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  • 18.12.2018 · IWW-Abrufnummer 206191

    Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 01.03.2018 – 4 Ta 1/18

    Erforderliche Kosten für die Kernzeitbetreuung schulpflichtiger Kinder sind als besondere Belastungen iSv. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO bei der Ermittlung des im Rahmen der Prozesskostenhilfe einzusetzenden Einkommens zu berücksichtigen.

    Die Kosten der in schulischer Verantwortung stehenden Mittagsverpflegung schulpflichtiger Kinder sind unter Abzug eines Eigenanteils von 1,00 Euro je Essen ebenfalls als besondere Belastungen iSv. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO zu berücksichtigen (Fortentwicklung von LAG Baden-Württemberg 27. Juni 2013 - 4 Ta 11/13 ).




    Gründe



    I.



    Die Klägerin richtet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Höhe der Ratenzahlungsverpflichtung im Rahmen der ihr bewilligten Prozesskostenhilfe.



    Das Arbeitsgericht bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom 29. 11. 2017 Prozesskostenhilfe für ihre Klage und für ihre Rechtsverteidigung gegen die Widerklage der Beklagten. Ihr wurde Frau Rechtsanwältin P.-A. als Prozessbevollmächtigte beigeordnet. Das Arbeitsgericht ordnete eine monatliche Ratenzahlungsverpflichtung iHv. 145,00 Euro an.



    Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 13. 12. 2017 zugestellt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende sofortige Beschwerde, die am Montag, dem 15. Januar 2018 beim Arbeitsgericht einging.



    Nachdem die von der Klägerin angekündigte Beschwerdebegründung ausblieb, half das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 30. Januar 2018 nicht ab und legte diese dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor.



    In der Beschwerdeinstanz begründete die Klägerin ihre Beschwerde nunmehr damit, dass vom einzusetzenden Einkommen noch die Kosten der schulischen Kernzeitbetreuung und die Kosten des gemeinschaftlichen Mittagessens in der Kernzeitbetreuung für ihre 7-jährige Tochter M. abzusetzen seien.



    II.



    Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.



    Im Rahmen der Ermittlung einer Ratenzahlungsverpflichtung sind vom Einkommen der Klägerin weitere 145,00 Euro abzusetzen, so dass sich das im Rahmen der Prozesskostenhilfe einsetzbare Einkommen auf 145,26 Euro reduziert. Damit reduziert sich die monatliche Ratenzahlungsverpflichtung von 145,00 Euro auf 72,00 Euro.



    1. Die vom Arbeitsgericht erfolgte Ermittlung des einzusetzenden Einkommens wurde von der Klägerin im Übrigen nicht angegriffen. Sie ist auch zutreffend. Es ist also (ohne Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten) von einem einsetzbaren Einkommen von 290,26 Euro auszugehen.



    2. Die Gebühren für die Kernzeitbetreuung sind gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO als weitere besondere Belastung von diesen 290,26 Euro in Abzug zu bringen.



    a) Gem. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO können nur solche Bedarfe als besondere Belastungen anerkannt werden, die nicht bereits in den Freibeträgen des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO enthalten sind. Da die Freibeträge abgeleitet werden aus den sozialhilferechtlichen Regelsätzen, folgt, dass nur solche Bedarfe berücksichtigt werden können, die nicht in den Regelsätzen enthalten sind (LAG Baden-Württemberg 27. 6. 2013 - 4 Ta 11/13, Rn. 16).



    b) Die Kosten für eine Kinderbetreuung in der Schule sind in den Regelsätzen nicht enthalten. Dies hat seinen Grund aber im Wesentlichen darin, dass - wie bei den Kosten für die Betreuung noch nicht schulpflichtiger Kinder in Kindertageseinrichtungen oder Einrichtungen der Kindertagespflege (vergl. hierzu: LAG Baden-Württemberg 27. 6. 2013 - 4 Ta 11/13, Rn. 18) - die Kosten für eine bedarfsgerechte Betreuung von Schulkindern in Tageseinrichtungen gemäß §§ 24 Abs. 4, 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 SGB VIII bei bedürftigen Personen ohnehin vom Träger der Kinder- und Jugendhilfe zu übernehmen sind. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber Kosten für die Kinderbetreuung auch von Schulkindern durchaus als Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts anerkannt hat, diesem Bedarf bei Hilfebedürftigen aber keinen Regelsatzbetrag zugewiesen hat, weil er von der grundsätzlichen Kostenfreiheit der Kinderbetreuung bei Bedürftigen ausging. Dies kann aber nicht dazu führen, dass andere Personen, die nicht Leistungsempfänger nach dem SGB XII und dem SGB II sind, entgegengehalten werden kann, die Betreuungskosten wären eigentlich im Regelsatz enthalten (LAG Baden-Württemberg 27. 6. 2013 - 4 Ta 11/13, Rn. 19). Umgekehrt: Weil diese (tatsächlich bestehenden) Belastungen trotz eigentlicher Berücksichtigungsfähigkeit nicht in den Regelsatz eingerechnet wurden, sind sie als besondere Belastungen nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO anzuerkennen, wenn diese angefallen sind und nicht vom Träger der Kinder- und Jugendhilfe bereits übernommen wurden.



    c) Dem steht auch nicht entgegen, dass die Kosten der Betreuung in § 34 SGB XII nicht als Sonderbedarfe für Bildung und Teilhabe aufgenommen wurden. Wie bereits oben ausgeführt, handelt es sich bei den Betreuungskosten nicht um einen Sonderbedarf, sondern um einen Regelbedarf, der lediglich nicht im Regelsatz abgebildet wurde (LAG Baden-Württemberg 27. 6. 2013 - 4 Ta 11/13, Rn. 21).



    d) Erforderlich für die Anerkennung als Mehrbedarf iSv. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO ist aber die Angemessenheit des Bedarfs. Kosten für die Betreuung können nur angemessen sein, wenn ein Anspruch auf diese Betreuung, bzw. zumindest eine Förderungsfähigkeit iSv. § 24 SGB VIII besteht (LAG Baden-Württemberg 27. 6. 2013 - 4 Ta 11/13, Rn. 22). Diese Voraussetzungen liegen vor.



    aa) Die vorliegend streitige Kernzeitbetreuung ist eine Tageseinrichtung iSv. § 24 Abs. 4 SGB VIII.



    Tageseinrichtungen werden in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII definiert als Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. Darunter fallen nicht Betreuungen, die rein an schulischen oder schulergänzenden Zwecken orientiert sind (Aufenthalt zur Freizeit oder Hausaufgabenbetreuung). Vielmehr muss die Betreuung der Förderung, Bildung und Erziehung des Kindes dienen, wie es § 22 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB VIII vorschreibt (VGH München 21. 12. 2015 - 12 C 15.2352, Rn. 13). Eine Betreuung, die jedoch die Verbesserung der Organisationsfähigkeit und die Steigerung der sozialen Kompetenz der Schüler bezweckt und darüber hinaus der Unterstützung der Familien beim erzieherischen Prozess und der Lernfähigkeit der Schüler dient, erfüllt die Voraussetzungen der Tageseinrichtungen. Diese Voraussetzungen liegen bei Kernzeitbetreuungen vor, die sich - wie vorliegend - nicht auf die bloße Mittagspausenbetreuung beschränken und im Übrigen z.B. auch in den Ferien angeboten werden (VGH München 21. 12. 2015 - 12 C 15.2352).



    bb) Anders als bei den Kindertageseinrichtungen für noch nicht schulpflichtige Kinder nach § 24 Abs. 2, 3 SGB VIII, besteht auf die Zuweisung eines Betreuungsplatzes in der Kernzeitbetreuung zwar kein subjektiver Rechtsanspruch (OVG Lüneburg 22. 6.i 2017 - 4 PA 128/17, Rn. 10), aber dennoch eine Förderfähigkeit nach § 90 Abs. 3 SGB VIII, wenn der Bedarf tatsächlich gedeckt wird. Dies ist ausreichend.



    cc) Wie sich aus § 22 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII ergibt, sollen Tageseinrichtungen dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können.



    e) Die Klägerin nimmt die Betreuung montags und freitags von 7:15 Uhr bis 14:00 Uhr und dienstags bis donnerstags von 7:15 Uhr bis 16:30 Uhr in Anspruch. Ausweislich der vorgelegten Gebührentabelle der Gemeinde M. fallen hierfür Gebühren iHv. 97,50 Euro (37,50 Euro + 3 x 20,00 Euro) an. Diese sind abzusetzen.



    3. Auch die Kosten der in schulischer Verantwortung stehenden Mittagsverpflegung sind einkommensmindernd berücksichtigungsfähig iSv. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO. Die Angemessenheit der besonderen Belastung ergibt sich daraus, dass diese Belastung auch als Sonderbedarf gemäß § 34 Abs. 6 Nr. 1 SGB XII berücksichtigungsfähig wäre. Nicht zu berücksichtigen ist lediglich der Eigenanteil von 1,00 Euro je Essen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 RBEG (LAG Baden-Württemberg 27. 6. 2013 - 4 Ta 11/13, Rn. 29).



    Ausgehend von durchschnittlich 20 Schultagen pro Woche ist ein Betrag von weiteren 50,00 Euro (20 x 3,50 Euro - 20,00 Euro) abzusetzen.



    4. Eine Kostenentscheidung sowie die Festsetzung eines Gebührenstreitwerts waren im Hinblick auf das Gebührenverzeichnis Nr. 8614 der Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG iVm. § 1 Abs. 2 Nr. 4 GKG entbehrlich.



    Eine Kostenerstattung findet gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht statt.



    5. Gründe für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Abs. 2, 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

    Vorschriften§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO, § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO, §§ 24 Abs. 4, 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 SGB VIII, § 34 SGB XII, § 24 SGB VIII, § 24 Abs. 4 SGB VIII, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, § 22 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB VIII, § 24 Abs. 2, 3 SGB VIII, § 90 Abs. 3 SGB VIII, § 22 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII, § 34 Abs. 6 Nr. 1 SGB XII, § 3 Abs. 2 GKG, § 1 Abs. 2 Nr. 4 GKG, § 127 Abs. 4 ZPO, §§ 78 Abs. 2, 72 Abs. 2 ArbGG