Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 22.03.2016 · IWW-Abrufnummer 184635

    Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 10.11.2015 – 6 Sa 301/14


    Tenor:

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 19.06.2014 - 5 Ca 286/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten aus einem beendeten Arbeitsverhältnis noch über von dem Kläger geltend gemachte Entschädigungsansprüche wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts.



    Der Kläger war vom 01.01.2012 bis 31.10.2013 bei der Beklagten, die Gewürze vertreibt, als Mitarbeiter Gewürzverarbeitung/Kommissionierer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, nachdem die Beklagte jenes verhaltensbedingt, ordentlich gekündigt hatte durch gerichtlichen Vergleich vom 30.10.2013.



    Die Beklagte installierte am 28.08.2013, nachdem zwei ihrer Kunden in gelieferten Gewürzverpackungen Fremdkörper (Metallnägel) vorgefunden hatten - zum weiteren Inhalt der Kundenbeschwerden siehe Bl. 96 - 98 d.A. - in dem Produktionsbereich, in dem sich auch der Arbeitsplatz des Klägers befand (Gewürzabteilung), eine Videoüberwachungsanlage, ohne den Kläger und die weiteren dort tätigen Mitarbeiter hierüber zu informieren. Nach der Beschaffenheit der von den Kunden vorgefundenen Verpackungen war davon auszugehen, dass die Fremdkörper im Verlauf des Produktionsprozesses eingelegt worden waren. Dass derartige "Sabotageakte" stattgefunden hatten, war den Mitarbeitern bekannt. Diese, einschließlich des Vorarbeiters, waren deshalb im Rahmen ihrer Tätigkeit besonders sensibilisiert.



    Der Kläger hat behauptet, die Videokamera sei permanent in Betrieb gewesen und habe dazu gedient, lückenlos ihn und seine Arbeitskollegen während der gesamten Schichtdauer zu überwachen und zu kontrollieren. Anlässlich der Übergabe eines Abmahnungsschreibens vom 29.08.2013 habe der Geschäftsführer der Beklagten persönlich ihm gegenüber erklärt, über den abgemahnten Pflichtverstoß - Mitnahme des Mobiltelefons zum Arbeitsplatz - existiere eine Videoaufzeichnung. Durch diese sei der Pflichtverstoß aufgedeckt worden.



    Der Kläger hat beantragt,



    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 750,00 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 11.12.2013 zu zahlen.



    Die Beklagte hat beantragt,



    die Klage abzuweisen.



    Die Beklagte hat bestritten, dass die Videoanlage permanent in Betrieb gewesen sei. Diese sei von ihrem technischen Mitarbeiter Herrn K angebracht und so programmiert worden, dass sie lediglich während der Pausenzeiten, in denen die Mitarbeiter - unstreitig - den Produktionsbereich zu verlassen hatten, und in den Zeiten nach Schichtschluss in Betrieb gewesen sei. Keineswegs sei die Anlage dauerhaft betrieben worden. Unzutreffend sei auch, dass es eine Videoaufnahme über den im Schreiben vom 29.08.2013 abgemahnten Vorfall gebe. Der Pflichtverstoß des Klägers sei vielmehr durch den Produktionsleiter M entdeckt worden. Dementsprechend habe ihr Geschäftsführer auch gegenüber dem Kläger nicht geäußert, der Vorfall sei auf Video aufgezeichnet worden.



    Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.06.2014 die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu. Er habe die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür, nämlich eine heimliche Videoüberwachung während der Arbeitszeit, nicht hinreichend substantiiert darlegen können. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Bl. 123 - 134 d.A. verwiesen.



    Gegen dieses, ihm am 17.07.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am selben Tag Berufung eingelegt und diese am 26.08.2014 begründet.



    Mit seinem Rechtsmittel verfolgt er sein erstinstanzliches Klageziel weiter. Er behauptet ergänzend, der Geschäftsführer der Beklagten habe anlässlich der Übergabe des Abmahnungsschreibens geäußert, er habe noch nie so ein "faules Schwein" gesehen wie ihn und habe hierzu auf die Videoaufnahmen verwiesen. Die Videoüberwachung seines Arbeitsplatzes erfolge über einen silbernen, im Büro des Geschäftsführers aufgestellten Monitor. Dieser sei ständig in Betrieb.



    Der Kläger beantragt,



    das Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 19.06.2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 750,00 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 11.12.2013 zu zahlen.



    Die Beklagte beantragt,



    die Berufung des Klägers zurückzuweisen.



    Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und bestreitet weiterhin eine Überwachung des Arbeitsplatzes des Klägers während seiner Anwesenheit. Der von dem Kläger benannte Monitor im Arbeitszimmer des Geschäftsführers gebe keineswegs Videoaufnahmen jenes Produktionsbereiches wieder, in dem der Kläger beschäftigt war. Der Monitor diene vielmehr - hiervon seien die betreffenden Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt worden - der Überwachung des Außenbereiches eines in unmittelbarer Nähe befindlichen Schwesterunternehmens der Beklagten.



    Die Videoanlage sei von ihrem Mitarbeiter K mit einem Bewegungsmelder versehen worden. Demgemäß seien auch in den Pausenzeiten und in jenen Zeiten, in denen keine Produktion stattgefunden habe, nicht permanent Videoaufnahmen gefertigt worden, sondern nur dann, wenn eine Person den Raum betreten habe. Die Beklagte sei davon ausgegangen, dass die Fremdkörper nicht während des eigentlichen Produktionsprozesses in die Verpackungen gelangt seien. Es sei vielmehr anzunehmen gewesen, dass die Nägel entweder während einer Pause oder aber nach Schichtschluss durch Mitarbeiter anderer Abteilungen, deren Schicht noch nicht beendet war, in die Verpackungen eingelegt worden seien.



    Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.



    Entscheidungsgründe



    A.



    Die Berufung des Klägers ist zulässig. Es handelt sich um das gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthafte Rechtsmittel. Sie ist rechtzeitig (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) eingelegt worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten auf Seite 3 der Berufungserwiderung hat der Kläger auch die Frist zur Begründung der Berufung gewahrt. Diese beträgt gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG zwei Monate und wird mit Zustellung des anzufechtenden Urteils (hier am 17.07.2014) in Lauf gesetzt (Abs. 1 Satz 2). Der Fristablauf trat daher erst am 17.09.2014 und nicht - wie die Beklagte meint - am 18.08.2014 ein.



    B.



    Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet.



    Dem Kläger steht ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aufgrund einer Verletzung seines Persönlichkeitsrechts seitens der Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu.



    Ein auf § 823 Abs. 1 BGB gestützter Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung setzt voraus, dass die Beeinträchtigung nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Bei dieser Entschädigung steht - anders als beim Schmerzensgeld - regelmäßig der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention dienen.



    Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind in gebotener Gesamtwürdigung insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen (BAG 19.02.2015 - 8 AZR 1007/13 - OS).



    Danach liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Geldentschädigung an den Kläger auch dann nicht vor, wenn man von seinem Sachvortrag ausgeht, die Beklagte habe den seinen Arbeitsplatz umfassenden Produktionsbereich während der Arbeitszeiten permanent mittels einer Videokamera überwacht, ohne die Mitarbeiter hierüber zu informieren.



    I. Zwar läge in einem derartigen Verhalten ein rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers, da nach dem sich bietenden Sachverhalt die Herstellung von Videoaufnahmen nicht gem. § 32 BDSG als gerechtfertigt anzusehen ist (vgl. BAG aaO. - Rn. 19). Die Beklagte hat auch nach der von dem Berufungsgericht erteilten Auflage im Beschluss vom 01.07.2015 zu den in dieser Norm enthaltenen Voraussetzungen nicht weiter vorgetragen.



    II. Bei Abwägung der Gesamtumstände erscheint der Kammer aber der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht als ausreichend schwerwiegend, um einen Entschädigungsanspruch in Geld auszulösen.



    Die Überwachung hat sich auf einen relativ kurzen Zeitraum des Arbeitsverhältnisses bezogen. Unbestritten ist die Videoanlage erst am 28.08.2013 installiert worden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist zum 31.10.2013 beendet worden. Weiter beschränkte sich die - zugunsten des Klägers unterstellte - Videoüberwachung auf den Produktionsbereich. Eine Beobachtung des Klägers in Bereichen, in denen seine Privatsphäre tangiert sein könnte, zB Umkleideräume oder Pausenräume, hat unstreitig nicht stattgefunden. Die Beobachtung hat sich auch nicht gezielt gegen den Kläger gerichtet, sondern erstreckte sich auf den gesamten Produktionsbereich (Gewürzabteilung). Der Kläger stand mithin nicht im Focus der Beobachtung. Nicht unberücksichtigt gelassen werden konnte weiterhin, dass aufgrund der vorangegangenen "Sabotageakte" alle Arbeitnehmer sensibilisiert waren und - so der unbestrittene Vortrag der Beklagten - eine gesteigerte Aufmerksamkeit im Produktionsablauf herrschte einschließlich einer Überwachung durch den Vorarbeiter. Schlussendlich kann auch der Anlass der nach Behauptung des Klägers erfolgten Videoüberwachung nicht außer Acht gelassen werden, nämlich unstreitig zwei vorangegangene "Sabotageakte" in Form der Verunreinigung von Gewürzpackungen mit Metallnägeln. Auch wenn nach dem sich bietenden Sachverhalt hieraus allein nicht die Rechtfertigung einer Videoüberwachung hergeleitet werden kann, so ist im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung zu konstatieren, dass für die Beklagte ein nachvollziehbarer Anlass zur Einrichtung der Videoüberwachung bestand. Aus den vorgelegten Kundenbeschwerden ist zu entnehmen, dass die beiden Vorfälle zu einer Gefährdung der jeweiligen Vertragsbeziehung geführt haben.



    Bei Berücksichtigung all dieser Umstände erscheint der von dem Kläger behauptete Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht nicht derart schwerwiegend, dass er nur im Wege einer Geldentschädigung wieder ausgeglichen werden kann.



    C.



    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



    D.



    Gegen diese Entscheidung findet ein weiteres Rechtsmittel nicht statt. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.



    Die Kammer wendet die gefestigte Rechtsprechung zu Entschädigungsansprüchen bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts auf den vorliegenden Einzelfall an. Hierin liegt auch keine Abweichung von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.02.2015 - 8 AZR 1007/13. Das BAG (Rn. 32 f) hat eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000,- EUR - die dortige Klägerin hatte 10.500,- EUR begehrt - für angemessen erachtet, weil die Videoüberwachung sich auf ihre Privatsphäre bezogen habe. Dieser Bereich ist vorliegend jedoch nicht tangiert.



    Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.

    Vorschriften§§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1 GG, § 32 BDSG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG, § 72a ArbGG