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  • 04.06.2024 · IWW-Abrufnummer 241813

    Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 01.02.2024 – 26 Ta (Kost) 6095/23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg 

    Beschluss vom 01.02.2024


    Tenor:

    Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 7. November 2023 - 20 Ca 8948/23 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert und der Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich auf 29.854,25 Euro festgesetzt.

    Gründe

    I.

    1
    Die Klägervertreter machen mit ihrer Beschwerde gegen den durch das Arbeitsgericht festgesetzten Gegenstandswert den Ansatz von 1/3 Bruttoeinkommen für einen Antrag auf Erteilung eines Nachweises nach § 1 Abs. 2 NachwG, den Ansatz von 5.000 Euro für einen Antrag, mit dem die Verurteilung der Beklagten zur Mitteilung der erfassten Arbeitszeit geltend gemacht worden ist, und einen Mehrwert für eine Regelung im Vergleich, nach der Urlaub abgegolten sein soll, sowie einen weiteren Mehrwert in Höhe von 250 Euro für die im Vergleich vereinbarte Verpflichtung zur Erstellung einer Arbeitsbescheinigung geltend.

    2
    Den Antrag auf Erteilung einer Auskunft über die erfassten Arbeitszeiten hat die Klägerin wie folgt formuliert:

    3
    "Weiter beantragen wir, die Beklagte zu verpflichten, entsprechend § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG in seiner europarechtskonformen Auslegung gem. Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) der Klägerin gegenüber die von ihr seit dem 1. Januar 2022 mithilfe eines objektiven, verlässlichen, zugänglichen und von der Beklagten eingeführten Systems erfassten Arbeitszeiten der Klägerin vorzulegen, um entsprechend dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs mit Datum vom 14. Mai 2019 (Az. C-​55/18) die Arbeitszeiten der Klägerin systematisch erfassen zu können."

    4
    Außerdem seien im Hinblick auf eine Regelung zum Zeugnis unter Nr. 4 des Vergleichs weitere 6.915,67 Euro anzusetzen. Die Klägerin hatte die Kündigungsschutzklage mit insgesamt neun Anträgen betriebenen, unter denen sich auch als Hilfsanträge formulierte Zeugnisanträge befanden.

    5
    Das Arbeitsgericht hat die Anträge auf Fertigung eines Nachweises nach dem Nachweisgesetz, den auf die erfasste Arbeitszeit bezogenen Antrag und den Antrag nach § 15 DSGVO mit je 500 Euro berücksichtigt, den Kündigungsschutzantrag mit drei Bruttoeinkommen und den Weiterbeschäftigungsantrag mit einem Bruttoeinkommen. Eine Berücksichtigung der Einigung über das Zeugnis hat es abgelehnt, da über die zugehörigen Anträge aus der Klageschrift keine Entscheidung ergangen sei, ebenso die Regelung zum Urlaub, weil nur ein Tag streitig gewesen sei. Abgelehnt hat es auch die Berücksichtigung eines Mehrwerts für die Arbeitsbescheinigung.

    II.

    6
    Die zulässige Beschwerde ist im Wesentlichen unbegründet.

    7
    1) Das Arbeitsgericht hat den Auskunftsantrag nach Art. 15 DSGVO zutreffend mit 500 Euro bewertet. Geht es um das reine Informationsinteresse, ist ein Betrag in Höhe von 500 Euro angemessen (vgl. LAG Berlin-​Brandenburg 18. März 2021 - 26 Ta (Kost) 6110/20; so jetzt auch I 10.4 Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit, Stand: 1. Februar 2024).

    8
    2) Entsprechendes gilt für den Antrag auf Erteilung einer Auskunft bezüglich der erfassten Arbeitszeiten. Auch insoweit geht es um einen nichtvermögensrechtlichen Anspruch. Die zu der Bewertung eines Antrags nach Art. 15 DSGVO entwickelten Grundsätze (vgl. LAG Berlin-​Brandenburg 18. März 2021 - 26 Ta (Kost) 6110/20) gelten entsprechend.

    9
    3) Der Antrag nach § 1 Abs. 2 NachwG ist regelmäßig mit 10 vH eines Bruttoeinkommens zu bewerten (vgl. LAG München 26. Juli 2023 - 3 Ta 125/23, Rn. 12, mwN; I 7.2 Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit, Stand: 1. Februar 2024). Der geltend gemachte Nachweisanspruch hat hier keinen unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Leistungsanspruch, sodass es im Wesentlichen um das bloße Informationsinteresse der Klägerin an den vereinbarten Bedingungen des Arbeitsverhältnisses ging. 10 vH der Bruttovergütung entsprechen 691,57 Euro.

    10
    4) Die Zeugnisanträge waren mit einem Bruttoeinkommen zu berücksichtigen. Der Umstand, dass es sich um Hilfsanträge handelte, ist insoweit entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts ohne Belang, da sich in dem Vergleich hierzu eine Vereinbarung findet, § 45 Abs. 1 Satz 2 iVm. Abs. 4 GKG.

    11
    5) Der Umstand, dass das Arbeitsgericht danach die Zeugnisanträge gar nicht und den Antrag auf Erteilung eines Nachweises um 191,57 Euro zu niedrig angesetzt hat, führt im Ergebnis nur zur Erhöhung des Gegenstandswerts um 191,57 Euro. Der Gegenstandswert hat sich nicht auch um ein weiteres Bruttoeikommen erhöht, denn das Arbeitsgericht hat für den Weiterbeschäftigungsantrag zu Unrecht einen Betrag in Höhe eines Bruttoeinkommens berücksichtigt.

    12
    a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts ist bei einem unbedingt formulierten Weiterbeschäftigungsantrag anzunehmen, dass dieser auch als solcher gewollt ist, wenn zur Begründung ausdrücklich auf die Unbedingtheit hingewiesen wird und die Begründung nicht perplex ist (vgl. dazu LAG Berlin-​Brandenburg 5. Januar 2024 - 26 Ta (Kost) 6037/23, zu II 2 b bb der Gründe). Unabhängig davon kann der Antrag immer als unbedingter Antrag angesehen werden, wenn sich die klagende Partei auf einen Widerspruch des Betriebsrats mit den sich aus § 102 Abs. 5 BetrVG ergebenden Rechtsfolgen beruft. In diesem Fall ist die Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsantrag von der Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag nicht abhängig. Andernfalls ist ein Weiterbeschäftigungsantrag als Hilfsantrag auszulegen (vgl. BAG 7. Mai 2020 - 2 AZR 692/19, Rn. 62; LAG Berlin Brandenburg 17. Dezember 2020 - 26 Ta (Kost) 6098/20, Rn. 8 ff.; LAG Berlin-​Brandenburg 12. Januar 2022 - 26 Ta (Kost) 6150/21, Rn. 7).

    13
    b) Hier ergeben sich aus der Begründung für den Weiterbeschäftigungsantrag keine Anhaltspunkte dafür, dass ein unbedingter Antrag gewollt war. Die Klägerin hat den Antrag ausdrücklich auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch gestützt.

    14
    c) Der Verrechnung steht das Verschlechterungsverbot nicht entgegen.

    15
    aa) In dem Verfahren nach § 33 Abs. 3 RVG gilt zwar nach der bisherigen Rechtsprechung der Kammer das Verschlechterungsverbot, dh die erstinstanzliche Entscheidung darf nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers abgeändert werden (vgl. LAG Berlin-​Brandenburg 20. August 2018 - 26 Ta (Kost) 6070/18, zu II 3 a der Gründe; LAG Köln 30. Dezember 2015 - 12 Ta 358/15, Rn. 17, str.).

    16
    bb) Das Verschlechterungsverbot steht aber einer Verrechnung von zu niedrig und zu hoch angesetzten Bewertungen einzelner Positionen nicht entgegen. Diese Positionen stellen im vorliegenden Beschwerdeverfahren keine eigenen Streitgegenstände dar, sondern bilden lediglich einzelne Verrechnungsposten. Sie sind nur Begründungselemente für die Bildung des einen streitigen Gesamtgegenstandswerts, der allein über die Höhe der Gebühren entscheidet (vgl. LAG Düsseldorf 25. November 2016 - 4 Ta 634/16, Rn. 13). Gegenstand der Festsetzung und damit des Beschwerdeverfahrens nach § 33 Abs. 3 RVG ist nicht die Bewertung eines bestimmten Streitgegenstands, sondern die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit (vgl. LAG Berlin-​Brandenburg 20. August 2018 - 26 Ta (Kost) 6070/18, zu II 3 a der Gründe; LAG Rheinland-​Pfalz 6. Juni 2007 - 1 Ta 105/07, Rn. 45). Auch hinsichtlich der Anträge in dem Beschwerdeverfahren tritt eine Bindung nur in Bezug auf den begehrten Gesamtgegenstandswert ein, nicht auch auf seine Zusammensetzung aus Einzelpositionen (vgl. LAG Berlin-​Brandenburg 16. Juli 2019 - 26 Ta (Kost) 6040/19, Rn. 32; 12. Januar 2022 - 26 Ta (Kost) 6150/21, Rn. 11).

    17
    6) Ein Vergleichsmehrwert ist hinsichtlich der in Nr. 9 des Vergleichs enthaltenen Regelung über die Arbeitsbescheinigung nicht angefallen. Es handelt sich um eine einfache Abwicklungsregelung. Dass die Parteien sich nach der Einigung auf den Beendigungszeitpunkt hierüber noch gestritten hätten, ist nicht erkennbar (vgl. dazu LAG Berlin-​Brandenburg 5. Juli 2019 - 26 Ta (Kost) 6034/19, Rn. 8). Das gilt auch für die Regelung, wonach "der Urlaub und sonstige Freizeitausgleichsansprüche in natura genommen" sein sollten.

    18
    a) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber - und nicht worauf - die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-​Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).

    19
    Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-​Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 3).

    20
    b) Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist ein Vergleichsmehrwert auch für die Urlaubsregelung nicht angefallen.

    21
    aa) Es nicht ausgeschlossen, dass die Formulierung, wonach Urlaubs- und Freizeitansprüche "in natura genommen" worden sind, einen Vergleichsmehrwert auslöst. Das kann zB dann der Fall sein, wenn mit Ausspruch der Kündigung eine Freistellung unter Anrechnung auf den Urlaub erfolgt ist und dann im Rahmen des Verfahrens Streit unter den Parteien bestanden hat, ob eine solche Freistellung wirksam erfolgen konnte. Das kann es rechtfertigt, den auf den Urlaubszeitraum entfallenden Betrag bei der Wertberechnung anzusetzen. In einer solchen Konstellation geht es um die Frage, ob das Urlaubsentgelt mit der Vergütung bereits abgegolten war oder nicht (vgl. dazu LAG Berlin-​Brandenburg 16. Juli 2019 - 26 Ta (Kost) 6040/19, Rn. 25).

    22
    bb) Die Klägervertreter haben insoweit vorgetragen, dass unter den Parteien streitig gewesen sei, in welchem Umfang der Klägerin bereits Urlaub gewährt worden ist. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ging es der Klägerin nach dem Inhalt ihrer durch die Klägervertreter im Verfahren um die Bestimmung des Gegenstandswerts vorgelegten E-​Mail nicht nur um einen, sondern tatsächlich um zehn Urlaubstage. Während die Beklagte nach der vorgelegten Abrechnung annahm, der Klägerin sei bereits ein Urlaubstag zu viel gewährt worden, meinte diese nach dem Inhalt der durch die Klägervertreter vorgelegten E-​Mail der Klägerin vom 14. September 2023 an die eigenen Prozessbevollmächtigten, ihr stünden noch weitere neun Tage zu. Aus der ebenfalls vorgelegten Korrespondenz zwischen dem Klägervertreter und der Beklagten ergibt sich aber gerade nicht, dass diese Frage auch unter den Parteien kommuniziert worden ist. In der anschließenden E-​Mail des Klägervertreters an die Beklagte findet sich kein Hinweis auf die Auffassung der Klägerin zu angeblich noch bestehenden Urlaubsansprüchen. Dort geht es allein um eine Verringerung der Vergütung, die sich angeblich aus einem Vergleich der Abrechnungen ergeben haben soll. Jedenfalls kann insoweit nicht von einer streitwertrelevanten Auseinandersetzung ausgegangen werden. Es spricht mehr dafür, dass es sich um eine Tätigkeit der Beschwerdeführer gehandelt hat, die bereits mit der Einigungsgebühr als solcher für ihre Einigungsbemühungen abgegolten ist. Hintergrund entsprechender Regelungen ist im Übrigen nicht selten ein Ausgleich durch eine Erhöhung der Abfindung. Insoweit geht es dann aber regelmäßig darum "worauf" und nicht worüber sich die Parteien geeinigt haben. Für eine andere Annahme fehlt es hier an ausreichend konkreten Anhaltspunkten.

    III.

    23
    Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr angefallen. Sie wird vor dem Hintergrund des nur geringen Erfolgs der Beschwerde nicht ermäßigt.

    IV.

    24
    Die Entscheidung ist unanfechtbar.

    RechtsgebieteArbeitsrecht, StreitwertVorschriften§ 45 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 4 GKG