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  • 18.10.2024 · IWW-Abrufnummer 244340

    Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Beschluss vom 10.01.2024 – 8 Ta 288/23

    1. Grobe Nachlässigkeit im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist nicht immer schon dann anzunehmen, wenn eine PKH-Partei die Mitteilung einer wesentlichen Einkommensverbesserung im Sinne des § 120a Abs. 2 Satz 1, 2 ZPO unterlässt, weil sie sie vorzunehmen vergisst.

    2. Das Gericht ist allerdings nicht gehalten, einen pauschalen Hinweis auf ein Vergessen der Mitteilung ohne weiteres zur Grundlage einer Entscheidung im Nachprüfungsverfahren zu machen. Das Vorliegen grober Nachlässigkeit kann vielmehr nach den konkreten Umständen des Sachverhalts indiziert sein. Hierfür kommt es wertungsmäßig insbesondere auf den Umfang der Einkommensverbesserung, deren zeitliche Nähe zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Häufigkeit und Deutlichkeit gerichtlicher Hinweise auf die Verpflichtungen der PKH-Partei aus § 120a Abs. 2 Satz 1, 2 ZPO an.


    Tenor:

    Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 02.10.2023 - Az. 3 Ca 802/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    Dem Kläger wurde mit Beschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 25.10.2021 ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwälte J. PartGmbB für einen Zahlungsrechtsstreit gegen die Beklagte bewilligt. Der Bewilligung lag zugrunde, dass der Kläger für den Zeitraum ab dem 11.09.2021 ein monatliches Arbeitslosengeld gemäß § 136 SGB III in Höhe von 1.986,60 € bezog. Im Bewilligungsbescheid wies das Arbeitsgericht unter der Überschrift "Wichtige Hinweise" in Fettdruck darauf hin, dass eine wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse dem Gericht ohne Aufforderung unverzüglich mitzuteilen sei. Eine solche liege unter anderem vor, wenn sich die laufenden Einkünfte um mehr als 100,00 € brutto im Monat verbesserten. In der PKH-Akte erster Instanz (dort Bl. 196) befindet sich zudem ein an den Kläger persönlich gerichtetes Gerichtsschreiben vom 08.04.2022, in dem die verauslagten Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren mit 845,40 € beziffert wurden, dieses beinhaltete erneut den vorbezeichneten Hinweis in Fettdruck. Ausweislich des abschließenden Vermerks wurde das Schreiben noch am selben Tag an den Kläger abgesandt. Mit Schreiben vom 10.03.2023 leitete das Arbeitsgericht das Nachprüfungsverfahren ein und forderte den Kläger auf, binnen vier Wochen eine aktualisierte Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen einzureichen. Am 27.03.2023 übersandte der Kläger zunächst eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ohne Anlagen; in dieser gab er unter anderem an, über keine Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zu verfügen. Auf entsprechende Nachfrage des Arbeitsgerichts teilte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 19.07.2023 unter anderem mit, er sei seit dem 01.08.2022 bei der Firma C. (in S.) beschäftigt. Den beigefügten Entgeltabrechnungen für den Zeitraum von April bis Juni 2023 ist zu entnehmen, dass der Kläger einen monatlichen Bruttolohn von 4.145,00 € erhält und über monatliche Nettobezüge von durchgehend mehr als 3.100,00 € verfügt. Nach entsprechender Vorankündigung hob das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 02.10.2023 unter Hinweis auf §§ 124 Abs. 1 Nr. 4, 120a Abs. 2 ZPO auf.

    Gegen den ihm noch am selben Tage zugestellten Beschluss hat der Kläger mit einem am 30.10.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, bei seiner verspäteten Mitteilung der Aufnahme einer neuen Tätigkeit nicht grob nachlässig gehandelt zu haben. Er habe die Mitteilung bei seiner Arbeitsaufnahme im August 2022 schlicht vergessen. Darin liege gerade kein besonders sorgloses Verhalten. Mit Beschluss vom 06.11.2023 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt. Der Kläger bestreitet, ein gerichtliches Schreiben vom 08.04.2023 (gemeint wohl: 08.04.2022) erhalten zu haben.

    II.

    Die gemäß §§ 78 Satz 1 ArbGG, 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 und 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO zulässige, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Bewilligung der Prozesskostenhilfe durch den angefochtenen Beschluss mit zutreffender Begründung aufgehoben. Der Aufhebungsgrund ergibt sich aus § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO iVm. § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO.

    1.

    Nach § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO ist die Partei, der Prozesskostenhilfe gewährt wurde, verpflichtet, eine Verbesserung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse von mehr als 100,00 € brutto monatlich innerhalb von vier Jahren nach der rechtskräftigen Entscheidung oder Beendigung des Verfahrens dem Gericht unverzüglich mitzuteilen.

    Dieser Verpflichtung ist der Kläger nicht nachgekommen. Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Oktober 2021 lag der vom Kläger mitgeteilte Bezug von Arbeitslosengeld I in Höhe von 1.986,60 € pro Monat zugrunde. Infolge des Eingehens eines Arbeitsverhältnisses zur Firma C. zum 01.08.2022 steigerte sich sein (Netto-) Einkommen um weit mehr als 100,00 € monatlich. Hierüber hat der Kläger erst knapp ein Jahr später und auch nicht unaufgefordert, sondern nur auf ausdrückliche Nachfrage des Arbeitsgerichts Mitteilung gemacht.

    2.

    Nach § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen der Verpflichtung aus § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit Angaben unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

    a.

    Grobe Nachlässigkeit liegt nicht schon bei einem schlichten Vergessen der Mitteilung vor. In seiner Entscheidung vom 18.08.2016 - 2 AZB 16/16 führt das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit einer unterlassenen Mitteilung der Anschriftenänderung hierzu aus: Erforderlich sei mehr als leichte Fahrlässigkeit, nämlich eine besondere Sorglosigkeit. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspreche dem der groben Fahrlässigkeit, sodass von einer groben Nachlässigkeit nur auszugehen sei, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in einem ungewöhnlich hohen Maße verletzt bzw. unbeachtet bliebe. Es müsse sich insoweit um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Verhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt; den Handelnden muss ein schweres Verschulden treffen (vgl. auch BGH 10.05.2011 - VI ZR 196/10, juris Rn. 10; 11.07.2007 - XII ZR 197/05, juris Rn. 15; 29.01.2003 - 4 ZR 173/01, juris Rn. 10; OLG Karlsruhe 06.06.2014 - 18 WF 76/14, juris Rn. 18; LAG Baden-Württemberg vom 5.3.2015, 17 Ta 2/14, Beck RS 2015/68548).

    Diese Grundsätze lassen sich zur Überzeugung der Kammer auf die Nichtmitteilung einer (erheblichen) Einkommenssteigerung übertragen, auch wenn es der Prozesskostenhilfe erhaltenden Partei in dieser Situation eher in den Sinn kommen müsste, das Gericht zu informieren, als bei einem bloßen Umzug. Das bedeutet allerdings nicht, dass zugunsten der Partei ohne weiteres davon auszugehen wäre, dass ein Fall schlichten Vergessens vorliegt. Für die Beurteilung der groben Nachlässigkeit kommt es vielmehr auf die konkreten Umstände des Sachverhalts an, wobei insbesondere das Maß des Einkommenszuwachses und die zeitliche Nähe zur Prozesskostenhilfebewilligung bzw. einem einschlägigen Hinweis des Gerichts eine maßgebliche Rolle spielen. Die Partei, die innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens nach dem Ende des Rechtsstreites und der Bewilligung der Prozesskostenhilfe ihre Einnahmen erheblich steigert, muss danach schlüssig erklären, wie es zu einem schlichten "Vergessen" kommen kann. Denn in diesem Falle drängt sich die Frage auf, weshalb die wirtschaftlich erfolgreiche Partei die gewährte Prozesskostenhilfe "übersieht". Dies gilt umso mehr, wenn die Partei kurze Zeit zuvor im Rahmen der Mitteilung der Gerichtskosten auf die bestehende Verpflichtung darauf hingewiesen worden ist, Einkommensverbesserungen mitzuteilen. Die Partei, der bewusst ist, dass sie zu Lasten der Staatskasse einen Rechtsstreit geführt hat und die auf ihre Verpflichtung zur Mitteilung einer Einkommensverbesserung hingewiesen wurde, handelt grob nachlässig, wenn sie ihrer Mitteilungspflicht bei einer deutlichen Einkommensverbesserung nicht nachkommt.

