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  • 27.06.2024 · IWW-Abrufnummer 242225

    Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 15.02.2024 – 18 Sa 1001/23

    1. Ist in einem gerichtlichen Vergleich bestimmt, dass dieser allein durch einen bei Gericht eingehenden Schriftsatz widerrufen werden kann, so erfordert der wirksame Widerruf des Vergleichs im Wege eines anwaltlichen Schriftsatzes die Übermittlung eines elektronischen Dokuments gem. § 46g S. 1 ArbGG .

    2. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, so ist der Widerruf des Vergleichs durch Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften zulässig ( § 46g S. 3 ArbGG ). Erfolgt der Widerruf in diesem Fall durch ein Telefax-Schreiben des Prozessbevollmächtigten, so ist es nach § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 495 , 130 Nr. 6 ZPO erforderlich, dass das Telefax-Schreiben die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten wiedergibt.

    3. Fehlt bei einem zweiseitigen Telefax-Schreiben des Prozessbevollmächtigten, das aus einem Vergleichswiderrufsschreiben und einem Begleitschreiben besteht, die Unterschrift auf dem Vergleichswiderruf, so reicht die Unterzeichnung des Begleitschreibens jedenfalls dann nicht aus, wenn das Begleitschreiben nicht Bezug auf den Widerruf des Vergleichs nimmt und die Urheberschaft des Vergleichswiderrufs nicht eindeutig feststeht.

    4. Wird dann der Widerruf des Vergleichs dem Gericht nach Ablauf der Widerrufsrist als elektronisches Dokument zugeleitet, scheidet eine Rückwirkung nach § 46d Abs. 6 S. 2 ArbGG aus.

    5. Ist innerhalb der im gerichtlichen Vergleich vorgesehenen Widerrufsfrist kein formwirksamer Widerruf bei Gericht eingegangen, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht. Mit einem gerichtlichen Hinweis auf die Formunwirksamkeit des Widerrufs kann jedenfalls am letzten Tag der Widerrufsfrist nach dem Ende der gerichtlichen Servicezeiten nicht gerechnet werden.


    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 22.08.2023 - 2 Ca 1999/22 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz vorrangig darüber, ob die Klägerin einen vor dem Arbeitsgericht abgeschlossenen Vergleich wirksam widerrufen hat.

    Die Klägerin hat sich mit ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht Herne dagegen gewandt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung der Beklagten vom 06.08.2022 beendet wurde; zwischen den Parteien ist streitig gewesen, ob die Kündigung der Klägerin zugegangen ist.

    Am 03.02.2023 schlossen die Parteien im Gütetermin einen gerichtlichen Vergleich. Dieser Vergleich sieht unter anderem vor, dass das Arbeitsverhältnis zum 03.09.2022 beendet wurde und die Beklagte eine Abfindung in Höhe von 400,00 Euro an die Klägerin zahlt. Der Vergleich vom 03.02.2023 schließt wie folgt:

    "[...] 6. Damit ist dieser Rechtsstreit erledigt. 7. Die Klägerin kann diesen Vergleich allein durch einen bis zum 10.02.2023 bei Gericht eingehenden Schriftsatz widerrufen."

    Am Freitag, dem 10.02.2023, ging um 16:15 Uhr beim Arbeitsgericht folgendes Telefax-Schreiben auf dem Briefbogen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein:

    "[...] übersenden wir anliegendes Schreiben an das Arbeitsgericht Herne vom heutigen Tage mit der Bitte um Kenntnisnahme. Aufgrund von technischen Problemen mit beA seit der heutigen Mittagszeit können wir das Schreiben nicht per beA an Sie versenden und senden Ihnen unser Schreiben vorab per Fax. Mit freundlichen Grüßen Rechtsanwälte - A -"

    Dieses Schreiben trägt eine Wiedergabe der Unterschrift des in der Sozietät angestellten Rechtsanwalts A. Beigefügt war ein weiteres Telefax-Schreiben, in dem es unter anderem heißt:

    "[...] wird der Vergleich hiermit widerrufen. Rechtsanwälte - A - RA B außer Haus"

    Dieses Schreiben trägt keine Unterschrift, Rechtsanwalt A hatte es versehentlich nicht unterzeichnet.

