15.01.2021 · IWW-Abrufnummer 219941
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 25.11.2020 – 21 Ta 1223/20
1. Eine Aussetzung nach § 148 Absatz 1 ZPO kommt in der Regel erst in Betracht, wenn das Verfahren "ausgeschrieben" ist.
2. Bei Ermessensfehlern ist das Beschwerdegericht auf die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt, es sei denn, das Ermessen ist auf Null reduziert.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
I. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. Juli 2020 - 34 Ca 2409/20 - abgeändert und der Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitig fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin ausgesprochenen Kündigung vom 7. Februar 2020 sowie über Vergütungsansprüche für den Zeitraum von Oktober 2019 bis Mai 2020.
Der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Kläger) steht mit der Beklagten und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Beklagte) seit dem 1. April 2018 in einem Arbeitsverhältnis als "Programmmanager" und seit dem 1. Oktober 2018 als "Head of Project Management Office" auf der Grundlage des "Anstellungsvertrages" vom 27. März 2018, geändert durch Änderungsvereinbarung vom 19. Oktober 2018. Zuletzt verdiente er monatlich 7.500,00 Euro brutto zuzüglich einer variablen zielerreichungsabhängigen Jahresabschlussvergütung ("Tantieme") von bis zu 10.000,00 Euro.
Darüber hinaus ist der Kläger seit 2016 Geschäftsführer der St. Strategic A. & A. UG (haftungsbeschränkt). Im Handelsregister ist als Gegenstand des Unternehmens der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Unternehmen und Unternehmensanteilen im eigenen Namen, auf eigene Rechnung, nicht für Dritte, unter Ausschluss von Tätigkeiten nach dem KWG sowie alle Managementtätigkeiten der Tochtergesellschaften und Beteiligungen einschließlich der Erbringung von strategischen und operativen Beratungsleistungen auf den Gebieten Strategie und Interim Management eingetragen.
Die Beklagte ist ein seit dem 29. August 2017 bestehendes Start-up Unternehmen und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer. Sie betreibt einen digitalen Marktplatz für den Handel mit Werkstoffen wie Stahl, Metall und Kunststoff und bietet ihren Kund*innen verschiedene Serviceleistungen im Zusammenhang mit der Durchführung und Verwaltung der Verkaufsprozesse an.
Mit Schreiben vom 12. Juni 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger betriebsbedingt zum 30. September 2019 und stellte ihn unter Anrechnung auf noch bestehende Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche bis zum Beendigungszeitpunkt von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unwiderruflich frei. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Berlin unter dem Geschäftszeichen 34 Ca 8116/19 Kündigungsschutzklage und machte einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung geltend. Hilfsweise begehrte er die Wiedereinstellung als "Head of Product" zum 1. Oktober 2019 und Beschäftigung als solcher. Mit Urteil vom 12. November 2019 wies das Arbeitsgericht Berlin die Kündigungsschutzklage ab und verurteilte die Beklagte zur Wiedereinstellung des Klägers als "Head of Product" zum 1. Oktober 2019 und zur vorläufigen Weiterbeschäftigung als solcher. Gegen dieses Urteil legten beide Parteien beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg unter dem Geschäftszeichen 24 Sa 2098/19 Berufung ein. Mit Urteil vom 18. November 2020 gab das Landesarbeitsgericht der Berufung des Klägers teilweise statt und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. Juni 2019 nicht aufgelöst worden ist. Im Übrigen wies es die Berufung des Klägers sowie die Berufung der Beklagten zurück und ließ die Revision nicht zu. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.
Mit weiterem Schreiben vom 14. November 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger im Hinblick auf das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. November 2019 vorsorglich erneut zum 31. März 2020, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin und stellte den Kläger höchstvorsorglich unter Anrechnung auf sämtliche bestehende und zukünftig noch entstehende Urlaubsansprüche bis zum Beendigungszeitpunkt von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unwiderruflich frei. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Berlin unter dem Geschäftszeichen 63 Ca 15089/19 ebenfalls Kündigungsschutzklage und machte einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung als "Head of Product" sowie Vergütungsansprüche für die Monate Oktober und November 2019 geltend. Hilfsweise begehrte er die Wiedereinstellung als "Head of Commercial" zum 30. Januar 2020 und Beschäftigung als solcher. Widerklagend verlangte die Beklagte Auskunft über vom Kläger als Geschäftsführer der St. Strategic A. & A. UG getätigte Geschäfte. Mit Teilurteil vom 17. September 2020 wies das Arbeitsgericht die Widerklage ab. Über die hiergegen von der Beklagten beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg unter dem Geschäftszeichen 4 Sa 1400/20 eingelegte Berufung ist noch nicht entschieden. Im Übrigen setzte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17. September 2020 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens 24 Sa 2098/19 aus.
Schließlich kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 7. Februar 2020 außerordentlich fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin wegen Verstoßes gegen das arbeitsrechtliche Wettbewerbsverbot und das arbeitsvertraglich vereinbarte Nebentätigkeitsverbot. Die Kündigung ging dem Kläger am selben Tag zu. Hiergegen richtet sich die im Ausgangsverfahren beim Arbeitsgericht Berlin am 26. Februar 2020 eingegangene, der Beklagten am 5. März 2020 zustellte Klage. Ferner begehrt der Kläger Vergütung in Höhe von 7.500,00 Euro brutto monatlich für den Zeitraum von Dezember 2019 bis einschließlich Mai 2020 und "Tantieme" in Höhe von 2.500,00 Euro brutto für das vierte Quartal 2019.
Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2020 hat die Beklagte die Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit des Berufungsverfahrens 24 Sa 2098/19 beantragt und gemeint, der kündigungsschutzrechtliche bzw. der arbeitsgerichtliche Beschleunigungsgrundsatz stehe der Aussetzung nicht entgegen. Eine besondere Notlage des Klägers sei nicht ersichtlich. Hingegen sei im Fall ihres Obsiegens in dem Kündigungsschutzprozess die Rückabwicklung zu Unrecht erfolgter Vergütungszahlungen kaum möglich. Dementsprechend bestehe ein überwiegendes Interesse an der Aussetzung. Der Kläger hat gemeint, das Berufungsverfahren sei nicht vorgreiflich. Außerdem sei ihm die Aussetzung aus finanziellen Gründen nicht zuzumuten und mit dem arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren. Sein Arbeitslosengeldanspruch ende am 29. August 2020. Der Gang zum Jobcenter sei weder ihm noch der Solidargemeinschaft der Steuerzahler*innen zumutbar. Der Aussetzungsantrag diene primär der Prozessverschleppung. Wegen des weiteren diesbezüglichen Vorbringens der Parteien wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 4. Mai 2020 sowie die Schriftsätze des Klägers vom 13. Mai 2020 und 20. Juli 2020 verwiesen.
Mit Beschluss vom 24. Juli 2020 hat das Arbeitsgericht den Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens 24 Sa 2098/19 ausgesetzt. Das Berufungsverfahren sei in mehrerlei Hinsicht vorgreiflich. Zum einen könne das Arbeitsverhältnis der Parteien schon durch die Kündigung vom 12. Juni 2019 geendet haben, sodass es auf die Wirksamkeit der Kündigung vom 7. Februar 2020 nicht mehr ankomme. Zum anderen sei das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses über den 30. September 2019 hinaus zwingende Voraussetzung für die geltend gemachten Vergütungsansprüche. Bei der Ausübung des Ermessens habe die Kammer unter anderem berücksichtigt, dass der Kläger etliche Jahre sehr ordentlich verdient habe und deshalb ohne konkrete Angaben nicht von einer finanziellen Notlage auszugehen sei, die Höhe der Vergütung des Klägers als "Head of Product" nicht geklärt sei und zu befürchten sei, dass der Kläger, wenn das Berufungsverfahren zu seinen Lasten ausgehen sollte, die zwischenzeitlich gezahlte Vergütung nicht zurückzahlen könne. Dem Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Absatz 1 ArbGG sei in Bezug auf die Zahlungsbegehren des Klägers aufgrund der derzeitigen Pandemiesituation nicht die Relevanz beizumessen, die ihm normalerweise zukomme, da ohne die Corona Problematik das Berufungsverfahren längst entschieden wäre. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses vom 24. Juli 2020 verweisen.
Gegen diesen dem Kläger am 10. August 2020 zugestellten Beschluss hat er mit am 20. August 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Er hält an seinen erstinstanzlich vertretenen Rechtsauffassungen fest und meint, die Aussetzung leiste der Prozessverschleppung Vorschub. Mit Beschluss vom 8. September 2020 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Die Notwendigkeit eines schnellen Agierens sei nach wie vor nur abstrakt ersichtlich.
Auf den Hinweis des Landesarbeitsgerichts, dass das Berufungsverfahren im Hinblick auf die Zahlungsanträge schon deshalb nicht vorgreiflich sein könne, weil die Zahlungsanträge sämtliche mangels hinreichender Bestimmtheit bereits unzulässig seien, und bezüglich der Kündigung vom 7. Februar 2020 nur dann vorgreiflich sei, wenn die Klage insoweit nicht schon aus anderen Gründen abzuweisen sei, hat der Kläger die Zahlungsanträge mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2020 konkretisiert, und die Beklagte mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 zu den Gründen für die Kündigung vom 7. Februar 2020 vorgetragen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 20. August 2020 und 21. Oktober 2020 sowie die Schriftsätze der Beklagten vom 8. September 2020 und 26. Oktober 2020 verwiesen.
II. Die sofortige Beschwerde ist statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 252, 567 Absatz 1 Nr. 1, § 569 Absatz 1 und 2 ZPO (Zivilprozessordnung), § 78 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz)). Sie ist auch begründet. Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist abzuändern und der Aussetzungsantrag der Beklagten ist zurückzuweisen.
1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts.
a) Bei der Ausübung des Ermessens sind gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung, einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern, insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dadurch entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (vergleiche BAG (Bundesarbeitsgericht) 16. April 2014 - 10 AZR 6/14 - Rn. (Randnummer) 5 mwN (mit weiteren Nachweisen)). Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Absatz 1 ArbGG, dem nach § 61a ArbGG in Bestandsstreitigkeiten eine besonders gewichtige Bedeutung zukommt (vergleiche BAG 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 20), ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer nach § 9 Absatz 2 Satz 2 ArbGG, §§ 198 ff. GVG (Gerichtsverfassungsgesetz; BAG 16. April 2014 - 10 AZR 6/14 - Rn. 5 mwN).
Die Vorgreiflichkeit des anderen Rechtsstreits ist kein Ermessenskriterium, sondern Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts überhaupt eröffnet ist (BAG 16. April 2014 - 10 AZR 6/14 - Rn. 10 mwN).
Führen die Parteien einen Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zugunsten des oder der Arbeitnehmer*in vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass Arbeitnehmer*innen typischerweise auf ihre Vergütung angewiesen sind und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen müssen, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den oder die Arbeitgeber*in besteht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Absatz 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen. Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des oder der Arbeitnehmer*in an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen. Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung gegebenenfalls deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen (BAG 16. April 2014 - 10 AZB 6/14 - Rn. 11 mwN).
b) Im Beschwerdeverfahren kann die Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO nur darauf überprüft werden, ob ein Aussetzungsgrund im Sinne der Vorgreiflichkeit des anderen Rechtsstreits vorliegt und ob das Arbeitsgericht bei der Ausübung seines Ermessen dessen Grenzen eingehalten hat und auch sonst keine Ermessensfehler gegeben sind (BGH 25. Juli 2019 - I ZB 82/18 - Rn. 38). Dabei ist die materiell-rechtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das erstinstanzliche Gericht nicht zu überprüfen. Deren Überprüfung bleibt einem etwaigen späteren Rechtsmittelverfahren gegen die Sachentscheidung vorbehalten (BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 9; BGH 25. Juli 2019 - I ZB 82/18 - Rn. 38). Dies gilt jedenfalls, soweit das Arbeitsgericht die Sach- und Rechtslage nicht offensichtlich verkannt hat (vergleiche BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 9).
Bei einer fehlerhaften Ermessensausübung darf das Beschwerdegericht die Aussetzungsentscheidung lediglich aufheben. Dies gilt auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht sein Ermessen nicht oder nur ungenügend ausgeübt hat. Darin liegt ein zur Aufhebung der Aussetzungsentscheidung führender Ermessensfehler (vergleiche BGH 25. Juli 2019 - I ZB 82/18 - Rn. 39 mwN). Das Beschwerdegericht darf sein Ermessen nicht an die Stelle des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens setzen (Zöller/Greger, ZPO 33. Auflage § 252 Rn. 3). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Ermessen auf Null reduziert ist (BGH 25. Juli 2019 - I ZB 82/18 - Rn. 39 mwN).
2. Danach ist der angefochtene Beschluss abzuändern und der Aussetzungsantrag der Beklagten ist zurückzuweisen. Einer Zurückverweisung an das Arbeitsgericht bedurfte es aufgrund des zwischenzeitlich im Verfahren 24 Sa 2098/18 ergangenen Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. November 2020 nicht.
a) Der angefochtene Beschluss hält einer Überprüfung nach den oben genannten Grundsätzen nicht stand.
aa) Es ist schon fraglich, ob das Verfahren 24 Sa 2098/19 tatsächlich in jedem Fall vorgreiflich ist. Zwar ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass der im Verfahren 24 Sa 2098/19 im Streit stehende Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30. September 2019 hinaus - sei es als "Head of Project Management Office" oder als "Head of Product" - für die Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge, den allgemeinen Feststellungsantrag sowie die Zahlungsanträge im vorliegenden Verfahren grundsätzlich vorgreiflich ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Arbeitsgericht die Möglichkeit hätte, die Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung vom 7. Februar 2020 zu beschränken (BAG vom 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 20). Da das Arbeitsgericht dazu nicht verpflichtet ist, berührt dies nicht die Vorgreiflichkeit als solche, sondern ist Gegenstand des Ermessens.
Eine Vorgreiflichkeit besteht jedoch nur, soweit die Klage im Übrigen begründet ist. Ist sie hingegen schon aus anderen Gründen abzuweisen, kommt es auf den endgültigen Ausgang des Berufungsverfahrens nicht an. Ob dies der Fall ist, lässt sich im Allgemeinen erst prüfen, wenn beide Parteien genügend Gelegenheit hatten, sich zu den einzelnen Streitgegenständen zu äußern. Dementsprechend kommt eine Aussetzung in der Regel nicht in Betracht, bevor das Verfahren "ausgeschrieben" ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die streitgegenständliche Kündigung offensichtlich unwirksam ist, beispielsweise, weil sie unter Verstoß gegen das Schriftformerfordernis des § 623 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) oder ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) ausgesprochen worden ist. Auch über die Aussetzung eines Rechtsstreits über Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs oder aufgrund einer etwaigen Prozessbeschäftigung kann regelmäßig erst entschieden werden, wenn der Rechtsstreit "ausgeschrieben" ist. Denn unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses können diesen Ansprüchen zahlreiche andere Einwendungen entgegenstehen (vergleiche dazu LAG Köln 27. März 2020 - 4 Ta 31/20 - Rn. 20 zitiert nach juris).
