17.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235325
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 02.05.2023 – 8 Sa 594/22
1. Einzelfallentscheidung zu einer behaupteten unwiderruflichen Freistellung bis zum Ruhestand. Diese lag nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
2. Zur Vollmacht für die Abgabe einer dauerhaften Freistellungserklärung
Tenor: 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 29.08.2022 - Az.: 6 Ca 714/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Stadt (im Folgenden Beklagte) den Kläger unwiderruflich und damit bis zum Eintritt in den Ruhestand unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt hat.
Der Kläger war im städtischen Eigenbetrieb "Grün und Gruga" eingesetzt. Nachdem ein Einsatz in diesem Bereich aufgrund von gesundheitlichen Problemen schwierig wurde, wurde der Kläger im Jahr 2015 auf eine Planstelle im Bereich des Ordnungsamtes abgeordnet. Die Beklagte teilte Ende 2015 mit, dass diese Abordnung enden solle. Der Kläger leitete daraufhin das einstweilige Verfügungsverfahren 5 Ga 2/16 mit dem Ziel ein, vorläufig im Ordnungsamt weiter beschäftigt zu werden. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. In diesem Verfahren einigten sich die Parteien auf die Fortführung der Abordnung sowie eine vertrauensärztliche Untersuchung. Mit Schreiben vom 24.02.2016 (Bl. 34f d.A.) teilte die Beklagte mit, dass sie für den Fall, dass die Arbeitsunfähigkeit ende und der Kläger seine Arbeitskraft anbiete, diese bis auf Widerruf, nicht aber vor dem amtsärztlichen Untersuchungsergebnis, nicht annehmen werde. Auf das Erfordernis des persönlichen Anbietens der Arbeitsleistung werde verzichtet und Arbeitswille unterstellt. Es erfolge die Zahlung von Vergütung nach den Grundsätzen des Annahmeverzugslohns.
Im Verfahren 6 Ca 1792/16 (später 1698/17) verlangte der Kläger eine dauerhafte Versetzung auf eine Stelle im Ordnungsamt, hilfsweise in die Poststelle. Ein in diesem Rahmen durchgeführtes Güterichterverfahren scheiterte.
Mit Schreiben vom 27.11.2017, (Bl. 40 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine Einsatzmöglichkeit im Amt für Straßen und Verkehr (FB 66) in Betracht komme und lud ihn zu einem Gespräch am 01.12.2017 an. Sie bot an, dass der Kläger dieses Gespräch mit seinem Rechtsbeistand führen könne. Dieses Gespräch kam nicht zustande. Daraufhin lud die Beklagte die Kläger mit Schreiben vom 01.12.2017 (Bl. 41 d.A.) erneut zu einem Gespräch am 08.12.2017, das der Kläger nicht wahrnahm. Mit E-Mail vom 08.12.2017 (Bl. 42 d.A.) nahm die Beklagte Kontakt mit dessen damaligem Rechtsanwalt Herrn L. auf und bot neue Termine an. Die Schreiben sind sämtlich von dem Sachgebietsleiter des Fachbereichs 11 im Amt für Zentralen Service, Personalberatung/Personalsachbearbeitung, Generelle und Rechtsangelegenheit, C., erstellt worden.
Vor dem Kammertermin im Verfahren 6 Ca 1698/17 am 17.01.2018 kam es zu keinem Besprechungstermin. Mit Schreiben vom 12.01.2018 (Bl. 45 d.A.) bot die Beklagte an, dass der Kläger direkt mit dem Ansprechpartner aus dem Fachbereich 66 einen Vorstellungstermin vereinbare. Nachdem die Beklagte im Kammertermin am 17.01.2018 erklärte, es komme eine Tätigkeit im Fachbereich 66 (Amt für Straßen und Verkehr) in Betracht, wurde das Verfahren ruhend gestellt und nicht wieder aufgenommen. Am 22.01.2018 nahm der Kläger einen Kennenlerntermin im Fachbereich 66 wahr, der negativ verlief.