    b.

    Danach ist vorliegend von grober Nachlässigkeit auszugehen.

    (1) Die Einkommenssteigerung des Klägers war erheblich. Der Kläger nahm - auch ohne Berücksichtigung der erst im Jahre 2023 gezahlten Inflationsausgleichsprämie - weit mehr als 1.000,00 € brutto und immerhin noch rund 1.000,00 € netto pro Monat mehr ein als zu der Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld und übertraf damit die Grenze des § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO um in etwa das Zehnfache. Die Verbesserung trat auch bereits gut neun Monate nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe ein. Zu diesem Zeitpunkt war der maßgebliche Vierjahreszeitraum der Verpflichtung aus § 120a Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 4 ZPO zu nicht einmal einem Fünftel verstrichen.

    (2) Der Kläger war zudem bei Antragstellung und vom Arbeitsgericht zumindest weitere zwei Male mit nicht zu überbietender Deutlichkeit auf die Mitteilungspflicht des § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO hingewiesen worden. Der erste Hinweis fand sich bereits im (amtlichen) Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, dort unter Ziff. K in Fettdruck. Gleich unterhalb des Hinweises leistete der Kläger seine Unterschrift. Nochmals wurde der Kläger im Prozesskostenhilfebeschluss vom 25.10.2021 an seine Verpflichtungen erinnert. Sollte der Kläger zudem das - zutreffend adressierte und nach Aktenlage auch an ihn versandte - gerichtliche Schreiben vom 08.04.2022 erhalten haben, wäre er sogar ein drittes Mal auf seine Mitteilungsverpflichtungen hingewiesen worden. Das Gericht stellt angesichts des Bestreitens des Klägers klar, dass es aus seiner Sicht nicht maßgeblich darauf ankommt, ob der Kläger auch (noch) dieses Schreiben erhalten hat oder nicht.

    (3) In Anbetracht dieser Umstände genügt die nicht weiter erläuterte Behauptung des Klägers, er habe die Mitteilung "schlicht vergessen", nicht aus, um sein Verhalten als nicht grob nachlässig zu bewerten. Würde die Behauptung genügen, liefe § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO völlig leer. Eine Abgrenzung zwischen (entschuldbaren) Erinnerungslücken und (unentschuldbarem) Desinteresse gegenüber den gesetzlichen Mitteilungspflichten würde dem Gericht unmöglich gemacht. Wer die Verpflichtungen des § 120a Abs. 2 ZPO in gebotener Weise verinnerlicht und anschließend eine offensichtlich relevante Einkommensverbesserung wie der Kläger im vorliegenden Verfahren erfährt, der erinnert sich auch neun Monate später noch daran.

    3.

    Ob die geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse zu einer anderen beziehungsweise überhaupt zu einer Ratenzahlungsverpflichtung geführt hätten, ist unerheblich, da die Kausalität vom Gesetz insoweit nicht vorausgesetzt wird (vgl. für den Fall objektiv unrichtiger Angaben bei der Bewilligung: BGH v. 10.10.2012, IV ZB 16/12 - juris). § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO hat Sanktionscharakter.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

    Das Gericht hat den im vorliegenden Verfahren zu beantwortenden Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

    Schneider

    Vorschriften