    Das Telefax wurde dem Vorsitzenden am Montag, dem 13.02.2023, vorgelegt. Dem Vorsitzenden fiel nicht auf, dass der eigentliche Widerruf nicht unterschrieben war. Auf seine Veranlassung wurde der Klägervertreter am selben Tag aufgefordert, ein elektronisches Dokument nachzureichen unter Hinweis auf § 46g Satz 4 ArbGG. Am selben Tag übersandte Rechtsanwalt A per beA das Schreiben, mit dem der Widerruf des Vergleichs vom 03.02.2024 erklärt wurde, erneut an das Arbeitsgericht.

    Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe den gerichtlichen Vergleich vom 03.02.2023 wirksam widerrufen. Der Widerruf des Vergleichs könne ohne Bindung an irgendeine Form ausgeübt werden, da der Vergleich materiell-rechtlicher Natur sei. Bei dem Vergleichswiderruf handele es sich nicht um einen bestimmenden Schriftsatz. Gemäß § 130a Abs. 6 ZPO gelte der Widerruf des Vergleichs als am 10.02.2023 eingereicht, da er an diesem Tag zunächst per Telefax dem Gericht zugeleitet worden sei.

    Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

    1. festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 03.02.2023 nicht erledigt ist; 2. für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1) festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 06.08.2022 aufgelöst worden ist.

    Die Beklagte beantragt,

    1. festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 03.02.2023 erledigt ist und 2. hilfsweise die Klage abzuweisen.

    Sie hat die Auffassung vertreten, dass kein wirksamer Widerruf des Vergleichs vorliege, da der Widerruf, der am 10.02.2023 beim Arbeitsgericht Herne per Telefax einging, keine Unterschrift trage.

    Das Arbeitsgericht hat mit dem Urteil vom 22.08.2023 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 03.02.2023 erledigt ist. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe den Vergleich nicht wirksam widerrufen, da das Telefax-Schreiben vom 10.02.2023, mit dem der Widerruf des Vergleichs erklärt wurde, keine Unterschrift trage. Damit fehle eine Wirksamkeitsvoraussetzung, die nach den allgemeinen Vorschriften für bestimmende Schriftsätze gelte. Eine Rückwirkung des am 13.02.2023 ordnungsgemäß eingegangenen Widerrufs scheide aus; § 130a Abs. 6 ZPO sehe eine Rückwirkungsfunktion nur für elektronische Dokumente vor, die nicht zur Bearbeitung geeignet seien. Um ein solches Dokument habe es sich bei dem Telefax vom 10.02.2023 nicht gehandelt. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, dass das Arbeitsgericht einen gebotenen Hinweis auf die Formunwirksamkeit des Widerrufs unterlassen habe, da bei einem Eingang des Telefax vom 10.02.2023 um 16.15 Uhr eine Kenntnisnahme durch den Vorsitzenden am gleichen Tag nicht habe erfolgen können.

    Das Urteil erster Instanz ist der Klägerin am 30.08.2023 zugestellt worden. Sie hat mit einem Schriftsatz, der am 25.09.2023 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt. Die Klägerin hat die Berufung mit einem am 30.11.2023 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor die Berufungsbegründungsfrist durch gerichtlichen Beschluss bis zum 30.11.2023 verlängert worden war.

    Die Klägerin vertritt nach wie vor die Auffassung, sie habe den gerichtlichen Vergleich vom 03.02.2023 wirksam widerrufen. Die Parteien hätten keine Regelung darüber getroffen, dass ein Widerruf des Vergleichs in Schriftform dem Arbeitsgericht habe zugeleitet werden müssen. Den Parteien sei nur daran gelegen gewesen, dass bis zum Ablauf der Widerrufsfrist Klarheit herrsche, ob dieser Vergleich bestehen bleiben soll oder nicht. Der Schriftsatz vom 10.02.2023 habe nicht in elektronischer Form eingereicht werden können, daher finde § 130a Abs. 6 ZPO Anwendung mit der Folge, dass eine Einreichung des Schriftsatzes vorab per Fax möglich sei und der Widerruf in elektronischer Form sodann lediglich nachzureichen sei. Es liege auch ein Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht vor; wäre ein Hinweis auf die Formunwirksamkeit des Widerrufs erfolgt, so hätte der Schriftsatz nach § 46g Satz 3 ArbGG nachgereicht werden können.

    Die Klägerin hat mit der Berufungsbegründung vom 30.11.2023 beantragt,

    das erstinstanzliche Urteil abzuändern und 1. festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 03.02.2023 nicht erledigt ist; 2. für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1) festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 06.08.2022 aufgelöst worden ist; 3. hilfsweise, das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Herne zum Aktenzeichen 2 Ca 1999/22 aufzuheben und das Verfahren an das Arbeitsgericht Herne zurückzuverweisen.

    Die Beklagte hat mit dem Schriftsatz vom 18.01.2024 beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Sie meint, dass der Widerruf des Vergleichs, sofern eine Einreichung in elektronischer Form nicht möglich gewesen sei, in Form der Ersatzeinreichung hätte unterzeichnet werden müssen. Eine Rückwirkung nach § 130a Abs. 6 ZPO scheide aus, da das Arbeitsgerichtsgesetz diese Möglichkeit nicht vorsehe und die Möglichkeit bestanden habe, nach den allgemeinen Vorschriften eine (Ersatz-)Einreichung vorzunehmen.

    Mit gerichtlichem Beschluss vom 19.01.2024 ist, nachdem die Parteien zuvor schriftsätzlich ihre Zustimmung hierzu erklärt hatten, das schriftliche Verfahren angeordnet worden. Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der elektronischen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    I. Die Berufung ist zulässig.

    Die Klägerin hat die Berufung insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

    II. Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

    1. Der Rechtsstreit zwischen den Parteien ist durch den gerichtlichen Vergleich vom 03.02.2023 erledigt.

    Die prozessbeendende Wirkung des Vergleichs tritt ein, wenn er materiell-rechtlich wirksam und als Prozesshandlung ordnungsgemäß ist (Geimer in: Zöller, 35. Auflage 2024, § 794 ZPO, Rn. 3, 15 m.w.N.). Beide Voraussetzungen liegen vor.

    a) Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vergleich materiell-rechtlich unwirksam ist.

    Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Inhalt des Vergleichs gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Dies macht auch die Klägerin nicht geltend.

    b) Der Vergleich, den die Parteien am 03.02.2024 abgeschlossen haben, stellt auch eine wirksame Prozesshandlung dar.

    Der Vergleich ist innerhalb eines anhängigen Rechtsstreits zwischen den beteiligten Parteien - vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten - vor einem deutschen Gericht abgeschlossen worden (zu diesen Voraussetzungen, über deren Vorliegen zwischen den Parteien kein Streit besteht, vgl. Greger, a.a.O., Rn. 4-7 m.w.N.). Ist ein Vergleich, wie im Streitfall, widerruflich gestellt worden, so handelt es sich in der Regel um eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vergleichs (Greger, a.a.O., Rn. 10 m.w.N.). Diese Bedingung ist eingetreten. Die Klägerin hat diesen Vergleich nicht wirksam widerrufen. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

    aa) Innerhalb der im gerichtlichen Vergleich vom 03.02.2023 vorgesehenen Frist bis zum 10.02.2023 ist kein wirksamer schriftsätzlicher Widerruf bei dem Arbeitsgericht eingegangen.

    (1) Ein Widerruf des Vergleichs bis zum 10.02.2023 war nur in schriftsätzlicher Form möglich.

    Das ergibt sich aus Nummer 7 des gerichtlichen Vergleichs vom 03.02.2023. Dort ist vorgesehen, dass der Vergleich "allein" durch einen bis zum 10.02.2023 bei Gericht eingehenden "Schriftsatz" widerrufen werden kann. Diese Regelung will - wovon auch die Klägerin ausgeht - ersichtlich Klarheit für die Parteien darüber verschaffen, ob der Vergleich wirksam ist oder nicht. Diese Funktion kann die Regelung nur dann zufriedenstellend erfüllen, wenn an die Wirksamkeit des Widerrufs nicht nur die Voraussetzung des fristgerechten Eingangs bei Gericht geknüpft wird, sondern auch die Voraussetzung eines formgerechten Eingangs nach Maßgabe der Vorschriften, die für prozessuale Schriftsätze gelten.

    (2) Der Widerruf eines Vergleichs im Wege eines anwaltlichen Schriftsatzes erfordert die Übermittlung eines elektronischen Dokuments; daran fehlt es im Streitfall.

    Dabei kann offenbleiben, in welcher Form die Klägerin selbst den Vergleich hätte widerrufen können. Ein Widerruf durch die Klägerin selbst ist nicht erfolgt. Der Widerruf ist vielmehr durch ihre Prozessbevollmächtigten erklärt worden. Anwaltliche Schriftsätze sind aber im Grundsatz nur dann formwirksam, wenn sie als elektronisches Dokument übersandt werden. Das folgt aus § 46g Satz 1 ArbGG. Innerhalb der am 10.02.2023 ablaufenden Frist ist der Widerruf des Vergleichs nicht als elektronisches Dokument bei dem Arbeitsgericht eingegangen.

    (3) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, das Telefax ihres Prozessbevollmächtigten vom 10.02.2023 sei gemäß § 46g Satz 3 ArbGG als wirksamer Widerruf anzusehen.

    Nach dieser Vorschrift bleibt die Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass die Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument am 10.02.2023 aus technischen Gründen aufgrund einer Störung nicht möglich war. Auch nach den allgemeinen Vorschriften ist das Telefax vom 10.02.2023 nicht als wirksamer Widerruf des Vergleichs anzusehen, da es an der erforderlichen Unterschrift fehlt.

    (a) Der formwirksame Widerruf des Vergleichs vom 03.02.2023 war nach den allgemeinen Vorschriften nur durch einen anwaltlichen Schriftsatz möglich, der die Wiedergabe einer Unterschrift trägt.

    Das ergibt sich aus § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 495, 130 Nr. 6 ZPO. Die Vorschrift des § 130 Nr. 6 ZPO bestimmt, dass vorbereitende Schriftsätze die Unterschrift der Person, die den Schriftsatz verantwortet, enthalten "sollen". Für bestimmende Schriftsätze, die sich über eine Prozesshandlung verhalten, stellt die Unterschrift eine Wirksamkeitsvoraussetzung dar (vgl. etwa BAG, Urteil vom 17.01.2023 - 3 AZR 158/22 m.w.N.). Die unerlässliche Funktion der Unterschrift besteht darin, den Urheber einer schriftlichen Prozesshandlung zu identifizieren und dessen unbedingten und verantwortlichen Einreichungswillen zu dokumentieren. Im Interesse der Rechtssicherheit muss verhindert werden, dass sich der Erklärende von einer Prozesshandlung distanziert oder dass über versehentlich eingereichte Entwürfe entschieden wird.

    Diese für bestimmende Schriftsätze geltende Anforderung ist auch, wie das Arbeitsgericht zutreffend unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung ausgeführt hat, bei dem Widerruf eines Vergleichs zu beachten ( BAG, Urteil vom 31.05.1989 - 2 AZR 548/88 mit ausführlicher Begründung). Der Widerruf des Vergleichs stellt eine Prozesshandlung dar, da im Falle des (wirksamen) Widerrufs die prozessbeendigende Wirkung des Vergleichs entfällt und der Rechtsstreit fortzusetzen ist.

    (b) Das Telefax vom 10.02.2023 gibt die erforderliche Unterschrift nicht wieder.

    Die Klägerin hat am 10.02.2023 durch ihre Prozessbevollmächtigten ein Telefax übermittelt, das aus zwei Seiten besteht. Auf der zweiten Seite wird der Widerruf des Vergleichs erklärt. Diese Seite trägt nicht die Wiedergabe einer Unterschrift. Die erste Seite gibt zwar die Unterschrift des Rechtsanwalts Deniz im Anschreiben an das Arbeitsgericht wieder. Das genügt jedoch den Anforderungen an eine wirksame Unterzeichnung des Vergleichswiderrufs nicht.

    Grundsätzlich muss die "Unter"schrift am Ende des Textes stehen (Greger, in: Zöller, § 130 ZPO Rn. 11 m.w.N.). Die Unterschrift auf einem Begleitschreiben kann nur dann genügen, wenn das Begleitschreiben mit dem zu unterzeichnenden Schriftsatz fest verbunden ist ( BGH, Beschluss vom 20.03.1986 - VII ZB 21/85 ). Denn ohne eine feste Verbindung im Sinne einer zusammengesetzten Urkunde ist die Urheberschaft hinsichtlich der Prozesshandlung nicht hinreichend klar. Fehlt es, wie im Streitfall, an einer hinreichend festen Verbindung zum begleitenden Anschreiben, ist das Unterschriftserfordernis nicht gewahrt (BGH, Urteil vom 24.05.1962 - II ZR 143/60).

    Die Kammer verkennt nicht, dass es Ausnahmefälle geben mag, in denen es gerechtfertigt ist, auf das Erfordernis der Unterschrift zu verzichten, weil hinsichtlich der Urheberschaft der Erklärung kein vernünftiger Zweifel bestehen kann (so auch BAG, Urteil vom 26.01.1976 - 2 AZR 506/74 ). Der vorliegende Rechtsstreit nötigt nicht, hierzu einen allgemeinen Rechtssatz aufzustellen, da nach den Umständen des Streitfalles ein solcher Ausnahmefall nicht vorliegt.

