14.05.2010 · IWW-Abrufnummer 166921
Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 22.10.2009 – 14 Ta 85/09
Führt der Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber einen Kündigungsschutzprozess, ist es grundsätzlich mutwillig im Sinne des § 114 ZPO, wenn er daneben die Entfernung einer oder mehrerer Abmahnungen aus der Personalakte begehrt.
Tenor: Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom "13.01.2008" (1 Ca 1697/08) wird zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Gründe: I. Mit seiner am 25. November 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wandte sich der Kläger gegen eine Kündigung vom 17. November 2008. Mit den Anträgen zu 4. bis 8. beantragte er darüber hinaus die Entfernung von fünf Abmahnungen aus der Personalakte begehrt. Mit einem weiteren am 8. Dezember 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Durch die hier angefochtene Entscheidung hat das Arbeitsgericht lediglich für die Kündigungsschutzklage, den damit verbundenen allgemeinen Feststellungsantrag sowie eine Zahlungsklage Prozesskostenhilfe bewilligt und sie im Übrigen im Hinblick auf die weiteren Anträge wegen Mutwilligkeit zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 30. Januar 2009 beim Arbeitsgericht eingegangene sofortige Beschwerde, mit welcher der Kläger weiterhin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Anträge auf Entfernung der fünf Abmahnungen verlangt. II. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. 1. Die Beschwerde ist fristgerecht innerhalb der einmonatigen Frist des § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO eingelegt worden. Zwar enthält der - falsch datierte - Beschluss vom "13.01.2008" trotz seiner Rechtsmittelfähigkeit keine Rechtsmittelbelehrung gemäß § 9 Abs. 5 ArbGG. Ebenso ist die nach § 329 Abs. 3 ZPO erforderliche Zustellung des Beschlusses unterblieben. Der Beschluss wurde aber unter dem 14. Januar 2009 ausweislich des entsprechenden Ab-Vermerks vom selben Tage (Bl. 28 R der PKH-Akte) abgesandt. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist am 30. Januar 2009 beim Arbeitsgericht eingegangen. Im Übrigen ist die sofortige Beschwerde gemäß § 46 Abs. 2, § 78 ArbGG, §§ 567 ff. ZPO zulässig. 2. Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Anträge auf Entfernung von fünf Abmahnungen aus der Personalakte wegen Mutwilligkeit (§ 114 ZPO) zurückgewiesen. a) Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (vgl. BAG, 28. April 2003, 2 AZB 78/02, ZIP 2003, 1947; LAG Hamm, 12. Juni 2009, 14 Sa 834/08, juris; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Auflage, 2005, Rn. 447; Zöller/Philippi, 27. Auflage, 2009, § 114 ZPO Rn. 30). Eine Partei darf in ihrem prozessualen Verhalten nicht von demjenigen abweichen, was eine verständige und ausreichend bemittelte Partei in der gleichen prozessualen Lage zeigen würde (vgl. LAG Hamburg, 1. Dezember 2003, 6 Ta 23/03, juris). Sie darf nicht durch kostenträchtiges Prozessieren von dem abweichen, was eine bemittelte Partei in gleicher Situation tun würde. Vielmehr muss sie das Risiko vernünftig abwägen. Es ist nicht Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe, auf Kosten der Allgemeinheit bedürftigen Parteien Prozesse zu ermöglichen, die eine vermögende Partei bei vernünftiger und sachgerechter Einschätzung der Sach- und Rechtslage nicht führen würde (vgl. LAG Hamm, 12. Juni 2009, 14 Ta 834/08, juris; LAG Berlin, 29. November 2005, 17 Ta 1981/05, NZA-RR 2006, 214; LAG Hessen, 16.Februar 2005, 16 Ta 13/05, juris; 21.Oktober 2005, 2 Ta 353/05, RVG-Report 2006, 79). Maßstab ist eine nicht hilfsbedürftige, selbst zahlende Partei ohne Rechtsschutzversicherung (vgl. LAG Hamm, 12. Juni 2009, 14 Ta 834/08, juris; 16. Dezember 2004, 4 Ta 355/04, juris; 28. Juni 2005, 4 Ta 355/04, juris; 28. Juni 2005, 4 Ta 415/05, juris). b) Bei Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall ist es grundsätzlich als mutwillig anzusehen, wenn ein Arbeitnehmer, der sich im Wege der Klage gegen eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung wendet, im Wege der objektiven Klagehäufung gleichzeitig oder nachträglich durch Klageerweiterung oder durch Ergebung einer oder mehrerer gesonderter Klagen zugleich die Entfernung einer oder mehrerer Abmahnungen aus der Personalakte verlangt. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die ausgesprochene Kündigung eine verhaltensbedingte Kündigung ist, ob diese auf eine oder mehrere der angegriffenen Abmahnungen gestützt wird, oder ob es sich um Abmahnungen handelt, die keinen mit dem Kündigungsgrund gleichartigen Sachverhalt betreffen. Für die Dauer des gesamten Verfahrens und nicht nur lediglich bis zum Gütetermin ist ein gerichtliches Vorgehen gegen die Abmahnungen in allen Fallvarianten grundsätzlich nicht erforderlich, so dass eine verständige und ausreichend bemittelte Partei von einer Klageerhebung bis zur Beendigung des Kündigungsschutzprozesses absehen würde. aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung von § 242, § 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus seiner Personalakte verlangen (vgl. BAG, 30. Mai 1996, 6 AZR 537/95, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2; 11. Dezember 2001, 9 AZR 464/00, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 8). Der Arbeitnehmer ist jedoch nicht verpflichtet, zur Vermeidung von Rechtsnachteilen gegen eine aus seiner Sicht unwirksame Abmahnung etwas zu unternehmen. Er ist grundsätzlich nicht daran gehindert, die Richtigkeit der abgemahnten Pflichtwidrigkeiten erst in einem späteren Kündigungsschutzprozess zu bestreiten. Ein Anscheinsbeweis für die Richtigkeit des abgemahnten Verhaltens steht dem Arbeitgeber nicht zur Seite, wenn der Arbeitnehmer aus welchen Gründen auch immer gegen Abmahnungen nicht vorgeht (vgl. BAG, 13. März 1987, 7 AZR 601/85, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 18). Die Wirksamkeit einer Kündigung hängt nicht von der Beseitigung einer vorhergehenden Abmahnung ab. Im Kündigungsschutzprozess ist unabhängig davon zu prüfen, ob die in einer Abmahnung enthaltenen Vorwürfe tatsächlich gerechtfertigt sind oder nicht (vgl. BAG, 8. Februar 1989, 5 AZR 47/88, ZTR 1989, 314). Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Berechtigung der Abmahnung. Für den Kündigungsschutzprozess folgt dies aus § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG, für den Prozess um die Entfernung einer Abmahnung ist dies allgemein anerkannt (vgl. BAG, 26. Januar 1994, 7 AZR 640/92, juris; LAG Rheinland-Pfalz, 13. Mai 2008, 3 Sa 25/08, juris; LAG Köln, 4. August 2003, 2 Sa 461/03, juris; LAG Berlin, 14.November 2002, 16Sa970/02, NZA-RR 2003, 523; LAG Bremen, 6. März 1992, 4 Sa 295/91, LAGE BGB § 611 Abmahnung Nr. 31). Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Er kann nur dann gegeben sein, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann, wofür der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig ist. Dafür reicht nicht, dass sich der Arbeitgeber bei der Erteilung eines Zeugnisses vom Inhalt der Abmahnung leiten lassen oder gegenüber Dritten Auskünfte auch über Abmahnungen erteilen kann. Der Arbeitnehmer kann sein Interesse daran, insgesamt nicht falsch beurteilt zu werden oder vor unzutreffenden Auskünften oder der Weitergabe der Personalakte geschützt zu werden, in einem Zeugnisrechtstreit bzw. mit einer Unterlassungsklage geltend machen (vgl. BAG, 14. September 1994, 5 AZR 632/93 AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 13). bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem der Arbeitnehmer neben der Kündigungsschutzklage zugleich die Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte begehrt, grundsätzlich von Mutwilligkeit auszugehen. Eine verständige und ausreichend bemittelte Partei würde in dieser prozessualen Lage gegen die erteilten Abmahnungen nicht mit gesonderten Klageanträgen vorgehen. Soweit die ausgesprochene Kündigung auf alle oder einen Teil dieser Abmahnungen gestützt wird, ist im Rahmen der Prüfung, ob die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, die Berechtigung dieser vorangegangenen Abmahnungen ohnehin zu überprüfen. Es genügt, dass der Arbeitnehmer der Rechtmäßigkeit der Abmahnungen im Kündigungsschutzprozess bestreitet. Gerade eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei würde im Hinblick auf die Kostenregelung in § 12 a Abs. 1 S. 1 ArbGG dann darauf verzichten, die Entfernung älterer Abmahnungen aus der Personalakte durch selbständige Klageanträge gerichtlich geltend zu machen (vgl. LAG Hamm, 23. März 2006, 5 Ta 27/06). Dasselbe gilt für Abmahnungen, auf welche die Kündigung nicht gestützt wird. Auch hier würde eine Partei, welche erstinstanzlich die Kosten auch einer anwaltlichen Vertretung selbst zu tragen hat, bis zur Beendigung des Kündigungsschutzprozesses auf eine Klage auf Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte verzichten. Ein gesondertes kostenträchtiges Vorgehen ist auch in diesen Fällen bis zum Abschluss des Kündigungsschutzprozesses nicht notwendig. Dessen Ende würde eine nicht hilfsbedürftige Partei vernünftigerweise abwarten, ohne dass ihr Rechtsschutz dadurch beeinträchtigt ist. Denn steht nach der Beendigung des Kündigungsschutzprozesses fest, dass das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird, ist es ausreichend, wenn die Partei erst dann gegenüber ihrem Arbeitgeber erneut verlangt, Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen, und nur im Weigerungsfall gerichtlich gegen ihn vorgeht. Wurden im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses eine oder mehrere Abmahnungen, auf die sich der Arbeitgeber zur Begründung der Kündigung gestützt hatte, bereits als unberechtigt qualifiziert, wird ein verständiger Arbeitgeber in der Regel zur Vermeidung eines weiteren Prozesses diese Abmahnungen auf das entsprechende Verlangen des Arbeitnehmers hin aus der Personalakte entfernen. Nur im Weigerungsfall ist eine gesonderte gerichtliche Auseinandersetzung notwendig. Ob diese erforderlich wird, würde eine verständige, kostenbewusste und vermögende Partei im Hinblick auf das anhängige Kündigungsschutzverfahren deswegen zunächst abwarten. Dies gilt auch für Abmahnungen, die nichts mit dem Kündigungssachverhalt zu tun haben. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Arbeitgeber im Hinblick auf eine unbelastete Fortsetzung sich zu einer Entfernung aus der Personalakte freiwillig entschließt. Es genügt, die fehlende Berechtigung der Abmahnung erst dann gerichtlich zu geltend zu machen, wenn feststeht, dass das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird und der Arbeitgeber eine freiwillige Entfernung verweigert. Dies gilt erst recht, wenn eine Partei, welche die Kosten selbst tragen muss, zusätzlich den Gesichtspunkt berücksichtigt, dass im Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Anspruch auf Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte mehr besteht. Verliert sie die Kündigungsschutzklage, wären entsprechenden Anträge gegen die angegriffenen Abmahnungen abzuweisen. Wegen eines auf den Inhalt der Abmahnung(en) gestützten Zeugnisses sowie zur Verhinderung von darauf gestützten Auskünften oder einer Kenntnisnahme durch Einsicht in die Personalakte muss die Partei ohnehin gesondert gerichtlich vorgehen. Die Partei hätte doppelte und unnötige Prozess- und Anwaltskosten zu tragen. Soweit es sich um Abmahnungen handelt, die nichts mit der Kündigung zu tun haben, würde ein zeitgleiches Vorgehen gegen diese im oder außerhalb des Kündigungsschutzprozesses sich aus den gleichen Gründen erübrigen, wenn es zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt. Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass eine Vielzahl von Kündigungsschutzprozessen bereits frühzeitig im Wege eines Vergleichs zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen. Eine verständige und vermögende Partei würde wiederum im Hinblick auf die Regelung in § 12 a Abs. 1 ArbGG bis dahin ein zusätzliches Kostenrisiko nicht eingehen. Allenfalls im Vergleich kann eine Regelung hinsichtlich der Abmahnungen sinnvoll zur Vermeidung weiterer Rechtsstreite über den Inhalt eines Zeugnisses, die Unterlassung von Auskünften oder die Gewährung von Einsicht in die Personalakte sein. cc) Solche zusätzlichen Kosten würden im Falle des Vorgehens gegen eine oder mehrere Abmahnungen durch einen gesonderten Klageantrag in jedem Fall entstehen. Zwar ist nach der neuen Rechtsprechung der zuständigen Beschwerdekammer des LAG Hamm nicht mehr pauschal für eine Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte jeweils ein Bruttomonatsentgelt pro Abmahnung festzusetzen. Vielmehr ist der Streit um die Entfernung von schriftlichen Abmahnungserklärungen aus der Personalakte unabhängig von der Anzahl der Abmahnungserklärungen, der auf Entfernung oder gar auf "Widerruf" gerichtete Anträge und der einer oder mehreren Abmahnungen zugrunde liegenden Sachverhalte und der Aufteilung auf verschiedene Rechtsstreite regelmäßig mit bis zu einem Drittel des Vierteljahresverdienstes, keinesfalls über zwei Drittel des Vierteljahresentgelts zu bewerten. Der so gefundene Streitwert kann leicht erhöht werden, darf jedoch den Regelwert für Bestandsschutzstreitigkeiten nicht ganz erreichen, soweit auch das berufliche Fortkommen der klagenden Partei durch die Abmahnungserklärung konkret gefährdet wird (vgl. LAG Hamm, 16.April 2007, 6 Ta 49/07, NZA-RR 2007, 439). Unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall also keinesfalls fünf Bruttomonatsentgelte für die Anträge zu 4 bis 8 aus der Klageschrift als Streitwert bzw. als Wert des Gegenstands anwaltlicher Tätigkeit angesetzt werden können, sondern deutlich geringere Werte, würden zusätzliche Kosten entstehen, die eine verständige Partei, welche ihre Kosten selbst zu tragen hat, im Hinblick auf die Rechtslage bezüglich der Überprüfung der Berechtigung von Abmahnungen im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses bzw. nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nicht eingehen würde. Dies gilt für die gesamte Dauer des Prozesses und nicht, wie das Arbeitsgericht annimmt, nur bis zum Gütetermin, wenn sich dort herausstellen sollte, dass ein Teil oder alle Abmahnungen nicht zur Begründung der Kündigung herangezogen werden. III. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.