Dass die Kündigung vom 7. Februar 2020 offensichtlich unwirksam ist, ist nicht ersichtlich und hat auch das Arbeitsgericht nicht angenommen. Soweit die Beklagte auf den entsprechenden Hinweis des Beschwerdegerichts zu den Kündigungsgründen vorgetragen hat, vermag ihr dies im Beschwerdeverfahren nicht zum Erfolg verhelfen. Denn die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung fällt - wie oben ausgeführt worden ist - nicht in die Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts. Deshalb musste dem Kläger auch keine Gelegenheit gegeben werden, hierzu Stellung zu nehmen. Zu den vom Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüchen hat sich die Beklagte noch überhaupt nicht geäußert.
bb) Im Ergebnis kommt es hierauf jedoch nicht an. Denn der Aussetzungsbeschluss ist deshalb abzuändern, weil das Arbeitsgericht bei der Ausübung seines Ermessen nicht alle relevanten Aspekte berücksichtigt und die berücksichtigten Aspekte teilweise widersprüchlich und teilweise unzutreffend gewertet hat.
Was die Kündigung vom 7. Februar 2020 betrifft, lässt sich der Aussetzungsentscheidung nicht entnehmen, dass das Arbeitsgericht die Möglichkeit, die Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung vom 7. Februar 2020 zu beschränken, überhaupt in Erwägung gezogen hat, gleichwohl der Kläger im Schriftsatz vom 20. Juli 2020 auf die oben zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - ausdrücklich hingewiesen hat. Dies wäre jedoch schon wegen des für Bestandsschutzverfahren nach § 61a ArbGG geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatzes geboten gewesen.
Weiter hat das Arbeitsgericht einerseits darauf abgestellt, dass der Kläger über etliche Jahre ganz ordentlich verdient habe, weshalb ohne nähere Darlegung nicht von einer finanziellen Notsituation auszugehen sei. Andererseits hat es sich aber auch die Befürchtung der Beklagten zu eigen gemacht, dass der Kläger im Fall seines Unterliegens im Berufungsverfahren die über mehrere Monate gezahlte Vergütung möglicherweise nicht zurückzahlen könne. Damit hat es bei der Abwägung die nicht näher aufgeklärte finanzielle Situation des Klägers in entgegengesetzter Richtung und damit in widersprüchlicher Weise gewertet. Soweit Unsicherheiten bezüglich der Höhe der Vergütung eines "Head of Product" bestanden, hätten diese im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits geklärt werden können.
Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb dem Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Absatz 1 ArbGG aufgrund der Covid 19-Pandemie in Bezug auf die Zahlungsbegehren des Klägers nicht die Relevanz beizumessen sein soll, die ihm normalerweise zukommt. Eine Verzögerung des Berufungsverfahrens aufgrund der Pandemie wäre im Gegenteil eher ein Grund, das vorliegende Verfahren nicht auszusetzen.
b) Nachdem das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 18. November 2020 zwischenzeitlich über die Berufungen der Parteien im Verfahren 24 Sa 2098/19 entschieden hat, kann über den Aussetzungsantrag der Beklagten - unabhängig von der Frage der Vorgreiflichkeit - durch das Beschwerdegericht entschieden werden. Einer Zurückverweisung des Antrags an das Arbeitsgericht zur erneuten Entscheidung bedarf es nicht. Das Ermessen ist hinsichtlich der Aussetzungsentscheidung zwischenzeitlich auf Null reduziert.
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständige Kündigung vom 12. Juni 2019 nicht aufgelöst worden ist, und die Revision nicht zugelassen. Zwar ist das Urteil noch nicht abgesetzt und erst recht noch nicht rechtskräftig. Dies ändert aber nichts daran, dass eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers vorliegt, die mit großer Wahrscheinlichkeit Bestand haben wird. Besondere Gründe, die das schützenswerte Interesse des Klägers am zügigen Fortgang des Verfahrens überwiegen, sind nicht erkennbar und hat auch die Beklagte nicht vorgebracht. Die streitgegenständliche Kündigung vom 14. November 2019 im Verfahren 63 Ca 15089/19 steht einer Entscheidung über die geltend gemachten Zahlungsansprüche schon deshalb nicht entgegen, weil die Beklagte die Kündigung vom 14. November 2019 lediglich vorsorglich für den Fall ausgesprochen hat, dass zwar das Arbeitsverhältnis des Klägers als "Head of Project Management Office" durch die Kündigung vom 12. Juni 2019 wirksam aufgelöst worden ist, sie jedoch entsprechend dem Urteil des Arbeitsgerichts vom 12. November 2019 verpflichtet ist, den Kläger nahtlos als "Head of Product" wiedereinzustellen. Beides ist nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 18. November 2020 nicht der Fall.
III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist Bestandteil des Hauptverfahrens, weshalb die Kosten des Beschwerdeverfahrens einen Teil der Kosten des Rechtsstreits bilden. Diese hat unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens die in der Sache unterliegende Partei zu tragen (BGH 25. Juli 2019 I ZB 82/18 - Rn. 46 mwN).
IV. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 72 Absatz 2, § 78 Satz 2 ArbGG liegen nicht vor.
Beschluss vom 25.11.2020
Az.: 21 Ta 1223/20
Tenor:
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Aussetzung des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung in einem weiteren Rechtsstreit der Parteien.
Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitig fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin ausgesprochenen Kündigung vom 7. Februar 2020 sowie über Vergütungsansprüche für den Zeitraum von Oktober 2019 bis Mai 2020.
Der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Kläger) steht mit der Beklagten und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Beklagte) seit dem 1. April 2018 in einem Arbeitsverhältnis als "Programmmanager" und seit dem 1. Oktober 2018 als "Head of Project Management Office" auf der Grundlage des "Anstellungsvertrages" vom 27. März 2018, geändert durch Änderungsvereinbarung vom 19. Oktober 2018. Zuletzt verdiente er monatlich 7.500,00 Euro brutto zuzüglich einer variablen zielerreichungsabhängigen Jahresabschlussvergütung ("Tantieme") von bis zu 10.000,00 Euro.
Darüber hinaus ist der Kläger seit 2016 Geschäftsführer der St. Strategic A. & A. UG (haftungsbeschränkt). Im Handelsregister ist als Gegenstand des Unternehmens der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Unternehmen und Unternehmensanteilen im eigenen Namen, auf eigene Rechnung, nicht für Dritte, unter Ausschluss von Tätigkeiten nach dem KWG sowie alle Managementtätigkeiten der Tochtergesellschaften und Beteiligungen einschließlich der Erbringung von strategischen und operativen Beratungsleistungen auf den Gebieten Strategie und Interim Management eingetragen.
Die Beklagte ist ein seit dem 29. August 2017 bestehendes Start-up Unternehmen und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer. Sie betreibt einen digitalen Marktplatz für den Handel mit Werkstoffen wie Stahl, Metall und Kunststoff und bietet ihren Kund*innen verschiedene Serviceleistungen im Zusammenhang mit der Durchführung und Verwaltung der Verkaufsprozesse an.
Mit Schreiben vom 12. Juni 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger betriebsbedingt zum 30. September 2019 und stellte ihn unter Anrechnung auf noch bestehende Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche bis zum Beendigungszeitpunkt von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unwiderruflich frei. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Berlin unter dem Geschäftszeichen 34 Ca 8116/19 Kündigungsschutzklage und machte einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung geltend. Hilfsweise begehrte er die Wiedereinstellung als "Head of Product" zum 1. Oktober 2019 und Beschäftigung als solcher. Mit Urteil vom 12. November 2019 wies das Arbeitsgericht Berlin die Kündigungsschutzklage ab und verurteilte die Beklagte zur Wiedereinstellung des Klägers als "Head of Product" zum 1. Oktober 2019 und zur vorläufigen Weiterbeschäftigung als solcher. Gegen dieses Urteil legten beide Parteien beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg unter dem Geschäftszeichen 24 Sa 2098/19 Berufung ein. Mit Urteil vom 18. November 2020 gab das Landesarbeitsgericht der Berufung des Klägers teilweise statt und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. Juni 2019 nicht aufgelöst worden ist. Im Übrigen wies es die Berufung des Klägers sowie die Berufung der Beklagten zurück und ließ die Revision nicht zu. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.
Mit weiterem Schreiben vom 14. November 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger im Hinblick auf das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. November 2019 vorsorglich erneut zum 31. März 2020, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin und stellte den Kläger höchstvorsorglich unter Anrechnung auf sämtliche bestehende und zukünftig noch entstehende Urlaubsansprüche bis zum Beendigungszeitpunkt von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unwiderruflich frei. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Berlin unter dem Geschäftszeichen 63 Ca 15089/19 ebenfalls Kündigungsschutzklage und machte einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung als "Head of Product" sowie Vergütungsansprüche für die Monate Oktober und November 2019 geltend. Hilfsweise begehrte er die Wiedereinstellung als "Head of Commercial" zum 30. Januar 2020 und Beschäftigung als solcher. Widerklagend verlangte die Beklagte Auskunft über vom Kläger als Geschäftsführer der St. Strategic A. & A. UG getätigte Geschäfte. Mit Teilurteil vom 17. September 2020 wies das Arbeitsgericht die Widerklage ab. Über die hiergegen von der Beklagten beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg unter dem Geschäftszeichen 4 Sa 1400/20 eingelegte Berufung ist noch nicht entschieden. Im Übrigen setzte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17. September 2020 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens 24 Sa 2098/19 aus.
Schließlich kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 7. Februar 2020 außerordentlich fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin wegen Verstoßes gegen das arbeitsrechtliche Wettbewerbsverbot und das arbeitsvertraglich vereinbarte Nebentätigkeitsverbot. Die Kündigung ging dem Kläger am selben Tag zu. Hiergegen richtet sich die im Ausgangsverfahren beim Arbeitsgericht Berlin am 26. Februar 2020 eingegangene, der Beklagten am 5. März 2020 zustellte Klage. Ferner begehrt der Kläger Vergütung in Höhe von 7.500,00 Euro brutto monatlich für den Zeitraum von Dezember 2019 bis einschließlich Mai 2020 und "Tantieme" in Höhe von 2.500,00 Euro brutto für das vierte Quartal 2019.
Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2020 hat die Beklagte die Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit des Berufungsverfahrens 24 Sa 2098/19 beantragt und gemeint, der kündigungsschutzrechtliche bzw. der arbeitsgerichtliche Beschleunigungsgrundsatz stehe der Aussetzung nicht entgegen. Eine besondere Notlage des Klägers sei nicht ersichtlich. Hingegen sei im Fall ihres Obsiegens in dem Kündigungsschutzprozess die Rückabwicklung zu Unrecht erfolgter Vergütungszahlungen kaum möglich. Dementsprechend bestehe ein überwiegendes Interesse an der Aussetzung. Der Kläger hat gemeint, das Berufungsverfahren sei nicht vorgreiflich. Außerdem sei ihm die Aussetzung aus finanziellen Gründen nicht zuzumuten und mit dem arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren. Sein Arbeitslosengeldanspruch ende am 29. August 2020. Der Gang zum Jobcenter sei weder ihm noch der Solidargemeinschaft der Steuerzahler*innen zumutbar. Der Aussetzungsantrag diene primär der Prozessverschleppung. Wegen des weiteren diesbezüglichen Vorbringens der Parteien wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 4. Mai 2020 sowie die Schriftsätze des Klägers vom 13. Mai 2020 und 20. Juli 2020 verwiesen.
Mit Beschluss vom 24. Juli 2020 hat das Arbeitsgericht den Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens 24 Sa 2098/19 ausgesetzt. Das Berufungsverfahren sei in mehrerlei Hinsicht vorgreiflich. Zum einen könne das Arbeitsverhältnis der Parteien schon durch die Kündigung vom 12. Juni 2019 geendet haben, sodass es auf die Wirksamkeit der Kündigung vom 7. Februar 2020 nicht mehr ankomme. Zum anderen sei das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses über den 30. September 2019 hinaus zwingende Voraussetzung für die geltend gemachten Vergütungsansprüche. Bei der Ausübung des Ermessens habe die Kammer unter anderem berücksichtigt, dass der Kläger etliche Jahre sehr ordentlich verdient habe und deshalb ohne konkrete Angaben nicht von einer finanziellen Notlage auszugehen sei, die Höhe der Vergütung des Klägers als "Head of Product" nicht geklärt sei und zu befürchten sei, dass der Kläger, wenn das Berufungsverfahren zu seinen Lasten ausgehen sollte, die zwischenzeitlich gezahlte Vergütung nicht zurückzahlen könne. Dem Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Absatz 1 ArbGG sei in Bezug auf die Zahlungsbegehren des Klägers aufgrund der derzeitigen Pandemiesituation nicht die Relevanz beizumessen, die ihm normalerweise zukomme, da ohne die Corona Problematik das Berufungsverfahren längst entschieden wäre. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses vom 24. Juli 2020 verweisen.
Gegen diesen dem Kläger am 10. August 2020 zugestellten Beschluss hat er mit am 20. August 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Er hält an seinen erstinstanzlich vertretenen Rechtsauffassungen fest und meint, die Aussetzung leiste der Prozessverschleppung Vorschub. Mit Beschluss vom 8. September 2020 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Die Notwendigkeit eines schnellen Agierens sei nach wie vor nur abstrakt ersichtlich.
Auf den Hinweis des Landesarbeitsgerichts, dass das Berufungsverfahren im Hinblick auf die Zahlungsanträge schon deshalb nicht vorgreiflich sein könne, weil die Zahlungsanträge sämtliche mangels hinreichender Bestimmtheit bereits unzulässig seien, und bezüglich der Kündigung vom 7. Februar 2020 nur dann vorgreiflich sei, wenn die Klage insoweit nicht schon aus anderen Gründen abzuweisen sei, hat der Kläger die Zahlungsanträge mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2020 konkretisiert, und die Beklagte mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 zu den Gründen für die Kündigung vom 7. Februar 2020 vorgetragen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 20. August 2020 und 21. Oktober 2020 sowie die Schriftsätze der Beklagten vom 8. September 2020 und 26. Oktober 2020 verwiesen.
II. Die sofortige Beschwerde ist statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 252, 567 Absatz 1 Nr. 1, § 569 Absatz 1 und 2 ZPO (Zivilprozessordnung), § 78 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz)). Sie ist auch begründet. Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist abzuändern und der Aussetzungsantrag der Beklagten ist zurückzuweisen.
1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts.
a) Bei der Ausübung des Ermessens sind gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung, einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern, insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dadurch entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (vergleiche BAG (Bundesarbeitsgericht) 16. April 2014 - 10 AZR 6/14 - Rn. (Randnummer) 5 mwN (mit weiteren Nachweisen)). Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Absatz 1 ArbGG, dem nach § 61a ArbGG in Bestandsstreitigkeiten eine besonders gewichtige Bedeutung zukommt (vergleiche BAG 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 20), ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer nach § 9 Absatz 2 Satz 2 ArbGG, §§ 198 ff. GVG (Gerichtsverfassungsgesetz; BAG 16. April 2014 - 10 AZR 6/14 - Rn. 5 mwN).