    Richtigerweise wird angenommen, das Unterschriftserfordernis für bestimmende Schriftsätze sei gewahrt, wenn zwar nicht der Schriftsatz selbst, jedoch die beglaubigte Abschrift des Schriftsatzes eine Unterschrift des Rechtsanwalts trägt ( BGH, Beschluss vom 15.06.2004 - VI ZB 9/04). In dieser Konstellation befindet sich die erforderliche Unterschrift auf einem inhaltsgleichen Schriftstück. Im Streitfall ist das Begleitschreiben vom 10.02.2023 jedoch nicht inhaltsgleich mit dem Widerruf des Vergleichs. Das Begleitschreiben enthält keine Widerrufserklärung. Es kann offenbleiben, ob eine andere Bewertung gerechtfertigt wäre, wenn das Begleitschreiben ausdrücklich auf einen anliegenden Widerruf Bezug nimmt und damit die in Rede stehende Prozesshandlung benennt. Im unterzeichneten Telefax-Schreiben vom 10.02.2023 wird nur auf "anliegendes Schreiben" Bezug genommen und nicht auf den beabsichtigten Widerruf des Vergleichs als darin enthaltene Prozesshandlung.

    Teilweise wird vertreten, die Unterschrift auf einem bestimmenden Schriftsatz sei entbehrlich, wenn sich aufgrund der Umstände, insbesondere aus dem Inhalt beigefügter Dokumente, die Urheberschaft des Schriftsatzes zweifelsfrei ergibt ( BSG, Urteil vom 06.05.1998 - B 13 RJ 85/97 R; BVerwG, Urteil vom 17.10.1969 - II C 112.65). An derartigen Umständen fehlt es hier. In der Unterschriftszeile des Telefax-Schreibens vom 10.02.2023, mit dem der Widerruf des Vergleichs erklärt wird, sind die Namen zweier Rechtsanwälte genannt, nämlich Rechtsanwalt Deniz und Rechtsanwalt Reichel mit dem Zusatz "außer Haus". Damit wird schon nicht hinreichend klar, ob Rechtsanwalt Deniz, der das begleitende Anschreiben vom 10.02.2023 unterzeichnete, die Verantwortung für den Widerruf des Vergleichs übernehmen will, oder ob Rechtsanwalt Reichel als Urheber des Vergleichswiderrufs anzusehen ist (der allerdings keines der per Telefax am 10.02.2023 übermittelten Schreiben unterzeichnete). Allein aus der Benennung der am Rechtsstreit beteiligten Parteien im Widerrufsschreiben vom 10.02.2023 und aus der Wiedergabe des gerichtlichen Aktenzeichens lässt sich die Urheberschaft des Schreibens nicht hinreichend sicher ableiten. Bei einer Privatperson lassen spezielle Kenntnisse über Gegenstand und Verlauf des Rechtsstreits, die Inhalt eines Schriftsatzes geworden sind, möglicherweise Rückschlüsse auf die Urheberschaft zu. Das ist jedoch bei einer Anwaltskanzlei anders. In der Kanzlei kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass andere Rechtsanwälte oder angestelltes Personal der Kanzlei dem Gericht lediglich einen Entwurf übersandt haben. Selbst die gleichzeitige Zuleitung einer unterzeichneten Vollmacht vermag die Urheberschaft für einen nicht unterzeichneten bestimmenden Schriftsatz nicht zu indizieren ( BAG, Urteil vom 26.01.1976 - 2 AZR 506/74).

    bb) Der Vergleich vom 03.02.2023 ist auch nicht mit dem anwaltlichen Schriftsatz vom 13.02.2023 wirksam widerrufen worden.

    Dieser Schriftsatz ging zwar formgerecht als elektronisches Dokument bei dem Arbeitsgericht ein, jedoch außerhalb der am 10.02.2023 abgelaufenen Frist zum Widerruf des Vergleichs. Die Klägerin kann sich nicht auf die in § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG vorgesehene Rückwirkungsfunktion berufen (die Vorschrift entspricht inhaltlich der Norm des § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO, die die Klägerin heranzieht).

