10.08.2011 · IWW-Abrufnummer 113774
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 19.04.2011 – 16 Sa 1570/10
1.Treffen die Parteien eine Nettolohnvereinbarung, so bleibt der Arbeitgeber grundsätzlich auch dann zur Zahlung des vereinbarten Nettolohns verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer die Steuerklasse wechselt (hier: Wechsel von Steuerklasse I zu Steuerklasse V) (entgegen: BAG v. 06.07.1970 - Az.: 5 AZR 523/69 -). Etwas anderes ergibt sich dann, wenn der Steuerklassenwechsel rechtsmissbräuchlich erfolgt.
2.Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt in diesen Fällen regelmäßig nicht in Betracht. Ohne ausdrückliche Vereinbarung der Parteien kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der vereinbarte Nettobetrag auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Steuerklasse des Arbeitnehmers beziehen soll.
Tenor:
I. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 24.09.2010 - Az.: 10 Ca 2697/10 - wird zurückgewiesen. |
II. | Die Beklagte tr ägt die Kosten des Berufungsverfahrens. |
III. | Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. |
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche.
Die verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin war vom 01.11.2003 bis zum 28.02.2009 bei der Beklagten als Arzthelferin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Kündigung der Beklagten vom 29.01.2009.
Zum Zeitpunkt der Einstellung war die Klägerin ledig, ihr Gehalt wurde nach Lohnsteuerklasse I versteuert.
Die Parteien trafen im Anschluss an ein Gespräch, dessen Einzelheiten streitig sind, im schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 5 ff. der Gerichtsakte) folgende Vergütungsregelung:
"§ 4 Vergütung
Das Gehalt beträgt monatlich netto € 1.500. Es wird nachträglich zum Ende eines Monats ausgezahlt.
Mehrarbeit in geringem Umfang ist durch dieses Gehalt abgegolten."
Die Klägerin heiratete in der Folgezeit und wechselte nach der Geburt ihres ersten Kindes und der daran anschließenden Elternzeit im Jahr 2005 in die Lohnsteuerklasse V. Die Elternzeit nach der Geburt ihres zweiten Kindes endete, nachdem das Kind verstorben war, am 25.01.2009.
Die Beklagte rechnete den Monat Januar 2009 ab dem 26.01.2009 mit einem Bruttobetrag von 430,30 € (netto 286,96 €) und den Monat Februar 2009 mit einem Bruttobetrag von 2.411,45 € (netto 1.089,23 €) ab. Die Nettobeträge zahlte sie an die Klägerin aus. Das Entgelt errechnete die Beklagte, indem sie - auf Basis von Lohnsteuerklasse I - den auf 1.500.- € netto bezogenen Bruttobetrag ermittelte und von diesem steuer- und sozialversicherungsrechtliche Abzüge auf Basis der Lohnsteuerklasse V vornahm. Wegen der Einzelheiten der von der Beklagten erteilten Lohnabrechnungen wird auf Bl. 10/11 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Mit ihrer der Beklagten am 26.04.2010 zugestellten Klage macht die Klägerin Nettolohndifferenzen für die Monate Januar und Februar 2009 geltend.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei unabhängig von der zugrundeliegenden Steuerklasse verpflichtet, ihr monatlich 1.500.- € netto zu zahlen. Der Arbeitsvertrag enthalte keinerlei Möglichkeit, ihr Nettogehalt bei einer Änderung der Steuerklasse zu reduzieren. Die Beklagte habe während des Laufes des Arbeitsverhältnisses jederzeit damit rechnen müssen, dass sie heiraten und ihre Steuerklasse ändern könne und hätte es in der Hand gehabt, die für sie nachteiligen Folgen eines Steuerklassewechsels dadurch zu umgehen, dass sie in den Vertrag den Familienstand und die Steuerklasse aufgenommen hätte.
Die Klägerin hat zum Inhalt des Vorstellungsgesprächs behauptet, sie habe der Beklagten ausdrücklich mitgeteilt, sie müsse mindestens 1.500.- € netto verdienen, da sich ansonsten der Wechsel des Arbeitsplatzes von X. nach E. nicht lohne.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den verbleibenden Nettobetrag in Höhe von 423,81 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei berechtigt gewesen, den Nettolohn aufgrund der geänderten Steuerklasse der Klägerin neu zu berechnen. Sie sei nicht verpflichtet, unabhängig von der Lohnsteuerklasse der Klägerin immer 1.500.- € netto zu zahlen, denn Inhalt des Arbeitsvertrages sei nicht nur der Nettobetrag, sondern vielmehr auch die damalige Lohnsteuerklasse I gewesen. Wenn sie verpflichtet sei, auch bei Lohnsteuerklasse V 1.500.- € netto zu zahlen, würde sie durch den erhöhten Bruttolohn wirtschaftlich erheblich belastet und die Klägerin im Gegenzug unangemessen begünstigt. Eine Erhöhung des Bruttolohnes führe im Ergebnis dazu, dass die Klägerin die Steuerlast auf ihre Kosten erhöhen könne, um sich diesen Betrag im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs vom Staat zurückzuholen. Dies sei bei Abschluss des Arbeitsverhältnisses nicht gewollt gewesen.
Die Beklagte hat dazu behauptet, sie habe im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit der Klägerin besprochen, was diese am Monatsende "heraus bekomme". Anhand der von der Klägerin mitgeteilten Lohnsteuerklasse habe sie dann ermittelt, wie viel sie bezahlen müsse. Da der sich daraus ergebende Bruttobetrag in ihren Vergütungsrahmen gepasst habe, sei der Vertrag mit dem Nettobetrag von 1.500.- € abgeschlossen worden.
Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 24.09.2010 überwiegend stattgegeben und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zahlung von weiteren 414,13 € netto (3,36 € für Januar 2009; 410,77 € für Februar 2009) zu. Die Regelung in § 4 Satz 1 des Arbeitsvertrages sei nicht ergänzend dahingehend auszulegen, dass die Beklagte im Falle eines Wechsels der Klägerin in die Steuerklasse V berechtigt gewesen sei, den Nettolohnanspruch in dem Umfang zu kürzen, der sich ergebe, wenn man den Bruttolohn anhand der Steuerklasse I ermittele und sodann nach Steuerklasse V abrechne. Für eine ergänzende Vertragsauslegung sei kein Raum. Die Nettolohnabrede diene gerade dazu, den dem Arbeitnehmer auszuzahlenden Betrag auch bei einer Veränderung der Steuer- oder Sozialabgabenpflicht konstant zu halten. Zugleich sei damit festgelegt, zu wessen Gunsten oder Lasten eine Veränderung gehe. Die Beklagte könne auch keine Anpassung des Vertrages aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage verlangen. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass es zur Geschäftsgrundlage des Vertrages gemacht geworden sei, dass die Klägerin während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses in Steuerklasse I verbleibe und von steuerrechtlichen Wahlmöglichkeiten keinen Gebrauch machen werde. Ebenso wenig müsse sich die Klägerin den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten lassen. Durch den Wechsel der Steuerklasse habe sie sich nicht unredlich verhalten.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 18.10.2010 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 15.11.2010 Berufung eingelegt und diese, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.01.2011, mit einem am 20.01.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe unrichtig entschieden. Sie habe das Gehalt der Klägerin nicht gekürzt, denn diese stehe sich, auf das gesamte Jahr gesehen, nicht schlechter, als wenn sie weiterhin 1.500.- € netto unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse I erhalten hätte. Mit ihrer Klage begehre die Klägerin vielmehr eine unberechtigte "Lohnerhöhung", da sich durch den Wechsel der Steuerklasse das Nettoentgelt des Ehegatten und damit das Familieneinkommen erhöhten. Müsste sie der Klägerin trotz des Steuerklassewechsels weiterhin 1.500.- € netto zahlen, so führe das durch die abzuführenden Steuern zu einer - unstreitigen - Erhöhung des Bruttolohns um 1.592.- € für kaum sechs Wochen. Eine solch erhebliche Mehrbelastung bedürfe einer entsprechenden Verpflichtungsvereinbarung, an der es im vorliegenden Fall fehle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf (10 Ca 2697/10) vom 24.09.2010 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus, entgegen der Auffassung der Beklagten sei es unerheblich, ob sie von der getroffenen Vereinbarung profitiere oder nicht. Entscheidend sei allein, dass ein Nettolohn vereinbart worden sei und nur die Garantie dieses Nettolohns sie dazu bewogen habe, unter Beibehaltung ihres Wohnsitzes ihren Arbeitsplatz von X. nach E. zu verlegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhaltes sowie des widerstreitenden Sachvortrages wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Es bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung. Sie ist nach Maßgabe der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft gemäß § 64 Abs. 1, 2 Ziffer a) ArbGG, da das Arbeitsgericht die Berufung für die Beklagte zugelassen hat.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht Düsseldorf ist mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin als restliche Vergütung für die Monate Januar und Februar 2009 noch ein Anspruch in Höhe von 414,13 € netto zusteht.
1.
Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein restlicher Zahlungsanspruch für Januar 2009 in Höhe von 3,36 € und für Februar 2009 in Höhe von 290,32 € zu. Der Anspruch ergibt sich aus § 4 Satz 1 des Arbeitsvertrages.
a.
Nach § 4 Satz 1 des Arbeitsvertrages hat die Klägerin Anspruch auf ein monatliches Gehalt in Höhe von 1.500.- € netto.
Für den Monat Januar 2009 ist dieser Anspruch lediglich anteilig gegeben, da sich die Klägerin bis einschließlich 25.01.2009 in Elternzeit befunden hat. Nach § 16 Abs. 4 BEEG endet die Elternzeit im Falle des Todes des Kindes spätestens drei Wochen nach dem Tod. Bis zum Ende der Elternzeit ruhte das Arbeitsverhältnis mit der Folge, dass die beiderseitigen Hauptpflichten i. S. v. § 611 BGB, also Arbeitspflicht und Entgeltpflicht suspendiert waren (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht-Dörner 11. Auflage 2011 § 15 BEEG Rn. 25).
Ausgehend von dem Nettobetrag von 1.500.- € ergibt sich für die verbleibenden sechs Kalendertage im Januar 2009 ein Anspruch in Höhe von 290,32 € (1.500.- € : 31 Tage x 6 Tage). Nach Abzug des von der Beklagten unstreitig gezahlten Nettobetrages von 286,96 € verbleibt ein Restanspruch in Höhe von 3,36 €.
Für den Monat Februar 2009 war das Gehalt demgegenüber in voller Höhe zu zahlen. Unter Abzug des von der Beklagten geleisteten Nettobetrages in Höhe von 1.089,23 € verbleibt ein zu zahlender Betrag in Höhe von 410,77 €.
b.
Trotz des von der Klägerin zwischenzeitlich vorgenommenen Lohnsteuerklassewechsels von Klasse I zu Klasse V blieb die Beklagte verpflichtet, den arbeitsvertraglich vereinbarten Nettolohn in voller Höhe zu zahlen. Ein Kürzungsrecht stand ihr nicht zu.
aa.
Für eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend, dass der Nettolohn im Falle eines Wechsels der Lohnsteuerklasse angepasst werden muss, ist kein Raum.
(1)
Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn der Arbeitsvertrag erkennbare Regelungslücken im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit aufweist (BAG v. 11.11.2010 - 8 AZR 392/09 - n.v., [...] zur ergänzenden Tarifvertragsauslegung; BAG v. 16.06.2010 - 4 AZR 924/08 - AP Nr. 79 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 21.04.2009 - 3 AZR 640/07 - BAGE 130, 202). Eine Regelungslücke liegt dabei nur vor, wenn die Arbeitsvertragsparteien einen Punkt übersehen oder zwar nicht übersehen, aber doch bewusst deshalb offen gelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und diese Annahme sich nachträglich als unzutreffend herausstellt (BAG v. 21.04.2009 - 3 AZR 640/07 - a.a.O.). Von einer Planwidrigkeit kann nur die Rede sein, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zu Grunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (BAG v. 25.08.2010 - 4 AZR 14/09 - ZTR 2011, 152; BAG v. 16.06.2010 - 4 AZR 924/08 - a.a.O.; BAG v. 21.04.2009 - 3 AZR 640/07 - a.a.O.).
Bei der Schließung einer Vertragslücke durch ergänzende Vertragsauslegung tritt an die Stelle der lückenhaften Regelung diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten (BAG v. 16.06.2010 - 4 AZR 924/08 - a.a.O.; BAG v. 16.12.2009 - 5 AZR 888/08 - AP Nr. 73 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).
(2)
Im vorliegenden Fall fehlt es an einer - zumindest planwidrigen - Regelungslücke.
(a)
Zwar haben die Parteien nicht ausdrücklich geregelt, ob und wie sich die Höhe des Nettolohns bei einem Wechsel der Steuerklasse ändern soll. Dies war jedoch auch nicht erforderlich. Durch die Vereinbarung eines "Nettolohns" haben die Parteien eine Regelung getroffen, nach der der Arbeitgeber sämtliche Steuern- und Sozialversicherungsbeiträge zu tragen hat (vgl. BAG v. 24.06.2003 - 9 AZR 302/02 - BAGE 106, 345, Erf. Komm./Preis § 611 BGB Rn. 475; Küttner/Griese Personalbuch 2011 Stichwort: Nettolohnvereinbarung Rn. 3; Münchener Handbuch zu Arbeitsrecht/Krause 3. Auflage 2009 § 55 Rn. 42/43 mit Unterscheidung zwischen originärer und abgeleiteter Nettolohnvereinbarung). Die gesetzlichen Abgaben und Beiträge sollen dabei - grundsätzlich unabhängig von ihrer Höhe - nicht zu Lasten des Arbeitnehmers, sondern insgesamt zu Lasten des Arbeitgebers gehen (BAG v. 24.06.2003 - 9 AZR 302/02 - a.a.O.; vgl. BFH v. 28.02.1992 - VI R 146/87 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Nettolohn). Ändern sich später die Grundlagen der Lohnsteuer, so wirkt sich dies auf die Höhe des dem Arbeitnehmer zufließenden Zahlbetrages nicht aus (LAG Köln v. 06.09.1990 - 10 Sa 574/90 - LAGE § 611 BGB Nettolohn, Lohnsteuer Nr. 2; Erf. Komm./Preis § 611 BGB Rn. 475; Küttner/Griese Stichwort: Nettolohnvereinbarung Rn. 6), der Wechsel der Steuerklasse kann sich insoweit für den Arbeitgeber sowohl be- als auch entlastend auswirken (vgl. LAG Köln v. 06.09.1990 - 10 Sa 574/90 - LAGE § 611 BGB Nettolohn, Lohnsteuer Nr. 2).
Dass die Parteien den Begriff "netto" anders verstanden haben und ausschließlich auf die damalige Lohnsteuerklasse bezogen haben könnten, ist nicht ersichtlich. Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten zugrundelegt, nach der diese den von der Klägerin gewünschten Nettobetrag unter Zugrundelegung der Steuerklasse I auf den Bruttobetrag hochgerechnet und dann erklärt hat, die finanzielle Belastung passe in den Rahmen, so ergibt sich daraus nicht, dass damit auch die Lohnsteuerklasse I Gegenstand der Vereinbarung geworden ist. Es ist nicht erkennbar, dass die finanzielle Belastung der Beklagten nicht auch bei einer Versteuerung des gewünschten Nettolohns nach Lohnsteuerklasse V noch tragbar gewesen wäre. Vielmehr bleibt es völlig offen, wo zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die finanzielle "Schmerzgrenze" der Beklagten gelegen hat. Soweit die Beklagte nunmehr vorträgt, der sich bei einer Versteuerung nach Lohnsteuerklasse V ergebende Bruttolohn sei für sie nicht tragbar, ergibt sich daraus nicht, dass in den Vertragsverhandlungen eine finanzielle Obergrenze angesprochen worden und dementsprechend zum Gegenstand des Vertrages gemacht worden ist.
Bei Zugrundelegung des Sachvortrages der Beklagten stellt sich zudem die Frage, aus welchem Grund die Parteien überhaupt einen Nettolohn vereinbart haben. Sinn einer Nettolohnabrede ist es gerade, das Nettoentgelt als konstante Größe zu vereinbaren (Küttner/Griese Personalbuch 2011 Stichwort: Nettolohnvereinbarung Rn. 6). Hätten die Parteien eine Änderung des Nettobetrages erwogen, so hätten sie den sich aus 1.500.- € netto bei Lohnsteuerklasse I ergebenden Bruttobetrag errechnen und - wie es üblich ist - als Bruttolohnvereinbarung in den Vertrag aufnehmen können. Dies ist aber unterblieben, ein Bruttobetrag ist gerade nicht vereinbart worden.
Soweit sich die Beklagte auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 01.10.2002 (- 9 AZR 298/01 - n.v., [...]) beruft, ergibt sich nichts anderes. In diesem Fall hat das Bundesarbeitsgericht lediglich entschieden, dass der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase der Altersteilzeit keinen Anspruch auf Freistellung von der Belastung aus dem Steuerprogressionsvorbehalt hat, da Belastungen, welche die Höhe der monatlichen Abzüge im Rahmen des vom Arbeitsentgelt vorzunehmenden Lohnsteuerabzugverfahrens unbeeinflusst lassen, nicht vom Arbeitgeber zu tragen sind. Dieser Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Im Streitfall geht es nicht um die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Übernahme weiterer Belastungen des Arbeitnehmers, sondern ausschließlich darum, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Steuern zu übernehmen, die sich aus dem vereinbarten Nettolohn ergeben.
(b)
Soweit das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung vom 06.07.1970 (- 5 AZR 523/69 - AP Nr. 1 zu § 611 BGB Nettolohn) die Auffassung vertreten hat, eine vertragliche Nettolohnregelung werde anpassungsbedürftig, wenn sich im Laufe des Arbeitsverhältnisses die bei Abschluss der Nettolohnvereinbarung bestehenden persönlichen Verhältnisse änderten und sich dadurch eine erhebliche Änderung bei den Abzügen des Arbeitgebers ergäben, folgt die Kammer dem jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht.
Es ist schon fraglich, ob der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts in einem vergleichbaren Fall zu einem entsprechenden Ergebnis kommen würde, nachdem er in einem Urteil vom 26.08.2009 (- 5 AZR 616/08 - n.v., [...]) ausdrücklich entschieden hat, dass gesetzliche Abgaben und Beiträge bei einer Nettolohnvereinbarung - grundsätzlich unabhängig von ihrer Höhe - nicht zu Lasten des Arbeitnehmers, sondern insgesamt zu Lasten des Arbeitgebers gehen sollen (vgl. dazu auch Ahrend, Anmerkung zum Urteil des ArbG Düsseldorf v. 24.09.2010 - 10 Ca 2697/10 - in [...] PraxisReport). Zudem lag der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.07.1970 ein Fall zugrunde, in dem die Parteien ohne nähere Erläuterung die Zahlung eines Nettolohns vereinbart hatten. Demgegenüber basierte die Vergütungsabsprache im Streitfall selbst nach dem Vortrag der Beklagten darauf, dass die Klägerin angegeben hatte, 1.500.- r€ netto verdienen zu wollen. Die Beklagte hat nämlich vorgetragen, sie habe den Nettobetrag auf den Bruttobetrag hochgerechnet und dadurch erkannt, dass die Forderung der Klägerin in ihrem finanziellen Rahmen lag. Damit ist der konkret genannte Nettobetrag Grundlage der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen geworden.
bb.
Der Wechsel der Steuerklasse der Klägerin hat auch nicht zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt.
(1)
Gemäß § 313 BGB liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss in schwerwiegender Weise geändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder jedenfalls nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Zudem ist erforderlich, dass einem Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (BAG v. 15.06.2010 - 3 AZR 861/08 - AP Nr. 32 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt). Geschäftsgrundlage sind nur die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsabschluss jedoch zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Vertragspartei vom Vorhandensein oder künftigen Eintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien aufbaut (BAG v. 24.02.2011 - 6 AZR 626/09 - n.v., [...]; BAG v. 14.03.2000 - 9 AZR 204/99 - ZTR 2001, 278; BGH v. 15.11.2000 - VIII ZR 324/99 - NJW 2001, 1204). Was selbst Vertragsinhalt ist, kann damit nicht Geschäftsgrundlage sein (BAG v. 15.06.2010 - 3 AZR 861/08 - a.a.O.).
Für das Vorliegen der Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, insbesondere dafür, dass dem Vertragsschluss bestimmte beiderseitige Vorstellungen zugrunde gelegen haben, ist derjenige darlegungs- und beweispflichtig, der sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft (BAG v. 24.02.2011 - 6 AZR 626/09 a.a.O.; BAG v. 23.11.2006 - 8 AZR 349/06 - AP Nr. 1 zu § 613a BGB Wiedereinstellung).
(2)
Hiernach liegt kein Wegfall der Geschäftsgrundlage vor. Es ist nicht erkennbar, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beide Parteien die gemeinsame Vorstellung hatten, dass die Klägerin dauerhaft die Lohnsteuerklasse I beibehalten würde. Tatsachen dafür hat die Beklagte nicht vorgetragen. Selbst wenn sich ihre Vorstellung auf einen dauerhaften Verbleib der Klägerin in der Lohnsteuerklasse I bezogen haben sollte, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es auch den Vorstellungen der Klägerin entsprochen hat, mögliche, sich ggf. in der Zukunft ergebende steuerrechtliche Wahlmöglichkeiten nicht zu nutzen bzw. bei einem Lohnsteuerklassenwechsel eine Reduzierung des Nettolohns hinzunehmen.
Zudem kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Denn durch den Steuerklassenwechsel hat sich für die Beklagte - worauf auch das Arbeitsgericht bereits zutreffend hingewiesen hat - lediglich ihr vertraglich übernommenes Risiko verwirklicht. Mit Abschluss der Nettolohnvereinbarung hat die Beklagte sowohl die Chance einer verringerten Steuerlast erhalten als auch das Risiko einer erhöhten Steuerlast übernommen.
cc.
Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen.
(1)
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, jede steuerrechtlich zulässige Steuerklassenwahl bei der Berechnung einer sich nach dem Nettoentgelt zu bemessenden Leistung zu berücksichtigen. Er kann dem Arbeitnehmer den Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegenhalten (BAG v. 13.06.2006 - 9 AZR 423/05 - BAGE 118, 262; BAG v. 09.09.2003 - 9 AZR 605/02 - BAGE 107, 264; BAG v. 09.09.2003 - 9 AZR 554/02 - BAGE 107, 248; BAG v. 09.12.2003 - 9 AZR 328/02 - AP Nr. 29 zu § 1 TVG Vorruhestand; Erf. Komm./Preis § 611 BGB Rn. 475). Ein Lohnsteuerklassenwechsel, der zielgerichtet die Bemessungsgrundlage "Nettoentgelt" zu Gunsten des Arbeitnehmers und damit zwangsläufig zu Lasten des Arbeitgebers verschiebt, gibt regelmäßig Anlass zur Prüfung, ob der Arbeitnehmer seinen höheren Anspruch in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise erworben hat. Das setzt über die finanzielle Mehrbelastung des Arbeitgebers das Vorliegen weiterer Umstände voraus, die eine Rechtsausübung als unredlich kennzeichnen (BAG v. 13.06.2006 - 6 AZR 423/05 - a.a.O.). Ob das der Fall ist, bestimmt sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Rechtsausübung des Arbeitnehmers muss als solche zu missbilligen sein, weil sie der Verfolgung eines rücksichtslosen Eigennutzes zum Nachteil des Arbeitgebers dient. Allerdings ist es noch kein Missbrauch, wenn ein Berechtigter die ihm erkennbaren Interessen des anderen unberücksichtigt lässt. Rechtsmissbrauch kann erst angenommen werden, wenn für die Änderung der Steuerklasse kein sachlicher Grund besteht.
Die Umstände, die treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers begründen sollen, sind vom Arbeitgeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BAG v. 13.06.2006 - 6 AZR 423/05 - a.a.O.; BAG v. 09.09.2003 - 9 AZR 605/02 - a.a.O.).
(2)
Gemessen daran ist die von der Klägerin seit 2005 gemeinsam mit ihrem Ehemann gewählte Steuerklassenkombination III/V nicht rechtsmissbräuchlich gewählt worden. Der von der Rechtsprechung verlangte Sachgrund ist vielmehr im Steuerrecht selbst angelegt.
Die unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten nach § 38b EStG eröffnete Wahl von Steuerklassen beruht auf der ihnen möglichen gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer. Für diesen Fall lässt ihnen das Steuerrecht Raum, die Höhe der monatlichen Lohnsteuerabzüge zu beeinflussen und damit - auf die Jahressteuerschuld bezogen - Nachzahlungen oder Erstattungsleistungen des Finanzamts zu vermeiden. Die Steuerklassenkombination III und V bietet sich an, wenn sich das Erwerbseinkommen der Ehegatten aus abhängiger Arbeit in der Höhe deutlich unterscheidet (60:40). Die Splittingtabelle ist in die Steuersätze der Klasse III eingearbeitet, während die Steuerklasse V einem höheren Steuersatz unterworfen ist (vgl. im Einzelnen § 39b Abs. 2 EStG). Die durchschnittliche Steuerbelastung des sog. Zweitverdieners ist im Verhältnis zum Einkommen proportional höher; im Ergebnis wird die Besteuerung des "Erstverdieners" zu Lasten der Besteuerung des "Zweitverdieners" verschoben (vgl. Wrede BB 1996, 566). Ein Ausgleich erfolgt erst bei der gemeinsamen Veranlagung. Bis dahin verfügt der Zweitverdiener monatlich über ein ihm auszuzahlendes Nettoentgelt, das hinter seinem prozentualen Anteil am monatlichen Bruttoeinkommen zurückbleibt (BAG v. 13.06.2006 - 6 AZR 423/05 - a.a.O.).
Im vorliegenden Fall bestanden zum Zeitpunkt des Steuerklassenwechsels im Jahr 2005 nachvollziehbare Gründe für die Wahl der Steuerklassenkombination III/V. Die Klägerin befand sich zum damaligen Zeitpunkt in Elternzeit und erzielte kein Arbeitseinkommen. Es machte daher Sinn, durch die gewählte Steuerklassenkombination den Nettoverdienst des Ehemannes zu erhöhen, um so insgesamt ein höheres monatliches Nettoeinkommen zu erzielen.
Die Klägerin war auch nach dem Ende der Elternzeit nicht verpflichtet, umgehend eine Änderung der Steuerklassenkombination herbeizuführen. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob dies ggf. bei einem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses erforderlich gewesen wäre. Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.01.2009 zum 28.02.2009 gekündigt hatte, war es nicht treuwidrig, dass die Klägerin im Hinblick auf das nur noch kurz andauernde Arbeitsverhältnis nicht umgehend einen Wechsel der Steuerklasse herbeigeführt hat, denn es war völlig offen, ob nicht die Steuerklassenkombination III/V für sie ab dem 01.03.2009 wieder vorteilhafter gewesen wäre. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerklassenkombination III/V auf das Jahr 2009 gesehen tatsächlich zu einer Erhöhung des Familiennettoeinkommens geführt haben sollte. Diese sich aus der legitimen Wahl der Steuerklassenkombination ergebende Folge bedeutet nicht, dass der Klägerin in irgendeiner Weise der Vorwurf der Treuwidrigkeit gemacht werden könnte.
2.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Die Zinsen standen der Klägerin spätestens seit dem vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Zeitpunkt zu.
B.
I.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO.
II.
Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG zugelassen. Die Entscheidung weicht von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.07.1970 - 5 AZR 523/69 - ab. Darüber hinaus liegen der Entscheidung klärungsbedürftige Rechtsfragen zugrunde, die für einen größeren Teil der Allgemeinheit von Bedeutung sind.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
R E V I S I O N
eingelegt werden.
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