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  • 10.02.2025 · IWW-Abrufnummer 246314

    Landesarbeitsgericht Köln: Beschluss vom 28.01.2025 – 9 TaBV 88/24

    1. Komplexe technische und ungeklärte rechtliche Fragen, von deren Beantwortung die Zuständigkeit einer Arbeitnehmervertretung (hier: Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat bei Einführung einer Arbeitszeiterfassung im Ein-Mandaten-Modell) abhängt, sind nicht im Einigungsstelleneinsetzungsverfahren nach 100 ArbGG abschließend zu klären, sondern fallen in die Vorfragenkompetenz der Einigungsstelle.

    2. Sind weder Konzernbetriebsrat noch Gesamtbetriebsrat offensichtlich unzuständig, können zwei Einigungsstellen zur Regelung derselben Angelegenheit eingesetzt werden.

    3. Zur Vermeidung divergierender Einigungsstellenbeschlüsse ist es in diesen Fällen angezeigt, jeweils denselben Einigungsstellenvorsitzenden zu bestellen.


    Tenor:

    Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 05.12.2024 - 6 BV 123/24 - wird zurückgewiesen.

    Gründe

    I.

    Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle bezüglich der Einführung und Anwendung eines IT-Systems zur Arbeitszeiterfassung.

    Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen im Konzern der D Group. Neben weiteren Gesellschaften gehören dem Konzern auch die D E GmbH und die D A GmbH an. Sie bilden zusammen mit weiteren Unternehmen des Konzerns und der Arbeitgeberin die Division "E".

    Der Antragsteller vertritt als Gesamtbetriebsrat auf der Grundlage eines Zuordnungstarifvertrages nach § 3 BetrVG die Bereiche Vertrieb, Zentrale und Operationeller Bereich mit 14 betriebsverfassungsrechtlichen Betrieben sowie das HUB S.

    Die Arbeitgeberin beabsichtigt, in den Unternehmen der Division E das IT-System "U " einzuführen. Dabei handelt es sich um ein Cloud-System, das als Software - as - a - service (SaaS) genutzt wird. Das System soll sowohl zur Erfassung der Anwesenheits- und Abwesenheitszeiten als auch für die Personaleinsatzplanung genutzt werden. Das IT-System soll nach den Planungen des Konzerns gesellschaftsübergreifend gleichartig als Ein-Mandanten-Lösung eingeführt werden.

    Die Konzernobergesellschaft, die D AG, forderte den Konzernbetriebsrat zu Verhandlungen über die Einführung von U auf. Der Konzernbetriebsrat lehnte die Aufnahme von Verhandlungen mit der Begründung ab, er sei für die Regelung nicht zuständig. Er sehe die Zuständigkeit entweder auf Ebene der örtlichen Betriebsräte oder des Antragstellers.

    Daraufhin beantragte die D AG beim Arbeitsgericht B die Einsetzung einer Einigungsstelle. Mit einem zwischenzeitlich rechtskräftigen Beschluss vom 29.10.2024 - 3 BV 102/24 - bestellte das Arbeitsgericht B den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht D K zum Vorsitzenden der Einigungsstelle und setzte die Anzahl der Beisitzer auf jeweils drei fest.

    Auch der Antragsteller im vorliegenden Verfahren sieht seine Zuständigkeit als gegeben an und beschloss am 21.08.2024, die Arbeitgeberin zu Verhandlungen über eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Einführung und Nutzung des IT-Systems "U " aufzufordern. Nachdem die Arbeitgeberin Verhandlungen mit ihm abgelehnt hatte, beschloss der Gesamtbetriebsrat in seiner Sitzung vom 26.09.2024, das vorliegende Verfahren einzuleiten.

