13.09.2023 · IWW-Abrufnummer 237337
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 14.08.2023 – 4 Ta 7/23
Es ist einer nicht bemittelten Partei nicht zumutbar, die mit einer unberechtigten Abmahnung verbundene Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts hinzunehmen bis ein Kündigungsschutzprozess beendet ist, in welchem möglicherweise die Berechtigung der Abmahnung inzidenter geprüft werden könnte. Ein Antrag auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte neben der Kündigungsschutzklage ist deshalb nicht mutwillig. Abweichung von LAG Hamm 22. Oktober 2009 - 14 Ta 85/09 - und LAG Köln vom 14. November 2017 - 9 Ta 180/17 -)
Im Beschwerdeverfahren mit d. Beteiligten
- Klägerin/Beschwerdeführerin -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Stöbe ohne mündliche Verhandlung am 14.08.2023
beschlossen:
Tenor: 1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Ulm vom 23. Mai 2023 (3 Ca 164/23) teilweise abgeändert: Der Klägerin wird über die Prozesskostenhilfebewilligung gemäß Beschluss vom 23. Mai 2023 hinaus zusätzlich Prozesskostenhilfe bewilligt für die Anträge zu 5 und 6 der Klageschrift vom 8. Mai 2023 zu den im Beschluss vom 23. Mai 2023 festgesetzten Bedingungen. 2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. 3. Die Gebühr gemäß Nr. 8614 KV-GKG wird auf die Hälfte reduziert. 4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin richtet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die teilweise Versagung von Prozesskostenhilfe.
Mit Klageschrift vom 8. Mai 2023 wehrte sich die Klägerin im Rahmen einer Kündigungsschutzklage (Antrag zu 1) und einer allgemeinen Feststellungsklage (Antrag zu 2) gegen die Wirksamkeit einer außerordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 19. April 2023. Mit den Anträgen zu 3 und 4 begehrte sie die Erteilung eines Zwischenzeugnisses, hilfsweise Endzeugnisses. Mit den Anträgen zu 5 und 6 begehrte sie die Entfernung von Abmahnungen vom 14. März 2023 und 16. März 2023 aus ihrer Personalakte.
Auf der Grundlage übereinstimmender Vergleichsvorschläge der Parteien vom 23. März 2023 wurde der Rechtsstreit mit Vergleichsfeststellungsbeschluss vom 24. März 2023 beendet.
Mit Beschluss vom 23. Mai 2023 bewilligte das Arbeitsgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für die Anträge zu 1 und 2. Es ordnete eine Ratenzahlung in Höhe von monatlich 121,00 Euro an. Im Übrigen wies das Arbeitsgericht den Prozesskostenhilfeantrag zurück.
Das Arbeitsgericht hielt die Anträge auf Entfernung der Abmahnungen für mutwillig. Den Zeugnisanträgen sprach es eine hinreichende Erfolgsaussicht ab.
Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 23. Mai 2023 zugestellt. Hiergegen richtet sich die vorliegende sofortige Beschwerde, die am 31. Mai 2023 beim Arbeitsgericht einging. Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 27. Juni 2023 nicht ab.
II.
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.
II.a
Der Klägerin ist auch Prozesskostenhilfe zu bewilligen für die Rechtsverfolgung gemäß den Anträgen zu 5 und 6 (Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte). Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts war die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Klägerin nicht mutwillig.
1. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO darf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung nur bewilligt werden, wenn diese hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Gemäß § 114 Abs. 2 ZPO ist eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Die Prozesskostenhilfe soll somit einer mittellosen Partei ermöglichen, ihre Rechte genauso gerichtlich zu verfolgen, wie es einer finanziell besser gestellten Partei möglich ist. Ziel ist eine weitgehende Angleichung der Situation von finanziell Leistungsfähigen und weniger Leistungsfähigen bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (BVerfG 29. September 2015 - 1 BvR 1125/14 -). Eine hilfsbedürftige Partei darf sich jedoch prozessual nicht anders verhalten, als es eine vermögende Partei in der gleichen Situation tun würde. Die Prozesskostenhilfe dient nicht dazu, Prozesse zu ermöglichen, die eine vermögende Partei bei vernünftiger und sachgerechter Einschätzung der Sach- und Rechtslage nicht führen würde (LAG Mecklenburg-Vorpommern 13. Januar 2023 - 5 Sa 139/22 -).
2. Das Arbeitsgericht verwies auf die Rechtsprechung des LAG Hamm, wonach es einer Partei zuzumuten sei, zuerst den Kündigungsschutzprozess zu führen, in welchem gegebenenfalls die Berechtigung der Abmahnungen inzidenter geprüft werden könne. Sollte im Fall des Obsiegens des Arbeitnehmers mit der Kündigungsschutzklage der Arbeitgeber die Abmahnungen nicht freiwillig aus der Personalakte entfernen, verbliebe immer noch die Möglichkeit einer Klageerhebung (LAG Hamm 22. Oktober 2009 - 14 Ta 85/09 -). Dieser Rechtsprechung hat sich auch das LAG Köln angeschlossen (LAG Köln 14. November 2017 - 9 Ta 180/17 -).
3. In Anwendung der oben dargestellten Grundsätze zur Mutwilligkeit vermag die erkennende Kammer den Auffassungen des LAG Hamm und des LAG Köln jedoch nicht zu folgen.
Mit dem Antrag auf Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte machte die Klägerin die Beseitigung einer Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts geltend (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 -). Die behauptete Unrichtigkeit der gerügten Vorwürfe unterstellt, ist die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bereits unmittelbar mit dem Ausspruch der Abmahnungen eingetreten. Es erschließt sich nicht, weshalb es einer nicht bemittelten Partei zugemutet werden soll, diese bereits eingetretenen Beeinträchtigungen, und sei es auch nur zeitlich befristet, hinzunehmen. Es ist auch nicht so, dass im Rahmen einer Kündigungsschutzklage denknotwendigerweise und immer die Berechtigung der Abmahnungen inzidenter geprüft würde. Hinzu kommt, dass es durchaus prozessökonomisch sein kann, die Beseitigung der neben der Kündigung eingetretenen Rechtsbeeinträchtigungen gleichzeitig mit der Kündigungsschutzklage geltend zu machen. Die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass vermögende Personen entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts hiervon auch vielfach Gebrauch machen, zumal zeitnäher und mit größerem Erinnerungsvermögen über diese Anträge befunden werden kann.
II.b
Der Klägerin ist aber keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen für die Anträge zu 3 und 4 auf Erteilung eines (Zwischen)Zeugnisses. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass es hierfür an einer hinreichenden Erfolgsaussicht fehlte.
1. Die Erhebung einer Zeugnisklage, unabhängig davon, ob ein Zwischen- oder Endzeugnis begehrt wird, setzt die vorherige (also vor Klageerhebung) erfolgte außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs voraus. Dies ergibt sich schon aus § 109 GewO, der einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses, das sich auf Leistung und Verhalten erstreckt (qualifiziertes Zeugnis), nur für den Fall begründet, in dem der Arbeitnehmer ausdrücklich die Erteilung eines solchen verlangt hat. Eine Klage, die vor außergerichtlicher Geltendmachung und Ablauf der gesetzten Frist zur Erteilung erhoben wurde, ist ohne weiteres mutwillig (LAG Hamm 9. September 2015 - 5 Ta 477/15 -).
2. Vorliegend fehlt es an jeglicher Darlegung zu einer solchen Geltendmachung. Trotz Beanstandung durch das Arbeitsgericht wurde eine solche Darlegung auch in der Beschwerdebegründung nicht nachgeholt.
III.
1. Wegen des nur teilweisen Obsiegens der Klägerin mit der sofortigen Beschwerde, wurde die Gebühr gemäß Nr. 8614 KV-GKG auf die Hälfte reduziert.
2. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Der Vorsitzende: Stöbe