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  • 03.03.2022 · IWW-Abrufnummer 227808

    Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 11.01.2022 – 14 Sa 938/21

    Versäumt der Arbeitnehmer die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG für die Erhebung der Kündigungsschutzklage, weil ihm der Betriebsratsvorsitzende sagt, der Kläger müsse sich um nichts weiter kümmern und brauche auch keine Klage einreichen, ist eine nachträgliche Zulassung der Klage nicht möglich.


    Tenor:

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 23. Juni 2021 (2 Ca 1208/20) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

    Die Revision wird zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten im Rahmen der Frage einer wirksamen Kündigung über die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage.



    Der am 2. Dezember "0000" geborene Kläger war bei der Beklagten, die rund 80 Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 11 Juli 1989 als Maschinenführer gegen eine monatliche Vergütung in Höhe von 3.600 Euro brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW Anwendung. Gemäß § 20 Nr. 4 MTV kann der Kläger aufgrund seines Alters und seiner Betriebszugehörigkeit nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Bei der Beklagten besteht ein erstmals im Jahr 2019 gewählter Betriebsrat.



    Mit Schreiben vom 28. Oktober 2020, dem Kläger per Einschreiben am 29. Oktober 2020 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2021. Hiergegen hat der Kläger mit der am 24. November 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageschrift Kündigungsschutzklage erhoben und mit einem weiteren am 26. November 2020 eingegangenen Schriftsatz deren nachträgliche Zulassung beantragt.



    Zuvor war dem Kläger am 30. Oktober 2020 eine Einladung zu einem BEM-Gespräch zugegangen. Dieses sollte am 3. November 2020 stattfinden, fiel jedoch wegen einer Erkrankung des Geschäftsführers der Beklagten aus.



    Der Kläger hat behauptet, sich noch am Tag des Zugangs mit dem Betriebsratsvorsitzenden in Verbindung gesetzt zu haben. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass der Betriebsrat am 28. Oktober 2020 per E-Mail über die Kündigung des Klägers informiert worden sei, eine Betriebsratsanhörung aber nicht stattgefunden habe. Der Betriebsrat wolle der Kündigung auch widersprechen. Der Kläger müsse sich daher um nichts weiter kümmern und brauche auch keine Klage einreichen. Nachdem er nicht mehr arbeitsunfähig gewesen sei, habe er sich dann bei dem Betriebsratsvorsitzenden noch einmal persönlich erkundigt, wie es jetzt um die Kündigung stehe. Ihm sei erklärt worden, dass er sich nicht weiter kümmern müsse, der Betriebsrat würde dies klären. Mit Schreiben vom 3. November 2020 habe der Betriebsrat der Kündigung widersprochen. Erst am 24. November 2020 habe der Betriebsrat sich bei der späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers nach dem weiteren Vorgehen erkundigt, woraufhin die Kündigungsschutzklage erhoben worden sei. Zur Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts hat der Kläger eine eigene sowie eine eidesstattliche Versicherung des Betriebsratsvorsitzenden zur Gerichtsakte (Bl. 34, 35 d. A.) gereicht.



    Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Die Klage sei nachträglich zuzulassen, da er auf die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden habe vertrauen dürfen, zumal eine Einladung zum BEM-Gespräch nach Zugang der Kündigung erfolgt sei. Er habe keine Kenntnis von der Dreiwochenfrist gehabt. Ein Verschulden könne ihm nicht zur Last gelegt werden.



    Der Kläger hat beantragt,

    1. die Kündigungsschutzklage vom 24. November 2020 nachträglich zuzulassen;2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Oktober 2020 nicht beendet wird;3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.



    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.



    Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigungsschutzklage sei verfristet. Da sich die Gespräche des Klägers mit dem Betriebsratsvorsitzenden der eigenen Wahrnehmung der Beklagten entziehen, müsse der vorgetragene Inhalt mit Nichtwissen bestritten werden. Unabhängig davon sei eine nachträgliche Zulassung nicht gerechtfertigt. Bei einer Falschauskunft über die einzuhaltende Frist treffe den Arbeitnehmer nur dann kein Verschulden, wenn er von der Kompetenz des um Rat Befragten ausgehen könne. Das sei beim Betriebsrat nicht der Fall. Die Rechtsberatung von Arbeitnehmern gehöre nicht zu seinem Aufgabenkatalog. Die Einladung zum BEM sei im Hinblick auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis 31. Mai 2021 aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung der Beklagten erfolgt und stehe in keinem Zusammenhang mit der Kündigung.



    Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Kündigung sei wegen der Klageerhebung nach Ablauf der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG von Anfang an rechtswirksam (§ 7 KSchG). Eine nachträgliche Zulassung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG scheide aus. Der Kläger habe die Versäumung der Frist verschuldet. Der Betriebsratsvorsitzende sei keine zur Auskunftserteilung hinsichtlich des rechtzeitigen prozessualen Vorgehens geeignete Stelle. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Seite 3 f., Bl. 131 f. d. A.) verwiesen.



    Das Urteil wurde dem Kläger am 9. Juli 2021 zugestellt. Die Berufung ist am 9. August 2021, die Berufungsbegründung am 9. September 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.



    Der Kläger verweist darauf, dass es in Rechtsprechung und Literatur umstritten sei, ob der Betriebsrat grundsätzlich keine zur Erteilung von Rechtsrat berufene Stelle sei. Es werde zutreffend die Auffassung vertreten, dass auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen sei. Wenn der Arbeitnehmer sich suchend an den Betriebsrat gewandt und eine falsche Auskunft erhalten habe, dürfte in aller Regel die nachträgliche Zulassung gerechtfertigt sein. Das gelte insbesondere in dem Fall, wenn der Betriebsratsvorsitzende auf Nachfrage ausdrücklich erkläre, der Arbeitnehmer solle oder brauche nichts zu unternehmen, der Betriebsrat werde die Sache regeln, und der Arbeitnehmer keinen Anlass gehabt habe, dem zu misstrauen. Ein solcher Fall läge aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhalts hier vor. Der Betriebsratsvorsitzende habe dem Kläger mitgeteilt, er brauche nichts zu unternehmen. Der Kläger habe keinen Grund gehabt, dem zu misstrauen, zumal der Betriebsratsvorsitzende ihm erklärt hätte, dass der Arbeitgeber eine Stellungnahme des Betriebsrats zu der beabsichtigten Kündigung noch gar nicht erhalten habe. Einen Tag später habe der Kläger die Einladung zu dem BEM-Gespräch erhalten, weswegen er davon habe ausgehen können, dass die Auskunft des Betriebsratsvorsitzenden zutreffend gewesen sei. Erst nachdem der Kläger am 24. November 2020 noch mal nachgefragt habe, habe sich der Betriebsratsvorsitzende mit dem örtlichen Rechtsschutzbüro der Gewerkschaft in Verbindung gesetzt, das sodann veranlasst habe, die Klage noch am selben Tag zu erheben.



    Der Kläger beantragt,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 23. Juni 2021 (2 Ca 1208/20) abzuändern und 1. die Kündigungsschutzklage vom 24. November 2020 nachträglich zuzulassen;2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Oktober 2020 nicht beendet worden ist;3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.



    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.



    Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zur Sach- und Rechtslage. Der Betriebsrat sei zur Auskunft und Beratung in individualarbeitsrechtlichen Angelegenheiten schon kraft Gesetzes nicht berufen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Kläger als Gewerkschaftsmitglied sich allein an den Betriebsratsvorsitzenden gewandt und nicht gewerkschaftlichen Rechtschutz in Anspruch genommen habe. Angesichts des Umstandes, dass der Betriebsrat erstmals im Jahr 2019 gewählt worden sei und die Beklagte nur etwa 80 Mitarbeiter beschäftige, habe der Kläger - anders als bei einem langjährig freigestellten Betriebsratsmitglied in einem Großbetrieb - nicht davon ausgehen können, dass in der Person des Betriebsratsvorsitzenden verbindliche Rechtskenntnisse zu erwarten seien. Zudem seien dem Kläger am 24. November 2020 selbst Zweifel gekommen, die zu seiner erneuten Nachfrage geführt hätten. Die nach Ansicht des Betriebsratsvorsitzenden nicht vorhandene wirksame Anhörung des Betriebsrates rechtfertige nicht die Unterlassung der Klageerhebung. Der Kläger habe nicht mit der ihm möglichen und zumutbaren Sorgfalt auf die Kündigung reagiert.



    Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien zur Sach- und Rechtslage wird auf den von ihnen in Bezug genommenen Inhalt der in beiden Instanzen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der Sitzungen des Arbeitsgerichts am 22. Januar 2021, 2. Juni 2021 und 23. Juni 2021 sowie des Landesarbeitsgerichts am 11. Januar 2022 Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe



    Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.



    Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Kündigungsschutzklage abgewiesen, weil diese verspätet erhoben wurde und nicht nachträglich zuzulassen war.



    1. Die Kündigung der Beklagten vom 28. Oktober 2020 gilt gemäß § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, weil der Kläger die für die Erhebung der Kündigungsschutzklage bestehende Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht eingehalten hat. Die Kündigung wurde dem Kläger am 29. Oktober 2020 zugestellt. Die Klage hätte spätestens am 19. November 2020 beim Arbeitsgericht eingehen müssen. Tatsächlich ist sie erst nach Ablauf der Frist am 24. November 2020 beim Arbeitsgericht eingegangen.



    2. Eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG kommt nicht in Betracht, weil der Kläger bei Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt nicht gehindert war, die Klage binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben.



    a) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, auf welchen Sorgfaltsmaßstab im Rahmen von § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG abzustellen ist.



    aa) Der Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG verlangt, dass der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert war, die Klage rechtzeitig zu erheben. Dies spricht - wie beim Begriff der Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB - für einen im Grundsatz objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab. Danach wäre - anders als im Strafrecht - kein persönlicher Schuldvorwurf erforderlich und der Sorgfaltsmaßstab insofern nicht "subjektiv". Der Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG schließt es aber andererseits nicht aus, zu den "nach Lage der Umstände" zu berücksichtigenden Faktoren im Einzelfall auch in der Person des Arbeitnehmers liegende Besonderheiten zu zählen, wenn dies nach den zu berücksichtigenden Interessen geboten erscheint (vgl. BAG 25. April 2018 - 2 AZR 493/17 - juris, Rn. 21 m. w . N.).



    bb) Der Zweck von § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG dürfte ebenfalls dafür sprechen, einen grundsätzlich objektiv-abstrakt zu bestimmenden Sorgfaltsmaßstab unter Berücksichtigung der betroffenen Interessen anzulegen (vgl. BAG, aaO, Rn. 22 ff. m. w. N.).



    (1) Auf Seiten des Arbeitnehmers ist zu beachten, dass durch § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG - im Prinzip nicht anders als bei § 233 ZPO - der Zugang zum Gericht nicht in unzumutbarer, sachlich nicht gerechtfertigter und mit Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarender Weise erschwert wird. Nachteile in Form eines Rechtsverlusts aufgrund der unverschuldeten Nichteinhaltung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG sollen vermieden werden. Dies spräche an sich - ebenso wie bei § 233 ZPO - für die Berücksichtigung auch "subjektiver" Momente, wie etwa die Prozesserfahrenheit oder den Bildungsstand des Antragstellers.