Im Frühjahr 2018 kam es noch zu einer Vorstellung des Klägers im Museum A.. Hierzu teilte der damalige Klägervertreter mit Schreiben vom 11.05.2018 (Bl. 48f. d.A.) mit, dass die Stelle nicht dem vertraglichen Anforderungsprofil entspreche. Er sei aber grundsätzlich bereit, die Tätigkeit anzunehmen, wenn eine Höhergruppierung erfolge.
Eine Beschäftigung des Klägers fand nicht mehr statt, die Beklagte zahlte jedoch die Vergütung weiter.
Mit Schreiben vom 11.02.2022 (Bl. 9 d.A.) forderte die Beklagte den Kläger auf, am 17.02.2022 im Rathaus zu erscheinen, da ein Gespräch in Bezug auf die weitere Tätigkeit erforderlich sei. Mit weiterem Schreiben vom 03.03.2022 (Bl. 10 d.A.) wurde der Kläger zu einem Termin am 10.03.2022 geladen. Dieser Aufforderung kam er nach, teilte aber sodann mit anwaltlichem Schreiben vom 14.03.2022 (Bl. 46f. d.A.) mit, dass man sich im Termin am 17.01.2018 darauf geeinigt habe, dass die bereits durchgeführte Freistellung nach dem Verständnis des Mandanten unwiderruflich fortgeführt werden sollte. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 18.03.2022 (Bl. 11ff. d.A.) mit, dass dem nicht so sei und nach dem langen Zeitablauf nach der letzten ärztlichen Untersuchung zu klären sei, ob und für welchen Einsatz der Kläger in der Lage sei. Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.03.2022 (Bl. 12f. d.A.) teilte der Kläger mit, dass die unwiderrufliche Freistellung in einem Personalgespräch im Februar 2018 ausgesprochen worden sei.
Die Beklagte teilte dem Kläger Schreiben vom 08.04.2022 (Bl. 17 d.A.) mit, dass eine amtsärztliche Untersuchung zur Frage der weiteren Einsatzfähigkeit und konkret für einen Einsatz im Q. eingeleitet worden sei.
Mit seiner am 20.04.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 26.04.2022 zugestellten Klage hat der Kläger die Feststellung verlangt, dass er unwiderruflich freigestellt sei.
Er hat behauptet, nach dem Termin im Verfahren 6 Ca 1782/16 und dem gescheiterten Termin im Fachbereich 66 habe er ein Telefonat mit Herrn C. geführt, in dem dieser mit ihm einen Gesprächstermin vereinbart habe, um mit ihm das weitere Vorgehen zu besprechen. Dieses Gespräch habe im Februar 2018 stattgefunden. Er sei durch seine Bekannte Frau M. begleitet worden. In diesem Gespräch habe Herr C. ihm erklärt, er sei unwiderruflich freigestellt. Er habe dieses damit begründet, dass der Arbeitgeber das Recht habe, auf die angebotene Arbeitskraft durch den Arbeitnehmer gänzlich zu verzichten. Dies unter Fortzahlung der Bezüge. Der Kläger habe Herrn Herrn C. ausdrücklich gefragt, wie lange es dieses Mal dauern solle bzw. wie lange er freigestellt werden solle. Hierzu habe sich Herr C. dahingehend geäußert, dass dies dauerhaft und unwiderruflich wäre, deshalb bräuchte der Kläger auch kein weiteres arbeitsgerichtliches Verfahren zu führen.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass er unwiderruflich von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Bezüge freigestellt ist.Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.Sie hat bestritten, dass es im Februar 2018 zu einem Gespräch mit dem Kläger und Herrn C. gekommen sei. Herr C. habe niemals eine unwiderrufliche Freistellung ausgesprochen. Sie lade zu Personalgesprächen grundsätzlich schriftlich ein. Zudem würden die Gespräche auf Arbeitgeberseite grundsätzlich durch zwei Personen geführt. Herr C. sei als Sachgebietsleiter zu einer derartigen Erklärung gar nicht befugt gewesen. Das Vorbringen des Klägers sei auch deswegen zu bezweifeln, weil er zum einen im Zusammenhang mit den Gesprächseinladungen zum 01.12.2017 und 08.12.2017 erklärt habe, Gespräche nur mit seinem Rechtsvertreter wahrnehmen zu wollen, zum anderen auch nach Februar 2018 noch sich um einen anderen Einsatz bemüht habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29.08.2022 nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe den Nachweis nicht geführt, dass der Zeuge C. habe ihm gegenüber bei einem persönlichen Gespräch im Februar 2018 eine unbefristete und unwiderrufliche Freistellung erklärt. Die Vernehmung der Zeugin M. und des Zeugen C. habe ein "non liquet" erbracht. Die Aussagen der Zeugen, die das Beweisthema bestätigt (M.) bzw. nicht bestätigt hätten (C.) wiesen einen vergleichbaren Grad an Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit auf. So habe die Zeugin M. ihre Erinnerung an die streitige Freistellungserklärung nachvollziehbar damit erklärt, dass sie sie für außergewöhnlich gehalten habe. Bestätigen können habe die Zeugin allerdings nur das Kerngeschehen, auf das sie in ihrer Aussage zielgerichtet hingesteuert habe. Ansonsten habe sie nur wenige Details geschildert und zum Teil unzutreffende Tatsachen bekundet. Trotz der Motivationslage, den Kläger wegen der bestehenden langjährigen Freundschaft zu unterstützen, und jahrelangen Zeitraums zwischen Geschehen und Aussage gebe es keine Anhaltspunkte, die gegen eine glaubhafte und glaubwürdige Aussage der Zeugin sprächen. Das alles gelte im Ergebnis jedoch auch für die Aussage des Zeugen C.. Der Zeuge habe die Erinnerung an eine Freistellungserklärung verneint, obwohl er sich an eine solch ungewöhnliche Vorgehensweise habe erinnern müssen. Auch seiner Aussage sei im Übrigen entgegenzuhalten, dass sie Unrichtigkeiten aufweise und Details vermissen lasse. Auch der Zeuge C. habe eine Motivation, eine etwa vorgenommene Freistellung nicht zu bekunden, da er dadurch seine Befugnisse überschritten hätte.
Gegen das ihm am 01.09.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 19.09.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem weiteren, am 02.11.2022 eingegangenen Schriftsatz auch begründet.
Der Kläger rügt, das Arbeitsgericht habe seiner Entscheidung fehlerhafte Tatsachenfeststellungen zugrunde gelegt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der Kläger bewiesen, dass der Zeuge C. ihn im Februar 2018 unwiderruflich freigestellt habe. Im Ergebnis sei lediglich die Aussage der Zeugin M. als glaubhaft einzustufen, nicht jedoch diejenige des Zeugen C.. Insbesondere sie biologisch nachvollziehbar, dass diese sich nur an das Kerngeschehen erinnert habe, da allein dieses mit bestimmten Emotionen verknüpft worden sei. Das gelte etwa für die Verbindung der Freistellungserklärung mit der Empfehlung des Zeugen C., dieser durch eine Eigenkündigung entgehen zu können. Demgegenüber gebe es nichts, was für die Richtigkeit der Aussage des Zeugen C. spreche. Entsprechende Anhaltspunkte habe das Arbeitsgericht auch gar nicht herausgearbeitet. Im Ergebnis habe das Arbeitsgericht die von ihm selbst aufgestellten Bewertungsgrundsätze für Zeugenaussagen missachtet. Es habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger immerhin vier Jahre lang tatsächlich bezahlt freigestellt worden sei. Die Beklagte habe damit die vom Kläger behauptete Freistellungsverpflichtung erfüllt. Das würde sie heute noch tun, wäre der Zeuge C. nicht zwischenzeitlich in Ruhestand gegangen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Arbeitsgericht Essen vom 29.08.2022, Aktenzeichen: 6 Ca 714/22, abzuändern; 2. festzustellen, dass der Kläger unwiderruflich von der Beklagten zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Bezüge freigestellt ist.Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter ergänzender Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts sei nicht zu beanstanden. Die Aussage der Zeugin M. sei nicht als unglaubhaft eingestuft worden. Was der Kläger für die Zeugin M. reklamiere, gelte jedoch auch für den Zeugen C.: Eine unwiderrufliche, bezahlte Freistellung eines ungekündigten Arbeitnehmers sei im Tagesgeschäft eines im Personalrecht Tätigen ein so außergewöhnliches Ereignis, dass der Zeuge C. sich hieran habe erinnern müssen, wenn es stattgefunden habe. Zudem passe eine unwiderrufliche Freistellung auch nicht zu einer beabsichtigten Arbeitszuweisung im Museum A.. Auch sei das Verhalten des Klägers im Nachgang zur Freistellungserklärung unerklärlich, wenn diese - wie die Zeugin ausdrücklich bekundet habe - unmissverständlichen Inhalts gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen beider Rechtszüge verwiesen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin M. und des Zeugen C. wird auf das Protokoll der Sitzung des Arbeitsgerichts vom 29.08.2022, Blatt 85.B ff. der Akte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 lit. b) ArbGG an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Da der 01.11.2022 in Nordrhein-Westfalen ein gesetzlicher Feiertag war, endete die Frist zur Berufungsbegründung erst am 02.11.2022.
