· Fachbeitrag · Aktuelle Rechtsprechung
Erbschaft und Schenkungsteuer ‒ neuere BFH-Rechtsprechung zum Nießbrauch
von Dr. Marc Jülicher, Düsseldorf
| Die Behandlung des Nießbrauchs im ErbStG ist sehr kompliziert. Zu unterscheiden ist zwischen zugewandten und vorbehaltenen Nießbrauchsrechten. Letztere sind seit 1.1.09 voll abzugsfähig. Zuletzt sind einige äußerst praxisrelevante BFH-Urteile zum Nießbrauch erschienen. Sie beschäftigen sich mit der Qualifikation des Zuwendungsgegenstandes bei zugewandten Nießbrauchsrechten, mit der Höhe des Jahreswerts des Nießbrauchs und bei, je nach Einzelfall gleichzeitig oder nacheinander vereinbarten Nießbrauchsrechten mit der Frage, wann ein zweites Nießbrauchsrecht zu erfassen ist und ob es als Abzugsposten bei einer erst späteren Erfassung einer Abzinsung unterliegt. |
1. Umqualifikation des Zuwendungsgegenstandes für § 13b Abs. 1 ErbStG
Regelmäßig wird ein Nutzungsrecht als Kapitalforderung i. S. d. § 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. § 12 ff. BewG besteuert. Seltene Ausnahmefälle bestehen bei der Beurteilung des begünstigungsfähigen Vermögens i. S. d. § 13b Abs. 1 ErbStG. Bei Anteilen an Kapitalgesellschaften (Nr. 3) ist zunächst jedoch ‒ wie zuvor beschrieben ‒ ausschließlich die zivilrechtliche Betrachtung maßgeblich. Im Betriebsvermögen wird dagegen der zivilrechtlich übertragene Gesellschaftsanteil durch den ertragsteuerlichen Mitunternehmeranteil überlagert. Entsprechend ist die Mitunternehmerschaft des Erwerbers bei einem Vorbehaltsnießbrauch für die Begünstigungen des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG i. V. m. § 13a ff. ErbStG unerlässlich (H 13b.5 ErbStH 2019).
Umgekehrt wird das zugewandte Nießbrauchsrecht (ggf. auch als Vermächtnisnießbrauch von Todes wegen!), wenn mitunternehmerisch ausgestaltet, als begünstigungsfähiges Betriebsvermögen ‒ ggf. auch begünstigt vorbehaltlich des Verwaltungsvermögenstests nach § 13b Abs. 2 ErbStG ‒ qualifiziert (BFH 1.9.11, II R 67/09; vgl. auch R E 13b.30 Abs. 6 ErbStR; H E 13b.5 ErbStH 2019). Ertragsteuerliche Kriterien sind beim land- und forstwirtschaftlichen Vermögen i. S. d. § 13b Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zwar seit 1.1.09 nicht entscheidend. Der BFH hat jedoch auch hier den Zuwendungsnießbrauch als möglicherweise begünstigungsfähig qualifiziert, vorbehaltlich einer Sachaufklärung im Einzelfall, dass der Nießbrauch konkret dem hier einzig begünstigungsfähigen Wirtschaftsteil des LuF-Vermögens zuzuordnen ist (BFH 25.11.20, II R 9/19, BStBl II 21, 491).
2. Bewertung eines Nießbrauchsrechts
Der Kapitalwert eines Nießbrauchsrechts bestimmt sich grundsätzlich über den Jahreswert (§ 15 Abs. 1 BewG), multipliziert mit einem Vervielfältiger nach der Laufzeit, dabei ggf. nach der erwarteten Lebensdauer der begünstigten Person (für 2022 BMF 4.10.21, BStBl I 21, 1821; neu: Vervielfältiger für Bewertungsstichtage ab 1.1.23: BMF 14.11.22, IV C 7 - S 3104/19/10001 :008). Streitfälle ergeben sich eher bei der Ermittlung des Jahreswertes. Bei schwankenden Bezügen sind Durchschnittserträge zu ermitteln (§ 15 Abs. 3 BewG). Ertragsteuern sind nicht berücksichtigungsfähig (BFH 26.11.86, II R 190/81, BStBl II 87, 175).
Durch das ErbStRG 2009 wurde bei Übertragung von Immobilien (§ 10 Abs. 6 S. 6 ErbStG) alternativ unmittelbar der Verkehrswertansatz der nießbrauchsbelasteten Sache erstmals gesetzlich verankert. Das kann insbesondere bei älteren Schenkern der günstigere Weg sein, wenn für sie kein hoher Abzugsposten nach dem BewG erreichbar wäre (vgl. dazu R E 10.10 Abs. 6 ErbStR 2019 und Daragan, ZEV 08, 471). Ein doppelter Abzug ist jedoch auch in Sonderfällen nicht möglich (FG München 16.6.21, 4 K 347/19, NZB BFH II B 44/21 zurückgewiesen, vgl. BFH 30.5.22, n. v.; dazu Brüggemann, ErbBstg 22, 199).
In der Praxis häufig sind Fälle, in denen ein Schenker noch mit valutierenden Krediten belastete Immobilien unter Vorbehaltsnießbrauch schenkt, dabei aber abweichend von der (Regel-)Lastenverteilung des § 1047 BGB Zins- und Tilgungsdienst übernimmt. Die Übernahme des Tilgungsdienstes verhindert den Abzug einer ggf. im Außenverhältnis gegenüber dem Kreditgeber übernommenen Schuld zum Schenkungszeitpunkt aufseiten des Beschenkten, eben solange der Schenker lebt und tilgt (BFH 26.1.00, II B 88/99, BFH/NV 00, 954; vgl. dazu Gebel in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 7 Tz. 72).
Eine wichtige Entscheidung zum Jahreswert eines Vorbehaltsnießbrauchs hat der BFH getroffen (28.5.19, II R 4/16, BStBl II 19, 326, Abruf-Nr. 212775): Wenn über den Nießbrauch die Tilgung durch den Schenker im Innenverhältnis zwischen den Beteiligten der Übertragung vereinbart ist und dies bereits den sofortigen Abzug der im Außenverhältnis gegenüber der Gläubigerbank übernommenen Kreditverbindlichkeiten beim Beschenkten ausschließt, wird immer noch der Jahreswert des abzugsfähigen Nießbrauchs für den Schenker um die von ihm zu übernehmenden Zinsleistungen vermindert. Argument des BFH für ihren Abzug ist hier, dass der Nießbrauch beim Schenker und beim Beschenkten denselben Wert hat und der Beschenkte alternativ, wenn er ohne Nießbrauch die Kredite tilgen müsste, auch keinen höheren Jahresertrag aus der Immobilie vereinnahmen könnte.
Über die Tilgungsleistungen hatte der BFH am 28.5.19 nicht zu entscheiden. Ihr Abzug schien nach der Begründung zunächst evtl. „gefährdet“ (so Christoffel, ErbStbg 20, 284, 286; anders später Beidenhauser, Anm. zu FG Münster 27.8.20, EFG 20, 1627; vgl. auch Brüggemann, ErbBstg 21, 220), wogegen aber die Nichtberücksichtigung der Schuld bereits deswegen bei der Schenkung spricht.
Beachten Sie | Häufig wird es sich anbieten, vorrangig Immobilien unter Nießbrauchsvorbehalt zu übertragen, bei denen die Kreditfinanzierung durch Rückführung der Verbindlichkeiten bereits weitgehend abgeschlossen ist.
3. Späterer Abzug eines aufschiebend bedingten Nießbrauchs für einen Dritten
Großer Nachteil in der Vergangenheit war, wenn ein aufschiebend bedingter Nießbrauch für einen Dritten erst später zu einer Berichtigung des Abzugs beim Belasteten führte (§§ 4 ff. BewG) und die Abzinsung der Belastung mit dem Regelzinssatz des § 12 Abs. 3 S. 2 BewG von 5,5 % erfolgt war (so noch BFH 27.6.06, II B 162/05, BFH/NV 06, 1845). Inzwischen hat der BFH in einem neueren Urteil diese Abzinsung als unzulässig verworfen ‒ unter ausdrücklicher Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung (15.7.21, II R 26/19, BFH/NV 22, 80).
