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  • 10.05.2019 · IWW-Abrufnummer 208791

    Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 21.02.2019 – 3 Sa 65/17

    Die Rechtskraft des Urteils in einem Vorprozess, demgemäß eine zum 30.09.2015 ausgesprochene Kündigung vom 24.06.2015 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat, steht einer späteren gerichtlichen Feststellung nicht entgegen, wonach das Arbeitsverhältnis durch eine am 27.04.2017 erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung mit Ablauf des 03.05.2015 als dem Zeitpunkt der faktischen Außerfunktionsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgelöst wurde.


    In der Rechtssache
    - Kläger/Berufungskläger/Berufungsbeklagter -
    Proz.-Bev.:
    gegen
    - Beklagte/Berufungsklägerin/Berufungsbeklagte -
    Proz.-Bev.:
    hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Oesterle, den ehrenamtlichen Richter Blaettner und den ehrenamtlichen Richter Gulde auf die mündliche Verhandlung vom 13.12.2018
    für Recht erkannt:

    Tenor:
    I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 19. Oktober 2017 - 27 Ca 80/17 - teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.


    II. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 19. Oktober 2017 - 27 Ca 80/17 - wird zurückgewiesen.


    III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.


    IV. Für den Kläger wird die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten um den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses über den 3. Mai 2015 hinaus. Der Kläger hat außerdem einen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt.



    Der am XX.XX.19XX in M. geborene, ledige Kläger hatte sich am 1. Oktober 2014 per E-Mail auf eine Stellenanzeige (Bl. 222 f der ArbG-Akte) der Beklagten, die Feuerwehrfahrzeuge und feuerwehrtechnisches Zubehör produziert und mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, beworben. Im Rahmen seiner Bewerbung reichte der Kläger einen Lebenslauf (Bl. 163 bis 165 der ArbG-Akte) ein und füllte einen Personalbogen (Bl. 166 der ArbG-Akte) aus. Eine Mitarbeiterin der Personalabteilung der Beklagten führte mit dem Kläger als einem von drei aus zuvor fünf bis sechs Bewerbern im Oktober 2014 ein Telefon- und am 5. November 2014 ein Skype-Interview, worin die einzelnen Stationen des Lebenslaufs des Klägers und die dadurch erlangte Berufs- und Führungserfahrung ausführlich thematisiert wurden. Für die Einstellung des Klägers schlussendlich ausschlaggebend waren die angegebenen zusätzlichen Erfahrungen im Ausland und die damit verbundenen Kenntnisse aus den Jahren 1998 bis 2006. Dadurch setzte sich der Kläger letztlich gegen einen weiteren Bewerber durch. Die Einstellung des Klägers erfolgte auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 27. November 2014 (Bl. 7 bis 14 der ArbG-Akte) zum 1. Dezember 2014 als Group IT-Direktor zu einem Monatsgehalt von 8.000,00 Euro brutto.



    Die Beklagte kündigte das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis erstmals mit Schreiben vom 6. Mai 2015 zum 20. Mai 2015 und sodann nochmals mit Schreiben vom 24. Juni 2015 zum 30. September 2015. Auf die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht Stuttgart - Kammern Aalen - durch Urteil vom 25. Februar 2016 (Aktenzeichen 27 Ca 227/15) die Unwirksamkeit der Kündigung vom 6. Mai 2015 fest und wies die Klage gegen die weitere Kündigung vom 24. Juni 2015 ab. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers änderte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die arbeitsgerichtliche Entscheidung durch Urteil vom 8. Februar 2017 (Aktenzeichen 2 Sa 35/16) ab und stellte - inzwischen rechtskräftig - fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die Kündigung vom 24. Juni 2015 nicht aufgelöst wurde. Der Kläger war vom 4. Mai 2015 bis 13. Mai 2015 arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 14. Mai 2015 stellte die Beklagte den Kläger von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung frei. Er hat seitdem seine Tätigkeit für die Beklagte nicht mehr aufgenommen. Die Beklagte leistete bis einschließlich September 2015 Vergütungszahlungen an den Kläger. Der Kläger, der einen Grad der Behinderung von 30 aufweist, stellte am 8. Februar 2017 einen Gleichstellungsantrag, dem am 19. April 2017 rückwirkend zum Zeitpunkt der Antragstellung stattgegeben wurde.



    Mit Schreiben vom 22. Februar 2017 forderte die Beklagte den Kläger auf, ab dem 27. Februar 2017 zur Arbeit zu erscheinen. Als dieser aufforderungsgemäß erschien, wurde ihm ein auf den 24. Februar 2017 datiertes Schreiben (Bl. 16 der ArbG-Akte) übergeben, in dem die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut zum 31. Mai 2017 kündigte. Die Beklagte forderte den Kläger sodann noch am 27. Februar 2017 auf, das Betriebsgelände zu verlassen, und stellte ihn bis zum 31. Mai 2017 unwiderruflich von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung frei. Ein weiteres Exemplar des Kündigungsschreibens vom 24. Februar 2017 ging dem Kläger am 28. Februar 2017 per Post zu.



    Im Hinblick auf das Gebaren des Klägers in den geführten Rechtsstreiten, die unterschiedliche Schreibweise des Nachnamens des Klägers in den vorgelegten Unterlagen und den Umstand, dass der Kläger im Gespräch mit dem Personalleiter W. der Beklagten das Abschlussjahr seines Studiums mit 1997, in späteren Schreiben mit 2001 angegeben hatte, kamen bei der Beklagten Zweifel an der Echtheit des vorgelegten Universitätsabschlusszeugnisses des Klägers auf. Im Rahmen ihrer Recherchen stieß die Beklagte auf ein im Internet zugängliches Degree Verify Certificate, das einen Studienbeginn des Klägers im Jahr 1996 auswies. Damit konfrontiert, gab der Kläger an, dass es sich bezüglich des im Lebenslauf und im Personalfragebogen angegebenen Jahrs des Studienabschlusses mit 1997 um einen bloßen Datumsfehler handele und das Abschlussjahr richtigerweise 2001 gewesen sei. Mit Schreiben vom 27. Februar 2017 (Bl. 18 f der ArbG-Akte) an den Prozessbevollmächtigten des Klägers wies die Beklagte u. a. darauf hin, dass im Lebenslauf des Klägers Ungereimtheiten aufgefallen seien, und bat zur Verifizierung von dessen tatsächlicher Qualifikation um Übersendung der Zeugnisse in notariell beglaubigter Abschrift insbesondere hinsichtlich der Zeiten, in denen der Kläger bei der University of S. F. eingeschrieben war. Bei einer Recherche im Internet, bei der die Beklagte die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in einem Schreiben vom 23. März 2017 mitgeteilten Informationen nutzte, dass der Kläger im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit in M. P. K. tätig gewesen war und in L. G. gelebt hatte, stieß die Beklagte auf einen Zeitungsartikel des S. F. C. vom 12. Oktober 2003, wegen dessen Wortlauts auf Bl. 97 der LAG-Akte Bezug genommen wird.



    Mit Schreiben vom 19. April 2017 (Bl. 144 bis 146 der ArbG-Akte) hörte die Beklagte den Kläger zum Ergebnis ihrer Nachforschungen an. Eine Äußerung des Klägers erfolgte nicht. Gleichzeitig forderte sie in den USA ein "Criminal Background Summery" über den Kläger an, wegen dessen Inhalts auf Bl. 151 bis 154 der ArbG-Akte verwiesen wird.



    Mit Schreiben vom 27. April 2017 (Bl. 72 f der ArbG-Akte) focht die Beklagte ihr Arbeitsvertragsangebot vom 27. November 2014 wegen arglistiger Täuschung über Vorbeschäftigungen und Verschweigens einer schwerwiegenden Straftat im IT-Bereich an. Mit Schreiben vom 28. April 2017 (Bl. 172 bis 179 der ArbG-Akte) hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgerechten Tat- und Verdachtskündigung zum 31. August 2017 an, der der Betriebsrat am 3. Mai 2017 zustimmte. Mit Schreiben vom 3. Mai 2017 (Bl. 74 der ArbG-Akte) erklärte die Beklagte die außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31. August 2017 des mit dem Kläger begründeten Arbeitsverhältnisses.



    Der Kläger hat vorgetragen: Die Angaben im Lebenslauf seien bis auf den Datumsfehler zutreffend. Er möge zwar ein sog. Vollzeitstudium von 1996 bis 2001 absolviert haben, er sei in dieser Zeit aber dennoch in Vollzeit berufstätig gewesen. Das Vollzeitstudium habe er von 1996 bis 1999 neben der täglichen Arbeit in den Abendstunden erfolgreich beenden können. Zwischen 1999 und 2001 habe er gar nicht studiert, weil ihm zum Abschluss nur eine Prüfung gefehlt habe, die er im Oktober 2001 absolviert habe. Er habe sich im Zeitpunkt der Bewerbung gegenüber privaten Arbeitgebern als unbestraft bezeichnen dürfen, und sein Führungszeugnis enthalte keine Eintragungen.



    Die Beklagte zeige weiterhin ein skrupelloses Verhalten, das sie in der Vergangenheit schon des Öfteren an den Tag gelegt habe. Sie sei nämlich im Jahr 2011 wegen Mitwirkung an einem Kartell mit einem Bußgeld in Höhe von 8 Millionen Euro bestraft worden. Der von einem privaten Dienstleister im Ausland bezogene Backgroundcheck dürfe gem. 15 US Code § 1681b nur mit der ausdrücklichen Einwilligung des Betroffenen durchgeführt werden. Ein Backgroundcheck dürfe auch lediglich über einen Zeitraum von sieben Jahren angefertigt werden. Die eingeholten Erkundigungen seien unverhältnismäßig und verletzten die schutzwürdigen Interessen des Klägers erheblich. Es sei problemlos belegbar, dass der Kläger nicht von Januar 2004 bis Dezember 2006 im Gefängnis gewesen sein könne. Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Klägervortrags wird auf Bl. 202 der ArbG-Akte Bezug genommen. Die Angaben im Backgroundcheck zu mehreren angeblichen Adressen des Klägers seien widersprüchlich. So solle er beispielsweise von Januar 2004 bis Dezember 2006 gleichzeitig in N. Y. C. und in L. A. gewohnt haben, während er nebenher auch noch im Gefängnis gewesen wäre. Der Kläger wohne seit Anfang 2006 in M. und seit Ende 2011 in D. Selbst wenn man die Jahre 2004 bis 2006 unberücksichtigt ließe, erfülle er die Anforderungen in der Stellenanzeige der Beklagten, nämlich sieben Jahre Erfahrung in der IT Branche, wovon mindestens drei Jahre mit Führungserfahrung sein müssten. Im Übrigen seien die angeblichen Vorstrafen nicht einschlägig für eine Beschäftigung bei der Beklagten.



    Der Kläger hat beantragt:

    1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung(en) der Beklagten vom 24. Februar 2017 beendet wurde. 2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Group IT Direktor weiterzubeschäftigen. 3. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 3. Mai 2017 beendet wurde. 4. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung der Beklagten vom 3. Mai 2017 beendet wurde. 5. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, insbesondere nicht aufgrund der Anfechtung der Beklagten vom 27. April 2017.



    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.



    Sie hat vorgetragen: Der Kläger sei ursprünglich für die neu geschaffene Position des G. IT Direktors eingestellt worden, weil sie versucht habe, im IT Bereich Synergien zwischen den einzelnen Z.-Gesellschaften aufzubauen. Im 1. Halbjahr 2015 habe sie allerdings festgestellt, dass die IT-Prozesse am Standort G. nicht derart funktionsfähig gewesen seien, dass sie auf andere Unternehmen der Z.-Gruppe übertragen werden konnten. Folglich sei der Beschluss gefasst worden, dass es der Group-Direktoren (noch) nicht bedürfe, weshalb dem Kläger gekündigt worden sei. Im Hinblick auf das arbeitsgerichtliche Urteil vom 25. Februar 2016 sei sie davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. September 2015 ende. Nachdem dann durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 8. Februar 2017 festgestanden habe, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger doch nicht zum 30. September 2015 endete, habe sie erneut ihre Situation in der Z.-Gruppe bezüglich der Position der Group-Direktoren überprüft. In einer Geschäftsleitungssitzung vom 15. Februar 2017 sei sodann der Beschluss gefasst worden, dass an der Streichung der Stelle des Group IT Direktors nach wie vor festgehalten werde. Am 21. Februar 2017 habe die Geschäftsführung den Beschluss gefasst, den Kläger aus betriebsbedingten Gründen zu kündigen. Der Betriebsrat sei mit Schreiben vom 16. Februar 2017 (Bl. 56 bis 58 der ArbG-Akte) zur Kündigungsabsicht angehört worden und habe lt. Stellungnahme vom 22. Februar 2017 (Bl. 59 der ArbG-Akte) beschlossen, sich nicht zu äußern. Einer Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung vom 24. Februar 2017 habe es nicht bedurft, da der Gleichstellungsantrag weniger als drei Wochen vor Kündigungszugang gestellt worden sei.



    Nach dem Criminal Background Summery stehe fest, dass der Kläger eine massive Straftat im IT-Bereich begangen habe, die da laute "beabsichtigtes Schadenszufügen zu einem Computer", "unautorisierter Zugang zu einem Computer mit rücksichtsloser Verursachung eines Schadens und versuchte Inbesitznahme eines gestohlenen Geschäftsgeheimnisses". Deshalb sei der Kläger von Januar 2004 bis Dezember 2006 im Dept of Corrections in St. J. in K. inhaftiert gewesen. Das Hacken eines Computers beim damaligen Auftraggeber nach Erhalt der Kündigung sei ein Umstand, der für die Eignung des Klägers für den Arbeitsplatz des Group IT Direktors von erheblicher Bedeutung sei, da dem Kläger in dieser Position erhebliches Vertrauen entgegengebracht werde. Hätte die Beklagte diesen Umstand gekannt, hätte sie den Kläger nicht eingestellt und schon gar nicht als Group IT Direktor. Diesbezüglich habe auch eine Offenbarungspflicht des Klägers ihr gegenüber bestanden. Die Falschangaben des Klägers hätten offensichtlich allein dem Zweck gedient, seinen Gefängnisaufenthalt zu verschleiern. Wenn der Kläger darauf abstelle, seit dem Jahr 2000 Berufserfahrung in leitenden Positionen aufzuweisen, möge er näher erläutern, welche leitende Position er im Rahmen seines Gefängnisaufenthalts von 2004 bis 2006 inne gehabt habe. Der Kläger habe angegeben, von 06/2001 bis 08/2006 bei Zx. in einem Arbeitsverhältnis gestanden und die technische Leitung und Aufsicht der Architektur und Anwendungslösungen inne gehabt zu haben. Er möge erläutern, wie er das vom Gefängnis aus gemacht habe.



    Dass der Kläger sowohl im Personalfragebogen als auch im Lebenslauf versehentlich den Zeitraum seines Studiums mit 1992 bis 1997 angegeben habe, sei insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil es sich um sein eigenes Studium handele. Vielmehr sei anzunehmen, dass der Kläger auf diese Weise versuche, die durch seine Flucht nach S. bedingte zeitliche Lücke in seinem Lebenslauf zu schließen. Wenn er nun vortrage, dass er seit Anfang 2006 in M. wohne, könne er aber entgegen seinem Lebenslauf nicht bis ins Jahr 2007 bei Zx. in S. J. als IT Manager gearbeitet haben. Auch die anderen in seinem Lebenslauf angegebenen Stationen zumindest zwischen 1998 und 2006 seien erfunden. Bis heute habe der Kläger nicht ein Zeugnis für diesen Zeitraum vorlegen können. Dass sich die Zeugnisse in M. befänden, sei nicht glaubhaft. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Kläger mit dem Ziel der Arbeitsplatzsuche nach D. gezogen sei, ohne Zeugnisse - zumindest in elektronischer Form - mitzunehmen. Hiermit sei auch die Behauptung des Klägers, er habe seit dem Jahr 2000 leitende Funktionen ausgeübt, widerlegt. Für die Beklagte stehe weiterhin fest, dass es sich beim Kläger um den von Januar 2004 bis Dezember 2006 im Dept of Corrections S. J. K. inhaftierten N. R. handele, was sich auch aus dem offiziellen elektronischen Gerichtsauszug des entsprechenden Strafverfahrens (Bl. 281 bis 286 der ArbG-Akte) ergebe.



    Der als Tat-, hilfsweise als Verdachtskündigung ausgesprochenen Kündigung vom 4. Mai 2017 liege der Sachverhalt zugrunde, weshalb dem Kläger bereits die Anfechtung erklärt worden sei. Nachdem es sich um eine schwerwiegende Vertragsverletzung im Vertrauensbereich handele, sei eine Abmahnung entbehrlich.



    Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19. Oktober 2017 unter Klageabweisung im Übrigen festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Anfechtung der Beklagten vom 27. April 2017 und nicht durch die Kündigungen der Beklagten vom 3. Mai 2017 beendet wurde, und zur Begründung ausgeführt: Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei nicht durch die Anfechtung vom 27. April 2017 rückwirkend zum 4. Mai 2015 beendet worden. Der Kläger sei - die Vorwürfe der Beklagten als wahr unterstellt - nicht verpflichtet gewesen, eine etwaige Haftstrafe sowie die der Verurteilung zugrunde liegende Straftat aus dem Jahr 1998 zu offenbaren. Denn nach den insoweit zumindest entsprechend heranzuziehenden gesetzlichen Regelungen über das Bundeszentralregister sei der Kläger berechtigt gewesen, sich ca. acht Jahre nach Verbüßung einer etwaigen Freiheitsstrafe und 16 Jahre nach dem angeblichen Begehen der Straftat als nicht vorbestraft zu bezeichnen. Eine entsprechende Offenbarungspflicht sei zu verneinen. Eine solche würde allenfalls dann bestehen, wenn der Kläger aufgrund der ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe ungeeignet für die zu besetzende Position wäre. Eine fachliche Ungeeignetheit des Klägers liege nicht vor, überdies sei auch eine charakterliche Ungeeignetheit zu verneinen. Denn ein bereits fast 20 Jahre zurückliegender Vorfall, auch wenn er in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit im IT-Bereich stehe, könne nicht dazu führen, dass ab diesem Zeitpunkt eine weitere Tätigkeit des Klägers in dem Bereich, für den er ausgebildet wurde und in dem er durchaus erfolgreich tätig gewesen sei, ausgeschlossen sein solle. Wenn ein Arbeitnehmer über die Frist im Bundeszentralregister hinaus bis zum Ende seines Berufslebens bei jeder Bewerbung einen bereits lange zurückliegenden Fehltritt offenbaren müsste, würde diesem für immer die berufliche Zukunft verbaut. Entsprechendes gelte für die Angaben im Lebenslauf während der Zeit einer etwaigen Haftstrafe. Auch insoweit würde das Recht des Klägers, eine Vorstrafe zu verschweigen, ad absurdum geführt, wenn er gleichzeitig im Lebenslauf genaue Angaben zu einer etwaigen Haftstrafe machen müsste. Dass der Kläger bei Zx. in S. J. möglicherweise nur zweieinhalb anstelle von rund fünf Jahren beschäftigt gewesen sei, rechtfertige die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses nicht. Denn die Anforderungen in der Stellenausschreibung - sieben Jahre Erfahrung im IT-Bereich, davon mindestens drei Jahre Führungsaufgaben - würden jedenfalls erfüllt.



    Entsprechendes gelte im Hinblick auf die Wirksamkeit der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 3. Mai 2017. Die gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe rechtfertigten auch bei ihrem Zutreffen weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Tatkündigung. Der Verdacht einer Tat, die bereits als solche kündigungsrechtlich nicht relevant sei, vermöge auch eine Verdachtskündigung nicht zu rechtfertigen.



    Die betriebsbedingte Kündigung vom 24. Februar 2017 zum 31. Mai 2017 sei wirksam. Mit dem schriftlich fixierten und damit bestätigten Beschluss der Geschäftsleitung vom 15. Juni 2015, wonach die Stelle des Group IT Direktors gestrichen werden sollte, sei eine neue unternehmerische Entscheidung getroffen worden, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers geführt habe. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger bestünden nicht, Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung seien nicht ersichtlich. Der allgemeine Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers sei im Hinblick auf sein Unterliegen mit der Kündigungsschutzklage gegen die betriebsbedingte Kündigung abzuweisen.



    Das Urteil des Arbeitsgerichts vom 19. Oktober 2017 wurde dem Kläger am 25. Oktober 2017 und der Beklagten am 26. Oktober 2017 zugestellt. Einen Berichtigungsbeschluss vom 18. Dezember 2017 (Bl. 331 f der ArbG-Akte), der Ziffer 2 des Urteilstenors betraf, wurde beiden Parteien am 21. Dezember 2017 zugestellt.



    Gegen das arbeitsgerichtliche Urteil haben der Kläger am 9. November 2017 und die Beklagte am 16. November 2017 Berufung eingelegt. Die eingelegten Berufungen wurden seitens des Klägers am 23. November 2017, seitens der Beklagten nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 22. Januar 2018 am 22. Januar 2018 begründet.



    Die Beklagte trägt vor: Aufgrund der vom Kläger im Hinblick auf die Studiendauer gemachten unrichtigen Angaben - wie vom Kläger selbst bestätigt - hätten erhebliche Zweifel daran bestanden, dass die vom Kläger im Lebenslauf angegebenen Daten tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Deshalb habe die Beklagte von einem Eingehungsbetrug zu ihren Lasten ausgehen müssen. Dies sei noch durch den Inhalt des Zeitungsartikels, die begangene Straftat und die verbüßte Gefängnisstrafe verstärkt worden, woraufhin die Beklagte eine weitergehende Recherche angestellt habe. Eine andere Möglichkeit der Informationsgewinnung sei nicht ersichtlich, die Datenerhebung auf diesem Wege somit erforderlich gewesen. Der dargestellte Sachverhalt bestätige, dass der Kläger ein einschlägig verurteilter Straftäter und die Angaben im Lebenslauf gefälscht seien. Der Kläger weise nicht im Ansatz die angegebene Berufserfahrung auf. Selbst wenn er ohne die auf den Zeitraum des Gefängnisaufenthalts und der Flucht fallenden gefälschten Stationen die in der Stellenbeschreibung als Mindestmaß geforderte Berufs- und Führungserfahrung vorweisen könnte, seien es doch gerade diese zusätzliche Erfahrung im Ausland und die damit verbundenen Kenntnisse in den auf den "gefälschten" Zeitraum fallenden Stationen gewesen, die für die Einstellung ausschlaggebend gewesen seien, denn dadurch habe sich der Kläger letztlich gegen einen weiteren Bewerber durchgesetzt. Bezüglich der für die ausgeschriebene Position einschlägigen schwerwiegenden Straftat habe eine Offenbarungspflicht des Klägers bestanden. Die Anfechtung sei überdies auch aufgrund der Vorlage des nicht den Tatsachen entsprechenden Lebenslaufs begründet, der eine schriftliche Lüge darstelle. Ein Lebenslauf sei nichts anderes als eine vorweggenommene verschriftlichte Antwort auf Fragen, die der Arbeitgeber hätte zulässigerweise stellen können. Er sei Gesprächs- und wichtigste Bewerbungsgrundlage. Ein Arbeitgeber sei berechtigt, sich bei dem Bewerber nach dem beruflichen Werdegang zu erkundigen und Detailfragen zu stellen - gerade dies ermögliche es dem Arbeitgeber, aus potenziellen Kandidaten den richtigen zu wählen. Der Kläger habe es nicht nur unterlassen, die von ihm verbüßte Gefängnisstrafe anzugeben, sondern er habe diese auch durch frei erfundene berufliche Stationen ersetzt. Der Kläger habe nicht einmal ein Zeugnis einer auf diesen Zeitraum fallenden Station zu seiner Entlastung vorlegen können. Es könne nicht zulässig sein, Berufserfahrung zu erfinden, die den Bewerber letztlich besser und geeigneter erscheinen lasse, als er tatsächlich sei. Überdies habe der Kläger die Beklagte auch durch Bestätigung der falschen Angaben im Lebenslauf im Bewerbungsgespräch getäuscht, um diese dazu zu bewegen, ein Arbeitsverhältnis mit ihm abzuschließen.



    Die zur Begründung der Anfechtung herangezogenen Daten seien im vorliegenden Prozess verwertbar. Dem deutschen Zivilprozessrecht sei ein Beweisverwertungsverbot grundsätzlich fremd. Die Daten seien Inhalt der vom Kläger im Bewerbungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen. Im Übrigen seien sie aus öffentlich zugänglichen Registern im Wege eines auch in den USA ordnungsgemäßen Prozesses erlangt. Des Weiteren seien sog. Backgroundchecks über zulässige Fragen wie den beruflichen Werdegang rechtmäßig. Ungeachtet dessen sei die Datenerhebung auch gem. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aF gerechtfertigt, da Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat eines Bewerbers gem. § 3 Abs. 11 Nr. 7 BDSG aF gegeben gewesen seien.



    Da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien seit dem 4. Mai 2015 außer Vollzug gesetzt worden sei, wirke die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auf diesen Zeitpunkt zurück. Die Rechtskraft des Urteils des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg im Verfahren 2 Sa 35/16 erstrecke sich nicht auf die Anfechtungsgründe. Diese könnten unabhängig davon mit der Anfechtung geltend gemacht werden und führten zur rückwirkenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Rechtsprechung zum erweiterten punktuellen Streitgegenstand sei aus der Frage der Rechtzeitigkeit einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG entwickelt worden. Die Frage der Wirksamkeit einer Anfechtung sei hiervon nicht erfasst und auch von der Rechtsprechung nicht thematisiert worden. Auch nach Sinn und Zweck scheide es aus, die Rechtskraft einer Entscheidung in einem Kündigungsschutzprozess auf Umstände zu erstrecken, die zu einem späteren Zeitpunkt eine Anfechtung begründen, selbst wenn sich die Rechtsfolge der Anfechtung auf den bereits ausgeurteilten Zeitraum erstrecke. Der Kläger selbst habe den Streitgegenstand und eben die Rechtskraft der Urteile punktuell nur auf die angegriffenen Kündigungen begrenzt.



    Hilfsweise werde die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 2017 gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, beantragt. Die Beklagte habe - was vom Kläger im Termin vom 13. Dezember 2018 auch unstreitig gestellt worden ist - weder an einem Kartell mitgewirkt noch seien ihr gegenüber Bußgelder verhängt worden. Es sei auch nicht ersichtlich, in welchem Zusammenhang die diesbezüglichen Anschuldigungen zur Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehen sollten. Auch die vom Kläger gegen Organe und Mitarbeiter der Beklagten erstatteten Strafanzeigen und Anzeigen wegen angeblichen Datenschutzverstößen sowie die Diffamierungen in dem zum Aktenzeichen 3 Sa 67/17 eingereichten Schriftsatz vom 21. November 2018 zeigten, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien derart zerrüttet sei, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht mehr erwartet werden könne.



    Die Beklagte beantragt:

    1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kn. Aalen - vom 19. Oktober 2017 wird insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen, als das Arbeitsgericht in Ziff. 1 des Tenors festgestellt hat, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Anfechtung der Beklagten vom 27. April 2017 beendet wurde, 2. hilfsweise, für den Fall der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Berufungsbeklagten vom 24. Februar 2017 beendet wurde, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zum 31. Mai 2017 aufzulösen.



    Der Kläger beantragt,

    die Berufung der Beklagten einschließlich des nunmehr hilfsweise gestellten Auflösungsantrags zurückzuweisen.



    Er beantragt seinerseits:

    Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kn. Aalen - vom 19. Oktober 2017, Az. 27 Ca 80/17 - wird teilweise abgeändert und es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis über den 3. Mai 2015 hinaus fortbesteht und insbesondere auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 24. Februar 2017, die außerordentliche Kündigung vom 3. Mai 2017 sowie die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 3. Mai 2017 beendet wurde.



    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung des Klägers zurückzuweisen.



    Der Kläger trägt vor: Der Zeitungsartikel aus dem S. F. C. sei "unzuverlässig". Wegen der Einzelheiten des Klägervortrags hierzu wird auf den Schriftsatz vom 14. Februar 2019 verwiesen. Der Backgroundcheck sei das Ergebnis einer Recherche durch einen privaten Dienstleister. Die Beklagte hätte nach 15 USC § 1861b zunächst eine Einwilligungserklärung des Klägers einholen, ihn über seine Rechte belehren, dem amerikanischen Dienstleister diese Einwilligungserklärung vorlegen und zusätzlich versichern müssen, dass die Einwilligung gültig ist und vom Kläger stammt. Erst dann dürfe ein Backgroundcheck überhaupt angefertigt werden. S. 1786.18 des C. C. C. ziehe - auch für den ohnehin nicht vorliegenden Fall einer Einwilligung - eine "Zeitgrenze" von sieben Jahren betreffend Vorstrafen. Kalifornisches Zivilrecht sei anwendbar, weil der US-Dienstleister dort seinen Sitz habe und die Daten daher dort erhoben und verarbeitet würden. Der US-Dienstleister habe sich bewusst über das geltende Gesetz hinweggesetzt. Mithin liege ein erheblicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers vor, weshalb ein Beweisverwertungsverbot bestehe.



    In der deutschen als der Hauptversion seines Lebenslaufs (Bl. 292 bis 294 der LAG-Akte) sei als Enddatum der Tätigkeit bei Zx. das Jahr 2006 genannt und nur in der englischen Version das Jahr 2007.



    Das "Degree Verify Certificate" sei keine im Internet öffentlich zugängliche Datei, sondern das Ergebnis einer Recherche durch einen privaten Dienstleister, für die die Beklagte eine Gebühr von 27,50 US Dollar bezahlt habe. Es handle sich somit um personenbezogene private Daten, die nach §§ 4a, 13 BDSG aF eine Einwilligungserklärung des Betroffenen erforderten.



    Der Kläger sei Chief Technical Officer der Zx. und in den Jahren 2002 bis 2006 deren Agent of Service gewesen. Ein solcher sei ein Leitungsorgan der Firma, das für den Empfang von Schreiben von offiziellen Stellen sowie anderer rechtlich relevanter Dokumente verantwortlich sei und dafür auch eine persönliche Haftung übernehme. Selbst wenn sich der Kläger in eine "höhere Bewerbergruppe" betrogen hätte, wäre er mit seinen hochrangigen Abschlüssen und Zertifikaten so oder so in der höchsten Bewerbergruppe gelandet. Es werde bestritten, dass der andere Bewerber überhaupt zu einem der Beklagten passenden Zeitpunkt hätte anfangen können und dass dieser Bewerber ein Jobangebot überhaupt angenommen hätte. Die Beklagte habe ein Recht zur Anfechtung auch verwirkt.



    Die Gründe, die die Beklagte für ihre Kündigung vom 24. Februar 2017 anführe, hätten schon der Kündigung vom 24. Juni 2015 zugrunde gelegen, die das Landesarbeitsgericht für unwirksam erklärt habe. Bei der Kündigung vom 24. Februar 2017 handle es sich um eine reine Wiederholungskündigung, der die Rechtskraft des Urteils des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 8. Februar 2017 entgegenstehe.



    Die Strafanzeigen des Klägers hätten allesamt ihre Berechtigung. Wegen der Einzelheiten des Vortrags des Klägers hierzu wird auf Bl. 549 bis 551 der LAG-Akte verwiesen.



    Die Beklagte erwidert: Der Kläger liefere keine fundierte rechtliche Begründung für die Anwendbarkeit amerikanischen oder Landesrechts des Staates Kalifornien. Maßgeblich sei allein die Rechtslage in Deutschland. Die etwaige Zahlung einer Gebühr werde lediglich für den Service einer Beschaffung der Daten durch Dritte entrichtet, die Informationen selbst seien jedoch grundsätzlich für jeden zugänglich. Die Verarbeitung personenbezogener Daten sei vorliegend auch im Hinblick auf § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF gerechtfertigt. Die vom Kläger nunmehr vorgelegten Quittungen und Mitgliedsausweise, deren Echtheit bestritten werde, würden allenfalls dafür sprechen, dass sich der Kläger - wenn überhaupt - erst ab September 2006 in Freiheit oder auf Freigang befunden habe. Es sei sicherlich möglich und auch üblich, dass die Haftzeit unwesentlich verkürzt werde. Zx. sei lediglich ein Deckmantel für den Gefängnisaufenthalt des Klägers. Bis August 2006 wolle er dort tätig gewesen sein. Ab September 2006 tauchten "Beweise" für sein Leben in Freiheit auf. Die Beklagte bestreite nicht nur einzelne Angaben im Lebenslauf, sondern den Werdegang des Klägers insgesamt. Wenn der Kläger betone, dass ihm über Gebühr Kosten und Aufwand abverlangt worden seien, stelle sich die Frage, warum er nicht einfach Zeugnisse über die im Lebenslauf angeführten und behaupteten Stationen vorlege.



    Eine Wiederholungskündigung sei nicht gegeben, denn das Landesarbeitsgericht habe die Kündigung vom 24. Juni 2015 allein aus formellen Gesichtspunkten als unwirksam erachtet und das Vorliegen der übrigen Kündigungsvoraussetzungen ausdrücklich offengelassen. Ohnehin sei eine neue unternehmerische Entscheidung auf neuer Tatsachengrundlage getroffen und die Kündigung mithin auf einen eigenständigen Sachverhalt gestützt worden.



    Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird gem. § 64 Abs. 7 ArbGG iVm § 313 Abs. 3 Satz 2 ZPO auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der Termine zur mündlichen Verhandlung in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



    Mit Schreiben vom 22. September 2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut ordentlich zum 31. Dezember 2017. Die hiergegen unter dem Aktenzeichen 27 Ca 312/17 beim Arbeitsgericht Stuttgart - Kammern Aalen - erhobene Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 18. Mai 2018 wegen Vorgreiflichkeit des hiesigen Verfahrens gem. § 148 ZPO ausgesetzt.



    Die Berufungskammer hat die Akten des vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen 2 Sa 35/16 geführten Rechtsstreits zu Informationszwecken insbesondere hinsichtlich des dort zur Entscheidung gestellten Streitgegenstandes beigezogen.



    Entscheidungsgründe



    A.



    Die gem. § 64 Abs. 2 lit. c) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG iVm §§ 519, 520 ZPO) Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg. Die gleichfalls zulässige Berufung des Klägers war hingegen zurückzuweisen.



    B.



    Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil des Arbeitsgerichts vom 19. Oktober 2017 teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen. Denn das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die wirksam erklärte Anfechtung der Beklagten vom 27. April 2017 rückwirkend zum Ablauf des 3. Mai 2015 beendet.



    I.



    Die Beklagte war zur Anfechtung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, da sie vom Kläger arglistig getäuscht worden ist, § 123 Abs. 1 BGB.



    1. Grundsätzlich kann ein Arbeitsvertrag durch Anfechtung gem. § 123 BGB beendet werden. Das Anfechtungsrecht wird nicht durch das Recht zur außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung verdrängt, vielmehr kann ein und derselbe Sachverhalt sowohl zur Anfechtung als auch zur außerordentlichen und ordentlichen Kündigung berechtigen (BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5). Bei der Anfechtung und der Kündigung handelt es sich um zwei unterschiedliche Rechtsinstitute. Während die Kündigung das Arbeitsverhältnis frühestens mit dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung beenden kann, wirkt die Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB grundsätzlich zurück (LAG Hamm 28. August 2015 - 18 Sa 335/15 - juris). Der Tatbestand der arglistigen Täuschung setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst. Die Täuschung muss sich auf objektiv nachprüfbare Umstände beziehen; subjektive Werturteile genügen nicht. Die Täuschung kann durch positives Tun, also insbesondere durch Behaupten, Unterdrücken oder Entstellen von Tatsachen erfolgen. Sie kann aber auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zur Offenbarung der fraglichen Tatsache verpflichtet ist. Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen. Wird der Arbeitnehmer bei der Einstellung nach dem Vorliegen einer bestimmten Tatsache befragt, so ist er, falls die Frage zulässig ist, zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet. Ein Fragerecht wird dem Arbeitgeber im Allgemeinen nur insoweit zugestanden, als er ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das Arbeitsverhältnis hat (BAG 11. November 1993 - 2 AZR 467/93 - NJW 1994, 1363).



    2.



    a) Ausgehend von diesen Grundsätzen kann die Beklagte die Anfechtung nicht auf den Umstand stützen, dass der Kläger im Jahr 1998 eine Straftat im IT-Bereich begangen und deshalb von 2004 bis 2006 eine dreijährige Freiheitsstrafe in den USA verbüßt habe. Denn eine Offenbarungspflicht bezüglich dieses - zugunsten der Beklagten als gegeben unterstellten - Umstands bestand für den Kläger beim Bewerbungsverfahren im Jahr 2014 nicht mehr. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger einen entsprechenden Sachverhalt wegen Ablaufs der Tilgungsfristen nach dem Bundeszentralregistergesetz nicht mehr offenbaren müssen. An der Offenbarung getilgter oder tilgungsreifer Vorstrafen hat der Arbeitgeber kein berechtigtes Interesse. Auf diese Weise soll der Verurteilte vom Strafmakel befreit und seine Resozialisierung gefördert oder manifestiert werden. Das Verbot erfasst alle Bereiche des Rechtslebens. Es ist auch im privatrechtlichen Bereich zu achten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1071/12 - BAGE 147, 358).



    Diesbezüglich scheidet auch eine Anfechtung wegen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft des Klägers nach § 119 Abs. 2 Alt. 1 BGB aus, auch wenn eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung die Anfechtung wegen Irrtums an sich nicht ausschließen kann und es dem Anfechtenden grundsätzlich nicht verwehrt ist, sich nachträglich auf diesen Grund zu berufen (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1071/12 - aaO). Weiterhin kann das Bestehen von Vorstrafen - auch wenn sie keine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellen - unter Umständen Rückschlüsse auf charakterliche Eigenschaften zulassen, deren Unkenntnis zur Anfechtung berechtigt, soweit die Vorstrafen einen Bezug zu der vorgesehenen Tätigkeit haben (Lingemann in Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, Anwalts-Formularbuch Arbeitsrecht, 6. Aufl., Kap. 21 Anfechtung Rn. 10). Im vorliegenden Fall ist aber zu beachten, dass der Bewertung der Beklagten, der Kläger sei für die Tätigkeit eines IT Group Direktors nicht geeignet bzw. unzuverlässig, die angeblich vom Kläger begangene Straftat zugrunde liegt. Würde diese zur Grundlage der Beurteilung der Geeignetheit des Klägers für die Position bei der Beklagten gemacht, würden die Wertungen des Bundeszentralregistergesetzes umgangen (vgl. Walker/Schmitt-Kästner, RdA 2015, 121, 123).



    b) Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist aber berechtigt, weil der Kläger unzutreffende Angaben über seinen beruflichen Werdegang gemacht und dies die Beklagte zu seiner Einstellung veranlasst hat.



    aa) Fragen nach der Ausbildung, Qualifikationen und dem beruflichen Werdegang einschließlich Aus- und Weiterbildungszeiten sind grundsätzlich zulässig; der Arbeitnehmer ist daher zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach früheren Beschäftigungsverhältnissen und deren Dauer verpflichtet, denn nur hierdurch kann die Eignung für eine vorgesehene Tätigkeit ermittelt werden (LAG Hamm 28. August 2015 - 18 Sa 335/15 - juris; LAG Hessen 1. Dezember 2010 - 2 Sa 687/10 - juris). Die Befragung kann auch durch einen Personalfragebogen erfolgen (Kania in Küttner Personalbuch 24. Aufl. Stichwort Personalauswahl Rn. 9).



    bb) Folglich war die Beklagte berechtigt, im Personalfragebogen nach der Aus- und Weiterbildung des Klägers und seinem beruflichen Werdegang zu fragen. Mit der Beklagten ist davon auszugehen, dass der Kläger im Personalfragebogen und im Lebenslauf wissentlich sachlich unzutreffende Angaben gemacht hat und dass die Beklagte ihn deshalb eingestellt hat. Dies rechtfertigt die innerhalb der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB erfolgte Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung.



    Im Personalfragebogen (Bl. 166 d. ArbG-Akte) hat der Kläger ein Studium der Mathematik und Informatik an der University o. S. F. im Zeitraum von 1992 bis 1997 angegeben. Keine Angaben sind für den Zeitraum von 1997 bis 2001 erfolgt, während sodann Berufstätigkeiten ab 2001 bis 2008 ohne nähere zeitliche Eingrenzung zuletzt bei Zx. als IT Manager, zuvor bei V. S. als IT Projektmanager und bei C. S. als Network Architect angeführt wurden. In der nach Angabe des Klägers maßgeblichen deutschen Version seines eingereichten Lebenslaufs (Bl. 163-165 ArbG-Akte) ist dagegen ausgeführt, dass der Kläger von Juni 2001 bis August 2006 bei Zx. und zuvor von Juli 2000 bis Mai 2001 bei V. S. als IT Projektleiter sowie zuvor von Juni 1999 bis Juni 2000 bei C. S. als Senior Netzwerk Ingenieur/Netzwerk Architekt angestellt gewesen sei. Allein schon diese eklatanten Unstimmigkeiten im Werdegang des Klägers, die durch die auf entsprechende Nachfrage gegebene Auskunft des Klägers verstärkt wurden, es handele sich beim Abschlussjahr 1997 um einen "Datumsfehler", rechtfertigen die Annahme der Beklagten, der Kläger habe über seinen beruflichen Werdegang getäuscht. Bei dieser Sachlage wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, seinen beruflichen Werdegang einschließlich Studienzeiten nachvollziehbar und widerspruchsfrei darzulegen und zu belegen. Der Kläger hat sich - obwohl ihn die Berufungskammer in beiden Terminen zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass dies nicht genügt - darauf beschränkt, die Behauptung der Beklagten zu bestreiten und darauf hinzuweisen, dass er sich als nicht vorbestraft bezeichnen dürfe. Somit ist schon nicht ersichtlich, ob der Kläger die in der Stellenausschreibung der Beklagten geforderten sieben Jahre Tätigkeit in der IT Branche überhaupt erfüllt. Angaben zu dem, was er in den Jahren 1992 bis 1997 getan hat, fehlen nunmehr völlig. Hinzukommt, dass er für seine angeblichen beruflichen Tätigkeiten im Zeitraum von 1998 bis 2006 keinen einzigen Beleg in Form eines Zeugnisses, einer Tätigkeitsbescheinigung oder ähnlichem vorgelegt hat. Dass er im Handelsregister als Agent of Services für die Zx. eingetragen war, rechtfertigt nicht den Schluss, dass er für diese Firma als IT Manager tätig war abgesehen davon, dass er auch insoweit immer wieder wechselnde Angaben zum angeblichen Zeitraum einer entsprechenden Tätigkeit gemacht hat. Die Beklagte hat entsprechende Unterlagen mehrfach und bei der gegebenen Sachlage völlig zu Recht (vgl. Hohenstatt/Stamer/Hinrichs NZA 2006, 1065, 1069) beim Kläger angefordert. Zunächst hat der Kläger behauptet, dass sich die Unterlagen in M. befänden und er sie beibringen werde, wenn die Beklagte ihm die Reisekosten vorstrecken würde. Schon diesbezüglich hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass es wenig glaubwürdig erscheint, dass sich der Kläger im Jahr 2011 zur Arbeitssuche nach D. begeben hat, ohne entsprechende Dokumente zumindest in elektronischer Form mit sich zu führen. Das weitere Verhalten des Klägers lässt aber nunmehr nur den Schluss zu, dass es entsprechende Unterlagen nicht gibt, weil der Kläger eine entsprechende Berufstätigkeit nicht ausgeübt hat. Seinem eigenen Vortrag nach ist er im Laufe des Berufungsverfahrens nach M. gereist, um nunmehr ganz überwiegend völlig nichtssagende und nicht beweiskräftige Unterlagen vorlegen zu können, die den behaupteten Gefängnisaufenthalt widerlegen sollen. Warum er diese Gelegenheit nicht genutzt hat, um die seinen Angaben nach doch vorhandenen beweiskräftigen Dokumente zum Beleg der behaupteten Berufstätigkeit ohne zusätzlichen Aufwand und Kosten mitzubringen und vorzulegen, hat er trotz entsprechender Nachfrage des Gerichts nicht erklärt.



    Schon diese Umstände genügen, um die von der Beklagten erklärte Anfechtung ihrer Willenserklärung zum Abschluss des Arbeitsvertrags für gerechtfertigt zu erachten. Es ist, worauf der Kläger mehrfach hingewiesen wurde, nicht ausreichend, die von der Beklagten angestellten Vermutungen hinsichtlich seines Werdegangs als unzutreffend zu bestreiten. Vielmehr hätte es schon aus dem Gesichtspunkt der Sachnähe ihm oblegen, die entsprechenden Daten nachvollziehbar und widerspruchsfrei vorzutragen und zu belegen.



    Selbst wenn der Kläger die in der Stellenausschreibung geforderten beruflichen Mindestanforderungen irgendwann im Laufe seines Berufslebens erfüllt haben sollte - was für die Kammer wie dargelegt nicht ersichtlich ist -, würde die erklärte Anfechtung durchgreifen, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass er die behauptete Führungs- und Auslandserfahrung in den Jahren 1998 bis 2004 gesammelt hat. Dies war aber nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten ausschlaggebend dafür, dass sich der Kläger schlussendlich gegenüber einem weiteren Bewerber durchsetzte.



    Auf die vom Kläger für unzulässig erachteten weiteren Aufklärungsmaßnahmen der Beklagten kommt es demnach für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr an. Der Vollständigkeit halber sei aber darauf hingewiesen, dass der Vortrag des Klägers widersprüchlich ist, wenn er einerseits einen Gefängnisaufenthalt in den Jahren 2004 bis 2006 bestreitet, andererseits die Angaben zu seiner angeblichen Berufstätigkeit in diesem Zeitraum "hilfsweise" damit rechtfertigt, dass er zu einer entsprechenden "Lückenfüllung" berechtigt sei, um seinen Gefängnisaufenthalt nicht offenbaren zu müssen. Auch wenn der Kläger aus Gründen der Resozialisierung nicht verpflichtet ist, einen Gefängnisaufenthalt anzugeben, würde ihn dies allenfalls dazu berechtigen, den entsprechenden Zeitraum mit der Falschangabe einer unverfänglichen Tätigkeit aufzufüllen, aber nicht, für die ausgeschriebene Stelle maßgebliche Berufs- und Führungserfahrung zu erfinden.



    Bei der gegebenen Sachlage war es überdies gerechtfertigt, dass die Beklagte über den Kläger im Internet durch Suchmaschinen allgemein zugängliche Informationen einholte (vgl. Forst NZA 2010, 427, 431; HWK/Lembke 8. Aufl. Art. 88 DSGVO Rn. 92; Kania/Sansone NZA 2012, 360, 363; Wißmann in Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht Bd. 1 4. Aufl. § 29 Rn. 73), wodurch sie u.a. auf den Presseartikel vom 12. Oktober 2003 stieß. Die Einlassung des Klägers hierzu, der Artikel sei "unzuverlässig", ist angesichts der detaillierten Ausführungen zur angeblichen Straftat des Klägers und der angeblich erfolgten Verurteilung sowie der Übereinstimmungen mit dem von der Beklagten vorgelegten angeblich den Kläger betreffenden elektronischen Strafaktenauszug wohl kaum ausreichend. All dies bedarf aber keiner weiteren Vertiefung.



    3. Die Beklagte hat ihr Anfechtungsrecht auch nicht verwirkt. Die Ausübung dieses Rechts verstößt gegen Treu und Glauben, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - NZA 1999, 975). Im vorliegenden Fall kann keine Rede davon sein, dass der Anfechtungsgrund angesichts der nachträglichen Entwicklung - insbesondere langjähriger beanstandungsfreier Tätigkeit des Arbeitnehmers (BAG 12. Februar 1970 - 2 AZR 184/69 - BAGE 22, 278) - so viel an Bedeutung verloren hat, dass er eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen kann. Vielmehr hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers erstmals schon kurz nach Ablauf der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG gekündigt und der Zeitraum der tatsächlichen Arbeitstätigkeit des Klägers für die Beklagte betrug bis zur erklärten Anfechtung weniger als sechs Monate.



    4. Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung wirkt auf den Zeitpunkt zurück, zu dem das Arbeitsverhältnis der Parteien faktisch außer Funktion gesetzt worden ist (BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - AP BGB § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10). Dies ist im vorliegenden Fall mit Ablauf des 3. Mai 2015 erfolgt, weil der Kläger ab 4. Mai 2015 zunächst wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr gearbeitet hat und Rückabwicklungsschwierigkeiten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu besorgen sind (BAG 3. Dezember 1998 - 2 AZR 754/97 - BAGE 90, 251).



    II.



    Der Erkenntnis der Kammer, dass die Anfechtung der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien rückwirkend zum Ablauf des 3. Mai 2015 beendet hat, steht die Rechtskraft des Urteils des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 8. Februar 2017, wonach die Kündigung der Beklagten vom 24. Juni 2015 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 30. September 2015 beendet hat, nicht entgegen.



    Wird dem Antrag des § 4 Satz 1 KSchG rechtskräftig stattgegeben, so steht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts damit regelmäßig negativ fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung zu dem vorgesehenen Kündigungstermin nicht aufgelöst ist, und positiv, dass bei Zugang der Kündigung und im Kündigungstermin ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand. Der Arbeitgeber kann sich in einem späteren Rechtsstreit nicht darauf berufen, das Arbeitsverhältnis sei schon vor den genannten Zeitpunkten durch einen anderen Beendigungsgrund aufgelöst worden, sondern muss bereits im Erstprozess alle Tatsachen vorbringen, die für eine frühere Beendigung des Arbeitsverhältnisses sprechen (HaKo/Gallner Kündigungsschutzrecht 6. Aufl. § 4 Rn. 167). Dieser Grundsatz kann im vorliegenden Fall aber nicht dazu führen, dass die Beklagte nunmehr mit der erklärten rückwirkenden Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausgeschlossen ist (vgl. auch Habscheid RdA 1989, 88, 91). Aus Gründen des Rechtsfriedens und der Rechtsgewissheit ist es gerechtfertigt, vom Arbeitgeber im Vorprozess zu verlangen, weitere Beendigungstatbestände wie zuvor wirkende Befristungen oder weitere Kündigungen einzuführen. Denn von deren Bestehen hat er regelmäßig Kenntnis. Die Beklagte kann aber schon im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG im vorliegenden Rechtsstreit nicht mit einer rückwirkenden Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausgeschlossen sein, die sie im Vorprozess ohne ihr Verschulden noch gar nicht in der Lage war, in den Rechtsstreit einzuführen. Das Bundesarbeitsgericht hat bislang auch nur ausgeführt, dass ein rechtskräftiges Urteil, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine bestimmte Kündigung zum vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist, grundsätzlich auch die Feststellung erfasst, dass dieses Arbeitsverhältnis nicht zuvor durch andere Kündigungen oder sonstige Auflösungstatbestände beendet worden ist (BAG 25. März 2004 - 2 AZR 399/03 - NZA 2004, 1216). Bei der hier zu entscheidenden Fallkonstellation handelt es sich nach Auffassung der erkennenden Kammer aus den dargelegten Gründen um einen Ausnahmefall. Eine sachgerechte Lösung der Problematik über einen Verweis des Arbeitgebers auf die Restitutionsklage gem. § 580 ZPO gegen das im Vorprozess ergangene rechtskräftige Urteil erscheint nicht möglich.



    C.



    Da das Arbeitsverhältnis der Parteien infolge dessen mit Ablauf des 3. Mai 2015 beendet wurde, war das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der Beklagten abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen. Die weiteren Anträge des Klägers und der Auflösungsantrag der Beklagten sind nicht zur Entscheidung angefallen. Die Berufung des Klägers war zurückzuweisen. Da die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer eingereichten Schriftsätze des Klägers vom 10. Januar 2019 und 14. Februar 2019 kein entscheidungserhebliches Vorbringen enthalten, musste der Beklagten auch keine Möglichkeit zur Stellungnahme hierzu eingeräumt werden.



    D.



    I.



    Der Kläger als unterlegene Partei hat gem. § 64 Abs. 6 ArbGG iVm § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.



    II.



    Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Kammer hat der Frage, ob und inwieweit sich die Rechtskraft des der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgebenden Urteils des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg im Vorprozess auf die im vorliegenden Rechtsstreit seitens der Beklagten erklärte Anfechtung des Arbeitsverhältnisses auswirkt, grundsätzliche Bedeutung beigemessen.

    Oesterle
    Blaettner
    Gulde

    Verkündet am 21.02.2019

    Vorschriften§ 23 Abs. 1 KSchG, § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG, § 3 Abs. 11 Nr. 7 BDSG, § 4 KSchG, §§ 4a, 13 BDSG, § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG, § 64 Abs. 7 ArbGG, § 313 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 148 ZPO, § 64 Abs. 2 lit. c) ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 123 Abs. 1 BGB, § 123 BGB, § 142 Abs. 1 BGB, § 119 Abs. 2 Alt. 1 BGB, § 124 Abs. 1 BGB, § 1 Abs. 1 KSchG, § 4 Satz 1 KSchG, Art. 20 Abs. 3 GG, § 580 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG