19.06.2024 · IWW-Abrufnummer 242088
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 22.05.2024 – 26 Ta (Kost) 6096/23
Tenor:
Die Beschwerde der Klägervertreter gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. November 2023 - 20 Ca 8207/23 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Klägervertreter machen mit der Beschwerde die Festsetzung eines höheren Gegenstandswerts für einen Kündigungsschutzantrag mit der Begründung geltend, die Kläger habe neben der Vergütung in Höhe von 9.583,33 Euro brutto Virtuelle Optionen erhalten.
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Der Kläger hat sich mit der streitgegenständlichen Klage gegen eine ordentliche Kündigung vom 14. Juli 2023 zum 31. Oktober 2023 zur Wehr gesetzt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien begann im 13. Mai 2019. Ab Mai 2020 nahm der Kläger an einem "Virtuellen Optionsprogramm" teil. Dadurch sollte ein auf eine Beteiligung am Eigenkapital der Gesellschaft gerichtetes Optionsprogramm nachgebildet werden. Dem Kläger sind in diesem Zusammenhang 420 sogenannte "Virtuelle Optionen"übertragen worden, die im Wege eines Vestings über 48 Monate angespart werden mussten. Diese entsprachen zum Zeitpunkt der Vereinbarung einem Strike-Preis in Höhe von 34.209 Euro (je 81,45 Euro). Der Ansparzeitraum von 48 Monaten begann am 1. Mai 2020 und hätte am 30. April 2024 geendet. Der Kläger erhielt zuletzt eine Vergütung in Höhe von 9.583,33 Euro brutto.
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In den Optionsbedingungen heißt es ua.:
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Mit Beschluss vom 31. August 2023 hat das Arbeitsgericht das Zustandekommen eines Vergleichs festgestellt. Darin haben die Parteien sich ua. auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2023 geeinigt, die Zahlung einer Abfindung und die Feststellung, dass der Kläger aufgrund des Zuteilungsschreibens vom 20. April 2020 mit Zwischenstand zum 1. August 2023 341,25 Virtuelle Optionen unverfallbar angespart hat. Darüber hinaus sollten bis zum Beendigungsdatum kalendermonatlich weitere 8,75 Virtuelle Optionen unverfallbar werden, sodass dem Kläger zum Beendigungsdatum 385 unverfallbare Virtuelle Optionen gegenüber der Beklagten zustehen würden.
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Mit Schreiben vom 12. September 2023 haben die Klägervertreter die Festsetzung des Gegenstandswerts für den Kündigungsschutzantrag auf 356.679,99 Euro beantragt. Eine Virtuelle Option habe nach der letzten Unternehmensbewertung einen Wert in Höhe von 11.064 Euro gehabt. Damit hätten dem Kläger neben dem Grundgehalt in Höhe von 9.583,33 Euro jeweils 8,75 Virtuelle Optionen im Wert von 11.064 Euro (insgesamt 109.310 Euro) zugestanden. Die Optionen seien Bestandteil der Vergütung und damit als Arbeitsentgelt zu qualifizieren. Dem stehe die Nichtfungibilität nicht entgegen.
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Die Beklagte hat vertreten, dass der Wert nicht mit einem realisierbaren Zahlungsanspruch gleichgesetzt werden könne. Die Optionen könnten nicht wie Aktien an der Börse gehandelt werden. Der Wert könne auch nicht tagesaktuell verfolgt werden. Der Wert im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses könne nicht festgestellt werden, insbesondere auch nicht, ob er jemals tatsächlich realisierbar sei. Auch bei einer Zugrundelegung der Berechnung durch die Klägervertreter gelange man aber nur auf einen Betrag in Höhe von 319.179,99 Euro.
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Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert auf 38.333,32 Euro festgesetzt (drei Bruttoeinkommen für den Kündigungsschutzantrag und ein Bruttoeinkommen für den Weiterbeschäftigungsantrag, den der Kläger nach seiner Begründung für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag angekündigt hat).
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Die Klägervertreter haben gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. Festzusetzen sei ein Betrag in Höhe 319.179,99 Euro. Insoweit haben sie ihre ursprünglichen Angaben korrigiert.
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Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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1) Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Virtuellen Optionen bei der Bestimmung des Gegenstandswert für den Kündigungsschutzantrag nicht zu berücksichtigen sind.
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a) Bei der Berechnung der Vergütung für ein Vierteljahr bzw. der Monatsvergütung ist das arbeitsleistungsbezogene Arbeitsentgelt des auf den Beendigungstermin folgenden Vierteljahreszeitraums zugrunde zu legen. Jahres- oder sonstige Leistungen werden unabhängig vom Auszahlungszeitpunkt berücksichtigt, wenn sie auch Entgeltcharakter haben. Das Monatsentgelt errechnet sich mit einem Drittel des Vierteljahresentgeltes. Insoweit teilt die Kammer den Ansatz der Streitwertkommission im Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit, dort unter ** abgedruckt (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 23. Januar 2024 - 26 Ta (Kost) 6073/23 , Rn. 10).
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b) Danach wirken sich jedenfalls in der vorliegenden Konstellation die Virtuellen Optionen nicht auf den Gegenstandswert für den Kündigungsschutzantrag aus.
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Die Vereinbarung über die Optionen ist nicht Gegenstand der Vergütungsregelung im Arbeitsvertrag. Dem Kläger ist zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit eröffnet worden, am Optionsprogramm der Beklagten teilzunehmen. In den Optionsbedingungen wird unter 1. klargestellt, dass die Virtuellen Optionen dem Optionsberechtigten als Anreiz für Engagement und Kommittment für die künftige Tätigkeit gewährt und "explizit nicht als Vergütung" für in der Vergangenheit liegende Tätigkeiten. Damit sollten die Virtuellen Optionen jedenfalls nach dem Inhalt der Vereinbarungen der Parteien ausdrücklich gerade nicht Bestandteil desarbeitsleistungsbezogenen Arbeitsentgelts sein.
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Bei den Virtuellen Optionen handelt es sich um die Einräumung von Chancen. Ob es jemals zu einem Zufluss kommt, ist nach den Optionsbedingungen ungewiss. Zudem fehlt es ihnen an der Fungibilität. Unterschieden werden - auch steuerrechtlich - handelbare und nicht handelbare Optionsrechte. Wird einem Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses - wie hier - ein nicht handelbares Optionsrecht gewährt, fließt ihm ein geldwerter Vorteil erst zu, wenn dieser die Option ausübt und der "Kurswert" den Übernahmepreis übersteigt. In diesem Fall wird der geldwerte Vorteil regelmäßig nicht gewährt, um dadurch in der Vergangenheit erbrachte Leistungen abzugelten, sondern um eine zusätzliche Erfolgsmotivation für die Zukunft zu schaffen (vgl. BAG 28. Mai 2008 - 10 AZR 351/07 , Rn. 34). Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellen zB. auch Aktienoptionen im Gegensatz zu anderen Sonderleistungen, die an den Gewinn oder Umsatz des Unternehmens in einem Geschäftsjahr anknüpfen oder individuelle Leistungen des Arbeitnehmers innerhalb einer bestimmten, überschaubaren Periode zusätzlich honorieren, weniger Gegenleistung für erbrachte Leistungen, sondern vielmehr Gewinnchance und Anreiz für zukünftigen Einsatz dar (vgl. BAG 28. Mai 2008 - 10 AZR 351/07 , Rn. 34; so auch LAG München 7. Februar 2024 - 5 Sa 98/23, Rn. 86, Revision eingelegt unter 10 AZR 67/24; krit. mit durchaus diskussionswürdigen Argumenten: ErfK/Preis, 24. Aufl. 2024, BGB § 611a Rn. 542). Jedenfalls in der vorliegenden Konstellation haben die virtuellen Optionen kostenrechtlich keinen Einfluss auf den Gegenstandswert für den Kündigungsschutzantrag. Es besteht kein kostenrechtlich relevanter Bezug der individuellen Leistungen des Klägers zu den mit den Virtuellen Optionen verbundenen Chancen. Es besteht bei Realisierung der Chancen nach dem Inhalt der Regelung allerdings die insoweit nicht ausreichende Möglichkeit, dass die Betriebstreue belohnt wird.
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2) Die Frage, ob das Arbeitsgericht für den als Hilfsantrag begründeten Weiterbeschäftigungsantrag zutreffend ein Bruttoeinkommen in Ansatz gebracht hat, kann dahinstehen. In dem Verfahren nach § 33 Abs. 3 RVG gilt nach der bisherigen Rechtsprechung der Kammer das Verschlechterungsverbot, dh die erstinstanzliche Entscheidung darf nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers abgeändert werden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, 1. Februar 2024 - 26 Ta (Kost) 6095/23 , Rn. 15, mwN).
III.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG . Eine Gebühr ist angefallen.
IV.
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Die Entscheidung ist unanfechtbar.