Die Vorgreiflichkeit des anderen Rechtsstreits ist kein Ermessenskriterium, sondern Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts überhaupt eröffnet ist (BAG 16. April 2014 - 10 AZR 6/14 - Rn. 10 mwN).
Führen die Parteien einen Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zugunsten des oder der Arbeitnehmer*in vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass Arbeitnehmer*innen typischerweise auf ihre Vergütung angewiesen sind und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen müssen, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den oder die Arbeitgeber*in besteht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Absatz 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen. Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des oder der Arbeitnehmer*in an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen. Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung gegebenenfalls deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen (BAG 16. April 2014 - 10 AZB 6/14 - Rn. 11 mwN).
b) Im Beschwerdeverfahren kann die Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO nur darauf überprüft werden, ob ein Aussetzungsgrund im Sinne der Vorgreiflichkeit des anderen Rechtsstreits vorliegt und ob das Arbeitsgericht bei der Ausübung seines Ermessen dessen Grenzen eingehalten hat und auch sonst keine Ermessensfehler gegeben sind (BGH 25. Juli 2019 - I ZB 82/18 - Rn. 38). Dabei ist die materiell-rechtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das erstinstanzliche Gericht nicht zu überprüfen. Deren Überprüfung bleibt einem etwaigen späteren Rechtsmittelverfahren gegen die Sachentscheidung vorbehalten (BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 9; BGH 25. Juli 2019 - I ZB 82/18 - Rn. 38). Dies gilt jedenfalls, soweit das Arbeitsgericht die Sach- und Rechtslage nicht offensichtlich verkannt hat (vergleiche BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 9).
Bei einer fehlerhaften Ermessensausübung darf das Beschwerdegericht die Aussetzungsentscheidung lediglich aufheben. Dies gilt auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht sein Ermessen nicht oder nur ungenügend ausgeübt hat. Darin liegt ein zur Aufhebung der Aussetzungsentscheidung führender Ermessensfehler (vergleiche BGH 25. Juli 2019 - I ZB 82/18 - Rn. 39 mwN). Das Beschwerdegericht darf sein Ermessen nicht an die Stelle des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens setzen (Zöller/Greger, ZPO 33. Auflage § 252 Rn. 3). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Ermessen auf Null reduziert ist (BGH 25. Juli 2019 - I ZB 82/18 - Rn. 39 mwN).
2. Danach ist der angefochtene Beschluss abzuändern und der Aussetzungsantrag der Beklagten ist zurückzuweisen. Einer Zurückverweisung an das Arbeitsgericht bedurfte es aufgrund des zwischenzeitlich im Verfahren 24 Sa 2098/18 ergangenen Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. November 2020 nicht.
a) Der angefochtene Beschluss hält einer Überprüfung nach den oben genannten Grundsätzen nicht stand.
aa) Es ist schon fraglich, ob das Verfahren 24 Sa 2098/19 tatsächlich in jedem Fall vorgreiflich ist. Zwar ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass der im Verfahren 24 Sa 2098/19 im Streit stehende Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30. September 2019 hinaus - sei es als "Head of Project Management Office" oder als "Head of Product" - für die Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge, den allgemeinen Feststellungsantrag sowie die Zahlungsanträge im vorliegenden Verfahren grundsätzlich vorgreiflich ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Arbeitsgericht die Möglichkeit hätte, die Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung vom 7. Februar 2020 zu beschränken (BAG vom 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 20). Da das Arbeitsgericht dazu nicht verpflichtet ist, berührt dies nicht die Vorgreiflichkeit als solche, sondern ist Gegenstand des Ermessens.
Eine Vorgreiflichkeit besteht jedoch nur, soweit die Klage im Übrigen begründet ist. Ist sie hingegen schon aus anderen Gründen abzuweisen, kommt es auf den endgültigen Ausgang des Berufungsverfahrens nicht an. Ob dies der Fall ist, lässt sich im Allgemeinen erst prüfen, wenn beide Parteien genügend Gelegenheit hatten, sich zu den einzelnen Streitgegenständen zu äußern. Dementsprechend kommt eine Aussetzung in der Regel nicht in Betracht, bevor das Verfahren "ausgeschrieben" ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die streitgegenständliche Kündigung offensichtlich unwirksam ist, beispielsweise, weil sie unter Verstoß gegen das Schriftformerfordernis des § 623 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) oder ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) ausgesprochen worden ist. Auch über die Aussetzung eines Rechtsstreits über Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs oder aufgrund einer etwaigen Prozessbeschäftigung kann regelmäßig erst entschieden werden, wenn der Rechtsstreit "ausgeschrieben" ist. Denn unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses können diesen Ansprüchen zahlreiche andere Einwendungen entgegenstehen (vergleiche dazu LAG Köln 27. März 2020 - 4 Ta 31/20 - Rn. 20 zitiert nach juris).
Dass die Kündigung vom 7. Februar 2020 offensichtlich unwirksam ist, ist nicht ersichtlich und hat auch das Arbeitsgericht nicht angenommen. Soweit die Beklagte auf den entsprechenden Hinweis des Beschwerdegerichts zu den Kündigungsgründen vorgetragen hat, vermag ihr dies im Beschwerdeverfahren nicht zum Erfolg verhelfen. Denn die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung fällt - wie oben ausgeführt worden ist - nicht in die Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts. Deshalb musste dem Kläger auch keine Gelegenheit gegeben werden, hierzu Stellung zu nehmen. Zu den vom Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüchen hat sich die Beklagte noch überhaupt nicht geäußert.
bb) Im Ergebnis kommt es hierauf jedoch nicht an. Denn der Aussetzungsbeschluss ist deshalb abzuändern, weil das Arbeitsgericht bei der Ausübung seines Ermessen nicht alle relevanten Aspekte berücksichtigt und die berücksichtigten Aspekte teilweise widersprüchlich und teilweise unzutreffend gewertet hat.
Was die Kündigung vom 7. Februar 2020 betrifft, lässt sich der Aussetzungsentscheidung nicht entnehmen, dass das Arbeitsgericht die Möglichkeit, die Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung vom 7. Februar 2020 zu beschränken, überhaupt in Erwägung gezogen hat, gleichwohl der Kläger im Schriftsatz vom 20. Juli 2020 auf die oben zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - ausdrücklich hingewiesen hat. Dies wäre jedoch schon wegen des für Bestandsschutzverfahren nach § 61a ArbGG geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatzes geboten gewesen.
Weiter hat das Arbeitsgericht einerseits darauf abgestellt, dass der Kläger über etliche Jahre ganz ordentlich verdient habe, weshalb ohne nähere Darlegung nicht von einer finanziellen Notsituation auszugehen sei. Andererseits hat es sich aber auch die Befürchtung der Beklagten zu eigen gemacht, dass der Kläger im Fall seines Unterliegens im Berufungsverfahren die über mehrere Monate gezahlte Vergütung möglicherweise nicht zurückzahlen könne. Damit hat es bei der Abwägung die nicht näher aufgeklärte finanzielle Situation des Klägers in entgegengesetzter Richtung und damit in widersprüchlicher Weise gewertet. Soweit Unsicherheiten bezüglich der Höhe der Vergütung eines "Head of Product" bestanden, hätten diese im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits geklärt werden können.
Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb dem Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Absatz 1 ArbGG aufgrund der Covid 19-Pandemie in Bezug auf die Zahlungsbegehren des Klägers nicht die Relevanz beizumessen sein soll, die ihm normalerweise zukommt. Eine Verzögerung des Berufungsverfahrens aufgrund der Pandemie wäre im Gegenteil eher ein Grund, das vorliegende Verfahren nicht auszusetzen.
b) Nachdem das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 18. November 2020 zwischenzeitlich über die Berufungen der Parteien im Verfahren 24 Sa 2098/19 entschieden hat, kann über den Aussetzungsantrag der Beklagten - unabhängig von der Frage der Vorgreiflichkeit - durch das Beschwerdegericht entschieden werden. Einer Zurückverweisung des Antrags an das Arbeitsgericht zur erneuten Entscheidung bedarf es nicht. Das Ermessen ist hinsichtlich der Aussetzungsentscheidung zwischenzeitlich auf Null reduziert.
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständige Kündigung vom 12. Juni 2019 nicht aufgelöst worden ist, und die Revision nicht zugelassen. Zwar ist das Urteil noch nicht abgesetzt und erst recht noch nicht rechtskräftig. Dies ändert aber nichts daran, dass eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers vorliegt, die mit großer Wahrscheinlichkeit Bestand haben wird. Besondere Gründe, die das schützenswerte Interesse des Klägers am zügigen Fortgang des Verfahrens überwiegen, sind nicht erkennbar und hat auch die Beklagte nicht vorgebracht. Die streitgegenständliche Kündigung vom 14. November 2019 im Verfahren 63 Ca 15089/19 steht einer Entscheidung über die geltend gemachten Zahlungsansprüche schon deshalb nicht entgegen, weil die Beklagte die Kündigung vom 14. November 2019 lediglich vorsorglich für den Fall ausgesprochen hat, dass zwar das Arbeitsverhältnis des Klägers als "Head of Project Management Office" durch die Kündigung vom 12. Juni 2019 wirksam aufgelöst worden ist, sie jedoch entsprechend dem Urteil des Arbeitsgerichts vom 12. November 2019 verpflichtet ist, den Kläger nahtlos als "Head of Product" wiedereinzustellen. Beides ist nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 18. November 2020 nicht der Fall.
III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist Bestandteil des Hauptverfahrens, weshalb die Kosten des Beschwerdeverfahrens einen Teil der Kosten des Rechtsstreits bilden. Diese hat unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens die in der Sache unterliegende Partei zu tragen (BGH 25. Juli 2019 I ZB 82/18 - Rn. 46 mwN).
IV. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 72 Absatz 2, § 78 Satz 2 ArbGG liegen nicht vor.