitnehmer nicht wegen seiner tariflichen Alterssicherung zu benachteiligen gegenüber nicht Altersgesicherten, denen ordentlich gekündigt werden kann.

    Diese Situation stellt sich bei verhaltensbedingten Kündigungslagen völlig anders dar. Dort gibt es gerade kein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen einer ordentlichen Kündigung und einer außerordentlichen Kündigung. Beide Kündigungsarten stehen gleichberechtigt nebeneinander. Lediglich die Schwere des Pflichtenverstoßes ist letztlich entscheidend, ob auf der zweiten Stufe der Interessenabwägung eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist noch zumutbar erscheint oder nicht. Auch eine durch eine Auslauffrist auszuräumende Schlechterstellung tariflich Altersgesicherter kann bei diesem Kündigungsgrund nicht eintreten. Deshalb hat das Bundesarbeitsgericht (BAG 21. Juni 2012 aaO) auch ausgeführt, dass es zweifelhaft erscheine, ob es mit dem Zweck der ordentlichen Unkündbarkeit zu vereinbaren ist, bei weniger schweren Pflichtverletzungen eine ordentliche Kündigung mit Auslauffrist zu ermöglichen, die der ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung letztlich gleichkommt. Diesen Zweifeln schließt sich die erkennende Kammer an. Bei verhaltensbedingten Kündigungen ist demnach eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausgeschlossen.

    2. Entsprechend diesen Ausführungen unter Ziffer 1 ist auch die vorliegende streitgegenständliche Kündigung zu bewerten. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann diese sich nicht darauf berufen, sie sei beim Ausspruch ihrer außerordentlichen Kündigung gar nicht von einer weniger schweren Pflichtverletzung ausgegangen, die nur eine ordentliche Kündigung hätte rechtfertigen können.

    a) Vollkommen unmaßgeblich ist, ob der von der Beklagten vorgetragene Kündigungssachverhalt an sich geeignet gewesen wäre, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen oder nicht. Die Frage, ob ein Kündigungsgrund den Arbeitgeber zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen kann, wird nämlich nicht auf der ersten Prüfungsstufe entschieden, sondern erst auf der zweiten Prüfungsstufe der Interessenabwägung.

    b) Aber auch auf der zweiten Stufe der Interessenabwägung kommt es vorliegend zuerst einmal nicht abstrakt auf die Frage an, ob für einen objektiven und verständigen Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf einer (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre. Es ist vielmehr zuerst die Vorfrage zu beantworten, wie die Beklagte selbst für sich die Interessenabwägung durchgeführt hat und wie sie für sich selbst die Frage der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Fortbeschäftigung beantwortet hat. Dies ist in Auslegung der Kündigung als Willenserklärung gemäß § 133 BGB zu ermitteln. Dabei ist nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften zu bleiben. Es ist vielmehr unter Berücksichtigung aller erkennbarer Umstände, die für die Auslegung von Bedeutung sein können, danach zu trachten, dass Gemeinte zu erkennen (BAG 15. Mai 2013 - 5 AZR 130/12 - AP BGB § 615 Nr. 131). An dieses von ihr bei Ausspruch der Kündigung Gemeinte ist die Beklagte dann auch gebunden.

    c) Die Auslegung führt vorliegend zu folgendem Ergebnis:

    aa) Es ist festzustellen, dass die Beklagte lediglich das Gewand einer außerordentlichen Kündigung gewählt hat, um die tarifliche ordentliche Unkündbarkeit der Klägerin überwinden zu können. Dennoch hat sie aber über die Einräumung einer sozialen Auslauffrist der Klägerin gegenüber zu erkennen gegeben, dass sie in ihrer subjektiven Eigenwertung an sich eine Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist für zumutbar erachtete. Darauf kommt es an. Hieran hat sich die Beklagte festhalten zu lassen.

    bb) Auch die von der Beklagten aufgeführten ausschließlich sozialen Erwägungen führen zu keinem anderen Auslegungsergebnis. Denn selbstverständlich ist ein Arbeitgeber berechtigt, sich bei seiner Eigenbewertung innerhalb der Interessenabwägung - und sei es aus sozialen Erwägungen - großzügiger zu verhalten als es ein durchschnittlicher verständiger Arbeitgeber gewesen wäre. Gibt er diese "Großzügigkeit" aber dem Erklärungsgegner gegenüber zur Kenntnis, so ist er daran gebunden.

    cc) Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, ist die Verhältnismäßigkeit gestuft. Eine Abmahnung ist als minderes Mittel vorrangig vor einer ordentlichen Kündigung, eine ordentliche Kündigung als milderes Mittel vorrangig vor einer außerordentlichen Kündigung. Spricht ein Arbeitgeber gegenüber einem Arbeitnehmer wegen eines Fehlverhaltens eine Abmahnung aus, so kann er im Regelfall, aufgrund Auslegung des Inhalts der Abmahnung, auf denselben Sachverhalt nicht auch noch eine Kündigung stützen, selbst wenn der Sachverhalt eigentlich auch zur Rechtfertigung einer Kündigung ausgereicht hätte. Im Ausspruch der Abmahnung liegt dann ein Kündigungsverzicht (BAG 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - BAGE 125, 208). Selbiges muss auch für eine Stufe höher gelten. Lässt der Arbeitgeber "Fünfe gerade sein" und erklärt, sich eine Weiterbeschäftigung mit der Klägerin noch bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigung vorstellen zu können, so verzichtet er auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, auch wenn er die Kündigung wie vorliegend in Umgehung des tariflichen Kündigungsschutzes als außerordentliche Kündigung benannt hat.

    3. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der von der Beklagten vorgetragene Kündigungssachverhalt zutreffend war und eine außerordentliche Kündigung hätte rechtfertigen können. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß erfolgt ist.

    II.
    Die Klägerin hat wegen der Unwirksamkeit der Kündigung auch einen Anspruch gegen die Beklagte auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens. Der Anspruch beruht auf §§ 611 Abs. 1, 613 Satz 1 BGB iVm. § 242 BGB, dieser ausgefüllt durch die Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG (BAG (GS) 27. Februar 1985 GS 1/84 - BAGE 48, 122).

    Die Klägerin hat im Kündigungsschutzverfahren obsiegt. Ihr Beschäftigungsinteresse überwiegt somit wieder gegenüber dem gegenläufigen Beendigungsinteresse der Beklagten.

    III. Nebenentscheidungen

    1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

    2. Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

    Stöbe

    Stocker

    Fischer

    Verkündet am 25.06.2014

    VorschriftenTVöD, §§ 69 Abs. 2, 3 Satz 2 ArbGG, § 64 Abs. 7 ArbGG, § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO, § 64 Abs. 1, 2 Buchstabe c ArbGG, §§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519 ZPO