27.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243475
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 01.08.2024 – 5 Ta 58/24
1. Bei einer Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung besteht keine Regelhaftigkeit, dass der Arbeitgeber eine Prämie oder Bonuszahlung vollständig oder teilweise verweigert.
2. Ein "Streit" oder eine "Ungewissheit" im Sinne des § 779 BGB , die Voraussetzung für das Vorliegen eines Vergleichsmehrwerts sind, ist daher nur gegeben, wenn die Beteiligten hierzu konkret vortragen (Geltendmachung, Ablehnung).
Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten
1.
- Beteiligter -
2.
- Beschwerdeführerin -
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 5. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Krets ohne mündliche Verhandlung am 01.08.2024
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers (Beschwerdeführer) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 18.06.2024 - 3 Ca 194/24 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beschwerde betrifft die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts gemäß § 63 Abs. 2 GKG.
Im Ausgangsverfahren wendete sich der Kläger mit seiner Klage gegen eine ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.04.2024 zum 30.11.2024.
Die Parteien schlossen einen Vergleich gem. § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO, in dem sie sich u.a. auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kündigung vom 25.04.2024 zum 31.03.2025 einigten. Außerdem einigten sich die Parteien in Ziffer 5 des Vergleichs auf folgende Regelung:
Weiter verpflichtete sich die Beklagte in Ziffer 9 des Vergleichs zur Erteilung eines Zwischen- und Endzeugnisses mit der Leistungsbewertung "gut bis sehr gut".
Das Arbeitsgericht hat den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert auf ein Bruttovierteljahresverdienst und den Vergleichsmehrwert für Ziffer 9 des Vergleichs auf ein Bruttomonatsgehalt festgesetzt.
Einen Vergleichsmehrwert in Bezug auf Ziffer 5 des Vergleichs lehnte das Arbeitsgericht ab, weil insoweit kein Streit feststellbar sei, sondern über die variable Vergütung nur "streitig verhandelt" worden sei. Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers, der sich im Wesentlichen darauf beruft, dass zumindest "Ungewissheit" über die Prämie bestanden habe.
II.
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers (Beschwerdeführer) ist statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist indes nicht begründet. Ein Vergleichsmehrwert in Bezug auf die in Ziffer 5 des Vergleichs geregelten variablen Gehaltsbestandteile besteht nicht.
1. Gegenstandswert
Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert zutreffend gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG auf ein Bruttovierteljahresverdienst festgesetzt.
2. Vergleichsmehrwert
a) Das Arbeitsgericht hat Ziffer 9 des Vergleichs zutreffend mit einem Bruttomonatsgehalt bewertet. Da diese Bewertung zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist und weil aufgrund der verhaltensbedingten Kündigungsgründe sowohl nach Ziffer 25.1.3 des Streitwertkatalogs der Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 01.02.2024 (NZA 2024, 308 ff.; im Folgenden: "SWK 2024") als auch nach der ständigen Rechtsprechung der erkennenden Kammer in diesen Fällen der Leistungs- oder Verhaltensvorwürfe regelmäßig eine "Ungewissheit" im Sinne des § 779 BGB besteht (vgl. LAG Baden-Württemberg 19.04.2017 - 5 Ta 42/17 - Rn. 15 für Fälle des "guten" oder "sehr guten" Zeugnisses), wird von weiteren Ausführungen abgesehen.
b) Es besteht jedoch kein Vergleichsmehrwert in Bezug auf die in Ziffer 5 des Vergleichs geregelten variablen Gehaltsbestandteile.
aa) Trotz des Vergleichs richtet sich die Wertfestsetzung vorliegend nach § 63 Abs. 2 GKG und nicht nach § 33 Abs. 1 RVG. Grundsätzlich bindet § 32 Abs. 1 RVG die Gebühren des Rechtsanwalts an den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert. Diese Bindung bleibt auch bei einer zum Wegfall der Gerichtsgebühren führenden Beendigung des Rechtsstreits (beispielsweise durch Vergleich oder Klagerücknahme vor streitiger Verhandlung) bestehen (ständige Rechtsprechung des LAG Baden-Württemberg, z.B. 13.01.2016 - 5 Ta 93/15 - Rn. 7 m.w.N.).
bb) Das Vorliegen eines Vergleichsmehrwerts setzt einen "Streit" oder eine "Ungewissheit" im Sinne des § 779 BGB voraus.
Nach Ziffer 25.1 SWK 2024 fällt ein Vergleichsmehrwert nur an, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses.
Die Streitwertbeschwerdekammer folgt aufgrund der erheblichen Bedeutung einer bundeseinheitlichen Streitwertrechtsprechung und der damit verbundenen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit grundsätzlich den Empfehlungen der Streitwertkommission.
(a) Streit meint das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Standpunkte bezüglich des Rechtsverhältnisses, wobei es um ernsthaft gegenseitige Standpunkte gehen muss. Der Streit kann tatsächlicher oder rechtlicher Natur sein. Auf die objektive Sach- oder Rechtslage kommt es nicht an, es genügen subjektive Zweifel über den Bestand des Ausgangsrechtsverhältnisses (LAG Baden-Württemberg 04.09.2017 - 5 Ta 79/17 - Rn. 36, juris).
(b) Eine Ungewissheit wird oft mit einem Streit einhergehen, braucht es aber nicht. Sie kann die gegenwärtige Rechtslage, das Vorliegen bestimmter tatsächlicher Umstände, die künftige Rechtsentwicklung oder den künftigen Eintritt von Tatsachen, insbesondere als Bedingung für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen, betreffen (LAG Baden-Württemberg 04.09.2017 a.a.O.).
cc) In Bezug auf das Vorliegen eines Vergleichsmehrwerts ist die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts streng, um eine Differenzierung zwischen Vergleichsregelungen, die lediglich "streitig verhandelt" wurden, aber außerhalb der Vergleichsverhandlungen nicht streitig oder ungewiss waren und der Beilegung von solchen Streitigkeiten oder Ungewissheiten, die unabhängig von den Vergleichsverhandlungen bestehen, zu ermöglichen (vgl. z.B. LAG Baden-Württemberg 04.09.2017 - 5 Ta 79/17, Rn. 62, juris). Deswegen bedarf es konkreten Vorbringens für eine der drei Alternativen des § 779 BGB, wenn sich aus den Akten (z.B. durch schriftsätzliches Vorbringen oder vorgelegten außergerichtlichen Schriftwechsel) und/oder aus der mündlichen Verhandlung keine hinreichenden Anhaltspunkte hierfür ergeben. Für die Feststellung der Merkmale des Streits oder der Ungewissheit im Sinne des § 779 Abs. 1 BGB ist grundsätzlich die Schilderung des konkret erklärten Begehrens der klägerischen Partei und die ablehnende Reaktion der beklagten Partei hierauf erforderlich (LAG Baden-Württemberg 4. September 2017 - 5 Ta 79/17, Rn. 62, juris). Die schlichte Nichterfüllung genügt hierfür nicht. Das "streitige Verhandeln" im Rahmen von Vergleichsverhandlungen ist nicht ausreichend. Diese Kriterien ermöglichen eine Unterscheidung zwischen Positionen, über die zwar kontrovers verhandelt wird, die aber letztlich Komponenten des "Gesamtpreises" einer vergleichsweisen Einigung sind, und Ansprüchen, über die auch außerhalb der Vergleichsverhandlungen bereits ernsthaft gestritten wurde.
dd) Legt man diese Maßstäbe zu Grunde, ist dem Arbeitsgericht zu folgen, dass ein Streit oder eine Ungewissheit über die variable Vergütung nicht erkennbar ist. Der Beschwerdeführer trägt vor, dass eine Ungewissheit über die Prämie bestanden habe, weil der Kläger freigestellt war und daher mangels Leistungserbringung keine Ziele erreichen konnte und sich die Parteien deswegen "hätten streiten können, wenn eine Regelung in diesem Vergleich nicht gefunden worden wäre". Deswegen habe man über die Höhe der Prämie verhandelt.
Die Streitwertbeschwerdekammer folgt dieser Schlussfolgerung nicht. Alleine eine Freistellung führt nicht dazu, dass regelmäßig eine Ungewissheit über die Prämienzahlung besteht. Bei einer Kündigung, die auf Verhaltens- oder Leistungsmängel gestützt wird, ist naheliegend, dass sich diese Mängel im Zeugnis niederschlagen und deswegen ein "gutes" oder "sehr gutes" Zeugnis sehr unwahrscheinlich ist. Bei einer Freistellung (unter Fortzahlung der Vergütung) besteht indes keine Regelhaftigkeit, dass der Arbeitgeber eine Bonuszahlung vollständig oder teilweise verweigert. Es ist zwar zutreffend, dass der Zielerreichungsgrad mangels Leistungserbringung möglicherweise nur schwer ermittelt werden kann, dies bedeutet indes nicht, dass der Arbeitgeber deswegen eine Zahlung typischerweise verweigert (so auch LAG Köln 21.05.2021 - 2 Ta 47/21 - Rn. 12, juris).
Es ist nicht vorgetragen, dass die Beklagte behauptet habe, sie sei nach der Kündigung nicht mehr verpflichtet gewesen, eine variable Vergütung zu bezahlen. Es ist auch nichts dazu vorgelegt worden, dass die Beklagte konkret die Höhe des Zielerreichungsgrads bestritten hätte.
Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.
III.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG); Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Der Vorsitzende: Dr. Krets