B.
Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Seine gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässige Feststellungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht erkannt, dass eine wirksame Übereinkunft der Parteien, der Kläger solle dauerhaft, bezahlt und ohne einseitige Widerrufsmöglichkeit der Beklagten von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt sein, nicht zustande gekommen ist.
I.
Die Kammer hält schon nicht dafür, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung des wechselseitigen Vortrags der Parteien - insbesondere desjenigen des Klägers - davon ausgegangen werden kann, dass der Zeuge C. bei einem Gespräch im Februar 2018 ein unwiderrufliches Freistellungsangebot abgegeben hat, dass nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont des Klägers von Rechtsbindungswillen getragen war.
Insoweit bedarf keiner abschließenden Erörterung, ob der Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts und den von ihm getroffenen Tatsachenfeststellungen zu folgen ist oder ob gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wegen Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen eine Wiederholung der Beweisaufnahme geboten war. Lebensnäher als das vom Arbeitsgericht angenommene "non liquet" wegen vergleichbarer Glaubwürdigkeit beider Zeugen und vergleichbarer Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen erscheint es, zwar ein Gespräch über eine unbefristete Freistellung als geschehen anzusehen, dem aber nicht die rechtgeschäftliche Bedeutung beizumessen, die der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit behauptet.
(1) Es kann zugunsten des Klägers als richtig unterstellt werden, dass dem Zeugen C. Erinnerungslücken im Zusammenhang mit einem Gespräch wegen einer Freistellung des Klägers im Februar 2018 nicht abgenommen werden können (vgl. Blatt 8 unten, 9 oben des angefochtenen Urteils). Sollte es ein solches Gespräch gegeben haben, müsste sich der Zeuge daran erinnern können. Die dahingehende Frage des Arbeitsgerichts hätte er mit einem Ja oder einem Nein beantworten müssen. Generell musste dem Zeugen der Fall des Klägers schon wegen dessen tatsächlich jahrelanger Freistellung präsent sein. Der Sachverhalt ist schlicht außergewöhnlich gelagert. Das bedeutet allerdings nicht, dass ein "ausweichendes" Aussageverhalten des Zeugen C. ein Indiz für die Richtigkeit der klägerischen Behauptung ist, Herr C. habe ihm eine unwiderrufliche Freistellung zugesagt. Denn selbst bei der Zusage einer nur unbefristeten Freistellung bestand eine Motivationslage des Zeugen, eine auch hierin liegende Pflichtverletzung nicht zugestehen zu wollen.
(2) Die Kammer ist jedoch nicht davon überzeugt, dass der Zeuge C. den Kläger in einem - unterstellt stattgefundenen - Gespräch im Februar 2018 rechtsverbindlich unwiderruflich, dauerhaft und bezahlt von der Arbeitsleistung freistellen wollte, selbst wenn der Begriff "unwiderruflich" gefallen sein sollte. Das lässt sich an folgenden Umständen festmachen:
- Ging es dem Zeugen C., wie der Kläger meint, darum, den aus seiner Sicht jahrelangen und zermürbenden Auseinandersetzungen mit dem als Querulanten eingestuften Kläger ein Ende zu bereiten und sich Ruhe zu verschaffen, bedurfte es keiner unwiderruflichen Freistellung des Klägers bis zu dessen Renteneintritt. Vielmehr reichte eine Freistellung bis zur Verrentung des Herrn C. selbst.
- Eine unwiderrufliche und dauerhafte Freistellung des Klägers entfaltete Wirkung für einen Zeitraum von etwa 12 bis 15 Jahren, führte zu einem faktischen Verzicht auf eine arbeitgeberseitige, wegen des Sonderkündigungsschutzes des Klägers so oder so nur aus wichtigem Grund erklärbare Kündigung und verursachte nicht von einer Gegenleistung aufgewogene Personalkosten von rund einer halben Million Euro (geschätzt unter Berücksichtigung zukünftiger tariflicher Entgeltsteigerungen und dem Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung). Derartig außergewöhnliche und wirtschaftlich bedeutende Vereinbarungen werden in aller Regel nicht "zwischen Tür und Angel" abgeschlossen, sondern schriftlich fixiert - wenn sie denn gewollt sind.
- Nach den Behauptungen des Klägers und der Aussage der Zeugin M. begleitete der Zeuge C. seine Erklärungen mit der Bemerkung, der Kläger könne dem Ganzen entgehen, wenn er seinen Arbeitsplatz zur Verfügung stelle. Warum der Kläger indes einem faktischen Geldgeschenk in sechsstelliger Höhe sollte "entgehen" wollen, erschließt sich dem Gericht nicht einmal ansatzweise.
- Sollte der Kläger unwiderruflich freigestellt werden, macht eine nur wenige Monate später erfolgte Aufforderung, sich wegen einer neuen Arbeitstätigkeit beim Museum A. vorzustellen, keinen Sinn.
(3) Noch weniger ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger im Februar 2018 die Erklärungen des Zeugen C. als auf eine ernsthaft gemeinte unwiderrufliche Freistellung gerichtet verstanden hat.
- War die Aussage des Zeugen C. so unmissverständlich, wie der Kläger dies behauptet und die Zeugin M. bekundet hat ("Was ist an einer unwiderruflichen Freistellung nicht zu verstehen?"), wäre angesichts des Umfangs des gerade erhaltenen "Geschenks" eine entsprechende Reaktion des Klägers zu erwarten gewesen. Der Kläger trägt indes nicht einmal vor, sich gefreut zu haben. Folgt man der Aussage der Zeugin M., herrschte vielmehr ein Gefühl der Unsicherheit vor ("was ist das denn jetzt?").
- Überhaupt nicht nachzuvollziehen vermag die Kammer die Reaktion des seinerzeitigen Rechtsanwalts L. des Klägers, sollte dieser ihm von einer dauerhaften und unwiderruflichen Freistellung durch den Zeugen C. berichtet haben. Warum hat Herr L. nicht erklärt, der Kläger müsse nicht mehr arbeiten, sondern ihm empfohlen, zunächst weiter zu warten? Warum hat er nicht darauf gedrungen, dass der Kläger sich eine so eminent wichtige Zusage schriftlich bestätigen lässt, mag das nach dem TVöD-V auch keine Wirksamkeitsvoraussetzung sein?
- Unerklärlich ist weiterhin, dass der Kläger als unwiderruflich freigestellter Mitarbeiter sich auf Geheiß der Beklagten nur kurze Zeit später beim Museum A. wegen einer anderweitigen Tätigkeit vorgestellt hat. Noch unerklärlicher ist, dass selbst im nachfolgenden Anwaltsschreiben von Herrn L. vom 11.05.2018 mit keinem Wort von einer unwiderruflichen Freistellung des Klägers die Rede ist. Stattdessen finden Umstände wie Arbeit ohne Sonnenlicht und an Feiertagen sowie die Übernahme von Kosten für Dienstkleidung Erwähnung. Der Kläger sei jedoch - so Herr L. - zur Klärung der Angelegenheit bereit, die Tätigkeit anzunehmen, wenn eine Höhergruppierung erfolge.
II.
Eine wirksame Freistellungsabrede ist überdies deshalb nicht zustande gekommen, weil die Beklagte insoweit vom Sachgebietsleiter C. nicht vertreten werden konnte. Herrn C. war zur Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung mit Wirkung für und gegen die Beklagte nicht im Sinne der §§ 164 Abs. 1, 167 Abs. 1 BGB bevollmächtigt. Der Kläger ist hierzu darlegungs- und beweisfällig geblieben. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 BGB trägt der Kläger als derjenige, der den Vertretenen - also die Beklagte - aus dem rechtsgeschäftlichen Handeln des Vertreters in Anspruch nehmen will (BGH, Urteil vom 04.04.2000 - XI ZR 152/99, NJW 2000, 2984; LAG Köln, Urteil vom 07.05.2020 - 6 Sa 306/19, juris, Rdz. 90; Laumen in: Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., § 164 BGB Rdz. 1). Im Einzelnen gilt Folgendes:
(1) Eine ausdrückliche Bevollmächtigung des Herrn C. zur Abgabe einer Erklärung gegenüber dem Kläger, dieser solle über einen Zeitraum von weit mehr als 10 Jahren Jahren unwiderruflich und bezahlt freigestellt werden, liegt nicht vor. Dass die zuständigen Organe bzw. Organvertreter Herrn C. eine dahingehende Vollmacht durch Erklärung ihm selbst oder dem Kläger gegenüber erteilt haben (§ 167 Abs. 1 BGB), hat der Kläger nicht behauptet.
(2) Auch eine Kundgabe der Bevollmächtigung durch öffentliche Bekanntmachung im Sinne des § 171 Abs. 1 BGB ist nicht gegeben. Sie folgt insbesondere nicht (konkludent) daraus, dass Herr C. die Funktion des Sachgebietsleiters im Amt für Zentralen Service, Bereich Personalberatung/Personalservice bekleidete und damit die in Rede stehenden Freistellungsbefugnisse quasi kraft Amtes verbunden waren. Die Beklagte hat dies bereits erstinstanzlich ausdrücklich bestritten (Blatt 5 des Schriftsatzes vom 22.06.2022) und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ergänzt, dass eine Freistellung immer mit dem Fachbereichsleiter abzusprechen und schriftlich vorzunehmen ist. Herr C. hat denn auch lediglich mit "i.A." (im Auftrag) und nicht mit "i.V." gezeichnet. Der Kläger hat sich seinerseits durchgehend darauf beschränkt, die Sachverhaltsangaben der Beklagten zu bestreiten, so etwa im Schriftsatz vom 13.07.2022, dort Blatt 5. Mit einem "Bestreiten des Bestreitens" genügt der Kläger seiner Darlegungslast nicht. Er hätte vielmehr ausdrücklich behaupten und unter Beweis stellen müssen, dass (und warum) die Verleihung der Position des Sachgebietsleiters im Personalbereich mit der Befugnis zu einer Freistellung wie der in Rede stehenden einhergeht.
(3) Das Vorliegen einer Vollmacht des Herrn C. ist nicht dadurch indiziert, dass der Kläger über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren tatsächlich bezahlt freigestellt war.
(a) Der Sachverhalt spiegelt ohne weiteres nicht mehr als den Willen des Herrn C. wider, den Kläger überhaupt für eine unbestimmte Zeit freizustellen. Der Schluss auf eine konkludente Billigung durch die vertretungsberechtigten Organe der Beklagten oder gar eine dem Gespräch vom Februar 2018 zwischen Herrn C. und dem Kläger vorangegangene Einwilligung ist indes nicht gerechtfertigt. Dazu hätte es zumindest des Vortrags des Klägers bedurft, dass die Beklagte vor dem Jahre 2022 - bzw. vor dem altersbedingten Ausscheiden des Herrn C. - von den Vorgängen Kenntnis erhielt und es gleichwohl bei der Freistellung des Klägers beließ. Daran fehlt es. Der Kammer ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände der Beklagten die bezahlte Freistellung des Klägers an sich aufgefallen sein muss; erst Recht nicht eine ihr etwa zugrunde liegende ausdrückliche Vereinbarung mit dem Kläger. Informationen zur Organisation der internen Abläufe, zu Berichtspflichten und etwaigen Geschäftsprüfungen liegen nicht vor. Die Behauptungen der Beklagten zur Erforderlichkeit einer schriftlichen Fixierung derartiger Freistellungen sprechen eher dafür, dass Herr C. - sollte es das Gespräch im Februar 2018 mit dem vom Kläger geschilderten Inhalt tatsächlich gegeben haben - den gesamten Vorfall so "unter der Decke gehalten" hat, dass die wahren vertretungsberechtigten Organe gerade keine Kenntnis von ihm erhielten.
(b) Selbst wenn der Beklagten die Freistellung des Klägers als solche bekannt gewesen sein sollte, läge in der Hinnahme des Status Quo keine Duldung oder ein Einverständnis mit einer unwiderruflichen Freistellung. Der vorliegende Sachverhalt belegt exemplarisch, dass es etwas völlig anderes ist, ob ein Mitarbeiter nur unbefristet und bis auf weiteres oder unwiderruflich freigestellt wird. Denn den ersten Zustand kann der Arbeitgeber - ggf. unter Wahrung billigen Ermessens - jederzeit einseitig beenden. Letzterer hingegen führt dazu, den Arbeitnehmer im Zweifel ohne Gegenleistung bis zum Eintritt in die Rente vergüten zu müssen. Nochmals: Im Fall des Klägers wären bezogen auf die Zeitspanne seit Februar 2018 unter Berücksichtigung zukünftiger tariflicher Entgeltsteigerungen sowie des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung Personalkosten in Höhe von rund einer halben Million Euro entstanden, ohne dem realistisch betrachtet durch Ausspruch einer Kündigung gegenüber dem ordentlich unkündbaren Kläger entgehen zu können. Das Eingehen derartiger Verpflichtungen bedarf einer besonderen Vollmacht, die in ihrer Reichweite sicherlich nicht hinter einer Kündigungsvollmacht zurückbleiben kann. Über eine solche verfügte Herr C. nicht.
(4) Das Handeln des Herrn C. ist der Beklagten schließlich nicht nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht zuzurechnen, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung erster Instanz gemeint hat. Eine Anscheinsvollmacht setzt voraus, dass der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters zwar nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und der Geschäftspartner annehmen durfte, der Vertretene kenne und billige das Handeln seines Vertreters (BAG, Urteil vom 28.09.2016 - 7 AZR 377/14, NZA 2017, 55, Rdz. 26). Dagegen sprechen schon die unter oben (3) angestellten Erwägungen. Es ist keinesfalls ersichtlich, warum die Beklagte das konkrete Vorgehen des Herrn C. - Abgabe einer unwiderruflichen Freistellungserklärung - hätte erkennen können und billigen sollen. Insbesondere hat eine solche Billigung entgegen der Auffassung des Klägers nichts damit zu tun, dass Herr C. Gerichtstermine für die Beklagte wahrgenommen hat. Dass jemand in beachtlicher Weise in die Personalsachbearbeitung eingebunden ist, heißt nicht, dass er auch geldwerte Verpflichtungen in oben unter (3)(b) skizzierten Umfang begründen darf. Schon gar nicht durfte der Kläger annehmen, dass Herr C. über derartige Befugnisse verfügte. Dass dieser in der Vergangenheit vergleichbare (wirksame) Freistellungserklärungen gegenüber ihm oder anderen Arbeitskollegen abgegeben hatte, hat der Kläger nicht behauptet. Stattdessen hat er in der Berufungsbegründung (dort Blatt 5) in anderem Zusammenhang ausführen lassen, der Zeuge C. habe "offensichtlich … eine Pflichtverletzung begangen, indem er eine Erklärung gegenüber dem Kläger abgegeben" habe, "die er so niemals hätte abgeben dürfen". Das lässt die Kammer so stehen.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision zugunsten des Klägers war mangels Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen.
Schneider Jacob Geneschen