Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
5 Sa 134/1956 Ca 4481/18 Arbeitsgericht Berlin
Verkündet am 7. November 2019
Im Namen des Volkes
Urteil
In Sachen
- Beklagte und Berufungsklägerin -
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 5. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht A. als Vorsitzenden
sowie den ehrenamtlichen Richter E. und den ehrenamtlichen Richter V. für Recht erkannt:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.12.2018,
56 Ca 4481/18, wird unter nachträglicher Zulassung der Kündigungsschutzklage auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.
Die fünfundvierzigjährige Klägerin, eine Facharbeiterin für Schreibtechnik mit Praxiserfahrungen in Rechtsanwaltskanzleien, ist seit dem 01.09.2009 bei der Beklagten als CallCenter-Agentin beschäftigt, zuletzt nach Maßgabe des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 16.08.2011 (Bl. 5 ff d. A.) bei einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.717,00 EUR. Sie arbeitet in einem Großraumbüro. Die künstliche Beleuchtung wird dort eingeschaltet, wenn die Räumlichkeiten von den Mitarbeitenden, im Zweifel von der Mehrheit, als zu dunkel empfunden werden. Nur der mittlere von drei Beleuchtungssträngen wird nie beleuchtet, bestimmte Mitarbeiter haben ein Veto-Recht. Die Fenster des Großraumbüros der Beklagten werden zu Zwecken der Belüftung in bestimmten Abständen und mit bestimmter Dauer geöffnet. Hinsichtlich des jeweiligen Arbeitsplatzes gilt grundsätzlich ein wöchentliches Rotationsprinzip, Wünsche dürfen geäußert werden und werden berücksichtigt. Eine Betriebsärztin führt in regelmäßigen Abständen Augenuntersuchungen durch. Als internes Kommunikationsmittel ist neben der direkten Ansprache auch die E-Mail erlaubt.
Mit Schreiben vom 04.06.2012 (Bl. 107 d. A.) rügte die Beklagte, die Klägerin habe die fristgerechte Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung versäumt und verlangte mit Schreiben vom 29.04.2014 (Bl. 108 d. A.) von der Klägerin, fortan bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Mit Schreiben vom 08.12.2016 (Bl. 88 f d. A.) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung wegen ihrer Weigerung, an einer Outbound-Aktion zur Kundenrückgewinnung teilzunehmen.
Im Zeitraum vom 03.08.2017 bis 23.11.2017 richtete die Klägerin insgesamt 30 E-Mails an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten, wegen deren Inhalts auf die tabellarische Auflistung auf Seiten 7 bis 9 des Schriftsatzes der Beklagten vom 04.06.2018 (Bl. 40 ‒ 42 d. A.) sowie auf Anlage B 7 zu diesem Schriftsatz (Bl. 109 ‒ 155 d. A.) verwiesen wird. Mit Schreiben vom 23.11.2017 (Bl. 101 f d. A.) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung mit dem Inhalt, sie habe mit E-Mails vom 20.10.2017, 25.10.2017 und 27.10.2017 unangemessen auf Kolleginnen und Kollegen eingewirkt und dadurch ihre Rücksichtnahmepflicht verletzt.
Im Zeitraum vom 02.01.2018 bis 06.02.2018 richtete die Klägerin insgesamt 33 E-Mails an eine Gruppenleiterin, eine Referentin und einen weiteren Mitarbeiter, wegen deren Inhalts auf die tabellarische Auflistung auf Seiten 4 bis 17 des Schriftsatzes der Beklagten vom 13.03.2019 (Bl. 336 ‒ 349 d. A.) verwiesen wird.
Mit am 28.02.2018 zugegangenem Schreiben vom 21.02.2018 (Bl. 157 ff d. A.) teilte die Beklagte dem bei ihr gebildeten Personalrat mit, sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der E-Mail-Korrespondenz der Klägerin in den Monaten Januar und Februar 2018 verhaltensbedingt unter Einhaltung einer Frist von zwei Monaten zum Quartalsende zu kündigen.
Mit der Klägerin am 15.03.2018 zugegangenem Schreiben vom gleichen Tag (Bl. 10 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2018.
Mit der ausweislich des Transfervermerks vom 22.03.2018 (Bl. 2 d. A.) als eines von mehreren gemeinsam mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen elektronischen Dokumenten am 21.03.2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageschrift hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung und mit einer Klageerweiterung die Erteilung eines Zwischenzeugnisses geltend gemacht. Sie hat hinsichtlich der Kündigungsschutzklage vorgetragen, die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt und mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrates unwirksam. Die Abmahnung vom 23.11.2017 sei rechtswidrig, ferner habe sie nach Erhalt dieser Abmahnung keine gleichartige E-Mailkommunikation mit Arbeitskollegen getätigt. Ihr Kommunikationsverhalten habe die Grenzen zur Ehrverletzung oder Untergrabung der Autorität von Vorgesetzten nicht überschritten und jeweils einem sachlichen Anliegen entsprochen.
Die Klägerin hat ‒ soweit in der Berufungsinstanz noch anhängig ‒ beantragt,
es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 15. März 2018 beendet wurde.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe mit ihrer E-Mailkorrespondenz den Gesundheitszustand der vorgesetzten Gruppenleiterin belastet und ihre Kolleginnen und Kollegen in ihrer täglichen Arbeit verunsichert und ihr Verhalten trotz Abmahnung nicht geändert. Dadurch habe sie ihre vertragliche Rücksichtnahmepflicht erheblich verletzt.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 05.12.2018 stattgegeben. Die mit der Kündigungsschutzklage fristgerecht angegriffene Kündigung sei nicht durch verhaltensbedingte Gründe gerechtfertigt. Die Klägerin habe nicht in kündigungsschutzrechtlich erheblicher Weise gegen ihre vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen. Die E-Mails der Klägerin überschritten für sich betrachtet weder nach Inhalt noch Ausdruck die Grenzen der sozialadäquaten Kommunikation. Die Grenze zwischen noch als adäquat zu tolerierendem Sozialverhalten und der Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten sei fließend und für den Arbeitnehmer schwer erkennbar. Die Beklagte müsse sich vorhalten lassen, die Grenzen dessen, was sie im Sinne aller Arbeitnehmer nicht weiter zu tolerieren bereit sei, nicht ausreichend konkretisiert zu haben.