    Er hat im Hinblick darauf, dass es bei U technisch möglich sei, eine Mandantentrennung zwischen den einzelnen Gesellschaften vorzunehmen, sei die Einigungsstelle jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig. Denn es stehe nicht hinreichend sicher fest, ob sich das Mitbestimmungsrecht auch auf die Frage beziehe, ob eine Ein-Mandanten-Lösung oder eine Mehr-Mandanten-Lösung eingeführt werde. Dass Systemadministratoren einheitlich für mehrere Unternehmen Rechte vergeben müssten, führe nicht zwingend zu der Annahme, die höhere Mitbestimmungsebene sei zuständig. Da auch die Schichtplanung mit dem System vorgenommen werden solle, komme es notwendig zu Eingriffen in die bestehenden Betriebsvereinbarungen auf lokaler Ebene und auf Ebene des Gesamtbetriebsrats. Schließlich beruhe die Entscheidung für eine konzerneinheitliche Regelung nicht auf einer Anweisung des Konzernvorstandes, sondern sei eine Entscheidung des lokalen Managements.

    Herr Dr. H sei persönlich und fachlich für die angestrebte Einigungsstelle geeignet. Die Anzahl der Beisitzer sei wegen der Komplexität der Angelegenheit auf fünf je Seite festzulegen. Es müsse sichergestellt werden, dass aus jeder Region ein Mitglied in der Einigungsstelle sowie externer Sachverstand vertreten sei.

    Der Gesamtbetriebsrat hat beantragt,

    Die Arbeitgeberin hat beantragt,

    Sie hat die Auffassung vertreten, für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts bei der Einführung und Nutzung des geplanten IT-Systems sei der Konzernbetriebsrat zuständig, weil die verfahrensgegenständliche Software unstreitig in mehreren Unternehmen des Konzerns eingeführt und genutzt werden solle und weil Regelungen zur Einführung und Nutzung des Softwaresystems angesichts der Entscheidung der Arbeitgeberin, das System in Form einer Ein-Mandanten-Lösung zu etablieren, aus zwingenden technischen Gründen nur durch eine unternehmensübergreifende Regelung auf der Ebene des Konzerns erfolgen könne.

    Wenn es schon zur Einsetzung zweier Einigungsstellen komme, die um ihre Zuständigkeit konkurrierten, sei es sachdienlich, die Einigungsstellen mit demselben Vorsitzenden, Herrn K, und jeweils drei Beisitzern zu besetzen.

    Das Arbeitsgericht hat mit einem am 05.12.2024 verkündeten Beschluss Herrn K zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt und die Zahl der Beisitzer auf jeweils drei festgesetzt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Einigungsstelle zur Regelung der Angelegenheit nicht offensichtlich unzuständig sei. Bei der Einführung des IT-Systems U bestehe unzweifelhaft ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Bei einem so komplexen technischen System wie dem U Tool sei nicht ohne genauere Prüfung der technischen Hintergründe und damit nicht auf den ersten Blick feststellbar, ob dieses Mitbestimmungsrecht dem Konzernbetriebsrat oder dem Gesamtbetriebsrat zustehe, zumal die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass bereits die zentrale Vergabe von Administrationsrechten die Zuständigkeit der höheren Mitbestimmungsebene begründen solle, in Frage gestellt werde. Zum Vorsitzenden der Einigungsstelle sei Herr K zu bestellen, da er bereits zum Vorsitzenden der Einigungsstelle zwischen der D AG und dem Konzernbetriebsrat zum selben Regelungsgegenstand bestellt worden sei. Insbesondere für den Fall, dass es zum Spruch der Einigungsstellen kommen müsse, sei es so viel wahrscheinlicher, dass sich (nur) eine Einigungsstelle als zuständig ansehe. Die Anzahl von jeweils drei Beisitzern trage der Komplexität der Angelegenheit hinreichend Rechnung.

    Gegen diesen ihr am 10.12.2024 zugestellten Beschluss richtet sich die am 24.12.2024 bei dem Landesarbeitsgericht eingelegte und zugleich begründete Beschwerde der Arbeitgeberin.

    Sie meint, aufgrund der einheitlichen Einführung und Anwendung des IT-System U für drei Konzernunternehmen des Teilkonzerns E in der Ausführung einer Ein-Mandanten-Lösung und der Erfassung sämtlicher Arbeitszeitstamm- und bewegungsdaten in einer einheitlichen Datenbank ergebe sich zwingend, dass die Regelung mit dem Konzernbetriebsrat erfolgen müsse.

    Die Arbeitgeberin beantragt,

    Der Gesamtbetriebsrat beantragt,

    Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Vertiefung seines Sachvortrags.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

    II.

    Die gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 ArbGG statthafte, gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 ArbGG form- und fristgerecht eingelegte sowie insgesamt zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Mit ausführlicher und in jeder Hinsicht überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht Herrn K zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt und die Zahl der Beisitzer auf jeweils drei festgesetzt.

    1.) Völlig richtig hat das Arbeitsgericht zunächst erkannt, dass die vom Gesamtbetriebsrat angerufene Einigungsstelle zur Regelung der Angelegenheit nicht offensichtlich unzuständig iSd. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist, weil die Einführung und Anwendung des IT-Systems U der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegt. Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch angenommen, dass es sich dabei nicht offenkundig um eine mehrere Konzernunternehmen betreffende Angelegenheit iSd. § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt, die nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden können.

    a) Zwar sprechen wichtige Argumente dafür, dass eine einheitliche Einführung und Anwendung des IT-System U für drei Konzernunternehmen in der Ausführung einer Ein-Mandanten-Lösung und die Erfassung sämtlicher Arbeitszeitstamm- und bewegungsdaten in einer einheitlichen Datenbank eine Regelung mit dem Konzernbetriebsrat erfordern.

    b) Wie das Arbeitsgericht jedoch zutreffend dargelegt hat, kann im vorliegenden Verfahren ohne tiefere Analyse des Systems nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, welche Daten auf welchen Servern von welchen Arbeitnehmern für welche anderen Unternehmen (potentiell) verarbeitet und eingesehen werden können, dass die Administration der Software nur einheitlich für das gesamte Unternehmen erfolgt und die Administrationsrechte nur zentral vergeben werden. Zudem können die Fragen, ob die Einführung des IT-Systems als Ein-Mandantenlösung auf bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen eines lokalen Managements beruhte oder ob sich im Anschluss an eine bindende Organisationsentscheidung der Konzernspitze ein objektiver Zwang zur einer unternehmenseinheitlichen Regelung ergibt, nicht im beschleunigten Verfahren nach § 100 ArbGG abschließend geklärt werden. Gleiches gilt für die Rechtsfrage, ob die Entscheidung für das Ein-Mandanten-Modell mitbestimmungsfrei getroffen werden durfte. All dies wird die Einigungsstelle im Rahmen ihrer Vorfragenkompetenz vorab selbst zu prüfen haben, hat, bevor sie eine Regelung in der Sache trifft (vgl. BAG, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 1 ABR 37/01 -, BAGE 101, 203-215, Rn. 60; BAG, Beschluss vom 22. Oktober 1981 - 6 ABR 69/79 -, BAGE 36, 385-392, Rn. 19).

    2.) Angesichts dessen ist es nicht zu beanstanden, sondern vielmehr sachdienlich, dass das Arbeitsgericht Herrn K, gegen dessen Eignung und neutrale Verhandlungsführung keine durchgreifenden Bedenken bestehen, als Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt hat. Denn so kann am ehesten gewährleistet werden, dass die zur Einführung und Anwendung von U eingesetzten Einigungsstellen nicht zu unterschiedlichen Bewertungen kommen.

    3.) Richtigerweise hat das Arbeitsgericht die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf jeweils drei festgesetzt. Eine höhere Anzahl ist nicht erforderlich. U wird nur bei drei Konzerngesellschaften eingeführt, wobei, wie das Arbeitsgericht überzeugend dargelegt hat, bei den technischen Gegebenheiten abweichende Auffassungen und umfangreiche Erörterungen nicht zwingend zu erwarten sind. Lokale Besonderheiten können ggf. schon im Vorfeld der Sitzungen von der Einigungsstelle in Erfahrung gebracht werden und so Berücksichtigung finden.

    III.

    Gegen diesen Beschluss findet gemäß § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG ein Rechtsmittel nicht statt.

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