· Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung
Haftpflichtversicherer erhöhen Druck in Vorschadensfällen: So müssen Sie reagieren
von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen
| Die facettenreiche Vorschadensproblematik bei der Regulierung von Haftpflichtschäden war wiederholt Thema in VA (zuletzt 10, 42). Für neue Dynamik sorgt, so Joachim Otting in SVR 13, 132, das Hinweis- und Informationssystem (HIS), das der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft eingerichtet hat. Erfasst werden Schadensereignisse „mit Auffälligkeiten“. Dazu zählt bereits eine fiktive Abrechnung. Damit redliche Mandanten keine HIS-Opfer werden, muss der Anwalt die aktuelle Rechtsprechung kennen. Anders als sonst haben Vor-Geschädigte vor Gericht keinen Rücken-, sondern Gegenwind. Der Beitrag gibt praktische Hilfestellung. |
1. Die Ausgangslage nach der BGH-Rechtsprechung
Maßgebend, aber oft ignoriert, sind nach wie vor folgende Grundsätze des VI. ZS des BGH:
- Der Anspruchsteller/Kl. hat den äußeren Tatbestand der Rechtsgutverletzung (Eigentum, Besitz) zu beweisen (BGH NJW 78, 2154 - Maserati mit Vorschadenwahrscheinlichkeit). Dazu gehört die haftungsbegründende Kausalität. Beweismaß auch insoweit: § 286 ZPO.
- Für die haftungsausfüllende Kausalität gilt das Beweismaß des § 287 ZPO (st. BGH-Rspr.).
- Dem Kl. kann der Beweis des ersten Anscheins zugute kommen, dass die geltend gemachten Beschädigungen auf die unstreitige oder bewiesene Kollision zurückzuführen sind (BGH VersR 78, 865, II 2b).
- Eine Schätzung der Schadenanteile nach § 287 ZPO kann auch dann in Betracht kommen, wenn es um die Abgrenzung der Folgen von zwei verschiedenen Unfällen geht (BGH NJW 81, 1454).
- Beweiserleichterungen nach § 287 ZPO sind ausnahmsweise zu versagen, wenn der Kl. mit der ordnungsgemäßen Substanziierung seines Anspruchs „hartnäckig“ zurückhält und seine zumutbare Mitwirkung am Beweisverfahren verweigert (BGH NJW 81, 1454).
- Eine Klage auf Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall kann nicht allein mit der Begründung abgewiesen werden, dass der Kl. auch den Ersatz von Schäden verlangt, die nach Überzeugung des Gerichts nicht aus dem Unfallereignis herrühren (BGH DAR 90, 224).
- Der Unsicherheit, ob Vorschäden durch den streitgegenständlichen Unfall überdeckt worden sind, kann bei der Schätzung nach § 287 ZPO durch einen angemessenen Abschlag Rechnung getragen werden (BGH DAR 90, 224).
2. Die aktuelle Rechtsprechung des Berliner Kammergerichts
Bundesweit den stärksten Einfluss auf die Instanzrechtsprechung hat die Judikatur des KG. Die folgende Entscheidung fasst die maßgeblichen Grundsätze zusammen.
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Die Entscheidung des KG enthält wichtige Ausführungen zur Frage, was vom Geschädigten vorgetragen und bewiesen werden muss:
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3. Weitere aktuelle Rechtsprechung der Instanzgerichte
Einen Überblick zu der Rechtsprechung weiterer Gerichte finden Sie in der folgenden Rechtsprechungsübersicht.
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| OLG Düsseldorf 15.1.13, I-1 U 153/11, Abruf-Nr. 131516 |
| OLG Düsseldorf 10.7.12, I-1 W 19/12, Abruf-Nr. 131517, SP 13, 113 |
| OLG Hamm Abruf-Nr. 131518 |
Der Geschädigte kann selbst kompatible Schäden an seinem vorbeschädigten Kfz nicht ersetzt verlangen, wenn er nicht den Nachweis führt, dass sämtliche geltend gemachten Schäden auf das von ihm behauptete Unfallereignis zurückzuführen sind. | OLG Köln 22.8.11, I-22 U 199/10, Abruf-Nr. 131519 |
| LG Aachen 14.11.12, 10 O 487/11, Abruf-Nr. 131520 |
4. Praxishinweise zur richtigen Vorgehensweise
Seit durch das Hinweis- und Informationssystem HIS („VR-SCHUFA“) massenhaft „Verdachtsfälle“ produziert werden, müssen Eigentümer vorbeschädigter Kfz für den Fall und im Fall eines Zweitunfalls ihre Beweisinteressen noch mehr als bisher im Auge haben. Das heißt konkret: Kaufvertrag mit Vorbesitzer aufbewahren, bei einem Schaden in eigener Besitzzeit Werkstatt- und/oder Ersatzteilrechnung nicht wegwerfen, Fahrzeug nach (Vorschaden-)Reparatur fotografieren, beweiskräftige Reparaturbestätigung eines Sachverständigen einholen (bei Fremdverschulden Kostenabwälzung möglich, aber str.).
Nach Neuschaden Sachverständigen über etwaige Vorschäden, soweit bekannt, informieren. Unreparierte Vorschäden (= „Altschäden“) müssen nur mitgeteilt werden, wenn sie für den Sachverständigen nicht erkennbar sind. OLG Saarbrücken VA 13, 76: Informiert der Anspruchsteller den Haftpflichtgutachter zumindest fahrlässig nicht über Vorschäden, sind die Kosten für das zur Bezifferung des unfallbedingten Schadens unbrauchbare Gutachten nicht zu ersetzen (ebenso OLG Düsseldorf 15.1.13, I-1 U 153/11, Abruf-Nr. 131516; OLG Köln 23.2.12, I-7 U 134/11, Abruf-Nr. 131521). Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten können ausländische Mandanten entlasten. Gutachten prüfen, ob und inwieweit der Sachverständige Vor- bzw. Altschäden erfasst hat. Ggf. Nachbesserung veranlassen.
Nach der Neuschaden-Instandsetzung Reparaturbestätigung des Sachverständigen einholen, sofern keine oder keine spezifizierte Werkstattrechnung vorhanden ist (mit Beschreibung des Reparaturwegs und mit Angabe zu neuen oder gebrauchten Ersatzteilen). Die Reparaturbestätigung des Sachverständigen muss in beiden Punkten (Reparaturweg plus Ersatzteileinsatz) beweiskräftig Auskunft geben. Ob die Kosten der Bestätigung zu erstatten sind, ist höchstrichterlich ungeklärt und in der Instanzrspr. heillos umstritten (pro Geschädigten AG Schwäbisch Gmünd, VA 13, 95; AG Esslingen VA 12, 184 mit Hinw. auf abw. Rspr.). Zusatzargument: Erforderlich bzw. zweckmäßig auch deshalb, weil für den Fall eines weiteren Unfalls ein Beleg für die Reparatur und deren Qualität nach Maßgabe KG 12.12.11, 22 U 151/11, Abruf-Nr. 131515, benötigt wird.
Richtschnur des Vorgehens sollte die strenge Rspr. des KG sein (s.o. Punkt 2; ferner 29.5.12, 22 U 191/11, Abruf-Nr. 130106). Auch wenn sie in Teilbereichen mit der BGH-Rspr. unvereinbar ist, ist sie schon aus Gründen anwaltlicher Vorsicht zu berücksichtigen - nicht nur im Raum Berlin, sondern bundesweit.
Deutlich näher am BGH und damit tendenziell geschädigtengünstiger sind das OLG Düsseldorf (19.5.08, 1 U 199/07, Abruf-Nr. 100511; 11.2.08, 1 U 181/07, Abruf-Nr. 080435; 15.1.13, I-1 U 153/11, Abruf-Nr. 131516) und das OLG München (27.1.06, 10 U 4904/05, Abruf-Nr. 061655).
Weiterführende Hinweise
- Wie der Anwalt des Geschädigten sich auf den prozessualen Problemfeldern, vor allem der höchst komplizierten Darlegungs- und Beweislastverteilung, richtig bewegt, ist in der Checkliste VA 10, 42, 43 dargestellt.
- Zur Vertiefung Eggert, r+s Sonderheft für H. Lemcke, 2011, S. 24, 29 ff.