Gegen dieses der Beklagten am 13.12.2018 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 11.01.2019 eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.03.2019 am 13.03.2019 begründete Berufung. Die Beklagte trägt vor, das Arbeitsgericht habe übersehen, dass die Klägerin im Zeitraum vom 02.01.2018 bis 06.02.2018 33 E-Mails mit vom Ton her unangemessenen Anfeindungen und Provokationen an die Empfänger gerichtet habe. Dabei habe das Arbeitsgericht auch den Dauertatbestandscharakter der Verleumdungen und Verunglimpfungen der Beklagten sowie der beharrlichen Unkollegialität gegenüber Mitarbeitenden, Führungskräften und Gremien verkannt. Nach Erhalt der Abmahnung vom 23.11.2017 habe die Klägerin gezeigt, dass sie sich nicht ändern wolle und habe die Häufigkeit und den verunglimpfenden Inhalt der E-Mails verschärft. Soweit die Klägerin sich über die Heranziehung zur E-Mailbearbeitung beklagt habe, sei ihr am 12.01.2018 mitgeteilt worden, dass diese für sie freiwillig sei.
Auf den Hinweis der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 01.08.2019, dass die Klageschrift vom 21.03.2018 nicht qualifiziert elektronisch signiert worden sei, weshalb die Klagefrist des §
4 KSchG versäumt sein könne, trägt die Beklagte vor, sie mache sich diese Rüge zu eigen. Eine nachträgliche Klagezulassung sei nach §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG ausgeschlossen, im Übrigen habe die Klägerin aufgrund des ihr zuzurechnenden Verhaltens ihres Prozessbevollmächtigten die Klagefrist nicht schuldlos versäumt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.12.2018, zugestellt am 13.12.2018, zum Aktenzeichen
56 Ca 4481/18 wird hinsichtlich des Tenors unter Ziffer I. aufgehoben und die Kündigungsschutzklage wird abgewiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung unter nachträglicher Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückzuweisen.
Sie trägt vor, die Kündigungsschutzklage vom 21.03.2018 sei in zulässiger Weise elektronisch signiert worden, jedenfalls aber sei diese unter Wiedereinsetzung in die Frist des §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen, da ihr Prozessbevollmächtigter infolge der verzögerten Freigabe des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs davon habe ausgehen dürfen, mittels des zur Übersendung der Klageschrift genutzten elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs den erforderlichen sicheren Übermittlungsweg einschließlich der qualifizierten elektronischen Signatur eingehalten zu haben. Sie habe wie jede Arbeitnehmerin das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren. Sie habe sich nach Erhalt der Abmahnung vom 23.11.2017 mit ihren Beschwerden ausschließlich an ihre Vorgesetzten gewandt und sonstige Kolleginnen und Kollegen nicht behelligt. Die E-Mails enthielten keinen herablassenden Tonfall, sie seien allesamt sachlich, manchmal kurz angebunden und schlimmstenfalls mit einem leicht ironischen Unterton versehen.
Wegen des zweitinstanzlichen Vortrages der Parteien im Übrigen wird auf die Schriftsätze und Anlagen der Beklagten vom 13.03.2019 (Bl. 333 ‒ 355 d. A.), vom 24.07.2019 (Bl. 377 ‒ 386 d. A.), vom 23.08.2019 (Bl. 418 ‒ 424 d. A.), vom 27.09.2019 (Bl. 443 ‒ 448 d. A.), vom 01.11.2019 (Bl. 457 ‒ 458 d. A.) und vom 05.11.2019 (Bl. 459 ‒ 460 d. A.), die Schriftsätze der Klägerin, eingegangen am 23.04.2019 (Bl. 360 ‒ 364 d. A.), vom 15.08.2019 (Bl. 389 ‒ 400 d. A.) und vom 24.10.2019 (Bl. 450 ‒ 451 d. A.) sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 01.08.2019 (Bl. 387 ‒ 388 d. A.) und 07.11.2019 (Bl. 461 ‒ 462 d. A.) verwiesen.
Die Klägerin hat am 15.08.2019 die Kündigungsschutzklage mit Datum vom 21.03.2018 und den Antrag auf nachträgliche Zulassung derselben als elektronische Dokumente beim Landesarbeitsgericht eingereicht, sie sind dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 22.08.2019 zugestellt worden.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist gemäß §§
8 Abs. 2,
64 Abs. 2 Buchst. c) und Abs. 6,
66 Abs. 1 ArbGG,
519 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden und wurde gemäß §§
64 Abs. 6 ArbGG,
520 Abs. 3 ZPO ausreichend begründet.
II. Die Berufung ist jedoch unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Die streitgegenständliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 des auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendenden Kündigungsschutzgesetzes (§§
1 Abs. 1,
23 Abs. 1 Satz 3 KSchG) sozial ungerechtfertigt und daher rechtsunwirksam. Sie gilt weder gemäß §
7 KSchG als von Anfang an wirksam, noch ist sie durch im Verhalten der Klägerin liegende Gründe bedingt (§
1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).
1. Die streitgegenständliche Kündigung gilt nicht deshalb gemäß §
7 KSchG von Anfang an als wirksam, weil sie nicht innerhalb der Klagefrist des §
4 KSchG angegriffen worden ist. Zwar ist innerhalb der Frist von drei Wochen nach Zugang der streitgegenständlichen Kündigung am 15.03.2018 keine formgerechte Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingegangen. Das am 21.03.2018 beim Arbeitsgericht eingegangene elektronische Dokument war nicht wirksam signiert worden. Erst in dem am 15.08.2019 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangenen elektronischen und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) versehenen Dokument mit Datum vom 21.03.2018 ist eine formgerechte Kündigungsschutzklage zu sehen. Mit dieser ist zwar die Klagefrist des §
4 KSchG nicht gewahrt worden, jedoch ist diese Kündigungsschutzklage auf Antrag der Klägerin gemäß §
5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 2. Alt. KSchG nachträglich zuzulassen.
a) Die Klageschrift vom 21.03.2018 ist beim Arbeitsgericht Berlin innerhalb der nach Zugang der angegriffenen Kündigung am 15.03.2018 bis zum 05.04.2018 laufenden Klagefrist als elektronisches Dokument i. S. d. §
46 c ArbGG eingegangen.
Sie ist jedoch von der verantwortenden Person nicht gemäß §
46 c Abs. 3 ArbGG in zulässiger Weise signiert worden. Mit ihr konnte daher die Klagefrist des §
4 KSchG nicht gewahrt werden. Ist innerhalb der 3-Wochen-Frist des §
4 KSchG eine entgegen §
130 Nr. 6 ZPO von der verantwortenden Person nicht unterzeichnete Kündigungsschutz-Klageschrift eingegangen, so wahrt diese die Klagefrist nur dann, wenn ihr ein unterzeichnetes Schriftstück beiliegt, aus dem sich ergibt, dass die Klageschrift mit Wissen und Wollen der verantwortenden Person bei Gericht eingegangen ist oder wenn der beklagte Arbeitgeber den Mangel der fehlenden Unterzeichnung nicht nach §
295 ZPO gerügt hat (BAG, Urteil vom 26.06.1986 ‒
2 AZR 358/85).
aa) Der Prozessbevollmächtigte verwendete bei Übersendung der Klageschrift vom 21.03.2018 kein auf gesetzlicher Grundlage errichtetes elektronisches Postfach des Arbeitsgerichts (§
46 c Abs. 4 Nr. 2 ArbGG) oder einen sonstigen sicheren Übermittlungsweg i. S. d. §
46 c Abs. 4 ArbGG. Deshalb genügt der Umstand nicht, dass die Klageschrift eine einfache elektronische Signatur trägt (§
46 c Abs. 3 2. Alt. ArbGG).
bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das elektronische Dokument vom 21.03.2018 von ihrem Prozessbevollmächtigten als verantwortende Person auch nicht gemäß §
46 c Abs. 3 1. Alt. ArbGG mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) versehen worden.
(1) Ausweislich des Transfervermerks vom 22.03.2018 (Bl. 2 d. A.) ist nicht die Klageschrift selbst als elektronisches Dokument mit einer qeS versehen worden, sondern der Nachrichtencontainer, welcher neben der Klageschrift weitere Dateien enthielt („nachricht.xml“, „nachricht.xsl“, „visitenkarte.xml“, „visitenkarte.xsl“, „herstellerinformation.xml“; sog. Containersignatur). Gemäß § 4 Abs. 2 der am 01.01.2018 in Kraft getretenen Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) ist eine elektronische Signatur unzulässig, mit der mehrere elektronische Dokumente gemeinsam signiert werden. Auch wenn die mit der Klageschrift zusammen übersandten Datensätze anderen Zwecken dienen, als die Klageschrift, sind auch sie elektronische Dokumente, weil sie mit Hilfe von Mitteln der Informatik elektronisch erstellt worden sind und aus den Elementen Codierung, Struktur, Daten und Format bestehen (zu dieser Definition: GMP-Künzel, 9. Aufl. 2017, ArbGG §
46 c, Rn. 5).
Der Ausschluss der Containersignatur soll verhindern, dass nach der Trennung eines elektronischen Dokuments vom Nachrichtencontainer die Containersignatur nicht mehr überprüft und nicht mehr nachvollzogen werden kann, ob die Authentizität und Integrität des elektronischen Dokuments gewährleistet ist (BAG, Beschluss vom 15.08.2018 ‒
2 AZN 269/18, Rn. 4; BR-Drs. 645/17, S. 15 zu § 4 ERVV). Das trifft vorliegend zu, wird die als pdf-Datei übersandte Klageschrift vom 21.03.2018, die nicht mit einer qeS versehen ist, von dem signierten Nachrichtencontainer getrennt. Es lässt sich dann lediglich nachvollziehen, dass zum Zeitpunkt der Trennung Authentizität und Integrität der elektronisch übermittelten Klageschrift gewährleistet waren. Für die Zeit danach fehlt hingegen eine qeS der Klageschrift selbst, die diese Überprüfung ermöglicht.
(2) Der Ausschluss der Containersignatur ‒ auch in den Fällen, in denen nur ein Schriftsatz als elektronisches Dokument übersendet wird ‒ verstößt nicht gegen Art.
47 der Charta der Grundrechte der EU, wonach das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleistet ist. Die Verwendung einer qeS bei der Übersendung von elektronischen Dokumenten an ein Gericht unter Einsatz geeigneter Hard- und Software ist ohne erhebliche Schwierigkeiten möglich und hätte auch vorliegend angebracht werden können, zumal dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin bis zum 01.01.2022 auch die schriftliche Übermittlung möglich ist.
cc) Ein in zulässiger Weise signiertes Dokument, aus dem geschlossen werden könnte, dass die Klageschrift mit Wissen und Wollen der verantwortenden Person bei Gericht einging, lag der Klageschrift nicht bei. Auf den insgesamt unzulässig signierten Nachrichtencontainer kann insoweit nicht abgestellt werden, weil die Signatur des Containers nicht gewährleistet, dass der Inhalt der nicht signierten Klageschrift vom Wissen und Wollen der verantwortenden Person getragen wird.
dd) Das Fehlen einer qeS ist auch nicht gemäß §
295 ZPO unbeachtlich. Die Beklagte hat, nachdem sie von dem Mangel erstmals aufgrund eines Hinweises der Kammer vom 01.08.2019 erfuhr, diesen umgehend gerügt.
ee) Ein Fall des §
46 c Abs. 6 ArbGG liegt nicht vor. Wird ein elektronisches Dokument unter Verstoß gegen §
46 c Abs. 3 ArbGG an das Gericht übermittelt, liegt kein bloßer „Formatfehler“ i. S. d. §
46 c Abs. 6 ArbGG vor (BAG a. a. O. Rn. 10).
b) Die Klägerin hat die Kündigungsschutzklage als elektronisches Dokument in prozessual beachtlicher Weise nach Ablauf der Klagefrist erstmals am 15.08.2019 beim Landesarbeitsgericht eingereicht. Diese verspätete Kündigungsschutzklage ist gemäß §
5 Abs. 1 KSchG nachträglich zuzulassen.
aa) Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist zulässig.
(1) Der Antrag ging laut Transfervermerk vom 16.08.2019 (Bl. 410 d. A.) am 15.08.2018 als elektronisches Dokument über das besondere elektronische Anwaltspostfach und mit qeS unter der Bezeichnung „STN.pdf.p7s“ beim Landesarbeitsgericht ein. Mit ihm war die Klageerhebung verbunden (§
5 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Die mit dem Datum vom 21.03.2018 versehene Klageschrift ist ausweislich des gleichen Transfervermerks mit der Bezeichnung „Klage.pdf.p7s“ beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg als elektronisches Dokument ebenfalls am 15.08.2019 eingereicht worden. Dabei wurde der sichere Übermittlungsweg des §
46 c Abs. 4 Nr. 2 ArbGG (besonderes elektronisches Anwaltspostfach) genutzt, zudem ist die Klageschrift mit einer qeS versehen worden.
(2) Die nach § 5 Abs. 2 Satz 1 KschG erforderliche Klageerhebung erfolgte in Verbindung mit dem gemäß §
5 Abs. 5 KSchG beim Landesarbeitsgericht erstmals gestellten Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage. Eine Einreichung beim Arbeitsgericht war damit nicht erforderlich.
(3) Die Klägerin hat die Zweiwochenfrist des §
5 Abs. 3 Satz 1 KSchG gewahrt. Aufgrund des Hinweises der Kammer vom 01.08.2018 ist das Hindernis behoben worden, das sie daran hinderte, die Kündigungsschutzklage schriftlich oder als elektronisches Dokument mit zulässiger Signatur nochmals einzureichen. Denn bis dahin ging sie davon aus, die Klage fristgerecht erhoben zu haben. Der Antrag ging, verbunden mit der formgerechten Kündigungsschutzklage, am 15.08.2018 als elektronisches Dokument beim Landesarbeitsgericht ein. Auf ein von den Parteien zuletzt problematisiertes unverzügliches Handeln kommt es gemäß §
5 Abs. 3 Satz 1 KSchG insoweit nicht an.
(4) Der Antrag enthält die Angabe der die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen und die Mittel für deren Glaubhaftmachung (§
5 Abs. 2 Satz 2 KSchG). Die einfachen anwaltlichen Erklärungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Antragsschriftsatz vom 15.08.2019 sind insoweit ausreichend, weil sie sich auf seine eigene Berufstätigkeit und eigenen Wahrnehmungen beziehen. Eine ausdrückliche "anwaltliche Versicherung" oder eine Versicherung an Eides Statt ist dann nicht erforderlich (BAG, Urteil vom 14.11.1985 -
2 AZR 652/84).
(5) Die in §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG enthaltene Frist von sechs Monaten, gerechnet ab dem Ablauf der Klagefrist am 05.04.2018, ist abgelaufen. Gleichwohl kann der Antrag nicht als unzulässig angesehen werden. Denn diese Frist ist vorliegend nicht anzuwenden. Dies ergibt sich aus Rechtsgrundsätzen zur Anwendung des §
234 Abs. 3 ZPO, die auch vorliegend Geltung haben.
(a) Die Jahresfrist des §
234 Abs. 3 ZPO ist nicht anzuwenden, wenn das Gericht aus allein in seiner Sphäre liegenden Gründen innerhalb der Frist nicht über die formelle Zulässigkeit einer Prozesshandlung entschieden hat und beide Parteien aufgrund richterlicher Verfügungen der Auffassung sein können, der Rechtsstreit werde demnächst materiell-rechtlich entschieden. Der Schutzzweck des §
234 Abs. 3 ZPO, die Gefährdung der formellen Rechtskraft zu beschränken und den Bestand der an ihren Eintritt geknüpften Rechte des Prozessgegners zu schützen, tritt auch nach der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise zurück, soweit der Prozessgegner auf den Eintritt der Rechtskraft nicht vertrauen darf und der Antragsteller den Ablauf der Ausschlussfrist nicht zu vertreten hat. Insbesondere wenn dem Antragsgegner und dem Gericht das Rechtsmittel, wegen dessen nicht rechtzeitiger Vornahme die Wiedereinsetzung begehrt wird, schon längst vor Ablauf der Jahresfrist bekannt ist, oder das Gericht aus allein in seiner Sphäre liegenden Gründen nicht innerhalb eines Jahres entscheiden konnte, die Parteien aber mit einer Entscheidung in der Sache rechnen durften, ist dies der Fall (BAG, Urteil vom 05. Februar 2004 ‒
8 AZR 112/03 ‒,
BAGE 109, 265-278, Rn. 50 f).
(b) Diese Rechtsgrundsätze sind auf §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG zu übertragen. Ist dem Arbeitgeber und dem Gericht bekannt, dass der Arbeitnehmer innerhalb der Klagefrist des §
4 KSchG eine Kündigungsschutzklage eingereicht hat, tritt das durch §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG geschützte Interesse des Arbeitgebers, nach Ablauf der darin geregelten Frist nicht mehr mit einer aufgrund besonderer Umstände erfolgenden nachträglichen Klagezulassung rechnen zu müssen und damit endgültig von der Rechtswirksamkeit der Kündigung ausgehen zu können (dazu: BAG, Urteil vom 28. Januar 2010 ‒
2 AZR 985/08, Rn. 33), zurück. Denn er weiß, dass sich der Arbeitnehmer gegen die Kündigung zur Wehr setzen will. Muss er zudem aufgrund gerichtlichen Handelns davon ausgehen, dass über das Begehren des Arbeitnehmers sachlich entschieden wird, besteht kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass die Kündigung rechtswirksam sei. Zugleich gebietet es der Grundsatz fairen Verfahrens, dass der Arbeitnehmer nicht nach Ablauf der Frist des §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG vom Gericht mit der fehlenden Fristwahrung des §
4 KSchG konfrontiert wird, nachdem dieses zunächst dem Verfahren Fortgang und damit zu erkennen gegeben hat, es wolle in der Sache entscheiden. Das gilt jedenfalls für Mängel der vorliegenden Art, die das Gericht von Amts wegen zu prüfen hat und aufgrund der ihm vorliegenden Informationen auch ohne Weiteres feststellen kann.
Mit einer gleichwohl dann nach Ablauf der Frist des §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG erfolgenden Entscheidung, die Kündigung müsse bereits aufgrund der Nichteinhaltung der Frist des §
4 KSchG als rechtswirksam angesehen werden, begibt sich das Gericht in einen unzulässigen Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten. Das Gebot des fairen Verfahrens verbietet ein solches Vorgehen (BVerfG, Beschluss vom 15. April 2004 ‒
1 BvR 622/98).
(c) Das Arbeitsgericht hat nach Eingang der nicht ordnungsgemäß signierten Kündigungsschutzklage für den 23.04.2018 einen Gütetermin anberaumt und nach dessen Scheitern Auflagen in der Sache zur Vorbereitung der streitigen Verhandlung erteilt. Es hat bis zum Ablauf der Frist des §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG keinen Hinweis erteilt, dass die Klagefrist möglicherweise nicht gewahrt worden sei und hat nach Ablauf der Frist am 05.12.2018 der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Im Urteil hat es ausgeführt, die Klagefrist sei durch die am 21.03.2018 eingegangene Klage gewahrt worden. Auch die Berufungskammer hat weder bei Eingang der Berufung, noch im Zusammenhang mit der Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung nach Eingang der Berufungsbegründung auf Bedenken gegen die Einhaltung der Klagefrist hingewiesen. Beide Parteien durften bis zum Hinweis der Kammer vom 01.08.2019 davon ausgehen, es werde in erster und zweiter Instanz in der Sache über das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nach §
1 Abs. 2 KSchG entschieden werden. Die Beklagte konnte zu keinem Zeitpunkt das Vertrauen haben, sie müsse mit einer Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung bereits aus Gründen der §§
4,
7 KSchG nicht mehr rechnen. Das Gebot fairen Verfahrens verlangt in dieser Situation, dass die Frist des §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG unangewendet bleibt und in der Sache über den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung entschieden wird.
(d) Soweit die Beklagte auf das Urteil des BAG vom 28. Januar 2010 ‒
2 AZR 985/08 ‒ hinweist, wonach eine Wiedereinsetzung in die abgelaufene Sechsmonatsfrist des §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG ausgeschlossen ist, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Vorliegend geht es nicht um eine Wiedereinsetzung in diese Frist, sondern um deren Nichtberücksichtigung. Auch kann die Beklagte sich in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg darauf berufen, die Nichteinhaltung der Klagefrist beruhe auf dem Verhalten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und liege nicht allein in der Sphäre des Gerichts. Darauf kommt es hier nicht an, sondern vielmehr darauf, dass es allein auf in der Sphäre des Gerichts liegenden Gründen beruht, dass das Kündigungsschutzverfahren bis über den Ablauf der Frist des §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG ohne einen Hinweis auf den formellen Mangel der Klageschrift betrieben wurde und der Eindruck entstand, es werde zu einer Entscheidung in der Sache kommen, zu der es sodann ja auch und zudem auch noch zugunsten der Klägerin gekommen ist. Auch der Hinweis auf §
61 a ArbGG überzeugt nicht, denn das Kündigungsschutzverfahren wird nicht aufgrund der nunmehr im Zusammenhang mit der Entscheidung in der Hauptsache erfolgenden Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung verzögert.
bb) Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist auch begründet.
(1) Die sich aus dem Gebot fairen Verfahrens ergebende prozessuale Fürsorgepflicht verpflichtet die Gerichte, eine Partei auf einen offenkundigen Formmangel eines bestimmenden Schriftsatzes hinzuweisen. Ein solcher liegt bei der Übermittlung einer Nichtzulassungsbeschwerde durch ein elektronisches Dokument vor, wenn diese mit einer Containersignatur im EGVP des Bundesarbeitsgerichts eingeht. Ein Verfahrensbeteiligter kann erwarten, dass dieser Vorgang in angemessener Zeit bemerkt wird und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden. Unterbleibt ein gebotener Hinweis, ist der Partei Wiedereinsetzung zu bewilligen, wenn er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen müssen, dass der Partei noch die Fristwahrung möglich gewesen wäre (BAG, Beschluss vom 15. August 2018 ‒
2 AZN 269/18 ‒,
BAGE 163, 234-238, Rn. 11).
(2) Auch wenn der Beklagten darin zu folgen ist, dass ein der Klägerin nach §
85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten darin lag, dass er die Containersignatur verwendete, obwohl ihm hätte bekannt sein müssen, dass diese Art der elektronischen Signatur nicht (mehr) zulässig war, muss hier nachträgliche Klagezulassung gewährt werden. Ohne Verschulden "verhindert", eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist eine Partei auch dann, wenn ein Verschulden ihrerseits zwar vorgelegen hat, dieses aber für die Fristversäumnis nicht ursächlich gewesen ist oder ihr nicht zugerechnet werden kann, weil die Frist im Fall pflichtgemäßen Verhaltens einer anderen Stelle gewahrt worden wäre (BSG, Beschluss vom 09. Mai 2018 ‒
B 12 KR 26/18 B ‒, SozR 4-1500 § 65 a Nr. 4, Rn. 10). Das ist hier der Fall, denn das Fristversäumnis beruht (zumindest auch) auf Umständen, die im Verantwortungsbereich des Gerichts liegen. Die Klage ging als elektronisches Dokument 15 Tage vor Ablauf der Klagefrist beim Arbeitsgericht ein. Innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs hätte die Klägerin vom Arbeitsgericht noch vor Ablauf der Klagefrist auf den Mangel hingewiesen werden und der Klägerin die Fristwahrung ermöglicht werden können.
2. In dem Verhalten der Klägerin liegende Gründe, die eine Kündigung nach §
1 Abs. 2 Satz 1 KSchG rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.
a) Ein die Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigender Grund nach §
1 Abs. 2 KSchG liegt vor, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - schuldhaft - verletzt, das Arbeitsverhältnis dadurch konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien billigenswert und angemessen erscheint. Dabei spielt die Qualität der Vertragsverletzung eine erhebliche Rolle. Als verletzte Vertragspflicht kommt im Arbeitsverhältnis, wie in jedem Schuldverhältnis, eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht in Betracht. Die Vertragspartner sind zur Rücksichtnahme und zum Schutz bzw. zur Förderung des Vertragszweckes verpflichtet (§
241 Abs. 2 BGB; BAG, Urteil vom 24. Juni 2004 ‒
2 AZR 63/03 ‒, juris, Rn. 32). Zu den im Rahmen der Rücksichtnahmepflicht zu beachtenden arbeitsvertraglichen Nebenpflichten gehört es, den Betriebsfrieden nicht durch ein vom Arbeitnehmer ausgehendes Verhalten zu stören. Als Betriebsfrieden ist dabei anzusehen die ungestörte betriebliche Verbundenheit aller Mitarbeiter (BAG, Urteil vom 03. Februar 1993 ‒
5 AZR 200/92 ‒, juris, Rn. 20). Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund folgt jedoch noch nicht allein aus einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Betriebsfriedens. Eine alleinige Beeinträchtigung des Betriebsfriedens ohne konkrete Feststellung einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung reicht zur Annahme eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes nicht aus. Einer kündigungsrelevanten Betriebsfriedensstörung muss ein dem Arbeitnehmer vorwerfbares Verhalten bzw. eine ihm vorwerfbare Pflichtverletzung vorausgehen (BAG, Urteil vom 24. Juni 2004 ‒
2 AZR 63/03 ‒, juris, Rn. 40).
b) Die Klägerin hat durch das Versenden und den Inhalt der im Zeitraum vom 02.01.2018 bis 06.02.2018 verfassten 33 E-Mails an die Empfänger/Innen S., F. und B. ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf eine ungestörte betriebliche Verbundenheit aller Mitarbeiter nicht in vorwerfbarer Weise verletzt. In 13 Fällen hat sie von ihrem arbeitsvertraglichen Beschwerderecht Gebrauch gemacht, in 16 Fällen hat sie gegenüber den Empfängern Erklärungen abgegeben und in 4 Fällen hat sie Fragen an die Empfänger gerichtet. Zu Recht geht das Arbeitsgericht davon aus, dass sie dabei in keinem Falle die Grenzen sozialadäquater Kommunikation überschritten hat. Insgesamt hat sie damit ihre vertragliche Rücksichtnahmepflicht nicht verletzt. Diese verbietet es der Klägerin vorliegend nicht, beim Arbeitgeber Beschwerden über betriebliche Vorgänge anzubringen, Ansichten oder Hinweise zu mit dem Arbeitsgeschehen im Zusammenhang stehenden Vorgängen kundzutun oder hierzu Fragen zu stellen. Dass dies aufgrund des Inhaltes der E-Mails oder ihrer Menge von den betroffenen Empfängern als störend oder belastend empfunden wurde, begründet allein nicht die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht durch die Klägerin.
aa) Mit den E-Mails vom 02.01.2018 (14.26 Uhr), 12.01.2018 (13.45 Uhr), 17.01.2018 (12.13 Uhr), 23.01.2018 (10.46 Uhr, 11.51 Uhr, 18.03 Uhr), 24.01.2018 (09.29 Uhr, 09.57 Uhr), 30.01.2018 (9.09 Uhr), 01.02.2018 (08.35 Uhr), 06.02.2018 (15.17 Uhr, 17.26 Uhr, 17.47 Uhr) richtete die Klägerin Beschwerden über betriebliche Vorgänge an die Mitarbeiterinnen S. und F.. Das Recht der Arbeitnehmerin zur Beschwerde und die Pflicht des Arbeitgebers, die Arbeitnehmerin über die Behandlung der Beschwerde zu bescheiden, ergibt sich aus der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht. Es gilt auch für nicht betriebsratsfähige und betriebsratslose Betriebe (ErfK/Kania, 19. Aufl. 2019, BetrVG §
84 Rn. 1). Unzulässig ist jede Maßregelung der Arbeitnehmerin, die im Zusammenhang mit der Erhebung der Beschwerde steht. Dies gilt selbst dann, wenn die Beschwerde sich im Nachhinein als haltlos oder unbegründet herausstellt. Ausnahmsweise können Sanktionen des Arbeitgebers gegen die Arbeitnehmerin wegen des Inhalts oder der Begleitumstände der Beschwerde gerechtfertigt sein, wenn z.B. völlig haltlose schwere Anschuldigungen gegen den Arbeitgeber oder den Vorgesetzten erhoben werden oder die wiederholte Einlegung grundloser Beschwerden die Arbeitnehmerin als Querulantin ausweist (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 11. Februar 2004 ‒
18 Sa 1847/03 ‒, juris, Rn. 39 f).
Dass die Empfängerinnen als Adressatinnen für die Ausübung des Beschwerderechts durch die Klägerin nicht zuständig waren, ist nicht ersichtlich. Die Klägerin hat die Adressatinnen ihrer Beschwerden in der Berufungserwiderung als Vorgesetzte bezeichnet. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Vorgesetzte Mitarbeiterinnen können von der Arbeitnehmerin mangels anderweitiger Bestimmung seitens des Arbeitgebers nicht als unzuständig für die Entgegennahme von Beschwerden angesehen werden. Die genannten E-Mails enthielten auch keine haltlosen schweren Anschuldigungen oder weisen aufgrund wiederholter grundloser Einlegung querulatorisches Verhalten aus. Die Beschwerden beziehen sich auf angebliche Lästereien über Kollegen (E-Mail vom 02.01.2018 ‒ 14.26 Uhr), die E-Mail-Bearbeitung (E-Mails vom 12.01.2018 ‒ 13,45 Uhr, 24.01.2018 ‒ 09.29 Uhr und 09.57), das Verhalten einer Arbeitskollegin (E-Mail vom 17.01.2018 ‒ 12.13 Uhr), die Beleuchtungsverhältnisse am Arbeitsplatz (E-Mails vom 23.01.2018 ‒18.03 Uhr, 30.01.2018 ‒ 09.09 Uhr, 01.02.2018 ‒ 08.35 Uhr und 06.02.2018 ‒ 17.26 Uhr), Beschaffenheit des Arbeitsschutzes und des Arbeitsplatzes (E-Mail vom 23.01.2018 ‒ 18.03 Uhr), technische Arbeitsplatzbedingungen (E-Mails vom 23.01.2018 ‒ 10.46 Uhr und 11.51 Uhr) und Mobiliar am Arbeitsplatz (E-Mails vom 06.02.2018 ‒ 15.17 Uhr und 17.47 Uhr). Dem Vortrag der Beklagten lässt sich nicht schlüssig entnehmen, dass in ihnen eine wiederholt grundlose Ausübung des Beschwerderechts zu sehen ist. Die Beklagte hat nicht schlüssig dargelegt, welche Tatsachen den Schluss zulassen, dass die Klägerin sich nicht über von ihr wahrgenommene Gespräche über Arbeitskollegen oder das Verhalten einer Arbeitskollegin ihr gegenüber beschweren durfte. Es kann auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht festgestellt werden, dass die Klägerin aufgrund der jeweils angesprochenen Lichtverhältnisse keinen objektiven Anlass zur Beschwerde hatte. Daraus, dass das Licht nach Mehrheitsentscheidung an- oder ausgeschaltet wird und bestimmte Mitarbeiter ein Veto-Recht haben, folgt nicht, dass die Klägerin an den genannten Tagen durch die gegebenen Lichtverhältnisse an dem ihr zugewiesenen Arbeitsplatz nicht behindert wurde. Auch war sie nicht daran gehindert, sich über die generelle Weisung der Beklagten zu beschweren, wonach das Licht außen, also an den Fenstern eingeschaltet wird. Und dass ihre Beschwerden über technische Probleme beim Kundengespräch oder verdrecktes bzw. verschlissenes Mobiliar objektiv grundlos waren, ist ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. Folgt man dem Vortrag der Beklagten, wonach die Klägerin am 12.01.2018 darüber informiert wurde, dass die E-Mailbearbeitung von ihr nicht durchgeführt werden müsse, wäre lediglich davon auszugehen, dass die Beschwerde vom 24.01.2018 ‒ verschickt um 09.29 Uhr und 09.57 Uhr‒ objektiv grundlos war, während sich nicht feststellen ließe, ob die diesen Komplex betreffende E-Mail vom 12.01.2018 ‒ 13.45 Uhr ‒ nach dieser Information erfolgte. Eine an einem Tag in zwei E-Mails wortgleich erhobene Beschwerde, die als objektiv grundlos anzusehen wäre, stellt keinen querulatorischen Missbrauch des Beschwerderechts dar.
bb) Mit den E-Mails vom 11.01.2018 (12.19 Uhr), 16.01.2018 (08.00 Uhr), 17.01.2018 (08.02 Uhr), 18.01.2018 (08.01 Uhr), 19.01.2018 (07.56 Uhr und 08.23 Uhr), 23.01.2018 (08.47 Uhr), 26.01.2018 (11.16 Uhr und 11.44 Uhr), 29.01.2018 (13.00 Uhr), 30.01.2018 (09.21 Uhr), 31.01.2018 (11.15 Uhr) und 02.02.2018 (07.54 Uhr, 12.30 Uhr, 13.29 Uhr und 17.34 Uhr) gab die Klägerin gegenüber den Empfängern Erklärungen oder Stellungnahmen zu betrieblichen Vorgängen ab. Gerichtet waren sie in fast allen Fällen wiederum an die Empfängerinnen der Beschwerde-E-Mails sowie in einem Fall (E-Mail vom 30.01.2018 ‒ 09.21 Uhr) an einen sonstigen Mitarbeiter. Das Arbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, dass die Beklagte im Rahmen ihres Weisungsrechts nicht angeordnet hat, dass eine derartige Kommunikation per E-Mail gegenüber Vorgesetzten oder Arbeitskollegen zu unterlassen sei. Aus der Abmahnung vom 23.11.2017 ergibt sich insoweit nur, dass die Klägerin falsche Unterstellungen, Hinweise mit Anweisungscharakter oder Stellungnahmen zu Privatangelegenheiten zu unterlassen habe. Sonstige Weisungen zur Art, Umfang und Inhalt der Kommunikation mit Arbeitskollegen und Vorgesetzten sind nicht vorgetragen worden. Mit den genannten E-Mails hat die Klägerin jedoch auch nach dem Vortrag der Beklagten weder falsche Unterstellungen, Hinweise mit Anweisungscharakter oder Stellungnahmen zu Privatangelegenheiten getätigt.
Aus der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht allein ergibt sich kein Verbot der Abgabe von Erklärungen oder Stellungnahmen gegenüber Vorgesetzten oder Arbeitskollegen per E-Mail, auch wenn diese vom Empfänger als unzutreffend bzw. störend empfunden werden oder Hinweise auf Rechtsprechung und anwaltlichen Rat enthalten. Reaktionen der Empfängerinnen und Empfänger haben diese E-Mails nicht erfordert und dass für das Lesen dieser E-Mails Arbeitszeit der Empfänger aufgewendet werden musste, die bei anlasslosen oder überflüssig erscheinenden Stellungnahmen als nutzlos empfunden wird, kann allein ein aus der Rücksichtnahmepflicht folgendes Verbot derartiger Kommunikation nicht begründen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern den Austausch von E-Mails während der Arbeitszeit erlaubt und auch der Klägerin nach Feststellung einer ausgiebigen Nutzung der E-Mail-Kommunikation im Zeitraum vom 03.08.2017 bis 23.11.2017 und Ausspruch der Abmahnung vom 23.11.2017 weiter erlaubt hat. Soweit die Klägerin mit den E-Mails Meinungen kundgibt, steht ihr zudem Art.
5 Abs. 1 GG zu Seite, dessen Schutzbereich lediglich Schmähkritik oder Beleidigungen nicht umfasst. Wenn sie auf Rüstzeiten, Dienst- und Anwesenheitszeiten, den von ihr in erlaubter Weise vom Sitzplan abweichenden Platzwunsch sowie dessen Gründe, von ihr gemessene Raumhöhen, eine wegen der Öffnung des Fensters getragene Jacke oder ihre Vorstellungen betreffend Bildschirmunterbrechungszeiten hinweist, waren dies nach Vortrag der Beklagten zwar jeweils überflüssige, anlasslose oder gar aus ihrer Sicht unzutreffende Hinweise und Stellungnahmen, jedoch keine arbeitsvertraglich untersagten Äußerungen. Dies gilt auch für die E-Mail vom 30.01.2018 (09.21 Uhr), mit welcher die Klägerin gegenüber den vorgesetzten Mitarbeiterinnen und einem weiteren Mitarbeiter zu einer Beschwerde ihr gegenüber Stellung nimmt.
cc) Mit den E-Mails vom 03.01.2018 (16.41 Uhr), 29.01.2018 (14.43 Uhr), 05.02.2018 (08.34 Uhr) und 06.02.2016 (12.51 Uhr) richtete die Klägerin Fragen an die vorgesetzten Mitarbeiterinnen, die einen betrieblichen Zusammenhang haben (Anzahl der Calls, Haushaltsplan und Raumhöhe, Morbiditätsausgleich, Sitznachbar). Auch insoweit sind weder falsche Unterstellungen, Hinweise mit Anweisungscharakter oder Privatangelegenheiten betroffen. Die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verbietet es der Klägerin nicht, derartige Fragen an vorgesetzte Mitarbeiterinnen zu richten. Entgegen der Auffassung der Beklagten haben die Fragen keinen höhnischen, frechen oder provozierenden Charakter. Anders als die einseitige Erklärungen enthaltenden E-Mails erforderten diese E-Mails zwar auch eine Reaktion bzw. Stellungnahme der Empfängerinnen und damit ggf. eine zusätzliche und als nutzlos empfundene Aufwendung von Arbeitszeit. Die Anbringung von vier ggf. anlasslosen oder überflüssigen Fragen innerhalb eines Zeitraums von über einem Monat kann jedoch noch nicht als Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht angesehen werden, die ohne konkretisierende arbeitgeberseitige Weisung lediglich eine nachhaltige Beeinträchtigung des Zusammenlebens und Zusammenwirkens der im Betrieb Tätigen verbietet (Landesarbeitsgericht Berlin, Urteil vom 05. Januar 2005 ‒
17 Sa 1308/04 ‒, juris, Rn. 19).
3. Die Kammer hat davon abgesehen, der Beklagten auf ihren Antrag im Schriftsatz vom 01.11.2019 eine Erklärungsfrist zum Schriftsatz der Klägerin vom 24.10.2019 einzuräumen. Auf neue Tatsachen oder anderes mit Schriftsatz vom 24.10.2019 vorgetragenes neues Vorbringen (§
132 Abs. 1 ZPO) hat die Kammer ihre Entscheidung nicht gestützt, insbesondere war das Vorbringen zu unverzüglichem Handeln der Klägerin nach dem gerichtlichen Hinweis vom 01.08.2019 nicht entscheidungserheblich.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §
97 ZPO.
IV. Die Kammer hat die Revision im Hinblick auf die entscheidungserheblichen Rechtsgrundsätze zu §
5 Abs. 3 Satz 2 KSchG gemäß §
72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten bei dem
Bundesarbeitsgericht,
Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt
(Postadresse: 99113 Erfurt),
Revision eingelegt werden.
Die Revision muss innerhalb
einer Notfrist von einem Monat
schriftlich beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.
Sie ist gleichzeitig oder innerhalb
einer Frist von zwei Monaten
schriftlich zu begründen.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Revisionsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Revision gerichtet wird und die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Revision eingelegt werde.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einer oder einem Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Als solche sind außer Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten nur folgende Stellen zugelassen, die zudem durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln müssen:
• Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
• juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments i. S. d. §
46c Arbeitsgerichtsgesetz genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts unter www.bundesarbeitsgericht.de.