    (2) Bei der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG handelt es sich indes nicht um eine rein prozessuale Frist. Ihre Nichteinhaltung hat vielmehr aufgrund der Fiktion in § 7 KSchG - vergleichbar einer Ausschlussfrist - eine unmittelbare materielle Wirkung. § 4 Satz 1, § 7 KSchG sollen das Interesse des Arbeitgebers an einer alsbaldigen auch materiell-rechtlichen Rechtssicherheit in Bezug auf die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch eine arbeitgeberseitige Kündigung schützen. Darauf hat die Bestimmung der dem Arbeitnehmer im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG zuzumutenden Sorgfalt daher mit Bedacht zu nehmen. Individuelle Besonderheiten können deshalb keine Rolle spielen, wenn z. B. die Unkenntnis der Klagefrist der Grund für ihre Versäumung ist. Der von § 4 Satz 1, § 7 KSchG intendierte Schutz des Arbeitgebers liefe anderenfalls weitgehend leer. Es gehört zu den für jeden Arbeitnehmer geltenden Sorgfaltspflichten, sich zumindest nach Erhalt einer Kündigung unverzüglich darum zu kümmern, ob und wie er dagegen vorgehen kann. Etwas anderes kann dagegen für solche "subjektiven" Besonderheiten gelten, die in der konkreten Situation den Schutz des Arbeitnehmers auch in Anbetracht der Interessen des Arbeitgebers geboten erscheinen lassen.



    (3) Der besondere, auch materiell-rechtliche Charakter der Klagefrist gemäß § 4 Satz 1 KSchG hindert es im Übrigen nicht, solche Fallgestaltungen, die nach Sinn und Zweck von § 4 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 7 KSchG keine Abweichung von den von der Rechtsprechung zu § 233 ZPO entwickelten Grundsätzen gebieten, im Rahmen von § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG gleich zu behandeln, wie etwa allgemeine Probleme im Zusammenhang mit der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze.



    b) Im vorliegenden Fall hat der Kläger sowohl nach einem objektiven als auch subjektiven Maßstab die ihm nach Lage des Falles zuzumutende Sorgfalt nicht beachtet. Der Kläger durfte sich nicht auf die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden verlassen, dass er keine Klage erheben müsse. Der Betriebsratsvorsitzende war zur Erteilung einer solchen Auskunft nicht geeignet. Dies ist dem Kläger sowohl objektiv wie auch subjektiv vorwerfbar.



    aa) Im Falle eigener Unkenntnis von der Notwendigkeit, innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage zu erheben, kommt eine nachträgliche Zulassung nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer sich an eine zur Erteilung von Auskünften geeignete, zuverlässige Stelle wendet und von dort eine für die Fristversäumnis ursächliche unrichtige Auskunft erhält (vgl. LAG Nürnberg 26. März 2015 - 5 Sa 259/14 - juris, Rn. 35: LAG Köln 18. August 2006 - 9 Ta 272/06 - juris, Rn. 24; 15. April 2005 - 10 Ta 309/04 - juris, Rn. 13; ErfK/Kiel, 22. Auflage, 2022, KSchG § 5 Rn. 17; HK-ArbR/Schmitt, 4. Auflage, 2017, KSchG § 5 Rn. 24). Er muss aber bei seiner Anfrage deutlich gemacht haben, dass es sich um eine Kündigung handelt, gegen die er sich rechtlich zur Wehr setzen möchte (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 23. Juli 2004 - 8 Ta 154/04 - juris, Rn. 17; NK-ArbR/Roloff, 2016, KSchG § 5 Rn. 73).



