21.02.2012 · IWW-Abrufnummer 120503
Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 29.09.2011 – 8 Sa 665/11
1. Die in § 3 des Tarifvertrages über die Zahlung einer Weihnachtszuwendung im Maler- u. Lackiererhandwerk vorausgesetzte Arbeitsleistung von mindestens sechs Monaten im Kalenderjahr ist unter Berücksichtigung der tariflichen Stichtags- und Fälligkeitsregelung (01.12. d. J.) innerhalb des Bezugszeitraums Januar bis November d. J. zu erbringen (LAG Nürnberg, 07.08.2007, 6 Sa 243/07).
2. Das tarifliche Erfordernis einer "tatsächlichen Arbeitsleistung" von mindestens sechs Monaten ist dahingehend auszulegen, dass während eines Zeitraums von sechs Monaten im Bezugszeitraum irgendeine Arbeitsleistung erbracht worden sein muss. Nicht hingegen wird eine Mindestarbeitsleistung gefordert, welche auf der Grundlage der konkret ermittelten Tage mit tatsächlicher Arbeitsleistung der Hälfte der möglichen Arbeitstage im Bezugszeitraum entspricht (Abweichung von LAG Nürnberg a.a.O.).
8 Sa 665/11
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 15.04.2011 - 3 Ca 240/11 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die beiderseits tarifgebundenen Parteien streiten um die Zahlung einer Weihnachtszuwendung für das Jahr 2010 gemäß dem Tarifvertrag über die Zahlung einer Weihnachtszuwendung-Jahressondervergütung im Maler- und Lackiererhandwerk vom 15.06.1994 und in diesem Zusammenhang über die Auslegung der Vorschrift des § 3 TV, welcher folgende Leistungsvoraussetzungen vorsieht:
Den Anspruch auf die volle Sondervergütung erwirbt der Beschäftigte, der am 01. Dezember des Kalenderjahres (Stichtag) in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, mindestens 24 Monate ununterbrochen im Betrieb beschäftigt war und im Kalenderjahr mindestens 6 Monate tatsächlich gearbeitet hat.
Inwiefern der Kläger die letztgenannte Voraussetzung erfüllt hat, ist zwischen den Parteien streitig. Während die Beklagte die tarifliche Regelung in dem Sinne verstanden wissen will, dass auf der Grundlage möglicher 261 Arbeitstage/Jahr eine Mindestanzahl von 131 Arbeitstagen mit tatsächlicher Arbeitsleistung erforderlich sei, vertritt der Kläger den Standpunkt, ausreichend sei die Erbringung von Arbeitsleistung in einem Zeitraum von mindestens 6 Monaten, ohne dass es auf die konkret geleistete Anzahl von Arbeitstagen ankomme. Selbst wenn aber auf die Anzahl tatsächlicher Arbeitstage abzustellen sei, seien jedenfalls Feiertage nicht als mögliche Arbeitstage zu berücksichtigen. Weiter behauptet der Kläger, im Monat März 2010 - während witterungsbedingter Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses - an 2 Arbeitstagen gearbeitet zu haben.
Durch Urteil vom 15.04.2011 (Bl. 30 ff. der Akte), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens zur Anzahl der in den einzelnen Monaten April bis Dezember 2010 geleisteten Arbeitstage und der Fassung des Klageantrages Bezug genommen wird, ist die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der begehrten Weihnachtszuwendung in Höhe von 699,50 € brutto nebst Zinsen verurteilt worden.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung tritt die Beklagte mit weiteren Rechtsausführungen dem arbeitsgerichtlichen Urteil entgegen und beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 15.04.2011 - 3 Ca 240/11 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
I. In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil steht dem Kläger die begehrte Weihnachtszuwendung auf der Grundlage des Tarifvertrages über die Zahlung einer Weihnachtszuwendung/Jahressondervergütung zu.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der genannte Tarifvertrag aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung.
2. Der Kläger erfüllt sämtliche in § 3 des Tarifvertrages genannten Leistungsvoraussetzungen.
a) Soweit es die Anspruchsvoraussetzung des "ungekündigten Arbeitsverhältnisses" betrifft, folgt aus der Regelung des § 46 Ziffer 4 RTV und durch Änderungstarifvertrag vom 09.09.2007 zum Tarifvertrag über die Zahlung einer Weihnachtszuwendung/ Jahressondervergütung angefügten Regelung in § 3 Ziff. 4, dass die witterungsbedingte Unterbrechung der Arbeit gemäß § 46 RTV dem Anspruch auf Sondervergütung nicht entgegensteht, soweit die übrigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind.
b) Unstreitig stand der Kläger am 01.12. des Jahres 2010 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis.
c) Abweichend vom Standpunkt der Beklagten hat der Kläger auch die weitere tarifliche Voraussetzung erfüllt, dass er im Kalenderjahr mindestens 6 Monate tatsächlich gearbeitet hat.
(1) Die genannte Passage des Tarifvertrages bedarf der Auslegung, und zwar zum einen im Hinblick auf die Frage, ob die geforderte Mindestarbeitsleistung auf das gesamte Kalenderjahr oder auf einen Bezugszeitraum zu beziehen ist, welcher durch den festgelegten Stichtag (1. Dezember des Kalenderjahres) begrenzt ist. Zum anderen kommen verschiedene Auslegungsmöglichkeiten in Betracht, soweit es den Umfang der geforderten Mindestarbeitsleistung betrifft.
(2) Wie das Landesarbeitsgericht Nürnberg in der von der Beklagten vorgelegten Entscheidung (Urt. v. 07.08.2007, 6 Sa 243/07) zur Frage des Bezugszeitraums, innerhalb dessen die geforderte Arbeitsleistung von 6 Monaten erbracht worden sein muss, überzeugend ausgeführt hat, muss aus der Tatsache, dass die Tarifparteien bei der Regelung der Leistungsvoraussetzungen ausdrücklich einen Stichtag - den 1. Dezember des Kalenderjahres - gewählt haben, gefolgert werden, dass die geforderte Mindestarbeitsleistung von 6 Monaten zwar innerhalb des Kalenderjahres erbracht sein muss, ohne dass zugleich das gesamte Kalenderjahr den maßgeblichen Bezugszeitraum darstellt. Schon die Tatsache, dass die Sondervergütung gemäß § 2 Ziff. 3 TV mit der Abrechnung für den Monat November fällig wird und dementsprechend die Vorschrift des § 3 Ziff. 1 TV für die Anspruchsvoraussetzungen auf den 1. Dezember des Kalenderjahres als Stichtag abstellt, führt zwingend zu der Überlegung, dass die vorausgesetzte Mindestarbeitsleistung im Zeitraum Januar bis einschließlich November des Kalenderjahres erbracht worden sein muss. Mit dem Merkmal des Kalenderjahres ist klargestellt, dass nicht etwa Zeiten des Vorjahres einzubeziehen sind, um etwa unter Einbeziehung des Monats Dezember des Vorjahres einen Bezugszeitraum von vollen 12 Monaten zu erreichen. Andererseits versteht es sich bei einer Stichtagsregelung zum 01.12. des Jahres von selbst, dass der Bezugszeitraum innerhalb des Kalenderjahres mit Erreichen des Stichtages endet. Träfe der Standpunkt zu, auch der Monat Dezember des Jahres sei in die rechtliche Beurteilung einzubeziehen, müsste der Arbeitgeber mit der Abrechnung für den Monat November die Weihnachtszuwendung vorschussweise bzw. unter Vorbehalt leisten, weil erst mit Vollendung des Monats Dezember eine abschließende Feststellung möglich wäre, ob die Weihnachtszuwendung tatsächlich beansprucht werden kann. Dass die Tarifparteien eine derart unpraktikable Regelung treffen wollten, erscheint als ausgesprochen fernliegend. Eine solche Auslegung ist nach Wortlaut und Sinn des Tarifvertrages auch nicht geboten.
(3) Soweit es das geforderte Maß der tatsächlichen Arbeitsleistung von "mindestens 6 Monate(n)" im Bezugszeitraum betrifft, sprechen gegen die von der Beklagten vertretene Auslegung, mit dem 6-Monatszeitraum sei die Summe der im jeweiligen Kalenderjahr möglichen Arbeitstage eines 6-Monatszeitraums gemeint, mehrere Bedenken.
Zu Recht hat bereits das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass nicht in sämtlichen Monaten des Jahres die gleiche Anzahl möglicher Arbeitstage anfällt, ohne dass der Tarifvertrag erkennen lässt, ob es auf eine Berechnung nach konkreten Zeiträumen oder nach Durchschnittswerten (z. B. 22 Arbeitstage/Monat) ankommen soll. Darüber hinaus ergeben sich bei dem von der Beklagten vertretenen Verständnis, nach welchem mit dem 6-Monatszeitraum eine wie auch immer ermittelte Summe möglicher Arbeitstage gemeint sein soll, sogleich weitere Unklarheiten, ohne dass der Tarifvertrag hierzu zweifelsfreie Aussagen trifft. Dies betrifft insbesondere die Berücksichtigung von Ausfallzeiten, während welcher der Arbeitnehmer nicht aus persönlichen Gründen (Urlaub, Krankheit), sondern deshalb der Arbeit fernbleibt, weil die Arbeit z. B. feiertagsbedingt ausfällt oder wegen witterungsbedingter Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen nicht erbracht werden kann, welche an sich in die Sphäre der Arbeitgeberseite fallen. Der Umstand, dass der Tarifvertrag eine "tatsächliche" Arbeitsleistung fordert, spricht zwar gegen die Berücksichtigung ausgefallener Arbeitstage wegen persönlicher Arbeitsverhinderung (Urlaub, Krankheit, unentschuldigtes Fehlen), zwingt aber keineswegs zu der Annahme, bei der Ermittlung der erforderlichen Sollarbeitstage seien auch solche Tage zu berücksichtigen, an welchen Arbeitsleistung gar nicht erbracht werden kann. Dies wird besonders anschaulich, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass ein witterungsbedingter Arbeitsausfall die gesamten ersten 4 Monate des Kalenderjahres umfassen kann. Berücksichtigt man weiter den feiertagsbedingten Arbeitsausfall in den Folgemonaten bis einschließlich November und nimmt der Arbeitnehmer ferner den gesetzlichen Urlaub von 20 Arbeitstagen in Anspruch, so kann er die von der Beklagten ermittelte nötige Anzahl von Arbeitstagen bis zum Stichtag gar nicht erreichen. Dass ein solches Ergebnis nach dem Willen der Tarifparteien mit der im Tarifvertrag genannten Anspruchsvoraussetzung einer tatsächlichen Arbeitsleistung von mindestens 6 Monaten gemeint sein soll, erscheint eher fernliegend. Im Übrigen wäre bei einer tariflichen Regelung, welche auf die tageweise zu ermittelnde tatsächliche Arbeitsleistung abstellt, eine Klarstellung hinsichtlich der Berechnung der erforderlichen Sollarbeitstage - z. B. mit oder ohne Berücksichtigung von Feiertagen o. ä. - zu erwarten.
Schon aus diesem Grunde bestehen gegen die von der Beklagten vertretene Auslegung des Tarifvertrages Bedenken. Ginge es tatsächlich darum, die Gewährung einer Weihnachtszuwendung entscheidend davon abhängig zu machen, dass dem Arbeitgeber ein bestimmtes Quantum an erbrachter Arbeitsleistung - berechnet nach einer Mindestzahl von Arbeitstagen im Bezugszeitraum - zugeflossen ist, weil etwa hierin ein Maßstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers gesehen werden sollte, so hätten die Tarifparteien dies problemlos mit einer entsprechenden Bezifferung von Arbeitstagen zum Ausdruck bringen können. Demgegenüber spricht das Abstellen auf ein Sechsmonatszeitraum deutlich dafür, dass auf diese Weise gewährleistet werden soll, dass die tarifliche Leistung nicht zu beanspruchen ist, wenn der Arbeitnehmer schon lange - z. B. wegen Krankheit, Elternzeit o. ä. - keinerlei Arbeitsleistung mehr erbracht bzw. im laufenden Jahr nicht einmal in einem Sechsmonatszeitraum gearbeitet hat.
Für ein solches Verständnis spricht auch die nachfolgende Überlegung: Wie sich aus der Rückzahlungsklausel des § 6 TV ergibt, nach welcher der Arbeitgeber die Sondervergütung zurückverlangen kann, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen, die er selbst zu vertreten aus, aus dem Betrieb ausscheidet, handelt es sich bei der tariflichen Weihnachtszuwendung um eine Gratifikation, mit welcher u. a. die Betriebstreue honoriert wird. Ohne eine besondere Regelung, welche Leistungen bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses ausschließt, hätte dementsprechend ein jeder Arbeitnehmer, auch wenn er seit Jahren nicht mehr im Betrieb arbeitet, einen jährlichen Anspruch auf die tarifliche Zuwendung. Um dieses zu verhindern, entspricht es weit verbreiteter tariflicher Praxis, für diesen Personenkreis einen Anspruchsausschluss vorzusehen und in diesem Zusammenhang auch die Frage zu regeln, was gelten soll, wenn das maßgebliche anspruchsausschließende Ereignis im Laufe des Kalenderjahres eintritt.
Vor diesem Hintergrund lässt sich das Erfordernis einer mindestens 6-monatigen tatsächlichen Arbeitsleistung unschwer dahingehend verstehen, dass der Arbeitnehmer während des Bezugszeitraums jedenfalls in 6 Monaten Arbeitsleistungen erbracht haben muss. Auf eine aufwendige Berechnung unter Gegenüberstellung von möglichen Sollarbeitstagen und tatsächlich geleisteten Istarbeitstagen unter Einbeziehung oder Ausklammerung berechtigter Fehlzeiten u. ä. kommt es nach diesem Verständnis nicht aus. Zugleich wird damit das Ziel erreicht, für bestimmte Fallgestaltungen einen einfach zu handhabenden Ausschlusstatbestand (Langzeiterkrankung, Ruhen des Arbeitsverhältnisses) zu fixieren und eine differenzierte Berechnung nach einzelnen Arbeits- und Ausfalltagen zu vermeiden.
Auf dieser Grundlage steht dem Kläger ohne Zweifel die tarifliche Weihnachtszuwendung, da er jedenfalls im Zeitraum April bis November für die Beklagte gearbeitet hat.
(4) Aber auch wenn man - im Ausgangspunkt dem Standpunkt der Beklagten und der Entscheidung des LAG Nürnberg folgend - eine Berechnung unter Berücksichtigung der Tage mit tatsächlicher Arbeitsleistung vornimmt, ergibt sich hier nichts anderes.
Ausgehend von 261 möglichen Arbeitstagen im Kalenderjahr entfallen nach Abzug der auf den Monat Dezember 2010 entfallenen möglichen 23 Arbeitstage in den Bezugszeitraum Januar bis November 238 mögliche Arbeitstage. Tatsächlich gearbeitet hat der Kläger im vorbenannten Zeitraum unstreitig 119 Arbeitstage. Soweit in den Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils die Zahl mit 118 wiedergegeben ist, handelt es sich ersichtlich um einen Schreib- oder Rechenfehler.
Mit einer Arbeitsleistung von 119 Arbeitstagen hat der Kläger aber die Hälfte der möglichen 238 Arbeitstage absolviert. Selbst auf der Grundlage der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung kann der Kläger danach die tarifliche Zuwendung beanspruchen. Der abweichende Standpunkt der Beklagte erklärt sich allein daraus, dass die Beklagte in die Berechnung auch die m öglichen Arbeitstage des Monats Dezember 2010 einbeziehen will. Dies ist aus den dargestellten Gründen unzutreffend. Die Berufung der Beklagten erweist sich damit als unbegründet.
II. Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.
III. Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 ArbGG zugelassen.