Anders als früher führt eine andere Sachverhaltskonstellation damit nicht mehr zu einem anderen Ergebnis: Eine Abzinsung schied immer schon aus, ohne dass der Jahreswert des Nießbrauchs um die Schuldentilgungen gemindert wird, wenn keine Schuldübernahme durch den Beschenkten bereits bei der Schenkung vorlag. Der Beschenkte sollte bei Gestaltungsspielraum daher eher nicht sofort die persönlichen Schulden übernehmen (FG Münster 27.8.20, 3 K 722/16, Anm. Beidenhauser; Rev. BFH II R 30/20 zurückgenommen, dazu Christoffel, ErbBStg 20, 284, 287).
4. Sofortiger Abzug eines nachrangigen „Sofortnießbrauchs“
Der BFH hat zu nachrangigen, vom Schenker jetzt zu eigenen Gunsten vorbehaltenen Rechten entschieden (BFH 6.5.19, II R 11/19, BStBl II 20, 746; jetzt auch Gleich lautende Erlasse vom 9.9.22, BStBl I 22, 1351, Rz. 55), dass auch bei einem bestehenden, vorrangigen Wohnrecht oder Nießbrauch eines Dritten an dem übertragenen Gegenstand das zweite vorbehaltene Recht bei der zweiten Schenkung sofort abzugsfähig ist.
Abzugsfähig ist aber als einheitliche Last nur einmal der Nießbrauch mit dem höheren Vervielfältiger nach § 14 BewG, meistens derjenige für den zweiten jüngeren Schenker aufgrund seines höheren Vervielfältigers.
5. Sukzessivnießbrauch für den Ehepartner kontra Gesamtberechtigung
Bei Nießbrauchsrechten zugunsten mehrerer Personen ist zunächst nach dem Inhalt der Vereinbarung abzugrenzen zwischen einer Gesamtgläubigerstellung (§§ 428 ff. BGB) oder einer „Sukzessivberechtigung“. Bei Letzter tritt der zweite Gläubiger erst später aufschiebend bedingt sein Recht an (§§ 4 ff. BewG). Nur im ersten Fall kann die Regelung des § 14 Abs. 3 BewG zur Anwendung gelangen. Dabei ist zahlenmäßig häufiger wohl die Variante, dass das Recht erst mit dem Tod des Längstlebenden auf einmal erlischt, also gem. § 14 Abs. 3 BewG der für ihn maßgebliche Vervielfältiger insgesamt entscheidend ist. Die Unsicherheit, wer hier, insbesondere bei Eheleuten, der Erstversterbende ist, wird nicht berücksichtigt (BFH 29.7.92, II R 140/88, BFH/NV 93, 405; vgl. Eisele in: Rössler/Troll, § 14 Tz. 26).
Die Abgrenzung zwischen Gesamtgläubigerstellung und Sukzessivberechtigung ist häufig umstritten, wobei noch danach zu differenzieren ist, ob ein Dritter ggf. beiden Berechtigten ein Recht zuwendet oder ob umgekehrt einer der Berechtigten als vormaliger Eigentümer ein Wirtschaftsgut einem Dritten unter Vereinbarung des Rechtes für sich und anschließend den anderen Berechtigten, zumeist den Ehepartner, überträgt (so war der Fall bei BFH 28.2.19, II B 48/18, BFH/NV 19, 678). Im letzten Fall spricht ‒ mangels ausdrücklicher Regelung ‒ eine hohe Wahrscheinlichkeit (bzw. eine „Vermutung“) dafür, dass zunächst der Schenker der einzige Berechtigte sein soll, der andere dagegen erst nach dessen Ableben (BFH 8.6.21, II R 23/19, BFH/NV 22, 22).
Jedenfalls ist die sofortige freie Verfügungsmöglichkeit desjenigen, der nicht Schenker ist, für eine Gesamtgläubigerstellung notwendig (BFH 22.8.07, II R 33/06, BStBl II 08, 28). Bei einem bloßen (Mit-)Benutzungsrecht des Anderen müssen Umstände dazutreten, die für eine Gesamtgläubigerstellung sprechen (FG München 19.8.04, V 1632/04, n. v.: Einräumung unabhängig vom Fortbestand der Lebensgemeinschaft; Wälzholz, ZErb 03, 337, 338; FG München 22.3.06, 4 K 1631/04, EFG 06, 1263; Anm. Fumi). Steht aber die Einräumung einer Gesamtgläubigerstellung einmal fest, ist das Gebrauchmachen von dem Recht unerheblich (FG München 20.11.02, 4 K 5773/00, EFG 03, 551).
Bei einer Gesamtgläubigerstellung mehrerer Berechtigter bewirkt nach der Rechtsprechung der Tod eines Gesamtgläubigers keinen steuerbaren Erwerb des Mitberechtigten (BFH 7.2.01, II B 11/00, BStBl II 01, 245 ‒ vgl. § 3/R 89; FG Nürnberg 13.2.03 IV 203/2001, n. v.). Auch beim Schuldner hat der Wegfall nur eines Gesamtgläubigers keine Auswirkung, insbesondere nicht nach § 14 Abs. 2 BewG, selbst wenn bei zwei Gesamtgläubigern mit großem Altersunterschied der Jüngere entgegen der Statistik vorverstirbt (FG Berlin-Brandenburg 5.5.10, 14 K 14168/08, EFG 10, 1624; dazu Gelhaar/Saecker, UVR 12, 147, 153). Auch für den Belasteten ist eine Gesamtberechtigung wegen des sofortigen Abzugs des sich aus der größeren Lebenserwartung ergebenden Vervielfältigers häufig vorteilhaft (Ivens, ZEV 12, 71, 74).
Beachten Sie | Aus der Lage zweier schenkbarer Miteigentümer heraus ist die vorbehaltene Gesamtberechtigung deshalb immer vorteilhaft, weil hier bei einer Schenkung generell kein steuerbarer Erwerb nach dem ErbStG eintreten kann. Schwieriger einzuschätzen ist dagegen das Vorgehen bei Alleineigentum. Eine Optimierung zwischen beiden Varianten im Vorfeld scheitert hier zumeist an den unbekannten Todeszeitpunkten der Nutzungsberechtigten in der Zukunft (so Fazit bei Gelhaar/Saecker, UVR 22, 147, 152, 154).
Beim Sukzessivnießbrauch besteht zudem immer das Risiko, dass sich die Gesetzeslage bis zum künftigen Eintritt des aufschiebend bedingten Erwerbs ungünstig entwickelt. Hier kann es insbesondere zu einem Auseinanderfallen der Besteuerung von Berechtigtem und Belastetem kommen:
Der Berechtigte tätigt einen selbstständigen, nach der künftigen Rechtslage steuerlich abzuwickelnden Erwerb. Dagegen bleibt beim Belasteten trotz Abzugs, immerhin inzwischen ohne Abzinsung (s. o.), später bei Auswirkung des Sukzessivnießbrauchs (FG München 15.11.17, 4 K 210/15, EFG 2018, 387) der Stichtag der Steuerentstehung (§ 9 ErbStG) der früheren Zuwendung maßgeblich für die korrigierte Belastung.
FAZIT | Die Rechtsprechung zum Nießbrauch im ErbStG hat sich in den letzten Jahren teilweise zugunsten des Steuerpflichtigen entwickelt. Dennoch ist auf die zivilrechtliche Ausgestaltung der Vereinbarungen ausgeprägt von Anfang an zu achten. Ob im Einzelfall bei Beteiligung mehrerer ein nachfolgender, ggf. sukzessiver Nießbrauch für den Schenker oder einen Dritten vorteilhaft ist oder ob mehrere Berechtigte gleichzeitig ein Recht erwerben sollten, ist im Einzelfall zu entscheiden. Zu sehen ist auch immer, dass beim Vorbehaltsnießbrauch der möglichst hohe Abzug das Ziel ist, umgekehrt beim Zuwendungsnießbrauch, wenn nicht nach §§ 13a ff. ErbStG steuerfrei, ein möglichst geringer Kapitalwert. |