    bb) Ein Betriebsrat ist nach allgemeiner Auffassung keine zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete Stelle, so dass dessen unrichtige Auskunft die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nicht rechtfertigen kann (vgl. LAG Sachsen, 27. Juli 1998 - 6 Ta 273/97 - juris, Rn. 26; LAG Köln, 13. September 1982 - 1 Ta 111/82 - EzA KSchG § 5 Nr. 16; KR-Kreft, 12. Auflage, 2018, KSchG § 5 Rn. 31; NK-ArbR/Roloff, aaO, Rn. 75; Beck-OK ArbR/Kerwer, 62. Ed., 1. Dezember 2021, KSchG § 5 Rn. 16). Der Betriebsrat ist der Vertreter der Belegschaft in kollektiven Fragen; für Einzelinteressen der Arbeitnehmer, insbesondere für die Durchsetzung individueller Ansprüche, ist er nicht zuständig (vgl. LAG Schleswig-Holstein 16. April 1998 - 4 Ta 188/97 - juris, Rn. 9). Es gehört nicht zu den Aufgaben der Arbeitnehmervertretung eines Betriebes, im Bereich der individuellen Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer diese in Rechtsangelegenheiten zu beraten und hierüber Rechtsauskünfte zu erteilen. Das Betriebsverfassungsgesetz weist dieser Institution lediglich Aufgaben im betrieblich-kollektiven Bereich zu (vgl. LAG Berlin 17. Juni 1991 - 9 Ta 6/91 - DB 1991, 1887; LAG Hamburg 10. April 1987 - 5 Ta 5/87 - LAGE KSchG § 5 Nr. 29).



    cc) Umstritten ist, ob eine Ausnahme besteht, wenn es sich um einen Großbetrieb handelt und der Betriebsrat eine Fachkompetenz aufgrund bestimmter Umstände kundtut (vgl. ErfK/Kiel, aaO, Rn. 17; Schrader, NJW 2009, 1541 <1545>; dagegen LAG Rheinland-Pfalz 10. September 1984 - 1 Ta 197/84 - NZA 1985, 430). Teilweise wird weitergehend vertreten, dass die Kündigungsschutzklage in der Regel nachträglich zuzulassen sei, wenn der Arbeitnehmer sich Rat suchend an den Betriebsrat gewandt und eine falsche Auskunft erhalten habe (vgl. LAG Sachsen 27. Juli 1998 - 6 Ta 273/97 - juris, Rn. 26; LAG Baden-Württemberg 3. April 1998 - 9 Ta 39/97 - juris, Rn. 6; KR-Friedrich, 10. Auflage, 2013, § 5 KSchG Rn. 45; HK-ArbR/Schmitt, aaO, Rn. 29). Abzustellen sei auf den Einzelfall, also sei im Einzelnen zu prüfen, ob bei Beurteilung der Gesamtumstände gesagt werden könne, dass der Arbeitnehmer alles getan habe, was ihm in dieser konkreten Situation bei Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse und seiner konkreten Situation zugemutet werden könne (vgl. LAG Baden-Württemberg, aaO). Der Betriebsrat sei häufig für gekündigte Arbeitnehmer erster Ansprechpartner im Zusammenhang mit Kündigung. Das sei bereits die logische Konsequenz aus dem in § 3 KSchG geregelten Einspruchsrecht. Hier werde der Arbeitnehmer regelmäßig auch Informationen zum weiteren Vorgehen nach Erhalt der Kündigung erfragen. Er könne zudem prinzipiell davon ausgehen, dass der Betriebsrat aufgrund seiner Stellung und der in diesem Zusammenhang zu erwartenden Grundkenntnisse im Arbeitsrecht zu einer sachgerechten Auskunft in der Lage sei (vgl. HK-ArbR/Schmitt, aaO).



    dd) Der Betriebsrat ist objektiv keine geeignete Stelle zur Auskunft über die Notwendigkeit einer fristgebunden zu erhebenden Kündigungsschutzklage. Die Rechtsberatung in individualrechtlichen Fragen ist nicht Gegenstand des gesetzlich zugewiesenen Aufgabenkatalogs für einen Betriebsrat. Das gilt auch, soweit der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Mitwirkungs- und Beschwerderechte nach §§ 82 ff. BetrVG einen Betriebsrat hinzuziehen kann. Soweit diese von der bloßen Begleitung über die Unterstützung sowie Beratung bis hin zur Vertretung reichende Hinzuziehung (vgl. hierzu NK-ArbR/Gola/Brink, BetrVG § 81 Rn. 18; § 82 Rn. 15; § 83 Rn. 20, § 84 Rn. 18) auch individualrechtliche Fragen betreffen könnte, beschränkt sich diese auf die aus den aus §§ 82 ff. BetrVG dem Arbeitnehmer zustehenden Rechte. Ebenso wenig begründet das Einspruchsrecht des Arbeitnehmers nach § 3 KSchG eine Beratungskompetenz von Betriebsratsmitgliedern in kündigungsschutzrechtlichen Fragen. Ihnen kommt keine höhere Kompetenz zu wie Familie, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen, Mitarbeiter von Bundesagentur für Arbeit, Geschäftsstellen des Arbeitsgerichts, in Rechtsanwaltskanzleien o. ä. (vgl. Beck-OK ArbR/Kerwer, aaO, Rn. 15 m. w. N.). Dass der Betriebsrat im Betrieb Ansprechpartner für die Arbeitnehmer ist und dies zumindest faktisch auch in Fällen der Kündigung sein kann, begründet nicht, warum dessen Rat fachlich vertraut werden kann. Betriebsräte sind weder Rechtsanwälte noch Rechtsschutzsekretäre - eine Vertretung von Arbeitnehmerinteressen allein reicht nicht, um geeignet zu sein, Rechtsauskünfte in arbeitsvertraglichen Angelegenheiten des Arbeitnehmers zu erteilen.



    ee) Aber auch subjektiv konnte der Kläger im vorliegenden Fall nicht auf die Aussage vertrauen, er brauche keine Klage zu erheben, müsse sich um nichts weiter kümmern, der Betriebsrat würde dies klären. Die Beklagte hat unstreitig darauf verwiesen, dass es sich bei ihr um einen mittelgroßen Betrieb mit 80 Mitarbeitern handelt, in dem erst im Jahr 2019 ein Betriebsrat gewählt wurde. Der Kläger konnte insoweit schon nicht davon ausgehen, dass der Betriebsratsvorsitzende hinreichende Erfahrungen und Kenntnisse auch von individualrechtlichen Fragen eines Arbeitsverhältnisses durch seine Betriebsratstätigkeit bereits erlangt hatte. Hinzukommt, dass dem Kläger durch seine Gewerkschaftsmitgliedschaft bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein müssen, dass er deswegen Anspruch auf Rechtsschutz in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten hatte. Die Gewährung von Rechtsschutz setzt aber dessen Umsetzung durch qualifiziertes Personal voraus. Es lag für den Kläger daher auf der Hand, dass er bei der Gewerkschaft bzw. der DGB Rechtsschutz GmbH qualifizierte Auskünfte über das weitere Vorgehen gegen die Kündigung erhalten würde. In dieser Situation reichte es nicht, sich nur an den Vorsitzenden des Betriebsrates zu wenden.



    Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, dass der Kläger nach der Kündigung die Einladung zu einem BEM-Gespräch bekam. Dieses betraf die noch absehbare Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31. Mai 2021. Eine ausdrückliche Rücknahme der Kündigung ist durch das Schreiben nicht erfolgt und kann ihm auch nicht konkludent durch Auslegung entnommen werden.



    c) Sowohl objektiv wie auch subjektiv hat der Kläger danach die Versäumung der Klagefrist des § 4 Satz KSchG zu vertreten. Eine nachträgliche Zulassung scheidet dementsprechend aus.



    3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



    Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Es ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden, ob der Betriebsrat eine zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete Stelle ist oder nicht. Sollte er objektiv anders als hier vertreten eine solche geeignete Stelle sein und allein ein objektiver Maßstab bei der Beurteilung des Verschuldens anzuwenden sein, käme es auf eine subjektive Vorwerfbarkeit der Versäumung der Dreiwochenfrist nicht mehr an.

    Vorschriften§ 20 Nr. 4 MTV, § 4 Satz 1 KSchG, § 7 KSchG, § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG, § 7 Halbs. 1 KSchG, § 276 Abs. 2 BGB, § 233 ZPO, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG, § 4 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1, § 3 KSchG, §§ 82 ff. BetrVG, § 3 KSchG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG