08.01.2013
Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 18.09.2012 – 9 AZR 623/10
In Sachen
Kläger, Berufungsbeklagter, Anschlussberufungskläger und Revisionskläger,
pp.
Beklagte, Berufungsklägerin, Anschlussberufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Brühler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Krasshöfer und Klose sowie den ehrenamtlichen Richter Mehnert und die ehrenamtliche Richterin Pielenz für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 1. Oktober 2010 - 9 Sa 1541/09 - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 30. Oktober 2009 - 5 Ca 2439/09 - unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.645,44 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs und des Schwerbehindertenzusatzurlaubs aus den Jahren 2001 bis 2009.
2
Der als schwerbehindert anerkannte Kläger war vom 6. Juni 1984 bis zum 31. Mai 2009 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, zuletzt als Mülllader. Das monatliche Bruttoentgelt des Klägers betrug 2.842,54 Euro. Die Parteien wandten auf ihr Arbeitsverhältnis zuletzt den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) an.
3
Der Kläger war seit dem Jahr 2000 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 5. August 2002 wurde ihm eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt, die mehrmals, zuletzt bis zum 30. Juni 2009, verlängert wurde und nach dem Bescheid vom 8. Mai 2009 als Dauerrente weitergewährt wird. Nachdem die Beklagte dem Kläger mitgeteilt hatte, dass das Arbeitsverhältnis gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 TVöD zum 31. Mai 2009 endet, verlangte dieser mit Schreiben vom 12. Juni 2009 von der Beklagten ohne Erfolg, 278 Tage Erholungsurlaub und zusätzlich 45 Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen abzugelten.
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Mit seiner der Beklagten am 17. Juli 2009 zugestellten Klage hat der Kläger zunächst die Abgeltung von insgesamt 323 Urlaubstagen geltend gemacht. Am 30. Oktober 2009 hat er seine Abgeltungsansprüche auf den gesetzlichen Mindesturlaub und den Schwerbehindertenzusatzurlaub beschränkt und nur noch die Abgeltung von insgesamt 213 Urlaubstagen beansprucht.
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Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 27.943,47 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2009 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, im ruhenden Arbeitsverhältnis seien keine Urlaubsansprüche des Klägers entstanden. Eine Verpflichtung zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen des Klägers aus den Jahren 2001 bis 2009 würde sie in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzen.
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Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, den gesetzlichen Mindesturlaub und den Schwerbehindertenzusatzurlaub aus den Jahren 2006 bis 2008 sowie aus den Monaten Januar bis Mai 2009 mit 11.544,72 Euro brutto abzugelten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers die Klage insgesamt abgewiesen. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision die Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs und des Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte aus den Jahren 2001 bis 2009 weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht insgesamt abgewiesen.
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I. Der Kläger hat gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 4.645,44 Euro brutto.
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1. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind in der Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Mai 2009 Urlaubsansprüche des Klägers entstanden, obwohl das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD aufgrund des Bezugs einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung geruht hat (vgl. BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 9, DB 2012, 2462). Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, hierdurch werde unzulässig in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen. Das Bundesverfassungsgericht hat es bisher offengelassen, ob und inwieweit der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als tatsächliche Zusammenfassung der zum Vermögen eines Unternehmens gehörenden Sachen und Rechte überhaupt in eigenständiger Weise von der Gewährleistung der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst wird (BVerfG 26. Juni 2002 - 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91 - zu C II 1 der Gründe mwN, BVerfGE 105, 252). Ein solcher Eigentumsschutz kann sich nur auf den Gewerbebetrieb als Sach- und Rechtsgesamtheit beziehen, sodass grundsätzlich nur ein Eingriff in dessen Substanz Art. 14 GG verletzen könnte (BVerfG 29. November 1961 - 1 BvR 148/57 - zu 3 c der Gründe, BVerfGE 13, 225). Einen solchen Eingriff hat die Beklagte nicht ansatzweise behauptet.
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2. Der gesetzliche Urlaub ist nicht für die Zeit des Ruhens des Arbeitsverhältnisses zu kürzen. Ruht das Arbeitsverhältnis, vermindert sich zwar nach § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel. Diese Vorschrift ist jedoch insoweit unwirksam, als sie auch die Verminderung gesetzlicher Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern und schwerbehinderten Menschen erfasst, die aus gesundheitlichen Gründen keine Arbeitsleistung erbracht haben (BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 9, DB 2012, 2462).
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3. Der dem Kläger nach dem BUrlG für das Jahr 2008 und die Monate Januar bis Mai 2009 zustehende Erholungsurlaub und der ihm für diese Zeit nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zustehende Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen sind nicht gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete vor Ablauf der Verfallfrist von 15 Monaten nach dem Urlaubsjahr (vgl. BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 32, DB 2012, 2462).
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4. Die Beklagte hat gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG 20 Tage gesetzlichen Erholungsurlaub aus dem Jahr 2008 zuzüglich fünf Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX abzugelten. Für die Monate Januar bis Mai 2009 errechnet sich gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG ein Erholungsurlaub von 8,33 Tagen und ein Schwerbehindertenzusatzurlaub von 2,08 Tagen. Bei einem täglichen Urlaubsentgelt in Höhe von 131,19 Euro brutto ergibt sich ein Abgeltungsanspruch in Höhe von 4.645,44 Euro brutto.
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II. Die Urlaubsansprüche des Klägers für die Urlaubsjahre 2001 bis 2007 (gesetzlicher Mindesturlaub und Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen) sind gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen, sodass mit Ablauf des 31. März 2009 Urlaubsansprüche des Klägers aus diesen Jahren nicht mehr bestanden und damit nicht abzugelten sind. § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ist unionsrechtskonform so auszulegen, dass gesetzliche Urlaubsansprüche arbeitsunfähiger Arbeitnehmer 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen (BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 32 ff., DB 2012, 2462).
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III. Dem Kläger stehen die beanspruchten Prozesszinsen aus dem zuerkannten Betrag gemäß den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB zu.
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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.
Brühler
Klose
Krasshöfer
Pielenz
Mehnert