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  • 16.03.2012 · IWW-Abrufnummer 120841

    Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 23.08.2011 – 5 Sa 40/11

    1. Ein Vertretungsfall liegt nicht mehr vor, wenn gewiss ist, dass mit der Rückkehr der Stammkraft an ihren Arbeitsplatz nicht mehr gerechnet werden kann. Dahingehende Aufklärungs- und Erkundigungspflichten des Arbeitgebers bestehen im Regelfall nicht. Etwas anders gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber aufgrund der ihm vorliegenden Informationen erhebliche Zweifel daran haben muss, ob mit einer Rückkehr der Stammkraft überhaupt noch gerechnet werden kann (wie BAG 21. Februar 2001 - 7 AZR 200/00 - BAGE 97, 86 = AP Nr. 226 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag = DB 2001, 1509 = NZA 2001, 1382 [BAG 21.02.2001 - 7 AZR 200/00]).



    2. Ist dem Arbeitgeber bekannt, dass die vertretene Stammkraft vom Rentenversicherungsträger wegen vollständiger Erwerbsminderung unbefristet verrrentet worden ist, darf er ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht mehr von einem Vertretungsfall ausgehen, nur weil die Stammkraft Widerspruch gegen den Rentenbescheid eingelegt hat.


    5 Sa 40/11

    Tenor:
    1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

    2. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand
    Die Klägerin hat Befristungskontrollklage nach § 17 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) erhoben.

    Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 15. Oktober 2004 mit insgesamt 10 aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen ohne Unterbrechung als Telefonserviceberaterin zu einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von rund 2.500,00 Euro brutto tätig.

    Für die letzten drei Verträge wurde die Klägerin als Vertreterin eines erkrankten Arbeitnehmers (im Folgenden als Stammkraft bezeichnet) lediglich befristet beschäftigt. So wurde mit Vertrag vom 9. Juni 2009 eine befristete Beschäftigung vom 1. Juli 2009 bis zum 31. März 2010 vereinbart (Kopie Arbeitsvertrag als Anlage K 13 überreicht, Blatt 27 d. A., es wird Bezug genommen). Darauf folgte der Arbeitsvertrag vom 23. Februar 2010 für die Zeit vom 27. Februar 2010 bis zum 30. April 2010 (Kopie Arbeitsvertrag als Anlage K 15 überreicht, Blatt 30 d. A., es wird Bezug genommen).

    Der letzte hier nunmehr gerichtlich zur Kontrolle gestellte Arbeitsvertrag ist unter dem Datum des 13. April 2010 zeitnah zu diesem Datum beiderseits unterzeichnet worden (Kopie Arbeitsvertrag als Anlage K 17 überreicht, Blatt 33 d. A., es wird Bezug genommen). Dieser Vertrag sah eine Beschäftigung vom 1. Mai 2010 bis zum 30. Juni 2010 vor. Zu diesem Vertrag gibt es einen Vermerk über den Befristungsgrund, den die Klägerin zeitgleich mit dem Arbeitsvertrag überreicht bekommen hat und deren Kenntnisnahme sie quittiert hat (Kopie als Anlage K 18 überreicht, Blatt 35 d. A., es wird Bezug genommen).

    Der letzte Arbeitsvertrag der Parteien geht zurück auf eine Personalanforderung der zuständigen Personalberaterin in C-Stadt an den Bereich Personalhaushalt vom 25. März 2010 (Kopie als Anlage B 1 überreicht, Blatt 97 d. A.). In dem Schreiben findet sich bei der Darstellung der Befristungslage der Hinweis, dass sich die Stammkraft auf dem Wege der Besserung befinde. Der Bereich Personalhaushalt hat sodann unter dem 31. März 2010 den Personalrat beteiligt, der noch am selben Tage der weiteren Einstellung der Klägerin zugestimmt hat und die Beklagte davon am 1. April 2010 unterrichtet hat (Anlagen B 5 und B 6, Blatt 102 f d. A.).

    Die von der Klägerin vertretene Stammkraft (Geburtsjahrgang 1956) ist an Diabetes erkrankt und wegen dieser Krankheit seit dem 29. August 2008 durchgehend arbeitsunfähig. Die Stammkraft hat erheblich unter Spätfolgen dieser Krankheit zu leiden, eines seiner Beine musste teilweise amputiert werden und seine Sehkraft hat stark gelitten.

    Bereits im Januar 2009 hat die Stammkraft beim Rentenversicherungsträger eine befristete Rente wegen vollständiger Erwerbsminderung beantragt. Über den Rentenantrag hinausgehend ist der erkrankten Stammkraft unter dem 17. März 2010 vom Rentenversicherungsträger wegen seiner Krankheit eine Dauerrente wegen vollständiger Erwerbsminderung bis zum Beginn der Regelaltersgrenze bewilligt worden. Der Bescheid ging der Stammkraft Ende März 2010 zu und er hat die Beklagte darüber anlässlich eines Gespräches mit der Personalberaterin am 7. April 2010 in C-Stadt, an dem auch die Vertrauensperson der Schwerbehinderten teilgenommen hat, unterrichtet. Es ist dieselbe Personalberaterin, die auch die Personalanforderung für die Klägerin vom 25. März 2010 unterzeichnet hat. Er hat ihr eine Kopie des Rentenbescheides übergeben und hat ergänzend mündlich ausgeführt, mit dem Rentenbescheid sei er nicht einverstanden, weil er noch nicht aus dem Erwerbsleben ausscheiden wolle. Er werde Widerspruch einlegen mit dem Ziel, die Dauerrente in eine zeitlich befristete Rente umwandeln zu lassen. Dazu hat er noch angegeben, er fühle sich gesundheitlich auf dem Wege der Besserung und er hoffe auf die bereits festgelegte ärztliche Abschlussuntersuchung, die am 6. Mai 2010 stattfinden solle. Ob die Stammkraft tatsächlich gemeint hat, sie werde bereits an diesem Termin wieder für arbeitsfähig erklärt, lässt sich dem dazu hergestellten Gesprächsvermerk (Kopie als Anlage B 2 überreicht, Blatt 98 d. A., es wird Bezug genommen) nicht eindeutig entnehmen. Jedenfalls hat die Personalberaterin in ihrem Vermerk festgehalten, dass die Stammkraft damit rechne, wieder arbeitsfähig zu werden.

    In der Folgezeit hat die Stammkraft tatsächlich unter dem 9. April 2010 gegen seinen Rentenbescheid Widerspruch eingelegt, der bereits am 27. Mai 2010 abschlägig beschieden wurde. Dagegen hat die Stammkraft Anfang Juni 2010 Klage beim Sozialgericht erhoben. Dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Den Widerspruchsbescheid hat die Stammkraft der Beklagten am 2. Juni 2010 übermittelt.

    Das Arbeitsgericht hat der Befristungskontrollklage, die am 7. Juli 2010 dort eingereicht wurde, mit Urteil vom 15. Dezember 2010 entsprochen. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

    Mit der rechtzeitig eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung verfolgt die Beklagte weiter ihr Ziel der Klageabweisung.

    Wie das Arbeitsgericht geht auch die Beklagte davon aus, dass die Frage, ob die Beklagte noch mit der Rückkehr der erkrankten Stammkraft rechnen dürfe oder müsse, anhand des Maßstabes geprüft werden müsse, den das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 21. Februar 2001 (7 AZR 200/00 - BAGE 97, 86 = AP Nr. 226 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag = DB 2001, 1509 = NZA 2001, 1382 [BAG 21.02.2001 - 7 AZR 200/00]) entwickelt habe. Im Gegensatz zum Arbeitsgericht geht die Beklagte jedoch davon aus, dass sie zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung am 13. April 2010 noch mit einer Rückkehr der erkrankten Stammkraft habe rechnen müssen. Insoweit bestehe keine Pflicht, die Umstände der Krankheit des erkrankten Mitarbeiters weiter aufzuklären. Solange dieser kund tue, dass er von einer Wiedergenesung ausgehe, könne und dürfe der Arbeitgeber über den Arbeitsplatz des erkrankten Mitarbeiters nicht disponieren. Daher habe nach wie vor ein Vertretungsfall vorgelegen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Klägerin verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil mit Rechtsargumenten.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe
    I. Die Berufung ist nicht begründet. Die Befristung des Arbeitsvertrages vom 13. April 2010 ist unwirksam, da das Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Befristung nicht festgestellt werden kann. Insoweit schließt sich das Berufungsgericht der Bewertung des Sachverhalts durch das Arbeitsgericht ausdrücklich an. Das auf Rechtsausführungen beschränkte Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

    Nach der Dauer der Zusammenarbeit der Parteien bedarf die Befristung des streitgegenständlichen Arbeitsvertrages eines sachlichen Grundes (§ 14 Absatz 1 TzBfG). Nach Lage der Dinge kommt insoweit nur der Sachgrund der Vertretung (§ 14 Absatz 1 Nr. 3 TzBfG) in Betracht. Die gesetzlichen Voraussetzungen für diesen Sachgrund liegen nicht vor.

    1. Will der Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag mit dem Sachgrund der Vertretung befristen, muss er im Streitfall nachweisen können, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein Vertretungsfall vorgelegen hat. Ein Vertretungsfall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer als Ersatzkraft für eine Stammkraft, die vorübergehend nicht zur Verfügung steht, eingestellt wird. Kein Vertretungsfall liegt demnach mehr vor, wenn mit der Rückkehr der Stammkraft nicht mehr gerechnet werden kann, die Stammkraft also nicht mehr vorübergehend sondern dauerhaft nicht mehr zur Verfügung steht. Insoweit muss der Arbeitgeber also die Prognose aufstellen, ob noch mit der Rückkehr der ausgefallenen Stammkraft gerechnet werden kann. Die Prognose muss sich allerdings nicht auf den Zeitpunkt der Rückkehr und damit auf die Dauer des Vertretungsbedarfs beziehen, erforderlich ist lediglich die prognostische Feststellung, dass die Stammkraft überhaupt zurückkehren wird (vgl. nur Müller-Glöge in ErfK § 14 TzBfG Rn. 35).

    Zum Schutz der vertraglichen Rechte der vorübergehend nicht zur Verfügung stehenden Stammkraft muss und darf die Arbeitgeberin bis zum Beweis des Gegenteils eigentlich immer davon ausgehen, dass die Stammkraft irgendwann wieder zurückkehren kann und will. Der Arbeitgeber muss daher vor Abschluss des befristeten Vertrags mit der Vertretungskraft grundsätzlich nicht von sich aus Erkundigungen über die gesundheitliche Entwicklung eines erkrankten Arbeitnehmers einholen. Nur wenn der Arbeitgeber auf Grund der ihm vorliegenden Informationen erhebliche Zweifel daran haben muss, ob die zu vertretende Stammkraft überhaupt wieder zurückkehren wird, kann dies dafür sprechen, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben ist (BAG 21. Februar 2001 aaO.).

    2. Legt man diesen Maßstab zu Grunde, ist das Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte aufgrund der ihr schon seinerzeit bekannten Umstände des vorliegenden Falles nicht mehr mit der Rückkehr der Stammkraft rechnen konnte. Das Argument, die Befristung sei hier zur Vertretung erfolgt, muss daher als vorgeschoben bewertet werden.

    Zunächst ist dazu festzustellen, dass sich der Beklagten durch den von der Stammkraft vorgelegten Rentenbescheid der Gedanke, dass diese nicht wieder ins Erwerbsleben zurückkehren wird, geradezu aufdrängen musste. Gerade der Beklagten müsste doch bekannt sein, dass die Träger der Rentenversicherung schon aus fiskalischen Gründen nicht leichtfertig unbefristete Renten wegen vollständiger Erwerbsminderung bewilligen. Die Beklagte konnte und musste daher davon ausgehen, dass dem Rentenbescheid zu Gunsten der Stammkraft wegen der vollständigen Erwerbsminderung eine ernsthafte medizinische Befundung und eine darauf aufbauende Prognose über die Chancen der Stammkraft zur Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit zu Grunde liegt. Dass es um die Erwerbsfähigkeit der Stammkraft objektiv betrachtet sehr schlecht stand, wird auch aus dem zusätzlichen Umstand deutlich, dass die Stammkraft nur eine befristete Rente beantragt hatte, ihr jedoch eine Dauerrente bewilligt wurde. Es wäre blauäugig daraus nicht schließen zu wollen, dass die Stammkraft aus medizinischer Sicht keine objektiven Chancen mehr hatte, ihre Erwerbsfähigkeit wieder zu erreichen. Insoweit möchte das Gericht auch daran erinnern, dass es in der mündlichen Verhandlung ohne Widerspruch durch die Parteien den Standpunkt vertreten hat, dass es wohl eine diplomatische Verklausulierung sei, wenn man wegen des amputierten Beines und der Einbußen der Sehkraft von Spätfolgen der Krankheit spreche, denn in Wahrheit handele es sich vielmehr um die Folge einer verspäteten Bekämpfung der Krankheit, was dazu führe, dass in einer solchen Situation die Möglichkeiten der ärztlichen Heilkunst nur noch sehr eingeschränkt gegeben sind.

    In dieser Situation darf die Beklagte von einer Vertretungssituation nur dann ausgehen, wenn sie die Situation weiter abklärt. Das hat sie nicht gemacht. Sie hat sich vielmehr auf die bloße Hoffnung der Stammkraft gestützt, die sich subjektiv als auf dem Wege der Besserung befindlich eingeschätzt hat. Das reicht für die Verneinung der negativen Prognose angesichts der objektiven Umstände nicht aus. Dabei ist auch zu beachten, dass die Beklagte keine Umstände anzuführen wusste, auf die die Stammkraft ihre Hoffnung gestützt hat. Auch der zur Akte gereichte Widerspruch der Stammkraft und seine Klageschrift für das Sozialgericht enthält im Übrigen kein einziges Argument, das geeignet wäre, den Rentenbescheid in Frage zu stellen.

    Es ist richtig, dass die Stammkraft bis zur Rechtskraft des Rentenbescheides noch die Möglichkeit gehabt hätte, den eigenen Rentenantrag zurückzunehmen, um die arbeitsrechtlichen Folgen der bewilligten Dauerrente zu vermeiden. Dies ist ein Umstand, der bei der Bewertung der Befristungslage hier zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen ist. Im Ergebnis meint das Gericht jedoch, dass dies im vorliegenden Falle nur eine theoretische Möglichkeit ist, die keinen Einfluss auf die Bewertung haben kann. Denn zum einen würde die Rücknahme des Rentenantrages lediglich den Rentenbescheid aus der Welt schaffen, nicht jedoch die gesundheitlichen Probleme der Stammkraft. Zum anderen muss beachtet werden, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass bei der Stammkraft im Februar 2010 der Bezug von Krankengeld ausgelaufen war und er seit dieser Zeit nur noch Arbeitslosengeld bezieht. Die Beklagte als Träger der Arbeitslosenversicherung ist allerdings sogar verpflichtet, auf das Stellen von Rentenanträgen hinzuwirken; die Gefahr, dass die Stammkraft den Rentenantrag noch zurücknehmen könnte, kann daher als völlig unwahrscheinlich vernachlässigt werden.

    II. Das Arbeitsgericht hat mit dem Urteilstenor zu 1. nicht nur festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der streitigen Befristungsabrede geendet hat, sondern weitergehend formuliert, dass es "als unbefristetes Arbeitsverhältnis über den 30.06.2010 hinaus fortbesteht."

    Das Berufungsgericht möchte insoweit festhalten, dass es darin keine eigenständige der Rechtskraft fähige gerichtliche Feststellung erblickt. Dies ergibt sich schon daraus, dass es dazu keinerlei Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils gibt. Das Berufungsgericht geht vielmehr davon aus, dass es sich insoweit lediglich um eine rhetorisch eingefärbte Wiederholung der tragenden Feststellung im Sinne von § 17 TzBfG aus dem ersten Teil des Satzes im Urteilstenor zu 1. handelt.

    III. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte, da das Rechtsmittel keinen Erfolg hatte (§ 97 ZPO).

    Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht gegeben.

    RechtsgebietTzBfGVorschriften§ 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG