17.08.2012 · IWW-Abrufnummer 123040
Landesarbeitsgericht: Beschluss vom 14.06.2012 – 1 Ta 98/12
1. Bei Streitigkeiten, bei denen der geltend gemachte Anspruch nur bestehen kann, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist, genügt die "Rechtsbehauptung" des Klägers, er sei Arbeitnehmer, um die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten zu begründen ("sic-non-Fall").
2. Ob ein sic-non-Fall vorliegt, ist für jeden angekündigten Hauptantrag getrennt zu prüfen.
3. Ein Kündigungsschutzantrag mit dem Inhalt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, kann nur Erfolg haben, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist, da Inhalt dieses Antrags auch die Feststellung ist, dass bei Zugang der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand.
4. Auch für einen Antrag, ein Arbeitsverhältnis nach einem nur für (gewerbliche) Arbeitnehmer geltenden Tarifvertrag abzurechnen, ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten stets eröffnet.
5. Ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für einen Hauptantrag eröffnet, ist über die Frage, ob über einen hilfsweise gestellten Antrag auch das Arbeitsgericht zu entscheiden hat, erst nach Abweisung des Hauptantrags zu entscheiden.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 1 Ta 98/12
5 Ca 267 a/12 ArbG Kiel
14.06.2012
Beschluss
Im Beschwerdeverfahren
pp.hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein am 14.06.2012 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 10.05.2012 - 5 Ca 267 a/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Zur Klarstellung wird der Tenor der arbeitsgerichtlichen Entscheidung wie folgt gefasst:
Hinsichtlich des Antrags aus der Klage vom 14.02.2012 sowie hinsichtlich des Hauptantrags aus dem Schriftsatz vom 25.04.2012 ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten er- öffnet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten im Rahmen ihres Arbeitsgerichtsprozesses zunächst um die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten.
Die Klägerin bezog seit Januar 1993 neben einer Witwenrente eine Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Am 01.06.1993 übernahm sie die Reinigungsfirma "Putzteufel", die sie zunächst als Inhaberin führte. Da die Unternehmensgewinne den Rentenbezug gefährdeten, übertrug die Klägerin die Firma im Jahre 1996 auf ihre Tochter, die Beklagte. Die Parteien schlossen am 01.03.1997 einen Arbeitsvertrag (Bl. 63, 64 d. A.). Danach war die Klägerin in den folgenden Jahren auf Basis eines sozialversicherungsfreien geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses tätig und verdiente zuletzt 400,-- €. Tatsächlich führte die Klägerin die Firma wie eine Inhaberin fort. Mit Schreiben vom 09.05.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, nunmehr werde sie selbst den Betrieb weiter fortführen. Hierüber kam es in der Folgezeit zu Streitigkeiten. Mit Schreiben vom 26.01.2012 kündigte die Beklagte das "Beschäftigungsverhältnis" der Klägerin fristlos (Bl. 15 d. A.).
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und folgende Anträge angekündigt:
1. Festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 26.01.2012 nicht aufgelöst worden ist und auch nicht auf- gelöst werden wird,
2. die Beklagte zu verurteilen, die Vergütungsansprüche der Klägerin für die Monate September 2011 bis einschließlich April 2012 auf der Grundlage der Lohngruppe 7 des Lohntarifvertrages für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung in der jeweils gültigen Fassung bei Zugrundelegung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden abzurechnen und die Auszahlung der Differenzvergütungsansprüche unter Berücksichtigung der in den Monaten September 2011 bis Januar 2012 bereits erfolg- ten Zahlung eines Betrages in Höhe von 400,-- € netto an die Klägerin zu veranlassen.
Hilfsweise wird beantragt, die Beklagte zu verurteilen:
1. an die Klägerin für September 2011 einen Betrag in Höhe von 2.120,95 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 30.09.2011 gezahlter 400,-- € netto,
2. für Oktober 2011 einen Betrag in Höhe von 2.120,95 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 01.11.2011 gezahlter 400,-- € netto,
3. für November 2011 einen Betrag in Höhe von 2.120,95 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 30.11.2011 gezahlter 400,-- € netto,
4. für Dezember 2011 einen Betrag in Höhe von 2.120,95 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 29.12.2011 gezahlter 400,-- € netto,
5. für Januar 2012 einen Betrag in Höhe von 2.186,86 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 30.01.2012 gezahlter 400,-- € netto,
6. für Februar, März und April 2012 jeweils weitere 2.186,86 € brutto zu bezahlen und
7. der Klägerin entsprechende Lohnabrechnungen für die Monate September 2011 bis April 2012 zu erteilen.
Im Weg der Klageerweiterung wird beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5 Prozent- punkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 2.120,95 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 30.09.2011 gezahlter 400,-- € netto ab 11.10.2011, auf weitere 2.120,95 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 01.11.2011 gezahlter 400,-- € netto ab 11.11.2011, auf weitere 2.120,95 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 30.11.2011 gezahlter 400,-- € netto ab 11.12.2011, auf weitere 2.120,95 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 29.12.2011 gezahlter 400,-- € netto ab 11.01.2012, auf weitere 2.186,86 € brutto abzüglich hierauf mit Wertstellung zum 30.01.2012 gezahlter 400,-- € netto ab 11.02.2012, sowie auf weitere jeweils 2.186,86 € ab dem 11.03.2012, ab dem 11.04.2012 und ab dem 11.05.2012 zu bezahlen.
Die Klägerin meint der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei eröffnet, da zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestehe. Die Beklagte meint, es bestehe kein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin habe auch nach Übertragung der Firma auf die Beklagte diese weiter geführt.
Das Arbeitsgericht hat sich mit Beschluss vom 10.05.2012 für "sachlich zuständig" erklärt und zur Begründung ausgeführt, es liege eine Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor. Die Parteien seien sich in den Jahren 1996/1997 über die Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses einig geworden. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Akte verwiesen. Gegen diesen ihr am 18.05.2012 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 31.05.2012 "Beschwerde" eingelegt, der das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 01.06.2012 nicht abgeholfen hat.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im Einzelnen wird auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.
II. Über die "Beschwerde" der Beklagten entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, § 78, S. 3 ArbGG.
Die als sofortige Beschwerde, dem statthaften Rechtsbehelf, auszulegende "Beschwerde" der Beklagten ist fristgemäß eingelegt und begründet worden. Zulässigkeitsbedenken bestehen nicht.
Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Für die Hauptanträge der Klägerin ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet.
1. Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist anhand der von der Klägerin gestellten Anträge zu prüfen.
Grundlage der Rechtswegprüfung ist der Streitgegenstand. Dieser wird vom Kläger durch den Antrag und den Tatsachenvortrag bestimmt (allgemeine Ansicht, Schwab, ArbGG, § 2, Rn 210). In den sogenannten sic-non-Fällen, in denen der eingeklagte Anspruch ausschließlich auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, deren Prüfung gemäß § 2 ArbGG in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit fällt, genügt dabei die bloße Rechtsbehauptung des Klägers, er sei Arbeitnehmer, um die Rechtswegzuständigkeit zu den Arbeitsgerichten zu bejahen (ständige Rechtsprechung, Schwab, aaO., Rn 213, 216). In diesen Fällen sind sowohl der Tatsachenvortrag des Klägers als auch seine rechtliche Bewertung der Tatsachen doppelt relevant. Die Klage kann in diesen Fällen nur Erfolg haben, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist. Dann wäre es prozessökonomisch nicht sinnvoll im Rahmen der Zulässigkeit festzustellen, ob der Kläger Arbeitnehmer ist und ggf. den Rechtsstreit zu verweisen, obwohl bereits bei der Verweisung feststeht, dass die Klage mangels Arbeitnehmereigenschaft unbegründet ist. In diesen Fällen ist daher vom Arbeitsgericht für die Zulässigkeit des Rechtswegs die Arbeitnehmereigenschaft zu unterstellen und im Rahmen der Begründetheit der Klage zu prüfen, ob die Arbeitnehmereigenschaft tatsächlich vorliegt.
2. Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die Klägerin tatsächlich Arbeitnehmerin der Beklagten gewesen ist. Ihre Hauptanträge können nämlich nur Erfolg haben, wenn dies der Fall sein sollte, da sie ausschließlich auf Anspruchsgrundlagen gestützt werden können, die die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin voraussetzen.
a) Das gilt zunächst für den mit der Klage angekündigten Kündigungsschutzantrag.
Aufgrund dieses Antrags ist nämlich nicht nur festzustellen, ob die Kündigung der Beklagten vom 26.01.2012 wirksam ist, sondern auch, ob sie das zwischen den Parteien zu jenem Zeitpunkt "bestehende Arbeitsverhältnis" aufgelöst hat. Damit setzt die beantragte Feststellung voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat. Anderenfalls wäre die Klage schon deshalb als unbegründet abzuweisen. Der Klagerfolg hängt bei dieser Antragstellung folglich auch von Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs entscheidend sind. Es liegt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in diesen Fällen stets ein sic-non-Fall vor (BAG, Beschluss vom 17.02.2003 - 5 AZB 37/02 - Juris, Rn 15).
b) Auch der auf Abrechnung gerichtete zweite Hauptantrag der Klägerin kann nur Erfolg haben, wenn diese Arbeitnehmerin ist. Nur dann findet der von ihr im Antrag in Bezug genommene Lohntarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung Anwendung. Dessen persönlicher Geltungsbereich erfasst nämlich nur gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des SGB VI versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben einschließlich der geringfügig Beschäftigten. Auch in diesem Fall ist also die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin Begründetheitsvoraussetzung für die Klage.
3. Über den Rechtsweg hinsichtlich der weiteren, von der Klägerin hilfsweise angekündigten Anträge ist zunächst nicht zu entscheiden. Diese fallen erst an, wenn die Klägerin mit dem zweiten Hauptantrag unterliegen sollte. Sollte der Rechtsweg zum Arbeitsgericht für die Hilfsanträge nicht eröffnet sein, kommt insoweit eine Verweisung erst nach abweisender Entscheidung über den Hauptantrag in Betracht (Zöller, 28. Aufl., § 260, Rn 6 b).
4. Aus diesem Grund war der Tenor der arbeitsgerichtlichen Entscheidung klarstellend dahin zu korrigieren, dass zunächst nur über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Hauptanträgen zu entscheiden ist. Darüber hinaus war eine Korrektur auch deswegen erforderlich, weil die Frage des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten keine der "Zuständigkeit" des Gerichts ist, sondern eine Rechtswegfrage, wie sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG i. V. m. §§ 17, 17 a GVG ergibt.
5. Die Beklagte trägt die Kosten ihrer erfolglosen sofortigen Beschwerde. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich.