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  • 19.09.2016 · IWW-Abrufnummer 188769

    Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 30.08.2016 – 7 TaBV 45/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:
    1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 16.02.2016 - 2 BV 36/15 - wird zurückgewiesen.


    2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



    Gründe



    A.



    Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes.



    Antragstellerin des vorliegenden Beschlussverfahrens ist die Arbeitgeberin, die als Wohlfahrtsverband insgesamt 59 Seniorenzentren betreibt, darunter das S-B-Seniorenzentrum in C. Im S-B-Seniorenzentrum sind durchschnittlich etwa 140 bis 150 Beschäftigte tätig; pro Schicht ca. 60 Mitarbeiter. Der Antrag der Antragstellerin richtet sich gegen den im S-B-Seniorenzentrum (im Folgenden: Seniorenzentrum) gewählte Betriebsrat (Beteiligter zu 2.; im Folgenden: Betriebsrat). Sie beabsichtigt die außerordentliche Kündigung des Betriebsratsmitgliedes Frau L (Beteiligte zu 3.).



    Frau L ist seit dem 01.08.1995 bei der Arbeitgeberin als Pflegefachkraft beschäftigt. Sie ist mit einem GdB von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und zugleich Vertrauensfrau der Schwerbehinderten.



    Im Seniorenzentrum war etwa seit der letzten Septemberwoche 2014 als Wohnbereichsleiterin Frau Q beschäftigt. In der Zeit von Freitag, den 17.10.2014, 17.00 Uhr, bis Montag, den 20.10.2014, 7.00 Uhr, wurde in das Postfach der Wohnbereichsleiterin im Seniorenzentrum eine Trauerkarte eingelegt, die mit einem schwarzen Trauerflor versehen war, mit den außen aufgedruckten Worten "In stiller Trauer" sowie mit den handschriftlichen Eintragungen "für Dich (bist die nächste)". Wegen des Originals dieser Trauerkarte wird auf den Inhalt der Hülle Bl. 20 d.A.Bezug genommen. Frau Q erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt; das von der Polizei eingeleitete Ermittlungsverfahren blieb ergebnislos.



    Der Betriebsrat nahm diesen Vorfall zum Anlass, den innerbetrieblichen Aushang vom 24.10.2014 zu veranlassen, der auch von der Beteiligten zu 3) unterzeichnet war. In diesem Aushang wies der Betriebsrat auf die bezeichnete Trauerkarte hin, bezeichnete dies als Mobbing und untragbar für alle im Betrieb Beschäftigten. Wegen des Aushangs wird auf die Kopie Bl. 63 und 64 d.A. Bezug genommen.



    Ein Aufruf der Arbeitgeberin vom 29.10.2014, der Verfasser der Karte möge sich bei der Einrichtungsleitung melden, blieb ohne Erfolg.



    Die Wohnbereichsleiterin erhielt im Januar 2015 eine weitere Trauerkarte, die an das Seniorenzentrum zu ihren Händen gerichtet war. Einen Text enthielt diese Karte nicht; der Umschlag war mit schwarzen Trauerbändern versehen. Am 16.02.2015 kündigte die Wohnbereichsleiterin ihr Arbeitsverhältnis selbst.



    Erst Mitte März 2015 erfuhr die Arbeitgeberin von der Wohnbereichsleitung von der Einstellung der polizeilichen Ermittlungen, woraufhin sie nach Erhalt der Trauerkarte aus Oktober 2014 einen Sachverständigen für forensische Schriftuntersuchung beauftragte. Der Gutachter erhielt von der Arbeitgeberin verschiedene Schriftproben, z.B. Handschriften in Pflegedokumenten, von denen die Arbeitgeberin ausging, sie würden überhaupt für eine Urheberschaft in Betracht kommen. Schriftstücke der Beteiligten zu 3. waren auch darunter. Das Gutachten wurde unter dem 12.08.2015 erstellt. Der Gutachter stellte dar, dass - ausgehend von in einer Schriftexpertise üblichen Bewertungsskala - die Schrift auf der Trauerkarte aus Oktober 2014 "mit hoher Wahrscheinlichkeit von ein und demselben Schreiber" stammte, von dem die Schriftproben vorgelegt wurden, die von der Beteiligten zu 3. als Schreibleistung erbracht wurde. Dabei wies der Gutachter darauf hin, dass es oberhalb der Kategorie "mit hoher Wahrscheinlichkeit" noch die Kategorien "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" und "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" gebe. Wegen des Gutachtens im Einzelnen wird auf die zur Akte gereichte Fotokopie Bl. 21 ff. d.A. Bezug genommen.



    Mit Schreiben vom 20.08.2015 bat die Arbeitgeberin die Beteiligte zu 3. zu einem persönlichen Gespräch für den 24.08.2015 unter dem Hinweis



    Nach Mitteilung der Beteiligten zu 3., dass sie sich zu diesem Zeitpunkt im Urlaub befinde, informierte die Arbeitgeberin sie mit Schreiben vom 24.08.2015 (Bl. 43 d.A.) darüber, dass "die Vorwürfe dringend geklärt werden müssen" und erbat eine schriftliche Antwort. Sie wies auf die auch der Beteiligten zu 3. bekannte Tatsache hin, dass Frau Q eine Trauerkarte mit der beschriebenen Mitteilung erhalten habe und stellte die Fragen, ob diese Trauerkarte von der Beteiligten zu 3. stamme, sie diese Mitteilung handschriftlich vorgenommen habe und ob sie im Januar 2015 eine weitere Trauerkarte an Frau Q verschickt habe. Sämtliche Fragen beantwortete die Beteiligte zu 3. mit nein (Bl. 44 d.A.).



    Mit Antrag vom 26.08.2015 bat der Arbeitgeber das Integrationsamt um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3.. Dieser Antrag ging beim Integrationsamt am 26.08.2015 ein; die Zustimmung wurde von dort am 11.09.2015 erteilt.



    Ebenfalls unter dem 26.08.2015 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. (Bl. 46 ff. d.A.). Der Betriebsrat wiederum verweigerte mit Schreiben vom 28.08.2015 die Zustimmung (Bl. 57 ff.d.A.).



    Mit dem vorliegenden Antrag auf Einleitung eines Beschlussverfahrens vom 14.09.2015, am selben Tage per Telefax beim Arbeitsgericht Bochum eingegangen, beantragt die Arbeitgeberin die Ersetzung der verweigerten Zustimmung.



    Sie hat vorgetragen:



    Nach dem Gutachten des Schriftsachverständigen bestehe der dringende Verdacht, dass die Beteiligte zu 3. die beschriebene Trauerkarte verfasst habe. Dieser dringende Verdacht rechtfertige nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den Ausspruch einer sogenannten Verdachtskündigung. Die Arbeitgeberin habe schließlich alles Zumutbare zur Aufklärung unternommen, indem sie ein Schriftsachverständigengutachten beauftragt und die Beteiligte zu 3. angehört habe.



    Darüber hinaus sei das Verhältnis zwischen der Beteiligten zu 3. und Frau Q nicht gut gewesen. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf den Schriftsatz derArbeitgeberin vom 19.11.2015, dort Bl. 3 ff. (Bl. 110 ff. d.A.) Bezug genommen.



    Die Frist zur Einleitung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens zur Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung sei gewahrt; dem Arbeitgeber könne nicht vorgeworfen werden, er habe den Abschluss des polizeilichen Ermittlungsverfahrens abgewartet.



    Die Arbeitgeberin hat beantragt,



    Der Betriebsrat wie auch die Beteiligte zu 3. haben beantragt,



    Sie haben zum einen die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin habe die Ermittlungen zu spät und viel zu schleppend aufgenommen und letztendlich auch die entsprechend anwendbare Frist zur Erklärung der außerordentlichen Kündigung im Zusammenhang mit der Einleitung des vorliegenden Verfahrens nicht gewahrt.



    Darüber hinaus meinen Betriebsrat und Beteiligte zu 3., dass allein aufgrund der Abstufung der Wahrscheinlichkeiten in dem eingeholten Privatgutachten ein Verdacht, wie ihn das Bundesarbeitsgericht im Rahmen der Rechtsprechung zur Verdachtskündigung verlange, nicht begründet werden könne.



    Er hat darauf hingewiesen, dass sämtliche Beschäftigten des Seniorenzentrums Zugang zu den Postfächern haben, die einzelnen Mitarbeitern zugeordnet sind. Außerdem könnten Schriftstücke in der Verwaltung abgelegt werden, die sodann bei Aufnahme ihrer Tätigkeit nach dem Wochenende die Postverteilung für die internen Fächer vornehme. Ebenso gebe der Postbote die Posteingänge in der Verwaltung ab, die sodann die Verteilung in die einzelnen Postfächer vornehme. Bereits aufgrund dieser Gegebenheiten bestünden unzählige Möglichkeiten, auf welchem Wege und durch welche Person die entsprechende Trauerkarte in das Fach der Frau Q gelangt sei.



    Darüber hinaus bezweifelt der Betriebsrat Einzelheiten des vorgelegten Schriftsachverständigengutachtens. Hierzu wird auf den Schriftsatz des Betriebsrates vom 21.10.2015, dort S. 5 ff. (Bl. 83 ff. d.A.) Bezug genommen.



    Durch Beschluss vom 16.02.2016, dem Vertreter der Arbeitgeberin unter dem 30.03.2016 zugestellt, hat das Arbeitsgericht den Antrag abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass sich ein im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erforderlicher Verdacht für die Begründung einer außerordentlichen Verdachtskündigung nicht feststellen lasse. Wegen der Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung wird auf den Beschluss vom 16.02.2016, Bl. 144 - 150 d.A. Bezug genommen.



    Hiergegen wendet sich die Arbeitgeberin mit der vorliegenden, beim Landesarbeitsgericht am 15.04.2016 eingegangenen und mit Schriftsatz vom 12.05.2016, am 13.05.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangen, begründeten Beschwerde.



    Sie trägt vor:



    Der Bewertung des Gerichts könne nicht gefolgt werden. Bereits der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung könne einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Der Verdacht eines nicht erwiesenen vertragswidrigen Verhaltens könne das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstören. Dieser Verdacht ergebe sich nach Auffassung der Arbeitgeberin aus dem eingeholten Sachverständigengutachten. Es sei zwar zutreffend, dass es oberhalb der vom Sachverständigen getroffenen Bewertung noch zwei weitere Stufen gebe. Allerdings reiche bereits auch die festgestellte "hohe Wahrscheinlichkeit" für die Begründung des Verdachts aus. Vorsorglich werde die Einholung eines ergänzenden Schriftsachverständigengutachtens beantragt.



    Die Arbeitgeberin teile die Auffassung des Arbeitsgerichts nicht, dem Gutachter habe keine ausreichende Befundgrundlage vorgelegen. Darauf komme es angesichts der Feststellungen des Gutachters nicht an. Die Arbeitgeberin habe zudem auch im Übrigen alles zur Aufklärung des Sachverhalts getan. Sie habe die polizeilichen Ermittlungen abgewartet und einen Sachverständigen beauftragt sowie - streitlos - die Beteiligte zu 3. angehört.



    Im Übrigen sei es rechtsfehlerhaft, wenn das Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung eine eigene Bewertung des Sachverständigengutachtens vornehme; insoweit hätte wenigstens eine weitere sachverständige Begutachtung erfolgen müssen.



    Die Arbeitgeberin beantragt,



    Betriebsrat und Beteiligte zu 3. beantragen,



    Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung als zutreffend und meinen, das vorgelegte Gutachten sei in sich widersprüchlich und oberflächlich, worauf auch der Betriebsrat hingewiesen habe. Im Übrigen sei der vom Betriebsrat vorgetragene Ablauf der Postverteilung und die damit einhergehenden Möglichkeiten, wie die Trauerkarte in das Postfach der Frau Q gelangt sei, nicht streitig geworden. Die Einholung eines weiteren Gutachtens komme nicht in Betracht, da es sich um eine Verdachtskündigung handele, die sich auf eben das vorgelegte Gutachten stütze.



    Die Beteiligte zu 3. weist ergänzend darauf hin, dass das Gericht zutreffend die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung anhand der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelt habe. Hiervon gehe erkennbar auch die Arbeitgeberin aus. Folglich dürften die Umstände, die den konkreten Verdacht begründen, nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein anderes Geschehen zu erklären sein. Deshalb dürfe es nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen sein, dass für die Urheberschaft der Trauerkartenbeschriftung nicht ebenso gut eine andere Person in Betracht komme. Dies lasse sich aber gar nicht feststellen, wenn man nicht wisse, wen die Antragstellerin in den Kreis der in Betracht kommenden Personen einbezogen habe. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Arbeitgeberin eine Art Vorauswahl getroffen habe, deren Kriterien sie nicht offen gelegt habe. Die Arbeitgeberin hätte jedenfalls alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Erhebung von Vergleichsschriftproben einbeziehen müssen.



    Zu berücksichtigen sei auch, dass die Mitarbeiterin Frau Q zum Zeitpunkt des Erhalts der ersten Karte erst drei Wochen im Betrieb beschäftigt gewesen sei. Es könne daher überhaupt nicht erklärt werden, wieso die Beteiligte zu 3. eine Formulierung wie "bist die nächste" hätte wählen können, wenn man berücksichtige, dass kurz zuvor eine gute Freundin von Frau Q verstorben sei, was jedenfalls zum Zeitpunkt des Einlegens der ersten Trauerkarte in das Postfach im Betrieb nicht bekannt gewesen sei.



    Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.



    B.



    I. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden gemäß § 87 Abs. 2 i.V.m. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 520 ZPO.



    II. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet, da das Arbeitsgericht zu Recht die verweigerte Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitgliedes Frau L nicht ersetzt und demzufolge den Antrag abgewiesen hat.



    1. Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig.



    a) Die Arbeitgeberin verfolgt ihr Begehren zu Recht im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gemäß § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, da es sich bei der Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds im Sinne des § 103 Abs. 2 BetrVG um eine Angelegenheit aus eben diesem Gesetz handelt. Im Übrigen gehörte Frau L dem Betriebsrat als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende an, als die Arbeitgeberin um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung bat. Die grundlegenden Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 BetrVG, außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds, sind von daher erfüllt.



    b) Neben der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat ist das Betriebsratsmitglied gemäß § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG am Verfahren zu beteiligen.



    2. Der Antrag der Arbeitgeberin ist indessen nicht begründet.



    a) Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 15 Abs. 1 KSchG kann die Arbeitgeberin eine vom Betriebsrat nicht erteilte Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung durch das Arbeitsgericht ersetzen lassen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dem die Beschwerdekammer folgt, setzt das einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB voraus (vgl. nur BAG, Beschluss vom 23.04.2008, 2 ABR 71/07 und BAG, Beschluss vom 16.12.2004, 2 ABR 7/04).



    Danach müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu einer vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass einem Betriebsratsmitglied nach § 15 KSchG i.V.m. § 626 BGB nur dann außerordentlich gekündigt werden kann, wenn die Arbeitgeberin ohne den Sonderkündigungsschutz des Betriebsratsmitglieds dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der dann einschlägigen Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Andernfalls läge eine nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässige Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern wegen ihrer Betriebsratstätigkeit vor (BAG, Urteil vom 10.02.1999, 2 AZR 31/98 und Urteil vom 27.09.2001, 2 AZR 487/00).



    Nach Rechtsprechung und Rechtslehre kommt danach eine außerordentliche Kündigung in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und milderen Mittel (z.B. Abmahnung, Versetzung) erschöpft sind, das in der bisherigen Form nicht mehr haltbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist.



    Dabei hat die Prüfung des wichtigen Kündigungsgrundes in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen, nämlich zum einen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, zum anderen, ob bei Berücksichtigung dieses Umstandes und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist. Zu bedenken ist auch, dass eine Kündigung keine Sanktion für ein zurückliegendes Verhalten ist (BAG AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 verhaltensbedingte Kündigung), sodass es einen sogenannten absoluten Kündigungsgrund nicht gibt (BAG AP Nr. 80 zu § 626 BGB). Der Kündigungszweck ist stets zukunftsbezogen (BAG AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung).



    Im Individualprozess um eine außerordentliche Kündigung ist derjenige, der sie ausgesprochen hat, darlegungs- und beweisbelastet für alle Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Der Kündigende muss also die Voraussetzungen für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung darlegen und beweisen (BAG, Urteil vom 14.11.1983, 2 AZR 327/82, AP Nr. 76 zu § 626 BGB m.w.N.). Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren um die Ersetzung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 103 Abs. 2 BetrVG ist hinsichtlich dieser anerkannten Darlegungs- und Beweislastregeln zu bedenken, dass der gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG zu beachtende Amtsermittlungsgrundsatz anzupassen ist, da die Pflicht zur Amtsermittlung vor dem gesetzgeberischen Hintergrund des § 78 Satz 2 BetrVG weder zu einer Bevorzugung noch zu einer Benachteiligung des Betriebsratsmitgliedes im Zustimmungsersetzungsverfahren führen darf. Demzufolge sind die oben genannten Grundsätze zur Beweislast auch im Beschlussverfahren zu beachten (so ausdrücklich LAG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2004, 12 TaBV 69/03 [...]).



    b) Die Beschwerdekammer geht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass nicht nur eine vertragliche Pflichtverletzung als solche, sondern auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung bilden kann (kritisch Deinert, AuR 2005, S. 285, 292). Eine solche - sogenannte Verdachtskündigung - kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und die Arbeitgeberin alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen hat (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urteil vom 25.10.2012, 2 AZR 700/11 sowie Urteil vom 24.05.2012, 2 AZR 606/11).



    Ein solcher Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein und dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutrifft. Bloße Vermutungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG, Urteil vom 25.10.2012 aaO. und Urteil vom 23.05.2013, 2 AZR 102/12). Bei einer Verdachtskündigung besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass ein Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Die geforderten starken Verdachtsmomente liegen daher nur dann vor, wenn aufgrund der ihnen zugrunde liegenden objektiven Tatsachen eine Täterschaft des Arbeitnehmers nahezu gewiss ist. Hierzu muss eine Tatbegehung durch andere Personen ausgeschlossen sein (so ausdrücklich LAG Köln, Urteil vom 28.11.2012, 3 Sa 561/12).



    c) Ausgehend hiervon gilt vorliegend folgendes:



    aa) Die Arbeitgeberin stützt ihren Verdacht allein auf das Ergebnis des eingeholten Schriftsachverständigengutachtens. Sie verkennt nicht, dass dieses Gutachten innerhalb der vom Sachverständigen selbst angegebenen Skala mit einem Ergebnis auf der dritten Stufe "mit hoher Wahrscheinlichkeit" endet. Die Beschwerdekammer ist mit der angegriffenen Entscheidung der Auffassung, dass sich allein aus der "hohen Wahrscheinlichkeit" ein dringender Tatverdacht im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht ableiten lässt. Andernfalls würde nämlich dem Umstand, dass es nach eigener Aussage des Sachverständigen weitere Steigerungsstufen gibt, nicht hinreichend Rechnung getragen. Zu bedenken ist bei der Abstufung der "Verdachtsstufen" insbesondere folgendes: Es ist davon auszugehen, dass sich bei einer Feststellung des Sachverständigen, die mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" die Urheberschaft der Beteiligten zu 3. für die Trauerkarte festgestellt hätte, für den Fall des Beweises von einer Täterschaft der Beteiligten zu 3. hätte ausgegangen werden können. Ist aber die Führung eines Beweises für eine Tatkündigung der Arbeitgeberin zwar möglich (durch Beauftragung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens), kommt dieses Gutachten dann aber nicht zum Ergebnis, dass es eindeutig eine Urheberschaft bestätigt (also misslingt der "Beweis"), kann das Instrument der Verdachtskündigung nicht herhalten, um trotz des nicht eindeutigen Ergebnisses des Gutachtens dann - anstelle einer Tatkündigung - die Verdachtskündigung zu rechtfertigen. So ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Verdachtskündigung ein subsidiäres Institut ist, das der Beweisnot des Arbeitgebers Rechnung tragen soll (LAG Köln, Urteil vom 26.11.1999, 11 Sa 1025/99 Rdnr. 22). In einer solchen Beweisnot befand sich die Arbeitgeberin nicht, da ihr das Mittel des schriftvergleichenden Sachverständigengutachtens zur Verfügung stand.



    bb) Darüber hinaus musste die Beschwerdekammer davon ausgehen, dass die Arbeitgeberin nicht alles Zumutbare unternommen hat, um den Sachverhalt vollständig aufzuklären. Insofern ist zwar zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Arbeitgeberin die Beteiligte zu 3. vor Einleitung des Zustimmungsverfahrens beim Betriebsrat angehört hat, was Bestandteil der gebotenen Aufklärung ist. Jedoch bestehen Zweifel, ob der Inhalt der Anhörung im Sinne einer Sachverhaltsaufklärung ausreichend war. Weder in der Einladung zum Gespräch, noch in der schriftlichen Anhörung war nämlich das Schriftsachverständigengutachten überhaupt nur erwähnt.



    cc) Doch selbst wenn man die Anhörung als ausreichend erachten würde, reicht sie allein nicht aus, wenn es weitere Aufklärungsmöglichkeiten gibt. Hierauf hat auch das Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung unter II 1.b) auf Bl. 9 des angegriffenen Beschlusses ausdrücklich hingewiesen, indem es aufgezeigt hat, dass nicht ersichtlich sei, welche von den insgesamt 140 bis 150 Beschäftigten in dem von der Arbeitgeberin eingegrenzten Zeitraum Dienst im Seniorenzentrum hatten. Angesichts des unbestrittenen Vortrages des Betriebsrates zur Funktionalität der Postfächer im Seniorenzentrum wäre es darüber hinaus geboten gewesen, zur Aufklärung der Urheberschaft der Trauerkarte aus Oktober 2014 Schriftproben sämtlicher Beschäftigter zur Begutachtung einzuholen und dem Schriftsachverständigen vorzulegen. Die Beschwerdekammer vermochte dem Argument der Arbeitgeberin nicht zu folgen, dass es hierauf nicht ankomme, da der Schriftsachverständige eben die "hohe Wahrscheinlichkeit" der Urheberschaft der Beteiligten zu 3. festgestellt habe. Es kann nämlich bei einem solchen Grad der Wahrscheinlichkeit nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass bei einer vollständigen Sichtung von Schriftproben sämtlicher Beschäftigter gegebenenfalls eine weitere Schriftprobe mit einem ähnlichen Wahrscheinlichkeitsgrad versehen worden wäre. Die Beschwerdekammer ist sich bewusst, dass auch dies eine Vermutung darstellt, die allerdings von der Tatsachengrundlage her kaum anders zu bewerten sein dürfte, als das Ergebnis eines Schriftsachverständigengutachtens, welches sich ausschließlich auf die exemplarische Überreichung einiger weniger Schriftvergleichsproben beschränkt hinsichtlich derer - auch hierauf hat das Arbeitsgericht hingewiesen - nicht näher erläutert wurde, nach welchen Kriterien diese ausgesucht wurden.



    Nach alledem reichen die durch das vorgelegte Schriftsachverständigengutachten gewonnenen Aspekte, die aus Sicht der Arbeitgeberin einen Verdacht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verdachtskündigung ausmachen sollen, nicht zur Begründung eines dringenden Verdachts einer erheblichen vertraglichen Pflichtverletzung aus. Ebenso ist fraglich, ob die Arbeitgeberin alles Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen hat, weshalb der Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. zurückzuweisen war. Auf die vom Betriebsrat aufgeworfenen Fragen zur entsprechenden Anwendung des § 626 Abs. 2 BGB (Kündigungserklärungsfrist) bei der beantragten Zustimmungsersetzung zur Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes kam es demnach nicht an. Allerdings weist die Beschwerdekammer darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 22.01.1987, 2 ABR 6/86) eine unverzügliche Einleitung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens nach Erteilung der Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch das Integrationsamt oder des Eintritts der Zustimmungsfiktion ausreichend ist.



    III. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne des § 92 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG lagen nicht vor. Die Beschwerdekammer hat die gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verdachtskündigung zugrunde gelegt; im Übrigen handelt es sich um eine Entscheidung auf Grundlage der den Einzelfall prägenden Tatsachen.

    Vorschriften§ 87 Abs. 1 ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 520 ZPO, § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, § 103 Abs. 2 BetrVG, § 103 Abs. 1 BetrVG, § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, § 15 Abs. 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB, § 15 KSchG, § 626 BGB, § 78 Satz 2 BetrVG, § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 626 Abs. 2 BGB, § 92 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 72 Abs. 2 ArbGG