    Die gesetzliche Rückwirkungsfunktion gem. § 46c Abs. 6 Satz 2 greift, worauf bereits das Arbeitsgericht richtig hingewiesen hat, nur dann ein, wenn ein elektronisches Dokument eingereicht wird, das für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet ist. Um ein solches Dokument handelt es sich. Der Widerruf des Vergleichs ist dem Arbeitsgericht nicht als (nicht bearbeitungsfähiges) elektronisches Dokument zugeleitet worden, sondern als Telefax-Schreiben. Die Vorschrift des § 46c Abs. 6 ArbGG betrifft lediglich elektronische Dokumente, namentlich solche, die etwa kennwortgeschützt, virenverseucht oder in einem unzulässigen Format gespeichert sind (vgl. Greger, in: Zöller, § 130a ZPO Rn. 26; Herberger, in: Schwab/Weth, 6. Aufl. 2022, § 46c ArbGG Rn. 14; Tiedemann, in: Henssler/Willemsen/Kalb, 10. Aufl. 2022, § 46c ArbGG Rn. 12 ). Ein Telefax-Schreiben ist aber nicht als elektronisches Dokument anzusehen (Herberger, a.a.O., Rn. 11; Tiedemann, a.a.O., Rn. 5), sondern als bloße Ablichtung eines Papierdokuments. Die im Streitfall - nach der Behauptung der Klägerin - vorliegende technische Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments ist in § 46g Satz 3 ArbGG geregelt. Die Vorschrift ordnet für diesen Ausnahmefall die Möglichkeit der Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften an und sieht gerade keine Rückwirkungsfunktion für die verspätete Einreichung eines elektronischen Dokuments vor.

    cc) Im Hinblick auf die Versäumung der Widerrufsfrist für den Vergleich kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO nicht in Betracht.

    Dabei kann offenbleiben, ob die Klägerin überhaupt einen Wiedereinsetzungsantrag im Sinne des § 236 ZPO (konkludent) gestellt hat. Die Widerrufsfrist für einen Vergleich ist jedenfalls keine der in § 233 S. 1 ZPO aufgeführten Fristen.

    dd) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, das Arbeitsgericht habe sie nicht rechtzeitig darauf hingewiesen, dass der Widerruf des Vergleichs nicht formwirksam erklärt worden sei.

    Dabei kann dahingestellt bleiben, welche Auswirkung ein zu Unrecht unterbliebener Hinweis auf den Ablauf der Widerrufsfrist für einen Vergleich überhaupt hat. Denn im Streitfall ist es nicht zu beanstanden, dass das Arbeitsgericht am 10.02.2024 und am 13.02.2024 keinen Hinweis auf die Formunwirksamkeit des Widerrufs erteilte.

    Es spricht viel dafür, dass eine Prozesspartei von vornherein nicht erwarten kann, das Gericht werde alle Eingaben zeitnah nach deren Eingang auf etwaige Formfehler prüfen und ggf. entsprechende Hinweise erteilen. Im Hinblick auf den Geschäftsanfall bei Gericht und die Funktionsfähigkeit der Justiz kann eine solche Prüfung nicht in jedem Falle gewährleistet werden. So ist es etwa nicht zu beanstanden, wenn kein Hinweis auf die fehlende Unterzeichnung der Berufungsschrift vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erfolgt ( BGH, Urteil vom 15.06.2004 - VI ZB 9/04). Jedenfalls kann eine Partei dann, wenn, wie hier, ein Schreiben am Freitagnachmittag außerhalb der regulären Geschäftszeiten - ausweislich des Internetauftritts des Arbeitsgerichts Herne enden die täglichen Servicezeiten um 15.30 Uhr - um 16.15 Uhr eingeht, nicht davon ausgehen, die Zuschrift werde dem Richter am gleichen Tag vorgelegt und von ihm auf etwaige Formfehler geprüft.

    Dass später ein gerichtlicher Hinweis auf die Formunwirksamkeit des Vergleichswiderrufs nicht erfolgte, ist unerheblich. Das Fehlen eines Hinweises konnte am 13.02.2023 schon deshalb keine Auswirkungen haben, da zu diesem Zeitpunkt die Widerrufsfrist bereits abgelaufen war und der Widerruf nicht hätte nachgeholt werden können.

    2. Da der Klageantrag zu 1) keinen Erfolg hat, fallen die von der Klägerin angekündigten Hilfsanträge nicht zur Entscheidung an.

    II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten der erfolglos eingelegten Berufung zu tragen.

    III. Es besteht keine Veranlassung, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere wirft der Rechtsstreit keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

    Vorschriften§ 46g Satz 4 ArbGG, § 130a Abs. 6 ZPO, § 46g Satz 3 ArbGG, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 46g Satz 1 ArbGG, § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, §§ 495, 130 Nr. 6 ZPO, § 130 Nr. 6 ZPO, § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG, § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO, § 46c Abs. 6 ArbGG, § 233 ZPO, § 236 ZPO, § 233 S. 1 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG